Von Super-Apps und Datenkraken
WeChat, Grab, KakaoTalk und Alipay: In China, Südkorea und Südostasien sind diese Apps der Zugang zu einer Fülle an Dienstleistungen. Essen bestellen, Geld senden oder einen Fahrer buchen: Das und noch vieles mehr in einer App gebündelt. Doch die Gemütlichkeit hat auch ihre Schattenseiten.
In Österreich sind wir gewohnt, dass der Staat nicht viel über uns weiß. Zwar wissen die verschiedenen Stellen der öffentlichen Hand schon einiges, aber Daten werden kaum verknüpft. Das zeigte sich in der Corona-Pandemie, als die unterschiedlichen Bereiche des Gesundheitssystems nicht miteinander kommunizieren konnten, aber zuletzt auch bei den Corona-Förderungen.
Ein großer Teil der Weltbevölkerung lebt aber in der genau umgekehrten Realität: In Südostasien ist es ganz normal, eine App zu haben, mit der alles erledigt werden kann – eine Super-App quasi. Am berüchtigtsten dafür ist offensichtlich China, wo mit einer App der gesamte (Überwachungs-)Staat verwaltet wird.
Was ist eine Super-App?
Als Super-App werden Anwendungen bezeichnet, welche mehrere Funktionen in einer App zusammenfassen. Sie schaffen somit eine geschlossene Handels- und Kommunikationsplattform, die mehrere Aspekte des Lebens miteinbezieht.
Dieser Begriff wurde zuerst für die chinesische App „WeChat“ genutzt. Eine App, die in China von mehr als einer Milliarde User:innen genutzt wird. Durch die staatliche Zensur in der Volksrepublik haben es ausländische Anwendungen schwer, sich in dem Land zu etablieren. Viele westliche Plattformen, wie Twitter und Facebook, sind schon seit Jahren gesperrt.
Doch auch außerhalb Chinas bzw. in nicht-autokratischen Ländern sind Super-Apps beliebt. Insbesondere in Südostasien, Indien und Südkorea boomen alternative Apps wie Grab oder KakaoTalk. Prinzip und Funktionsweise sind grundsätzlich gleich.
Wie sieht die Super-App „WeChat“ aus?
Wer sich jetzt denkt: „Dann lade ich mir doch die App einfach aus dem AppStore hinunter“, wird enttäuscht: Denn die Version von WeChat, die wir hier in Österreich bzw. Europa beziehen können, ist eine sehr abgespeckte Version vom Original, die primär nur für Kommunikation nutzbar ist. Das echte WeChat kennen wir durch Screenshots, aber auch diese zeigen nur einen Auszug – WeChat bietet so viele Funktionen, dass es kaum möglich ist, alle auf einmal abzubilden.
Diese drei Screenshots geben einen groben Überblick über die App. Im linken Bild sieht man die Möglichkeit, direkt über WeChat Essen zu bestellen, und im mittleren kann man sich vorab Kinokarten kaufen. Besonders interessant wird es aber im Beispiel rechts: Hier gibt es eine Übersicht über die staatlichen Dienste. So können über WeChat beispielsweise die Krankenversicherung verwaltet, die Steuern bezahlt und ein Meldezettel angefordert bzw. geändert werden.
Die Gemütlichkeit wird mit Daten bezahlt
Durch Super-Apps wie WeChat genießt man als User einige Vorteile. So benötigt man für verschiedenste Dienste nicht verschiedene Apps, sondern muss nur eine App auf sein Gerät laden. So verschwinden auch unzählige Accounts und Passwörter, da man nur mehr einen Account für verschiedenste Funktionen hat. Zusätzlich merkt sich die App auch Gewohnheiten und kann für die verschiedensten Lebenslagen das passende Produkt bzw. die passende Dienstleistung vorschlagen.
Alles im allem also eine Datenkrake par excellence. Denn in Wirklichkeit sind solche SuperApps für die Unternehmen eine Goldgrube: Da die Nutzer verschiedenste Dienste in einer App nutzen, fallen auch entsprechend mehr Arten von Daten an. Daten, die wiederum ausgewertet und gewinnbringend an Dritte verkauft werden können. Insbesondere dadurch, dass verschiedenste Dienste untereinander verknüpft sind, lassen sich Verhaltensmuster und Käuferprofile noch genauer ableiten.
Diese Daten sind auch meistens hochsensibel, wenn zum Beispiel Zahlungsdaten mit der App verbunden sind. Kommt es zum Beispiel zu einem Hack oder Datenleck, so kommt auch deutlich mehr an die Öffentlichkeit, als es bei separaten Anwendungen der Fall wäre. Wird bei uns das Passwort für einen Lieferdienst gehackt, ist im schlimmsten Fall das Zahlungsmittel hinterlegt – bei WeChat sind es alltägliche Gewohnheiten aus allen Bereichen des Lebens: Kontostand, Schlafgewohnheiten und welches Profil auf Social Media man besonders oft öffnet. Die Tragweite eines solchen Datenlecks wäre somit um ein Vielfaches größer.
Monopolstellung und Überwachung durch WeChat
Eine App, die den Markt durch seine Fülle an Diensten und Produkten beherrscht, ist durch und durch ein Monopol. Durch die staatliche Zensur von westlichen Plattformen hatte es WeChat besonders leicht, ein De-facto-Monopol in der Volksrepublik aufzubauen.
Diese Tatsache stört die KP in China aber wahrscheinlich nicht, denn für die autokratische Regierung sind solche Apps eine großartige Möglichkeit, die Bürger zu überwachen. So ist WeChat dazu verpflichtet, die Konversationen und Aktivitäten der User:innen an die Behörden zu übermitteln. Heißt also, dass die Kommunikation über WeChat außerdem unverschlüsselt erfolgt – und eine flächendeckende staatliche Überwachung möglich ist.
Brauchen wir eine EU-Super-App?
Während China und andere Länder mit SuperApps „bestens versorgt“ sind, gibt es solche in Österreich nicht. Aber die Frage ist: Brauchen wir überhaupt ein europäisches WeChat 2.0?
In Bezug auf staatliche Dienste kann eine SuperApp sowohl in Österreich als auch EU-weit sinnvoll sein. Die App „Digitales Amt“ hat in diesem Bereich den Grundstein für die Digitalisierung von Amtswegen gelegt. Angenommen, die App würde sich in den nächsten Jahren so sehr weiterentwickeln, dass alle Dienste und Aspekte der Republik in dieser App abgebildet sind: In Bezug auf Datensicherheit kann man sich hier auch relativ sicher sein, dass die Daten nach der DSGVO gespeichert werden und insbesondere Gesundheitsdaten sehr sorgsam behandelt werden.
Im Privatsektor birgt eine Super-App jedoch immer die Gefahr, zu einem Monopol zu werden und Mitbewerber vom Markt zu drängen. Insbesondere der Dienstleistungssektor für z.B. Essenslieferungen ist stark umkämpft und sorgt so für einen Konkurrenzkampf zwischen den Anbietern. Die Kunden profitieren so von einer großen Fülle an Angeboten und Leistungen, da die Anbieter ständig versuchen, sich gegenseitig zu übertreffen.
Hätten wir wie in China nur noch eine App für all unsere Lebenslagen, könnte z.B. unsere Innovation gelähmt werden, oder eine Anwendung hätte die zentrale Macht über Gebühren und Preise auf ihrer Plattform. Alles Dinge, die in einem freien Markt nichts verloren haben.