Warum Krisen in Österreich so teuer sind
Eine Untersuchung des NEOS Lab zeigt: Österreich ist bisher vor allem teuer durch die Krisen gekommen. Was kann die Republik in Zukunft besser machen? Eine Spurensuche.
Eine Aussage, auf die sich ungefähr alle in Österreich einigen können: Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren nicht alles richtig gemacht. Das ist nicht besonders angriffig oder kontrovers formuliert – die Corona-Pandemie, die hohe Teuerung und der Krieg in der Ukraine wären in jeder anderen innenpolitischen Konstellation auch passiert, und in so einer volatilen Situation macht niemand perfekte Politik.
Trotzdem sollten wir die Frage stellen: Wie sieht es mit dem Kosten-Nutzen-Verhältnis in den vergangenen Krisenjahren aus? Haben die vielen Hilfsgelder, die eingesetzt wurden, wirklich geholfen? Und ist es wirklich so, wie die Bundesregierung nicht müde wird zu betonen, dass Österreich „gut durch die Krise gekommen ist“?
Die hohen Kosten der Krisenbekämpfung
Eine neue Untersuchung des NEOS Lab stellt nämlich genau das infrage. Demnach lässt sich Österreich den Kampf gegen die Covid-Pandemie und die Teuerung bis Ende des Jahres ganze 54 Milliarden Euro seit 2020 kosten. 54 Milliarden – das ist eine 54 mit neun Nullen hinten dran. Je nachdem, wie viele den neuen Energiekostenzuschuss in Anspruch nehmen, werden sich die Hilfsmaßnahmen auf über 6.800 Euro pro Kopf steigern.
Damit ist die Republik unter den drei Ländern, die am meisten für die Krisenbekämpfung ausgegeben haben. Im Eurozonen-Schnitt geben Staaten rund 2.000 Euro weniger pro Kopf aus. Das hat sich auch auf die Volkswirtschaft ausgewirkt: Das BIP ist in diesem Zeitraum um 5,2 Prozent gesunken – oder um 20 Milliarden Euro. Nur in drei EU-Staaten war der Schaden noch größer: Frankreich, Italien und Spanien.
5 Gründe, warum Österreich so teuer durch Krisen kommt
1. Wenig lernfähig durch die Pandemie
In der Corona-Pandemie war vieles nicht vorhersehbar. Gerade zu Beginn wirkte ein Lockdown, wie ihn viele andere Länder vorgemacht hatten, wie eine angemessene Lösung. Der Rechnungshof kritisiert in seinem Bericht aber nicht nur die Kosten, sondern auch die mangelnde Lernfähigkeit während der COVID-19-Pandemie. Auch, weil Herausforderungen, die in dieser Zeit aufgekommen sind, immer noch offen bleiben.
Das zeigte sich u.a. auch in der Teststrategie. Österreich rühmte sich als „Test-Weltmeister“ – und auch, wenn das kleine Zypern auf die Einwohnerzahl umgerechnet noch mehr getestet hat, war der Wert von 190 Millionen Tests doch weit vorne dabei. Auf die Übersterblichkeit wirkte sich das im Vergleich aber nicht aus: Diese war nur zu Beginn der Pandemie geringer und glich sich später an den Rest Europas an.
2. „Koste es, was es wolle“
Auch bei den Unternehmensförderungen wurde das Motto der Regierung weiterverfolgt. Anfangs ein berechtigter Satz, um bei der Wirtschaft Vertrauen zu erwecken – immerhin gingen berechtigte Ängste um, durch Schließungen auf der Strecke zu bleiben. Mittlerweile wurde aber durch Medien- und Rechnungshofberichte deutlich, dass mit Steuergeld nicht nur sinnvolle Maßnahmen gesetzt wurden, um Betriebe zu unterstützen: Während anfangs zu langsam ausgezahlt wurde und viele Unternehmen auf die angekündigten Mittel warten mussten, wurde danach umso großzügiger ausgezahlt, ohne Fragen zu stellen.
Eine Alternative dazu wäre gewesen, weniger auf Direktzahlungen und mehr auf Instrumente wie Haftungen und Stundungen zu setzen. Die Kosten wären also nur ersetzt worden, wenn Unternehmen dadurch zahlungsunfähig geworden wären. In Österreich wurden (laut Daten bis ins Jahr 2021) 80 Prozent der Gelder als direkter Zuschuss ausgezahlt – im EU-Schnitt waren es nur 33.
3. Die Abhängigkeit von Russland
Die Teuerung und die hohen Energiepreise sind zu einem Teil durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine zu erklären. Seit dieser wütet, wurde auf EU-Ebene schnell beschlossen, noch früher aus russischem Öl und Gas auszusteigen – unter dem Namen „REPowerEU“ soll das bis 2030 möglich sein.
Bei dieser Aufgabe hat Österreich einen Startnachteil, wenn man von letztem Jahr an rechnet. Denn Österreich ist von Putins Regime so abhängig wie kaum ein anderes Land und muss einen umso größeren Teil aufholen und ersetzen. Das ambitionierte Ziel der EU: Schon im Winter 2022/23 um 15 Prozent weniger von Russland zu beziehen. Laut Eurostat-Daten, die in der Untersuchung des NEOS Lab zitiert werden, reduzierte Österreich seine Abhängigkeit von Russland zwischen Jänner und November 2022 um 9 Prozent. Das ist nicht nichts, liegt aber immer noch unter dem EU-Schnitt von 11 Prozent – die Niederlande, Dänemark und Schweden schafften es sogar, ein Viertel zu kompensieren.
4. Fleckerlteppich an Maßnahmen
Stromkostenzuschuss, Heizkostenzuschuss, Aussetzung der Erneuerbaren-Förderpauschale, Energiekostenzuschuss 1 und 2. Erhöhung der Pendlerpauschale, Senkung der Elektrizitätsabgabe. Abschaffung der kalten Progression. Klimabonus, Antiteuerungsbonus, Energiebonus, Teuerungsabsetzbetrag. Indexierung von Sozialleistungen. Jede einzelne dieser Maßnahmen ist für sich genommen nicht falsch, wenn sie Menschen hilft – aber ist der Weg, dass Ministerien und Länder unterschiedlichste Lösungen in unterschiedlichen Intervallen anbieten, wirklich der beste Plan in einer Krise?
Die komplexen Zuständigkeiten im föderalistischen Österreich sind ein Bereich, der nicht nur in der Krise effizienter werden kann. Wenn alle paar Monate neue Maßnahmen getroffen werden, die zwar teuer finanziert werden, aber keiner wirkungsorientierten Folgenabschätzung unterzogen werden, basieren die Zahlungen auf dem Prinzip: „Jeder wird schon etwas bekommen.“
Aus der Untersuchung des NEOS Lab geht hervor, dass 3 bis 3,7 Prozent des BIP für Energiemaßnahmen verwendet wurden. Dieser Wert schwankt, weil schwierig abzugrenzen ist: Was ist eine Maßnahme „um Energie leistbarer zu machen“, was eine allgemeine politische Maßnahme? Die Abschaffung der kalten Progression oder die Indexierung der Sozialleistungen zählen z.B. nicht dazu.
5. Gießkanne statt treffsichere Lösungen
Anders als in vielen anderen Staaten wurde in Österreich kaum versucht, die Hilfszahlungen treffsicher zu gestalten. Weil die Verschränkung der Daten in vielen Fällen (noch) nicht möglich ist und große Strukturreformen ausstehen, um das zu ermöglichen, kam Geld hierzulande eher über die Gießkanne: Die Bvölkerung bekommt Direktzahlungen vom Staat.
Für die Politik ist das praktisch, wenn man sich zwischen schnell und treffsicher entscheiden muss. Außerdem werden Zahlungen auf dem eigenen Konto eher bemerkt als, sagen wir, gesunkene Lohnnebenkosten oder andere Entlastungen, die nicht nur einmalig wären. Sie führt aber auch zu einem großen Kollateralschaden – so werden auch jene subventioniert, die keinen nachvollziehbaren Bedarf haben. Auch Menschen, die sich die aktuell hohen Preise leicht leisten können, bekommen z.B. den Klimabonus, der eigentlich als Ausgleich für den CO2-Preis gedacht war. Auch da gibt der Staat Geld aus, das nicht ausgegeben werden muss.
Was hätte man ändern sollen?
Im Nachhinein stellt sich immer die Frage: Was wäre die Alternative gewesen? Gerade in Krisenzeiten, in denen es mit unvollständigen Informationen und begrenzten Möglichkeiten schnell gehen muss, ist nicht immer eine perfekte Antwort möglich – diesen „benefit of the doubt“ darf man der Bundesregierung ausstellen. Trotzdem lohnt es sich zu fragen, was besser gelaufen wäre, hätte man es anders probiert. Nur wenn man aus Fehlern lernt, können sie beim nächsten Mal vermieden werden.
Was hätte man also anders machen können? Einerseits hätte es wohl oft gut getan, nicht in Schnellschüssen neue Maßnahmen zu versprechen, bei denen trotz hoher Kosten nicht klar ist, welchen Nutzen sie erfüllen. Hätte man sich Lockdowns sparen können, wenn man im Sommer nicht die Pandemie für „vorbei“ erklärt hätte? Hätte man bei Schulschließungen vorsichtiger sein müssen, und hätte man den Schaden erahnen können, den das auf die mentale Gesundheit der Jungen hat?
Andererseits: Es braucht in der Krise einen Plan statt zehn Pläne – einen für den Bund und für jedes Bundesland. Der „Strompreisdeckel“ im Bund führte kombiniert mit Maßnahmen in Niederösterreich dazu, dass der Preis für eine Kilowattstunde Strom dort mitten im Wahlkampf bei -1 Cent lag. Wenn jede Gebietskörperschaft in Österreich ihre eigene Lösung anbietet, ohne sich mit den anderen abzustimmen, kommt am Ende zwar etwas heraus, aber sicher nicht die effizienteste Variante.
Und nicht zuletzt: Treffsichere Lösungen, in denen z.B. nur jene einen gewissen Betrag überwiesen bekommen, wenn sie ein gewisses Maß der Bedürftigkeit erfüllen. Welches das ist, hätte eine Bundesregierung zu definieren. Und wenn das noch nicht möglich ist, weil Melde- und Einkommensdaten nicht verknüpft werden können, könnte man die Gießkanne zwar auspacken – aber mit dem Hinweis, dass gleichzeitig mit Strukturreformen daran gearbeitet wird, das in Zukunft zu ermöglichen. So wäre das zumindest die letzte Krise, die außergewöhnlich teuer wird.