Wann ist ein Mord ein Femizid? Die Lücken in der Statistik
Im Bereich Kriminalität müssen die Dinge benannt werden, wie sie sind. Gerade bei Frauenmorden ist das aber schwer möglich – denn es gibt eine Lücke in der Statistik und einen Mangel an Definition.
Ein „Mord“, das ist eine vorsätzliche Tötung. In der Kriminalitätsstatistik des Innenministeriums scheint ein Mord auch als solcher auf. Als Sonderformen gibt es nur den „Sexualmord“ – also einen Mord, der sexuelle Triebe befriedigen soll – oder den „Raubmord“, also einen Mord, der im Zuge eines Raubes geplant ist. Beides bedingt einen Vorsatz und eine bestimmte Situation.
Die Motive gehen aber um einiges weiter – schließlich zeigte auch die Polizei in dieser Frage etwas Bewegungsbereitschaft. Seit Ende 2020 werden bei Strafdelikten die Motive erhoben, die Jahresberichte zu diesen Motivdelikten, also sogenannten Hassverbrechen oder Hate Crime, beinhalten aber keine Aufschlüsselung nach Delikten.
Das Motiv entscheidet
Man kann also entweder wissen, wie viele Morde es gab, oder man kann wissen, wie viele Straftaten insgesamt aus Hass gegen Migrant:innen, LGBTIQ-Personen oder Frauen begangen wurden. Einen Abgleich dieser beiden Statistiken gibt es aber nicht.
Spezifisch bei Gewalt gegen Frauen sieht man aber oft, dass Beziehungen in Gewaltspiralen kommen. Besagte Gewaltspiralen beginnen oft mit normalen Auseinandersetzungen, aus Diskussionen werden Streitereien, die als Ruhestörungen gemeldet werden, verbale Gewalt wird zu psychischer und physischer Gewalt, und oft endet das Besitzdenken von Männern in diesen Spiralen in einem Mord. Üblicherweise werden patriarchale Muster als Ursache identifiziert, Frauen werden dadurch von Tätern oft als „Eigentum“ betrachtet, was deren Hemmschwelle gegenüber Gewalt reduziert. Oft ist es schon zu einer Trennung der Partner gekommen, in vielen Fällen – wie kürzlich bei einem Mordversuch kurz vor Weihnachten – war die Polizei auch schon informiert. Genau deshalb wäre es bei Frauenmorden auch wichtig, diese so auszuweisen.
Hochoffiziell ist ein Frauenmord in der Definition des Europäischen Instituts für Gender-Gleichstellung eine „von privaten und öffentlichen Akteuren begangene oder tolerierte Tötung von Frauen und Mädchen wegen ihres Geschlechts“. Wie genau sich der Grund auswirkt, ist allerdings immer fraglich. Abtreibungen in Zeiten von Chinas Ein-Kind-Politik, weil das ungeborene Kind ein Mädchen war, fallen leicht ersichtlich in diese Kategorie. Politik, wie sie nunmehr in Afghanistan von den Taliban gemacht wird, fällt ebenso unter eine gesellschaftlich angelegte Verfolgung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts. Auch die massenweisen Morde an Frauen in vielen südamerikanischen Ländern fallen unter Femizide.
Spricht man über Frauenmorde, werden in Österreich aber meistens Morde gemeint, bei denen ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin tötet. Üblicherweise steckt das Motiv also in der Beziehung, einem Missstand in dieser und einer Gewaltspirale, die schlussendlich zu Mord führt. Schon alleine deshalb könnte man diese Morde auch Partnerschaftsmorde nennen, das deutsche Bundeskriminalamt erstellt zu diesen Delikten seit 2015 eigene Berichte.
Beziehung reicht nicht als Motiv
Medial kommt diese Definition über die Beziehung nicht gut an. Zu oft werden diese Arten von Mord als „Beziehungstat“ bezeichnet – der Aspekt, dass Beziehungen tödlich sein können, wird dadurch auf einen Überfluss an Emotionen reduziert.
Eine reine Definition als Mord aufgrund des weiblichen Geschlechts ist dennoch etwas anderes als ein Beispiel für Partnerschaftsgewalt. Wird eine Sexarbeiterin von einem unzufriedenen Kunden getötet, kann dies mit seinem bisherigen Sexualleben oder Abweisungen von Frauen zusammenhängen und findet daher nur statt, weil die Sexarbeiterin eine Frau ist – ein klassischer Femizid also. Sogenannte Incel-Morde fallen ebenso in die Kategorie. Beide Beispiele erfüllen die Definition „Femizid“, unter Partnerschaftsdelikte fallen sie dennoch nicht.
Gleichzeitig zeigt die deutsche Statistik, dass Partnerschaftsdelikte nicht nur Frauen als Opfer haben und auch in homosexuellen Beziehungen vorkommen (allerdings „nur“ Gewaltdelikte und selten Mord). Ebenso gibt es immer wieder Berichte über Morde, die aufgrund von Überforderung in Krankheits– oder Pflegefällen passieren, das Geschlecht des Opfers spielt dabei als Motiv keine Rolle. Als Femizid sollten diese Frauenmorde nicht unbedingt gewertet werden.
Eine ordentliche Erfassung in der Statistik ist daher unumgänglich – idealerweise wohl eine Aufschlüsselung nach Partnerschaftsdelikten und nach Frauenmorden aus Motiv heraus. Bisher bleibt das Bundeskriminalamt bei Motivaufschlüsselungen nach Hate Crimes aber vage. Einzelne Delikte werden nicht aufgeschlüsselt, Frauenfeindlichkeit wird nicht als eigenes Motiv angeführt.
Warten auf die Statistik
Auch auf politischer Ebene bewegt sich wenig. Im Parlament werden regelmäßig Anträge abgelehnt oder vertagt, die die Erfassung von Femiziden in der Gewaltstatistik fordern. Als Minimalkompromiss hat man sich geeinigt, die EU zur Einführung einer Definition aufzufordern. Zeitrahmen oder Überbrückungsstrategien gibt es allerdings nicht.
Soweit absehbar, wird sich in absehbarer Zukunft also wenig ändern. Die Regierung sieht das natürlich anders, erst am Gewaltschutzgipfel Anfang Dezember wurde unter anderem eine Studie zur Motivforschung bei Frauenmorden präsentiert. Konkrete Analysen wurden damit aber nicht bekannt gegeben, die Veröffentlichung der Studie lässt noch auf sich warten.
In welcher Form diese erfolgen wird und ob derartige Erhebungen in Zukunft standardisiert erwartet werden können, weiß aber niemand. Immerhin haben österreichische Ministerien ja eine lange Tradition damit, Auftragsstudien nicht zu veröffentlichen. Über kurz oder lang wird eine Definition von Frauenmorden in der Statistik aber notwendig sein.