Vergeltung oder Vorbeugung: Zur Debatte über die Strafmündigkeit
Die in den vergangenen Wochen bekannt gewordenen Verbrechen, teilweise begangen von Strafunmündigen, haben eine Debatte über die Senkung der Strafmündigkeitsgrenze ausgelöst. Wieso das keine gute Idee wäre.
Der Fall des mutmaßlichen sexuellen Missbrauchs einer Zwölfjährigen durch 17 Tatverdächtige hat in der Bevölkerung Bestürzung ausgelöst. Vor allem der Umstand, dass die meisten der Tatverdächtigen unter 18 und zwei unter 14 und somit strafunmündig sind, machte fassungslos. Daraufhin hat die ÖVP den Vorschlag gemacht, die Grenze der Strafmündigkeit zu senken.
Strafmündigkeit bedeutet, dass jemand für ein strafbares Handeln verurteilt werden kann. In Österreich wird diese Grenze mit 14 Jahren festgesetzt. Jugendliche unter 14 können also für ihr Handeln strafrechtlich nicht belangt werden. Das bedeutet aber nicht, dass Strafunmündige keine Maßnahmen auferlegt bekommen können – sie können z.B. in einer betreuten Wohngemeinschaft untergebracht werden.
Ist das Strafrecht das einzige Mittel?
Jugendkriminalität ist tatsächlich ein Problem und muss auch so benannt werden. Expert:innen sehen die Herabsetzung der Strafmündigkeitsgrenze aber negativ – und das aus gutem Grund. Denn strafrechtliche Mittel wie Haft würden nicht zur Resozialisierung der Täter:innen beitragen und in vielen Fällen das kriminelle Verhalten verstärken. In der allgemeinen Wahrnehmung gilt das Strafrecht als präventiv und verhaltenssteuernd. In Wirklichkeit ist das aber nur begrenzt der Fall.
Die ÖVP dürfte das auch wissen, aber darum geht es ihr nicht. Sie spielt mit dem Verlangen vieler in der Bevölkerung nach Vergeltung. Das mag emotional nachvollziehbar sein, macht Österreich aber nicht sicherer. Was wirklich für Sicherheit sorgt, ist ein Justizsystem, das einerseits auf Prävention setzt, um Verbrechen zu verhindern, und andererseits auf Resozialisierung, damit gerade Kinder und Jugendliche nicht schon früh in einer Situation landen, in der sie keine Chance mehr haben, je wieder ein Teil der Gesellschaft zu werden.
Antworten auf Kinderkriminalität
Trotzdem braucht es natürlich Maßnahmen, um Kinder wieder auf die richtige Bahn zu bringen – diese liegen aber nicht im Strafrecht. Es bedarf Maßnahmen, die Strafmündigen ihr Fehlverhalten und dessen Konsequenzen vor Augen führen. Als geeignet erscheinen unter anderem mehrmonatige Anti-Gewalt-Trainings und/oder die Verpflichtung zu gemeinnütziger Arbeit. Auch sollten diese Maßnahmen von einem Zivilgericht verhängt werden. Eine Richterin oder ein Richter mit Talar entfalten auf Jugendliche eine andere Wirkung als ein Raum der Kinder- und Jugendhilfe.
Wichtig ist es auch, die Eltern vermehrt in die Pflicht zu nehmen. Viele der straffälligen Kinder kommen aus schwierigen familiären Verhältnissen, in denen Eltern ihren Obsorgepflichten nicht ordnungsgemäß nachgekommen sind. Hier könnte der Ansatz lauten, dass Eltern darauf achten müssen, dass die Anti-Gewalt-Trainings auch absolviert werden. Bei Verletzung dieser Aufsichtspflicht könnte man beispielsweise Verwaltungsstrafen verhängen oder die Familienbeihilfe kürzen.
Prävention als bestes Mittel
Die Senkung der Strafmündigkeit ist nicht das geeignete Mittel, um Kinderkriminalität zu verhindern: Denn das Strafrecht kommt erst ins Spiel, wenn die Tat schon begangen wurde. Wichtig sind geeignete Konzepte, die schon bei Anzeichen von Gewalttendenzen unter Kindern zum Tragen kommen, zum Beispiel in der Schule und in der Zusammenarbeit zwischen Eltern und der Kinder- und Jugendhilfe. So können durch richtige Präventionsarbeit nicht nur Straftaten verhindert, sondern insbesondere auch potenzielle Opfer geschützt werden.
Dafür müssen aber auch ausreichend finanzielle und personelle Mittel vorliegen. Dass die Kinder- und Jugendhilfe 2019 vom Bund auf die Bundesländer übertragen wurde und es somit neun verschiedene Kinder- und Jugendhilfen gibt, war ein Fehler, und das war damals schon absehbar. Die Kinder- und Jugendhilfen sollten einheitlich gelten und nicht von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich.
Vorbeugung statt Vergeltung
Leider sieht die ÖVP das Strafrecht als das Allheilmittel zur Behebung jedes Missstands an. Strafverschärfungen oder die Möglichkeit, strafbares Handeln zu ahnden, klingen gut, sind aber leider nicht die primärtauglichen Mittel, um Kriminalität zu verhindern. Anstatt ihrer Regierungsverantwortung gerecht zu werden und geeignete Maßnahmen zur Kriminalitätsprävention zu treffen, lässt sie sich jedes Mal dazu verleiten, das Strafrecht als Antwort zu präsentieren. Öffentlichkeitswirksame Aussagen sind innerhalb von wenigen Sekunden getroffen, die Ausarbeitung wirksamer Maßnahmen bedarf aber in der Regel mehrmonatiger Arbeit.