Warum es so schwierig ist, Medikamenten-Engpässe zu verhindern
Schon gelesen? Laut jüngsten Medienberichten könnte es in Österreich zu Engpässen kommen, z.B. bei Antibiotika. Ein guter Zeitpunkt also, um über Beschaffung und Monitoring zu reden.
De facto interessiert man sich ja eher selten für die Strukturen der öffentlichen Beschaffung, sondern erst dann, wenn es einen Mangel gibt. Gerade im Gesundheitsbereich reagiert man da oft besonders beunruhigt – ein Medikamenten-Engpass kann immerhin eine lebensbedrohliche Situation sein. Dadurch entsteht ein kurzes Zeitfenster, in dem man über strukturelle Probleme sprechen kann.
In Österreich wird über Lieferengpässe in der Regel aber so gesprochen, als ob der Staat etwas dagegen unternehmen könnte. Dabei stellt er momentan lediglich eine Datenbank zur Verfügung. Zwar wird veröffentlicht, welche Medikamente nur eingeschränkt verfügbar sind, aber nicht, ob das auch zu konkreten Problemen führt. Wir sehen also nur die große Anzahl nicht verfügbarer Medikamente, was den Eindruck eines generellen Engpasses verschärft. Und das, obwohl es oft Alternativen gibt, die sehr wohl verfügbar sind.
Klingt schon differenziert? Kratzt aber nur an der Oberfläche. Denn Österreichs Gesundheitssystem ist nun mal kompliziert. Dementsprechend kompliziert ist auch die Antwort auf die Frage, welche Medikamente überhaupt fehlen, warum sie fehlen, und was man dagegen tun kann. Beginnen wir bei den Ursachen.
1. Ein stark konzentrierter Markt
Der österreichische Medikamentenmarkt wird von sechs Großhändlern bestimmt. Diese sechs Firmen beliefern de facto alle österreichischen Apotheken – an vielen halten sie auch Anteile. Der Anteil an den österreichischen Apotheken nimmt noch weiter zu, wenn die deutschen Anteile einberechnet werden. Die österreichischen Großhändler gehören nämlich überwiegend zu internationalen Firmen, und einige deutsche Schwesterfirmen halten auch Anteile an österreichischen Apotheken.
Diese Anteile werden auch immer wieder thematisiert, beispielsweise von der Bundeswettbewerbsbehörde. Neben dem regulären Bericht gab es im Februar 2020 aber auch eine Anzeige, die bei der Wettbewerbsbehörde eingebracht wurde – die Marktkonzentration eines Marktteilnehmers würde unter Berücksichtigung der deutschen Anteile über dem erlaubten Grenzwert von Firmenanteilen liegen.
Ist ein Medikament für Großhändler am internationalen Markt bei den Produzent:innen nicht verfügbar, können einzelne Apotheken direkt im Ausland bestellen. In diesen Fällen wird das meistens bei Schwesterbetrieben oder Apotheken in Nachbarländern gemacht. Dabei geht es aber nur um einzelne Bestellungen und damit um kleine Mengen. So können also nicht nur Lieferengpässe von Apotheken, sondern auch Exportbeschränkungen umgangen werden, wenn auch nicht in exzessiven Mengen. Sofern „ausreichend Ware für den heimischen Markt zur Verfügung steht“, ist diese Vorgehensweise auch legal.
2. Niemand kennt den Bedarf
Und damit landen wir bei der Krux: Niemand weiß, wie hoch der Bedarf ist, der gedeckt werden muss.
Der Zulassungsinhaber ist laut Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) verpflichtet, auf Basis des § 57a (1) Arzneimittelgesetz „eine angemessene und kontinuierliche Bereitstellung der Arzneispezialität für die Abgabe durch Apotheken oder für sonst zur Abgabe gemäß § 59 Berechtigte sicherzustellen, damit der Bedarf der Patienten im Inland gedeckt ist“.
Das einzige Problem daran: „Das BASG hat keine gesicherten Informationen darüber, welche Mengen der betroffenen Arzneimittel sich noch auf dem Markt befinden.“ Und obwohl bereits zwei Reformen zu Lieferengpässen bei Arzneimitteln durchgeführt wurden, schreibt das BASG in seinem Positionspapier aus dem Oktober 2020 Folgendes:
„Fürs Erste benötigen wir in Österreich aber dringend ein verpflichtendes Meldesystem, um auftretende Engpässe früher transparent machen zu können und somit fallbezogen und noch frühzeitiger Gegenmaßnahmen einleiten zu können. Auch ein fallbezogenes Exportverbot bei besonders kritischen Engpässen sollte angedacht bzw. deren gesetzliche Bestimmungen verschärft werden, um zu verhindern, dass bei bereits drohenden Engpässen eigentlich für Österreich bestimmte und noch in Österreich lagernde Kontingente über unerwünschte Exporte rasch in andere Länder verschoben und faktisch dadurch dem österreichischen Gesundheitssystem entzogen werden.“
3. Exportverbote sind kompliziert
Mit April 2020 wurde ein verpflichtendes Meldesystem bei Lieferengpässen eingeführt, für Medikamente auf dieser Liste kann jetzt auch ein Exportverbot verhängt werden. Die Entscheidungsfindung, wann ein Exportverbot nötig ist, ist allerdings langwierig.
4. Nicht jede Meldung führt zu einem Exportverbot
Mit der Meldungspflicht hat die Anzahl der gemeldeten Medikamente ziemlich zugenommen, in der Datenbank ist aber nicht immer nachvollziehbar, welche Engpässe zu einem Exportverbot führen und welche nicht. Mitte Mai 2022 sind beispielsweise 342 Medikamente mit Vertriebseinschränkungen gemeldet, davon sind 176 in Österreich nicht verfügbar. Ob das bedeutet, dass diese Medikamente von Pharma- oder Großhandelsfirmen nicht nachgeliefert werden können, in den Apotheken selbst nicht verfügbar sind, oder was genau sonst, ist unklar. Von den 176 nicht verfügbaren gibt es nur für 85 Arzneimittel ein Exportverbot, also knapp die Hälfte. Bei den eingeschränkt verfügbaren Medikamenten ist es ähnlich viel.
Eine der Änderungen in der neuen Datenbank ist, dass nicht nur Zulassungsinhaber:innen Vertriebseinschränkungen melden können, sondern auch Apotheken, Ärzt:innen oder der Großhandel. Von den 342 Medikamenten wurde kein einziges Medikament von einem Großhändler gemeldet.
Meldungen von anderen führen dazu, dass das BASG die Medikamente als „verfügbar gemäß § 4 (1)“ kennzeichnet. Von außen ist unklar, inwiefern das BASG die Verfügbarkeit dann prüft – de facto gibt es aber für keines dieser Medikamente ein Exportverbot.
Medikamente | Exportverbot | Exportverbot | |
Ja | Nein | Gesamtergebnis | |
eingeschränkt verfügbar | 62 | 69 | 131 |
nicht verfügbar | 85 | 91 | 176 |
verfügbar gemäß § 4 (1) | 35 | 35 | |
Gesamtergebnis | 182 | 160 | 342 |
5. Wer Engpässe meldet, zahlt
Die Aufgabe des BASG ist es also, bei Meldungen zu entscheiden, ob ein Exportverbot nötig ist. Allerdings trifft nicht das BASG die Entscheidung, sondern die Melder müssen alle oben genannten Faktoren selbst einmelden, außerdem welchen Nutzen das Arzneimittel für Behandlungen hat, ob eine Nichtverfügbarkeit lebensbedrohlich wäre, es alternative Arzneimittel gibt oder alternative Dosierungen möglich wären.
Ob damit der Bedarf gedeckt werden kann, entscheidet aber auch nicht das BASG, sondern die Melder müssen angeben:
- Anzahl der betroffenen Patient:innen
- Marktabdeckung
- Verkaufszahlen (Anzahl der verkauften Packungen im letzten Kalenderjahr)
- Errechneter Bedarf (Anzahl vorausberechneter Packungsverkäufe/laufendes Kalenderjahr)
Theoretisch könnten/sollten diese Entscheidungsrichtlinien mitveröffentlicht werden, damit in der Datenbank auch öffentlich ersichtlich ist, um welchen Mangel es sich handelt – wenn es nur um die Packungsgröße geht, kann ja kaum von einem Lieferengpass gesprochen werden. Das BASG dazu im Formular: „Diese Informationen dienen dem BASG ausschließlich intern als Grundlage zur Bewertung der Meldung bzw. ob ein Parallelexportverbot für die Arzneispezialität ausgesprochen wird. Diese Daten werden nicht in den öffentlichen Registern angezeigt.“
Gleichzeitig geht das BASG aber davon aus, dass die Zulassungsinhaber die Informationen weitergeben und die Großhändler richtig reagieren:
„Basierend auf der vom Hersteller zur Verfügung gestellten Information reagiert der Großhändler sofort, um die Auswirkungen von Lieferausfällen und Liefereinschränkungen abzuschwächen. Dazu gehören u.a. die sachgerechte Verteilung der verknappten Ware, das Aufstocken von Alternativtherapie-Produkten und bei konkretem Bedarf der Bezug von Waren aus anderen Ländern.“
Im Juli 2020 wurde zusätzlich eine Gebühr eingeführt, die bei der Meldung von „verschreibungspflichtigen Humanmedizinprodukten“ für Zulassungsinhaber fällig wird. Der Grund dafür ist unklar, genauso wie die Information, wofür dieses Geld verwendet wird. Informationen darüber sind aber spärlich gesät, aktuell liegt die Gebühr bei 695 Euro. Im ersten Jahr, also bis Ende Juli 2021, waren damit knapp 583.000 Euro eingenommen worden. Wofür diese Gebühren verwendet werden, wird allerdings auch in parlamentarischen Anfragebeantwortungen nicht erklärt, lediglich dass diese für „die Erfüllung des hoheitlichen Auftrags des BASG“ verwendet werden.
6. Die fragwürdige Rolle des BASG
Zusammengefasst haben wir folgende Situation: Das BASG verpflichtet die Zulassungsinhaber:innen dazu, die Versorgung zu sichern, und hilft dabei – zumindest theoretisch – mit Exportverboten für Medikamente, die schon bald knapp werden könnten. Dafür braucht das Bundesamt aber Daten, und diese kommen von den Apotheken, Ärzt:innen, dem Großhandel und eben den Herstellerfirmen. Diese Meldung kostet die Zulassungsinhaber:innen Geld und ist gleichzeitig nur für diese verpflichtend – das macht die Meldung für alle anderen unattraktiv.
Das Problem ist, dass niemand weiß, welchen Bedarf an Medikamenten es tatsächlich gibt und ob diese Meldungen sinnvoll sind. Die Tatsache, dass das BASG maximal Rücksprache bei den Produzent:innen halten kann, ob diese Meldungen stimmen, und dann auf Basis dieser Angaben über ein Exportverbot entscheiden kann, legt aber deutlichen Verbesserungsbedarf nahe. Das Bundesamt kann die Meldungen nicht ernsthaft überprüfen, kennt den Bedarf an Medikamenten nicht und kann auch die Marktabdeckungen nicht abschätzen. Mit dieser Informationslage ist es schwer, Engpässen vorzubeugen.