Walfang: Ein beschämendes Überbleibsel vergangener Tage
In unregelmäßigem Abstand findet man in den Medien Beiträge zum Walfang und der Grausamkeit, mit der diese Tiere einen qualvollen Tod finden. Die meisten Staaten haben dieser Praktik mittlerweile abgeschworen, doch einige wenige halten daran fest. Warum eigentlich?
Nur noch drei Staaten weltweit jagen Wale kommerziell: Island, Norwegen und Japan. Kurz vor Beginn der diesjährigen Jagdsaison hat sich Island dazu entschlossen, den Walfang für zwei Monate auszusetzen. Ein gutes Zeichen? Ja, aber es ginge auch konsequenter: 1946 wurde die Internationale Walfangkommission (IWC) ins Leben gerufen, die kommerziellen Walfang reguliert hat. 1982 folgte das Moratorium, das kommerziellen Walfang generell verbietet.
Spricht also überhaupt noch etwas für Walfang im 21. Jahrhundert? Zugegebenermaßen tut man sich bei der Suche nach Pro-Argumenten schwer. Bemüht man sich trotzdem, findet man grob vier Perspektiven, aus denen man Walfang rechtfertigen könnte:
- Staaten sind wirtschaftlich abhängig vom Walfang und betreiben ihn deshalb weiterhin
- Walfang ist Teil der Kultur und Tradition des jeweiligen Landes
- Wissenschaftliche Erkenntnisse rechtfertigen Walfang
- Walfang ist notwendig, um den Eigenbedarf zu decken
In dieser Knappheit mögen alle vier Argumente auf den ersten Blick logisch erscheinen. Bei genauerer Betrachtung lassen sie sich aber (fast) alle entkräften.
Die wirtschaftliche Irrelevanz
„Wir müssen Wale fangen, weil es ein essenzieller Wirtschaftszweig ist!“
Dieses Argument wäre ein gewichtiges, wenn es denn stimmen würde. Beim ersten Blick auf die drei genannten Länder fällt auf, dass sie alle – global gesehen – reich sind. Japan ist eine der größten Volkswirtschaften weltweit (derzeit sogar auf Platz 3 hinter den USA und China und noch vor Deutschland) und ist auch beim BIP pro Kopf in den Top 25 aller Staaten. In absoluten Zahlen können freilich weder Island noch Norwegen mit den großen Volkswirtschaften mithalten, dafür kann sich das BIP pro Kopf sehen lassen: Norwegen ist nach dieser Lesart eines der reichsten Länder überhaupt, und auch Island ist im Ranking weit oben.
Brauchen derart wohlhabende Staaten also wirklich Walfang, um zu überleben? Die kurze Antwort lautet Nein. Schlimmer noch: Für Japan ist Walfang sogar ein dickes Minusgeschäft. In den Jahren 1988–2009 musste der japanische Staat den Walfang mit 164 Millionen US-Dollar subventionieren, um überhaupt die Kosten zu decken – 2009 alleine waren es 12 Millionen. Auch Norwegen musste seine Walindustrie mit Millionenbeträgen unterstützen. Auf Island sinkt der Bedarf an isländischem Fisch rapide und wird sich Schätzungen zufolge schon bald nicht mehr lohnen – geplant ist laut Fischerei- bzw. Ernährungsministerin ein endgültiger Ausstieg im Jahr 2024.
Selbst wenn man versucht, sich in die Lage der Walfangbefürworter zu versetzen, muss man feststellen: Es ist schlichtweg irrelevant für die Wirtschaft dieser (hoch)entwickelten Nationen – und im schlimmsten Fall sogar ein Minusgeschäft.
Das wachsweiche Argument der Tradition
„Walfang hat hier Tradition, ist Teil der Kultur und deshalb wert, erhalten zu werden!“
Auch dieses Argument lässt sich leicht entkräften. Schaut man auf die isländische Bevölkerung, wird einem klar, dass Walfleisch keinesfalls zur beliebten lokalen Küche gehört. Lediglich 2 Prozent der Bevölkerung kaufen regelmäßig Walfleisch, und 84 Prozent gaben an, noch nie Walfleisch gekostet zu haben. Das meiste landet auf den Tellern von Restaurants und anschließend in den Mägen von Tourist:innen. Finnwale werden fast ausschließlich nach Japan exportiert, mit sinkendem Bedarf.
In Japan hat Walfang lange Tradition, seit über 500 Jahren werden die Tiere dort schon gejagt. Wie die Zahlen jedoch zeigen, ist der Bedarf in Japan zu gering und die Industrie ohne Zuschüsse nicht mehr überlebenswert. Wurden 1965 noch über 200.000 Tonnen Walfleisch konsumiert, waren es 2015 „nur“ noch 4.000 Tonnen. Zum Vergleich: In Österreich werden ca. 150.000 Tonnen Geflügelfleisch pro Jahr produziert, weltweit sind es etwa 142 Millionen Tonnen. Nun könnte man natürlich argumentieren, dass Tradition nicht nur durch wirtschaftlichen Erfolg zu rechtfertigen sei. Beim Blick über den Tellerrand fällt aber auf, dass Tradition alleine in der Regel ein furchtbares Argument ist, wenn man etwas Kontroverses verteidigen will.
Es reicht bereits ein oberflächlicher Blick in die Geschichtsbücher: Im alten Rom haben sich Gladiatoren zu Unterhaltungszwecken bis zum Tode bekämpft. Im Mittelalter und der frühen Neuzeit wurden Hexen verbrannt. Die Schweiz hat das Frauenwahlrecht 1971 eingeführt, und in Frankreich fand die letzte öffentliche Hinrichtung per Guillotine 1977 statt. All diese Dinge waren einmal „normal“ und Teil der Kultur – heute erscheinen sie uns vollkommen absurd. Zum Glück ändern sich Dinge, die Menschheit entwickelt sich weiter und ist in der Lage, zweifelhafte Praktiken zu hinterfragen und diese in der Vergangenheit zu lassen.
Aber die Wissenschaft!
„Walfang ist wichtig, um die Tiere zu erforschen und besser zu verstehen!“
Auch das Argument der wissenschaftlichen Relevanz mag auf den ersten Blick nachvollziehbar klingen. Der Mensch ist schließlich neugierig und möchte Unbekanntes gerne besser verstehen. Und auch wenn Blauwale die größten Tiere sind, die jemals auf diesem Planeten gelebt haben, wissen wir erstaunlich wenig über sie. Aber muss man sie deshalb (auf ziemlich grausame Art) töten?
Nicht unbedingt. Schließlich landen Wale häufig als Beifang in den Netzen von Fischereien – jährlich sind es rund 300.000 Wale und Delfine. Diese Zahl ist so absurd hoch, dass es grotesk erscheint, zusätzlich noch kommerziellen Walfang zu betreiben. Selbst wenn sich jährlich nur einige wenige Tiere in Schleppnetzen verheddern würden, es müsste zu Forschungszwecken schlichtweg genug sein. Immerhin stranden Wale zusätzlich auch noch an unseren Küsten. Schließlich gibt es auch noch Methoden, die Tiere zu studieren, ohne sie umzubringen: etwa mittels GPS-Tracker, durch DNA-Entnahmen der Haut, oder ganz simpel durch Beobachtung.
Walfang aus wissenschaftlichem Interesse zu betreiben, ist also ein absurdes Argument. Das Problem: Es ist laut den Statuten der IWC von 1946 erlaubt und wurde von allen drei Walfang-Nationen als eine Art Schlupfloch genutzt. Die Staaten verkaufen also ihren Walfang unter dem edlen Ziel der Wissenschaft, in Wirklichkeit haben sie aber kommerzielle Absichten.
Totschlagargument Eigenbedarf?
„Wir müssen Wale fangen, um unseren Eigenbedarf zu decken!“
Bei diesem Argument fällt es deutlich schwerer, valide Gegenargumente zu finden. Insbesondere wenn man sich den Fleischkonsum hierzulande ansieht. Möchte man dem Argument pro Walfang für den Eigenbedarf partout widersprechen, muss man sich allerdings die Frage stellen, ob ein Hühnerleben weniger wert ist als das eines Wals.
Mehr noch: Selbst die IWC anerkennt, dass kommerzieller Walfang nichts mit dem Eigenbedarf der indigenen Völker zu tun hat. Heutzutage wird diese Art von Walfang auf Grönland, von den Tschuktschen in Russland, auf Bequia und in Alaska betrieben. Nichtkommerzieller und somit nicht profitorientierter Walfang ist explizit nicht Teil des Moratoriums. Dennoch verfolgt die IWC das Ziel, dass Walfang indigener Völker den Bestand nicht gefährdet.
Wale sind die besseren Bäume
Abgesehen vom Eigenbedarf indigener Völker hält also kein Argument bei genauerer Betrachtung stand. Grund zur Hoffnung für ein baldiges Ende des kommerziellen Walfangs gibt es einige: Das Moratorium war und ist ein wichtiger Grundpfeiler. Auch die jüngsten Entscheidungen Islands, den Walfang auszusetzen und nächstes Jahr ganz auszusteigen, sind positive Entwicklungen. Der schrumpfende Markt kann unter Umständen dazu führen, dass Japan die Subventionen für diese Industrie irgendwann einstellen wird.
Und schließlich ist das steigende Bewusstsein der Bevölkerung ein entscheidender Faktor. Denn Wale sind nicht nur hochintelligente Tiere, sie sind auch ein entscheidender Teil des Ökosystems: Sie leben in der Regel sehr lang, und viele Spezies nehmen über diese Zeitspanne eine große Menge Plankton auf, das voll mit CO2 ist. Wenn Wale auf natürliche Weise sterben, sinken sie auf den Grund des Ozeans und sorgen somit dafür, dass das CO2 über viele Jahrhunderte aus der Atmosphäre genommen wird. Ein großer Wal speichert auf diesem Weg durchschnittlich 33 Tonnen CO2 – ein Baum würde bei gleicher Dauer auf ca. drei Tonnen kommen. Obendrauf nehmen Wale nicht nur Plankton und somit CO2 zu sich, sie sorgen durch ihre Ausscheidungen auch für mehr Planktonwachstum, das wiederum mehr CO2 aus der Luft speichert.
Wale zu schützen ist also sowohl aus gesinnungsethischer wie auch aus verantwortungsethischer Sicht wichtig und richtig.