Ukrainischer Botschafter: „Das ist Manipulation!“
Als Vasyl Khymynets im Spätherbst 2021 seinen Posten als ukrainischer Botschafter in Österreich angetreten hat, hat er sich das alles noch ganz anders vorgestellt. Wenige Monate später wurde sein Land angegriffen, und dadurch hat sich auch seine Rolle grundsätzlich verändert.
Im Interview spricht der Botschafter der Ukraine darüber, wie er die österreichische Hilfe für sein Land beurteilt, wie er die Relativierung des Ukraine-Kriegs im politischen Diskurs sieht, und welche russischen Narrative hierzulande viel zu oft vorkommen.
Sie sind seit Oktober 2021 der ukrainische Botschafter in Österreich. Mit welcher Erwartungshaltung haben Sie diesen Posten angetreten? War da schon klar, dass Russland jederzeit angreifen könnte?
Ich bin natürlich mit Erwartungen gekommen. Damals lag mein Schwerpunkt auf der Stärkung der wirtschaftlichen Beziehungen. Meine ersten Gespräche in Wien haben gezeigt, dass österreichische Firmen die Ukraine schätzen. Sie haben ihre Chancen auf dem ukrainischen Markt erkannt, welcher aufgrund erfolgreicher Reformen in der Ukraine für ausländische Investoren immer attraktiver wurde. Zu der Zeit gab es in der Ukraine etwa 300 österreichische Unternehmen, trotz des Kriegs hat kein einziges davon die Ukraine verlassen. Und dann kam der Krieg. Wir wussten zwar, dass Russland seit April 2021 seine Truppen an der Grenze sehr stark bewegt hat, wir waren im Austausch mit unseren Partnern und haben alles unternommen, damit Putin einsieht, dass eine weitere Eskalation auch nicht in seinem Interesse ist. Wir haben gehofft, dass sich die Vernunft durchsetzt. Aber spätestens im Jänner haben wir uns dann auf das Schlimmste vorbereitet.
Dadurch hat sich Ihre Rolle also stark geändert in die Richtung, ein neutrales Land davon zu überzeugen, dass es auch helfen kann, oder?
Natürlich respektieren wir in der Ukraine die österreichische Neutralität als eine souveräne Entscheidung des österreichischen Volks. Auf der anderen Seite freuen wir uns über eine klare Haltung in Österreich, auch von Abgeordneten der österreichisch-ukrainischen Freundschaftsgesellschaft: Österreich ist militärisch neutral, politisch nicht. Das wurde auch mit konkreten Taten belegt, und dafür sind wir dankbar.
Welche Taten sind das zum Beispiel?
Das betrifft die Aufnahme ukrainischer Schutzsuchender, aber auch viele Hilfsprojekte für die Menschen in der Ukraine, etwa die Aktion „Nachbar in Not“, die das große Herz der Österreicher symbolisiert. Mit diesen Spenden wurden Häuser repariert, die Russland zerstört hat, aber auch Notstromaggregate angeschafft, um zu überwintern, denn Russland hat die Energieinfrastruktur massiv zerstört. Aber auch durch die Gemeinden kommt viel Hilfe in die Ukraine. Das werden die Ukrainer nicht vergessen.
Auf der anderen Seite hilft Österreich auch Russland durch die hohen Summen, die wir immer noch für russisches Gas ausgeben. Wie sehen Sie denn die österreichische Energiepolitik?
Wenn Russland durch Gelder aus Europa weiter unterstützt wird, ist das ein Problem. Das Geld wird ja nicht für die Menschen in Russland ausgegeben, sondern fließt in die Kriegsmaschinerie: Jeder Cent aus dem Ausland hilft Putin, diesen Krieg weiterzuführen. Ich sehe, dass die Bundesregierung dieses Problem erkennt und, hoffe, dass Österreich sich möglichst schnell aus der Gas-Abhängigkeit von Russland befreit.
Vertreterinnen und Vertreter der meisten Parteien waren mittlerweile in der Ukraine, aber eben nicht alle. Die FPÖ war noch nicht vor Ort und ist auch weiterhin dafür, russisches Gas zu beziehen. Nächstes Jahr wird in Österreich gewählt – beunruhigen Sie die hohen Umfragewerte der Rechten in Österreich?
Der genozidale Vernichtungskrieg gegen die Ukraine, welchen Russland aufs Brutalste führt, ist zweifelsohne eine eklatante Verletzung des Völkerrechts. Daher erwarten wir schon, dass alle politischen Parteien in Österreich, welches ein Teil des demokratischen und liberalen Europas ist, sowohl die russische Aggression verurteilen als auch der Ukraine in diesem völkerrechtswidrigen Krieg zur Seite stehen, natürlich gemäß dem Neutralitätsgesetz. Denn es geht auch um Schutz des Völkerrechts und Rechtsstaatlichkeit als Grundlage für Frieden und Sicherheit in Europa. Die werden nämlich in der Ukraine verteidigt. Vor diesem Hintergrund beunruhigt uns das Verhalten der FPÖ schon. Etwa wenn die Partei bei der Rede des ukrainischen Präsidenten im Parlament demonstrativ nicht anwesend ist, wenn sie nicht in die Ukraine reist, wenn sie wegschaut oder auf Zugeständnisse drängt, die keinesfalls akzeptabel sind. Wir müssen uns in Europa damit auseinandersetzen, in welcher Welt- und Sicherheitsordnung wir weiterleben wollen. Wollen wir in einem System leben, das auf klaren Regeln und Prinzipien basiert? Oder wollen wir eine Willkür akzeptieren, indem ein größeres und stärkeres Land jederzeit das Recht behält, Grenzen zu verschieben?
Sehen Sie das als Putins Ziel? Eine Weltordnung, in der das Recht des Stärkeren zählt?
Putins Ziel ist eine Weltordnung, die nicht auf dem Völkerrecht und anderen Prinzipen der Demokratie und Freiheit basiert, sondern eine Weltordnung mit Blöcken und Einflusszonen, eine Weltordnung, die auf Großmächten basiert. Und dadurch können alle Länder, die in der westlichen Einflusssphäre sind, zu Opfern werden. Wir sollten nicht vergessen, wie brutal Russland auch westliche Länder angegriffen hat. Vor der Annexion der Krim und dem Angriff auf den Donbas oder auf Georgien. Oder denken wir daran, dass Putin Menschen in Deutschland und Großbritannien ermorden ließ, denken wir an die Cyberangriffe. Darum müssen wir uns entscheiden: Wollen wir Demokratie und Freiheit verteidigen, oder soll sich das Recht des Stärkeren durchsetzen?
Eine andere Partei, die das auch nicht so sehen dürfte, ist die SPÖ. Die Kinderfreunde etwa haben vor kurzem ein Video geteilt, in dem der Ukraine-Krieg für Kinder erklärt wird. Und da kommt etwa auch vor, dass in Kriegen immer zwei Seiten schuld sind, oder dass immer Geld im Spiel ist. Was sagen Sie dazu?
Leider kommen solche Fälle immer wieder vor, und es zerreißt mir das Herz. Wenn ich Begründungen höre, die mit der Realität nichts zu tun haben, sondern nur russische Narrative verbreiten, um den russischen Krieg in der Ukraine zu rechtfertigen. Aber mir bleibt nichts anderes übrig, als weiterhin zu erklären, dass es für diesen Krieg gar keinen Grund gibt, dass das Ziel Putins ist, die Ukraine auszulöschen. Der einzige Grund ist Putins Wahn. Es ist natürlich schade, dass es in der SPÖ Politiker gibt, die sich beeinflussen lassen. Aber das ist keine Mehrheit, auch nicht in der Bevölkerung. Um konkret zu bleiben, möchte ich auf die Resolution des SPÖ-Bundesparteivorstands vom 13.4.2023 hinweisen – der Titel der Resolution „Die SPÖ steht an der Seite der ukrainischen Bevölkerung und verurteilt den russischen Angriffskrieg auf das Schärfste“ spricht für sich. Des Weiteren ist für mich wichtig, einen sehr engen und guten Austausch mit den SPÖ-Politikern – den Bürgermeistern von Wien und Linz, mit dem burgenländischen Landeshauptmann, die sich für die Ukraine einsetzen – zu haben. Für diesen Einsatz bin ich dankbar.
Wo sehen Sie das Potenzial Österreichs bei der Minenräumung, gerade im Hinblick auf den zukünftigen Wiederaufbau?
174.000 Quadratkilometer in der Ukraine sind vermint, 40.000 davon könnten wir jetzt sofort entminen. Und da rede ich von humanitärer Entminung, dort finden keine Kampfhandlungen statt. Von Österreich kommen da 2 Millionen Euro für einen slowenischen Fonds, der da über Erfahrung verfügt. Aber es geht auch um die Schulung unserer Fachleute vom Katastrophenschutz. Das ist extrem wichtig, damit die Menschen in der Ukraine zurück in ihre Heimat kommen können, aber auch damit man das Land wieder bewirtschaften kann. Darum ist Österreichs Einsatz für uns sehr wichtig.
Dabei möchte ich auch nochmal betonen, dass es dabei um humanitäre Entminung geht, also ohne die Entsendung österreichischer Truppen. Wie ich der Diskussion entnehme, könnte das der Neutralität entgegenstehen. Aber wir respektieren diese, und die Hilfe durch Equipment, Geräte und Schulung ist möglich. Und es wäre sehr wichtig, dass diese auch aufgestockt wird – das hilft uns, Menschenleben zu retten.
Und wie steht es eigentlich um die Behandlung ukrainischer Kriegsopfer im Gesundheitssystem?
Zivile Opfer der Ukraine haben die Möglichkeit, in österreichischen Spitälern behandelt zu werden. Der Bundeskanzler hat die Bereitschaft erklärt, 100 Ukrainerinnen und Ukrainer aufzunehmen, aktuell sind es 50. Zu diesen zivilen Opfern gehören auch Frauen und Kinder – nach jedem Angriff mit Drohnen und Raketen gibt es neue Fälle. Im breiteren Kontext arbeiten wir eng mit Österreich zusammen, damit auch therapeutische Hilfe für Traumatisierte angeboten werden kann. Seit kurzem arbeitet die Medizinische Universität Wien auch mit der Universität in Lemberg zusammen. Das sind alles wichtige Schritte, die den Menschen in und aus der Ukraine helfen.
Wie sehen Sie die aktuelle Debatte um die Akkreditierung des ORF-Journalisten Christian Wehrschütz? Bei ihm ist ja fraglich, ob er in der Ukraine bleiben und weiter berichten darf. Geht sich das mit der Pressefreiheit aus?
Im Kriegszustand, in dem sich die Ukraine befindet, gelten besondere Regeln, die auch streng eingehalten werden müssen. Und zwar von allen, von Ukrainern und Ausländern, und auch durch Journalisten. Meines Wissens geht es im Fall von Christian Wehrschütz nicht darum, wie er sich persönlich zur Ukraine äußert, sondern darum, dass er möglicherweise gegen diese Regeln verstoßen hat. Konkret geht es darum, dass er Videomaterial veröffentlicht hat, auf denen die Stellungen unserer Abwehrsysteme festgestellt wurden. Das scheint ein Verstoß zu sein, deswegen wird die Verlängerung dieser Akkreditierung durch kompetente Behörden geprüft. Es geht um die Sicherheit der Ukraine.
Sie haben auch angesprochen, wie sich der Journalist persönlich geäußert hat. Was stört Sie denn am medialen Diskurs in Österreich am meisten?
Das Narrativ, dass nichts eindeutig gesagt werden kann, sorgt dafür, dass die Gesellschaft vieles bezweifelt. Insbesondere kann die den Aggressor nicht identifizieren, die Gründe des Krieges werden verkannt. Die Kampfhandlungen im Donbas waren laut russischem Narrativ ein „Bürgerkrieg“ – jetzt wissen wir, dass das nicht stimmt. Wenn ein Einkaufszentrum in Krementschuk bombardiert wird und 50 Menschen sterben, wird verbreitet, dass die Russen das gar nicht treffen wollten.
Es wird also immer vernebelt.
Genau, das ist das Schlimmste. Oder wenn unserem Abwehrsystem die Schuld gegeben wird, dass die Menschen nicht rechtzeitig gewarnt wurden. Das hat auch mit freiem Journalismus nichts zu tun – das ist Manipulation! Es gab zuletzt auch ein Interview mit zwei Journalisten, die jahrelang aus Moskau berichtet haben. Die waren eindeutig. Sie haben festgestellt, dass der Krieg in der Ukraine stattfindet, dass Russland die Verantwortung dafür trägt, dass das alles 2014 losgegangen ist. Da gibt es keinen Raum mehr für Spekulationen oder Vernebelungen, wie Sie sagen.
Und diese Vernebelungen stärken auch hier den Zweifel, ob Putin oder Russland wirklich für den Krieg, für grausame Verbrechen an Ukrainerinnen und Ukrainern verantwortlich sind. Das ist das Allerschlimmste für uns. Der Aggressor ist bekannt – und er muss für alle Verbrechen in der Ukraine und gegen die Ukraine zur Rechenschaft gezogen werden. Solange das nicht passiert, wird aus Russland weiterhin Gefahr für Demokratie und Freiheit in Europa ausgehen. Das ist die Realität, und die muss auch erkannt werden.