Was der Verfassungsschutz braucht – und was nicht
Unsere liberale Demokratie wird im Inneren wie Äußeren von Feinden der Demokratie bedroht: Extremismus kommt von links, rechts und von Islamist:innen. Der Verfassungsschutz ist für den Schutz der Demokratie und der Bevölkerung zuständig. Braucht dieser, wie von ihm selbst gefordert, mehr Kompetenzen?
Jeder von uns erinnert sich noch an den schrecklichen Terroranschlag vom 2. November 2020 in der Wiener Innenstadt, bei dem der behördenbekannte, bereits rechtskräftig verurteilte Islamist Kujtim F. mit einem Sturmgewehr und einer Pistole in der belebten Gegend zwischen Schwedenplatz und Hoher Markt um sich schoss und vier Menschen tötete und weitere 23 verletzte.
Was erschreckend ist: Der Anschlag hätte vermieden werden können, denn es gab mehrere deutliche Anzeichen für die weiterhin bestehende Gefährlichkeit des Islamisten. (Als Islamist:in bezeichnet man alltagssprachlich Vertreter:innen einer radikalen Auslegung des Islam, häufig im Zusammenhang mit religiös motivierten Verbrechen.) Slowakische Behörden haben im Juli 2020 den damaligen Verfassungsschutz (Bundesamt für Verfassungsschutz, BVT) über einen versuchten Munitionskauf für eine Vollautomatikwaffe informiert. Weitere Indizien für seine Gefährlichkeit waren auch seine geplante Syrien-Reise im Sommer 2020 sowie seine Teilnahme an einem islamistischen Treffen im Sommer 2020. Es war auch eine Ansprache mit Kujtim F. geplant, die aber aufgrund der Ressourcenbindung für die Operation Luxor – eine Operation gegen vermeintlich islamischen Terrorismus – erst nach dem 3. November verschoben wurde. Operation Luxor hat sich mittlerweile als rechtsstaatliches Debakel herausgestellt.
Das BVT war eine skandalgetriebene Behörde, die am 1. Dezember 2021 mit der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) neu aufgestellt wurde. Ihr obliegt vor allem der Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihrer Handlungsfähigkeit und der Schutz der Bürger:innen vor Gefahren diverser Art, wie z. B. Terrorismus.
Braucht die DSN mehr Kompetenzen?
In regelmäßigen Abständen stoßen Omar Haijawi-Pirchner, Direktor der DSN, und Innenminister Karner vor und fordern neue Kompetenzen für den Verfassungsschutz. Oft kommt der Ruf aus dem Innenministerium, dass man unbedingt die Kompetenz zur Überwachung von Messenger-Diensten benötige, zuletzt wieder vor wenigen Wochen in der ZIB2. Dies würde die Überwachung von Anrufen und Nachrichten von beispielsweise Signal oder WhatsApp zulassen.
Das ist ein wenig verwunderlich, denn der Verfassungsschutz hat bewiesen, dass er auch ohne diese Online-Überwachung in der Lage ist, Anschläge und andere Gefahren abzuwenden. Zwar betont man immer wieder, dass man auf Tipps von Partnerdiensten aus dem Ausland angewiesen ist, aber schon jetzt verfügt die DSN über weitreichende Ermittlungsmöglichkeiten, die sie ausschöpfen kann. Dazu ist vor allem fachlich gutes Personal wichtig.
Warum Online-Überwachung so heikel ist
Außerdem ist die Online-Überwachung verfassungsrechtlich ein sehr heikles Terrain. Der Verfassungsgerichtshof hat schon 2019 den sogenannten Bundestrojaner für verfassungswidrig erklärt, und zwar mit sehr überzeugenden Argumenten: Der Bundestrojaner schafft weitreichende Einblicke in die Privatsphäre der Nutzer:innen als auch in die von Außenstehenden, die im selben Computersystem sind oder mit denen der infiltrierte Nutzer Kontakt hat.
Problematisch ist auch, dass es Sicherheitslücken im Betriebssystem braucht (z. B. iOS am iPhone), um einen Bundestrojaner auf ein Endgerät spielen zu können. Der Staat sollte aber danach trachten, dass Sicherheitslücken geschlossen werden und nicht danach, dass diese absichtlich offengelassen werden. Wenn Sicherheitslücken offen sind, eröffnet das auch insbesondere Kriminellen die Chance, Handys von allen Bürgerinnen und Bürgern zu hacken.
Sicherheitslücken kauft man am Schwarzmarkt von kriminellen Hacker:innen um ca. eine Million Euro. Der Staat sollte sich nicht an solchen illegalen Machenschaften beteiligen, sondern dagegen ankämpfen und das Budget dafür lieber in das Personal stecken. Der Innenminister hat zwar regelmäßig betont, dass die Messenger-Überwachung verfassungsrechtlich abgesichert sein soll, wie er das aber bewerkstelligt sehen will, hat er (noch) nicht preisgegeben.
Was braucht der Verfassungsschutz?
Was die DSN wirklich braucht, ist die finanziell und personell gesicherte Ausstattung, um mit Bedrohungen aller Art umgehen zu können. David Blum war Leiter des Nachrichtendienstes und stellvertretender Direktor der DSN. Er verließ die Behörde mit 31. Jänner 2023, also nach nur etwas mehr als einem Jahr. Mit ihm ging auch sein Bürochef.
An sich ist dieser Abgang auch sicherheitspolitisch heikel: von einer „Cooling-Off-Phase“ ist nichts bekannt. Weiters gab es Berichte im Jänner 2023, dass auch eine Abteilungsleiterin ging und dutzende Mitarbeiter:innen nach wenigen Monaten die DSN wieder verlassen haben. Die Fluktuation in der DSN scheint hoch zu sein und das wirft ein schiefes Licht auf die Personalsituation im Verfassungsschutz. Es ist weiterhin davon auszugehen, dass der Verfassungsschutz noch immer unterbesetzt ist.
1. Eine bessere Rechtslage gegen Spionage
Dass der Verfassungsschutz zum Teil schlecht aufgestellt ist, lässt sich anhand der Spionageabwehr beobachten. Wien ist aufgrund seiner Lage als Sitz mehrerer Internationaler Organisationen wie den Vereinten Nationen ein Hotspot der Spionage. Auch der Verfassungsschutzbericht 2022 hält dies fest und betont, dass Russland, China und der Iran Hauptakteure der Spionage sind. Der Investigativjournalist Erich Möchel hat darauf hingewiesen, dass Russland vom Dach ihrer Vertretung bei den Vereinten Nationen im 22. Wiener Gemeindebezirk elektronische Nachrichtenaufklärung („SIGINT“, Signal Intelligence), also Spionage betreibt. Russland hat auf diese Weise auch Krieg gegen die Ukraine geführt, indem es am Tag vor Beginn des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine die Internet-Kommunikation der ukrainischen Fronttruppen lahmgelegt hat.
Im Gegensatz dazu haben bspw. Belgien und die Niederlande schon im März 2022 die russischen Spionagestationen ausgeschaltet, indem sie gezielt Nachrichtentechniker ausgewiesen haben. Die russische Spionagestation in Wien hingegen steht noch immer. Berichte über fehlende Expertise im Verfassungsschutz gibt es schon länger. Erich Möchel hat im Podcast „Dunkelkammer“ mit Michael Nikbakhsh ausgeführt, dass die DSN ihn um ein Briefing hinsichtlich russischer Spionage gebeten hat, weil sie, wie er selbst erklärt, laut dessen Direktor im Aufbau sei und keine Expert:innen für die elekronische Nachrichtenaufklärung habe. Dass Erich Möchel besser arbeitet als die DSN, zeigt die fehlende Expertise in der Spionageabwehr und ist für einen Verfassungsschutz peinlich.
Hier wäre es angemessen, den Spionagestraftatbestand des §256 StGB auf andere Länder und Internationale Organisationen zu erweitern, wie auch vom DSN-Direktor gefordert. Derzeit ist Spionage fremder Staaten nur strafbar, wenn sie „zum Nachteil Österreichs“ geschieht, nicht aber, wenn sie sich bspw. gegen Deutschland richtet. Diesen Missstand wollte NEOS durch einen Initiativantrag beheben, dieser wurde aber im Justizausschuss am 30. November 2023 von den Regierungsparteien erneut vertagt. Diese Gesetzeslücke besteht weiterhin.
2. Vertrauen von Partnerdiensten
Eine weitere Baustelle ist das Vertrauen der Partnerdienste in die DSN. Während der türkis-blauen Regierung zwischen 2017 und 2019 waren die Partnerdienste aufgrund der russlandfreundlichen Politik der FPÖ und aufgrund der Razzia im BVT im Februar 2018 der Regierung gegenüber sehr misstrauisch und man befürchtete, dass geheime, an den BVT weitergeleitete Informationen, an die Öffentlichkeit gelangen konnten. Insbesondere Informationen zu Russland wurden nicht mehr geteilt.
Durch die Neuordnung zur DSN konnte Österreich wieder einiges an Vertrauen gewinnen und wurde wieder in den „Berner Club“ aufgenommen. Bei diesem handelt es sich um einen informellen Zusammenschluss der Nachrichten- und Geheimdienste der EU-Staaten und weiterer westlichen Staaten. Dennoch ist noch einiges zu tun, damit das vollständige Vertrauen wieder hergestellt wird. Der Austausch mit den Partnerdiensten ist essenziell für die Aufgaben des Verfassungsschutzes.
3. Weniger Postenkorruption im BMI
Die DSN krankt aber an einem noch größeren Problem. Der Verfassungsschutz ist ein höchstsensibler Bereich, in dem nur fachlich bestens qualifizierte Personen ihre Arbeit verrichten sollten. Dass die DSN seit Beginn an – und das BVT über Jahre hinweg – aktiv Verwaltungspraktikant:innen anstellt, ist eine hochproblematische Angelegenheit: denn dadurch kann Postenschacher betrieben werden, um genehme Leute in gewisse Positionen zu bringen.
Das Innenministerium ist mit kurzer Unterbrechung seit mehr als 20 Jahren in der Hand der ÖVP. Die vergangenen Untersuchungsausschüsse haben aufgezeigt, mit welchen Methoden die Partei Postenkorruption im BMI betreibt. Mit diesem System werden gezielt ÖVP-nahe Personen in das Ministerium gesetzt und darüber hinaus mit der Verteilung von Steuergeld gefördert. Die Qualifikation ist irrelevant, wichtig ist nur die Parteifarbe. So schafft man ein ÖVP-Ministerium, sogar wenn es in der Zukunft in der Hand einer anderen Partei sein sollte. Für höchstsensible Bereiche wie den Verfassungsschutz ist derartiges brandgefährlich.
Fazit
Zusammengefasst: Die DSN hat also ganz grundlegende Probleme. Aber bevor sie und das BMI mehr und mehr Kompetenzen verlangen, sollte das BMI vor allem die Personalproblematik innerhalb der DSN beseitigen und aufzeigen, wo rechtliche Lücken geschlossen werden sollten. Denn die mangelnde Online-Überwachung ist nicht das größte Problem, das die Behörde hat. Immerhin war auch der Täter beim Terroranschlag in Wien bereits im Vorfeld polizeibekannt.