Was der Bundespräsident machen wird
Die Wahrnehmung und Realität über das höchste Amt im Staat klaffen häufig auseinander – genauso wie die gelebte Praxis und seine rechtlichen Befugnisse. Was passiert, wenn der Bundespräsident nach der Nationalratswahl nicht der Parteichefin oder dem Parteichef der stimmenstärksten Partei den sogenannten Regierungsbildungsauftrag erteilt? Was Alexander Van der Bellen nun machen kann und wie es im politischen Herbst weitergeht.
Um nachvollziehen zu können, wie das Zusammenspiel zwischen Parlament, Bundesregierung und Bundespräsident funktioniert, sollte man zunächst ein paar grundlegende Begriffe und Befugnisse, die in der österreichischen Bundesverfassung geregelt sind, erläutern. Artikel 1 Bundes-Verfassungsgesetz lautet: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“ Republik bedeutet in diesem Zusammenhang, dass an der Spitze des Staates ein demokratisch legitimiertes Staatsoberhaupt steht, dessen Befugnisse genauso wie seine Amtszeit beschränkt sind. Demnach kann ein amtierender Bundespräsident oder eine Bundespräsidentin in Österreich nur einmal – für weitere 6 Jahre – wiedergewählt werden.
Während in Österreich die Bundespräsidentin oder der Bundespräsident per Direktwahl durch das Wahlvolk legitimiert wird, entscheidet in der Bundesrepublik Deutschland der Bundestag darüber, wer an der Spitze des Staates steht. Das war aber hierzulande auch nicht immer so. In Österreich wurde der Bundespräsident zunächst durch die Bundesversammlung, zusammengesetzt aus den Abgeordneten des Nationalrats und Mitgliedern des Bundesrats, gewählt. Die Verfassungsnovelle von 1929 brachte allerdings eine Machtverschiebung vom Parlament zum Staatsoberhaupt: direkte Volkswahl, Ernennung und Entlassung der Bundesregierung und die Auflösung des Nationalrats kamen als neue Rechte für das Amt hinzu.
Die Ernennung der Bundesregierung
Laut Herbert Kickl wäre es ein Bruch mit dem Geist der Verfassung, wenn Bundespräsident Alexander Van der Bellen nicht den Parteichef oder die Parteichefin der stimmenstärksten Partei nach der erfolgten Nationalratswahl angeloben würde. Das stimmt so nicht. Rein verfassungsrechtlich gesprochen, ist es eine reine Ermessensentscheidung, wen der Bundespräsident zum Bundeskanzler oder zur Bundeskanzlerin ernennt. Die weiteren Mitglieder der Bundesregierung werden auf Vorschlag des Kanzlers oder der Kanzlerin vom Bundespräsidenten ernannt – auch hier ist er in seiner Entscheidungsfindung völlig frei. Ein Regierungsbildungsauftrag existiert rechtlich also nicht. Dass der Bundespräsident weiters nach jeder geschlagenen Nationalratswahl eine neue Bundesregierung ernennt, ist verfassungsrechtlich gar nicht determiniert. Es ist aber durchaus sinnvoll, den Vertreter oder die Vertreterin der stärksten Partei damit zu „beauftragen“, da die Bundesregierung das Vertrauen des Nationalrats, in Form der Unterstützung durch die Mehrheit der Abgeordneten, genießen sollte. Andernfalls kann der Nationalrat gegenüber einzelnen Mitgliedern oder gar der gesamten Bundesregierung sein Misstrauen aussprechen, was wiederum zur Bildung einer neuen Regierung führen würde. Letzteres fand in der Geschichte Österreichs allerdings erst einmal statt.
Bisher bestand die Usance, also die gelebte Tradition, dass der Bundespräsident auf die Vertreter der bei der Nationalratswahl stärksten Listen zugegangen ist und einen davon zum Bundeskanzler ernannte. Im Jahr 2000 konnte man aber auch verfolgen, wie die drittstärkste Partei – in Person von Wolfgang Schüssel – den Kanzler stellte. Ein weiterer Irrglaube besteht darin, dass ein Kanzler oder eine Kanzlerin gewählt sein muss. Dies wird von der parteipolitischen Opposition gerne behauptet, wenn eine Person Regierungschef:in wird, die nicht auf einer wahlwerbenden Liste stand. Dass von einem gewählten Bundeskanzler beziehungsweise einer Bundeskanzlerin nicht die Rede sein kann, haben beispielsweise Christian Kern oder die erst kürzlich verstorbene erste Regierungschefin in der Geschichte Österreichs, Brigitte Bierlein, gezeigt. Auch wenn bestimmte Kräfte eine Kanzlerwahl befürworten, würde sie doch das wohldurchdachte System der Checks and Balances in der Verfassung ins Ungleichgewicht bringen.
Der Bundespräsident muss sich aber gut überlegen, wen er die Geschäfte der Republik führen lässt. Als Kontrolle über sein Handeln ist er der Bevölkerung gegenüber politisch verantwortlich: Diese kann ihn per Volksabstimmung absetzen. Die rechtliche Verantwortlichkeit des Bundespräsidenten manifestiert sich bei Verstößen in seiner Amtsführung gegen die Verfassung: Hier kann die Bundesversammlung vor dem Verfassungsgerichtshof Anklage gegen ihn erheben.
Wie geht es nach der Wahl weiter?
Nach derzeitigem Stand könnten sowohl Blau-Schwarz als auch Schwarz-Rot – wenn auch nur knapp – die Mehrheit für eine Regierung bekommen. Die ÖVP hat keinen Hehl daraus gemacht, dass ihr eine Koalition mit nur einem Partner deutlich angenehmer wäre. Das liegt auch daran, dass es in Österreich ein Novum wäre, würden sich mehr als zwei Parteien zusammentun, um die Geschicke der Republik zu lenken. Dass dies aber keineswegs unüblich ist, zeigen uns andere europäische Staaten, nicht zuletzt auch unser Nachbar Deutschland. In der Schweiz beispielsweise sind die vier größten Parlamentsparteien dauerhaft an der Regierung beteiligt: durch die sogenannte Zauberformel gibt es eine proportionelle Verteilung der Regierungssitze des siebenköpfigen Schweizer Bundesrates, der Regierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, mit dem Verteilschlüssel 2:2:2:1. Die drei stimmenstärksten Parteien erhalten zwei, die viertstärkste einen Sitz.
Aufgrund der immer stärkeren politischen Pluralisierung und Polarisierung der Gesellschaft führt am Trend zu Mehrparteienkoalitionen in den nächsten Jahren vermutlich kein Weg vorbei. Auch Minderheitsregierungen, die von wechselnden Mehrheiten im Parlament getragen oder von einem Partner gestützt werden und sich vor allem in skandinavischen Ländern wie Norwegen, Schweden und Dänemark finden lassen, könnten demnach in Zukunft zu einer gangbaren Form des Regierens in Österreich mutieren – die österreichische Bundesverfassung legt hier zumindest keine Steine in den Weg.
Man darf also gespannt sein, wie sich die politische Lage in Österreich entwickelt. Zumal Alexander Van der Bellen einer Regierungsbeteiligung der FPÖ sehr kritisch gegenübersteht und Herbert Kickl als ersten Minister in der zweiten Republik entlassen hat, die ÖVP eine Koalition mit der FPÖ unter Kickl ausgeschlossen hat und die ehemals als Große Koalition titulierte Regierungspartnerschaft zwischen ÖVP und SPÖ keine stabile Mehrheit haben wird. Die amtierende Bundesregierung wird aber jedenfalls so lange im Amt bleiben, bis es eine von einer parlamentarischen Mehrheit gestützte Regierung geben wird. Van der Bellen könnte aber auch einfach die jetzige Regierung weiter im Amt behalten und keine neue Regierung angeloben – die Verfassung ließe das jedenfalls zu – die Bevölkerung, die gerade ihren Willen zum Ausdruck gebracht hat, wohl eher nicht. Wichtig wird es jedenfalls sein, dass die zukünftige Regierung die großen Reformen des Landes anpacken wird. Ob dies geschieht, werden die Wochen und Monate nach der Wahl zeigen.