Warum Rot-Schwarz eher nicht das Klima retten wird
Wir schreiben Jänner 2016. Vor wenigen Monaten wurde auf der Weltklimakonferenz in Paris ein historischer Durchbruch erzielt: 195 Staaten und die Europäische Union bekennen sich dazu, die Erderwärmung auf unter 2 °C zu beschränken – und wenn möglich auf 1,5 °C.
Im Umweltausschuss des Parlaments herrscht Jubelstimmung. Die Abgeordneten gratulieren Landwirtschafts- und Umweltminister Andrä Rupprechter (ÖVP) zu den gelungenen Verhandlungen, alle wollen ein Stück vom klimafreundlichen Kuchen. Sogar die FPÖ verspürt die Notwendigkeit, sich von ihrer klimafreundlichsten Seite zu zeigen, und setzt sich lautstark für höhere Förderungen für thermische Sanierungen und einen Masterplan zum Ausstieg aus Kohle ein. Die grüne Ausschussobfrau Christiane Brunner sieht eine leuchtende Zukunft für den Umweltausschuss vor sich – die Umsetzung des Abkommens soll ihn laut Brunner zu einem der wichtigsten Ausschüsse des Parlaments machen.
Projekt Ballhausplatz: Ein Coup mit Folgen
Den Worten folgen nur wenige Taten. Sowohl SPÖ als ÖVP sind in der Periode mit sich selbst beschäftigt. Im Mai 2016 übernimmt Christian Kern das Bundeskanzleramt von Werner Faymann und versucht, der Koalition mit seinem „Plan A“ und einem daraus resultierenden Arbeitsprogramm neues Leben einzuhauchen. Unter anderem vereinbaren SPÖ und ÖVP, eine kleine und eine große Ökostromnovelle durchzuführen. Das Vorhaben hat Potenzial – wäre nicht ein gewisser Sebastian Kurz im Hintergrund damit beschäftigt, die ÖVP türkis umzufärben. Die große Ökostromnovelle scheitert schließlich an den Neuwahlen.
Wer sich auf dem Rücken des historischen Klimadeals Rückenwind für die Grünen bei der Nationalratswahl 2017 erhofft, hat die Rechnung ohne Peter Pilz gemacht. Die Grünen zerreißt es, Kurz triumphiert und lässt zum zweiten Mal in der österreichischen Geschichte das andere Ende des Spektrums mitregieren. Die Klimabilanz von Türkis-Blau fällt erwartbar negativ aus: Die Klimastrategie ist unambitioniert, die Maßnahmen reichen nicht aus, um selbst diese Ziele zu erreichen, und die Umsetzung selbiger wird bekanntlich durch eine folgenschwere Nacht auf Ibiza unterbrochen. Nach der Koalitionsimplosion und Neuwahlen erhält die ÖVP 2019 ihre bislang beste Chance, ernsthafte Klimapolitik zu machen.
Floh, Frosch oder Känguru: Türkis-Grüne Klimapolitik im Reichweitenvergleich
Statt großen Sprüngen kann man bei türkis-grüner Klimapolitik aber eher von kleinen Hüpfern sprechen. Das Klimaticket, eine moderate CO2-Bepreisung, ein Pfandsystem für Einwegverpackungen, Förderausbau für Sanierungen und erneuerbare Energien schlagen sich positiv nieder.
Vor eingreifenden Maßnahmen scheut sich die ÖVP allerdings. Das Erneuerbare-Wärme-Gesetz, das ursprünglich die Verpflichtung zum Heizungstausch enthielt, wurde – schielend auf den Aufschrei der Gasheizungs-Aficionados in Deutschland – ausreichend verwässert, um keine Aufregung zu verursachen. Wie so oft sollen es Förderungen richten: Lieber beanreizen statt pönalisieren und verpflichten, um niemanden zu verärgern.
Das wohl prominenteste Beispiel des türkisen Unmuts, echte Klimapolitik zu betreiben, ist die Weigerung, ein neues Klimaschutzgesetz zu beschließen. Hatte man vonseiten der Türkisen am Anfang der Legislaturperiode noch so getan, als wäre man verhandlungsbereit, wurde die Scharade aufgegeben, sobald ein konkreter Vorschlag auf dem Tisch lag. Allein das ist bemerkenswert: Schließlich kommt es öfter vor, dass unliebsame Vorschläge im Nirwana zwischen den Ministerien „in Abstimmung“ hängen bleiben und öffentlich der Eindruck vermittelt wird, dass eine Einigung kurz bevorstünde – in der Hoffnung, dass die Aufmerksamkeit von Presse und Wähler:innen nur höchstens bis zur nächsten Wahl reicht.
Zieht man Bilanz, so hat die türkis-grüne Regierung in der Klimapolitik zwar einige wichtige Schritte gesetzt – für die notwendigen Emissionsreduktionen, um die Klimaziele zu erreichen, konnten die vereinzelten Maßnahmen allerdings nicht sorgen. Da stellt sich die Frage: Wenn die Grünen ihr Kernanliegen Klimaschutz gegen die ÖVP nicht ausreichend durchbringen konnten, wie soll das der SPÖ gelingen, für die Klimaschutz auf der Prioritätenliste irgendwo zwischen Wohnen und Bildung firmiert?
Die SPÖ und der liebe Beton
Geht es nach der SPÖ, dann retten wir die Lebensgrundlage für die zukünftigen Generationen – allerdings ohne die „soziale Gerechtigkeit“ aus den Augen zu verlieren. Wie das genau vonstattengehen soll, darüber ist man sich in der Sozialdemokratie nicht so recht einig. Maßnahmen, die zumindest vordergründig große Unternehmen oder Reiche betreffen, finden bei den Roten Anklang. So ist im (mageren) Forderungskatalog zum Thema „Unser Klima schützen“ auf der SPÖ-Website zum Beispiel von einem Privatjetverbot die Rede und auch der Umstieg auf Erneuerbare Energien, Arbeitsstiftung im Umwelt- und Klimaschutzbereich und Öffi-Ausbau inklusive fairer Tarifgestaltung finden sich auf der Liste wieder.
Was diese Forderungen gemein haben: Für die allgemeine Bevölkerung bedeuten sie keine Umstände. Wo Maßnahmen in die Lebensrealität des durchschnittlichen Rot-Wählers eingreifen würden, ist man vorsichtiger. Mehr zahlen fürs Schnitzel, für die Fahrt zur Arbeit im Benziner, fürs Heizen mit fossilen Brennstoffen? Das finden die Roten schwierig.
Mit der Wahl Bablers ergab sich zwar eine Chance für rote Klimapolitik – allerdings stieß auch der neue Parteivorsitzende schnell an die Grenzen der Parteimaschine, der er vorsitzt. Nach einer anfänglichen Befürwortung von Tempo 100 auf Autobahnen musste Babler nach interner Kritik zurückrudern. Er fände es zwar gescheit, dass man Tempo 100 fährt, würde aber niemanden gesetzlich verpflichten wollen.
Gerade die Verkehrswende ist ein wunder Punkt für die SPÖ, die sich als fortschrittliche, klimabewusste Partei begreifen will. Nicht von ungefähr hängt ihr der Spitzname „Betonpartei“ nach. Gerade im so fortschrittlichen Wien werden die Grenzen der roten Verkehrspolitik deutlich: Trotz Impulsen von Grünen und NEOS, die in Wien mitregierten bzw. -regieren, geht der Ausbau des Radwegenetzes nur langsam voran. Im Streit um die Stadtstraße zeigt sich die SPÖ unerbittlich: Der rote Donaustädter Bezirksvorsteher ging mit seiner Bezeichnung der Gegner des Bauprojekts als „Heisln“ in die Annalen der Geschichte ein.
Im Verkehr prallen rote Welten aufeinander – die der klimabewussten Linken, die gerne auf Öffis und Fahrrad umsteigen und sich eine klimafreundliche Stadt wünschen, und die der alteingesessenen Roten, die ihre Privilegien in Gefahr sehen. Wo kämen wir denn hin, wenn Parkplätze verschwinden und die Straßen auf einmal nicht rein den Autos vorbehalten wären?
Beim Auto kommen die Altparteien zam
Das Auto ist in der Klimapolitik ein einender Faktor für Türkis und Rot. „Österreich ist und bleibt ein Autoland“, verkündete Bundeskanzler Nehammer 2023. Die ÖVP tritt bekanntermaßen gerne für Parkplätze und die Belange für Autofahrer:innen ein – nicht zuletzt gab es unter Türkis-Blau Teststrecken für Tempo 140 auf Autobahnen und brachte die ÖVP das Thema in die Koalitionsverhandlungen mit den Grünen ein.
Auch im Umgang mit Klimaaktivist:innen ist die ÖVP deutlich. Klimaproteste gut und schön, aber sobald der Frühverkehr betroffen ist, hört sich der Spaß auf. Öffentlich kontrastierte Bundeskanzler Nehammer Klimaaktivisten mit „normalen Leuten, die sich an die Regeln halten, zur Arbeit gehen und sich engagieren“, Landeshauptfrau Mikl-Leitner nannte sie „rücksichtslose Chaoten“. Staatssekretärin Claudia Plakolm verteilte Kipferl an Autofahrer:innen, die im Frühstau standen – wohlgemerkt nicht im von Klimaklebern verursachten Stau, aber wen interessieren schon die Details.
Türkis mit Blaustich
Die ÖVP kann hier ganz selbstbewusst auftreten, da sie keine linke Basis mit klimapolitischen Erwartungen bedienen muss. Für ÖVP-Wähler:innen ist Klimapolitik keine Priorität, eine Mehrheit findet die derzeitigen Anstrengungen ausreichend. Ausweitungsmöglichkeiten sieht die ÖVP auch eher rechts als links, wo es mit dem Klimabewusstsein bekanntlich nicht so weit her ist, und fischt ganz ungeniert im Wählerpool der FPÖ – mit den üblichen rechten Talking Points wie Migration, Integration und neuerdings Gendern.
In der Klimapolitik hält sich die ÖVP mit offen klimaleugnerischem Gedankengut, wohl auch aufgrund der aufrechten Koalition mit dem klimaaffinen Koalitionspartner, noch bedeckt. Aber auch hier lotet man die Grenzen aus. So fanden sich in Nehammers Österreich-Rede 2023 Aussagen aus dem Buch „Apocalypse Never“ des Autors Michael Shellenberger, der für verharmlosende und falsche Aussagen zum Klima bekannt ist.
Wer die österreichische Politik verfolgt, weiß: Alles deutet darauf hin, dass die ÖVP nach der Wahl eine 180-Grad-Drehung vollziehen wird und sich von links- nach rechtsaußen umorientieren wird. Was dann passiert, sollte allen klar sein: Die Aufbruchsstimmung vom Pariser Klimavertrag, die die letzte türkis-blaue Koalition dazu bewogen hat, zumindest alibihalber Klimapolitik vorzutäuschen, ist verflogen. Die FPÖ liebäugelt inzwischen ganz offen mit klimafeindlichen Positionen und ist nicht gewillt, auch nur kleine Schritte in die richtige Richtung zu gehen.
Sollte die Gefahr einer blau-türkisen Koalition für die Klimapolitik allen Erwartungen zum Trotz nicht eintreffen, ist das Klima allerdings noch lang nicht gerettet: Die Große Koalition steht nicht nur stellvertretend für Stillstand, beide Großparteien sind auch unweigerlich in ihren eigenen Strukturen verhaftet und nicht bereit, für eine klimafreundliche Zukunft Staub aufzuwirbeln. Die SPÖ hat andere Prioritäten, der ÖVP dürfte das nur recht sein – die Stimmen, die ernsthafte Klimapolitik fordern, sitzen dann wieder und weiterhin in Opposition.