Was die neue Blockbildung für Österreich bedeutet
Wenn man in Österreich über internationale Beziehungen nachdenkt, wandern die Gedanken sofort zur Neutralität. Ein Relikt, das uns in Zeiten der bipolaren Weltordnung zwischen den USA und der Sowjetunion möglicherweise geholfen, aber zumindest nicht geschadet hat. Und mit der mehrere Generationen Sicherheit und Identität verbinden.
Heute ist die Welt aber längst keine bipolare mehr, die Sowjetunion seit mehr als 30 Jahren Geschichte. Und in einer scheinbar „unipolaren“ Welt kam es zur Hoffnung vom „Ende der Geschichte“: Ab jetzt würde sich die liberale Demokratie, begleitet von freier Marktwirtschaft, überall durchsetzen, weil das beste System seinen einzigen Feind verloren hatte. Der Aufstieg von China, das nach wie vor autoritäre Russland und Diktaturen im Nahen und Mittleren Osten zeigen uns, dass diese Hoffnung verfrüht war. Und der Brexit, die Wahl von Donald Trump und der offene Abbau der Demokratie in unserem Nachbarland Ungarn zeigen uns, dass auch unsere Demokratie nicht naturgegeben ist.
Darum zeichnet sich heute eine neue Welt ab, die jeden Staat vor neue Herausforderungen stellt. Und auch Österreich muss sich dabei fragen, wie es sich positionieren will – denn ein Wettbewerb zwischen Demokratie und Autokratie macht auch vor einer bergigen Grenze nicht halt.
Das Ende von „Wandel durch Handel“
Ein Motto, mit dem man die westliche Außenpolitik lange zusammenfassen konnte, lautet „Wandel durch Handel“. Wenn Europa und die USA nur lange genug mit Staaten wie China handeln würden, dann sei das nicht nur gut für den Wohlstand beider Länder, sondern würde auch das Modell der freien Marktwirtschaft exportieren. Eng verknüpft ist damit auch die Demokratie. Eine Entwicklung, die man z.B. in Vietnam beobachten kann und die nicht von der Hand zu weisen ist.
Trotzdem ist nicht gesichert, dass sich autoritäre Staaten ändern werden, nur weil sie mit dem Westen Handel treiben. China hat es durch marktwirtschaftliche Öffnungen geschafft, die Armut im eigenen Land stark zu reduzieren – aber es wurde dadurch nicht demokratischer. Im Gegenteil: Ob es um die Verfolgung der Uiguren, die Unterdrückung Tibets, den Überwachungsstaat oder das offene Drohen gegen die Insel Taiwan geht, man sieht das offensichtlich autoritäre Element der chinesischen Führung, alleine schon dadurch, dass sie nicht vom Volk im Wettbewerb konkurrierender Parteien gewählt wird.
Der Wiederaufstieg des Protektionismus
Der Begriff „Decoupling“ bezeichnet die Tendenz, gegenseitige Abhängigkeiten zu reduzieren. Nach Jahrzehnten des relativ unbeschränkten Handelns gewinnt der Protektionismus wieder an Bedeutung: Weil China versucht, weite Teile der Welt von sich abhängig zu machen, versuchen viele Staaten absichtlich, sich nicht in die Falle zu begeben. Kritische Infrastruktur darf in vielen Staaten bereits nicht mehr an chinesische Firmen verkauft werden, auch die Frage der sozialen Netzwerke aus China polarisiert.
Und auch im Westen nimmt der Protektionismus wieder zu. Nicht nur, wenn es um kritische Infrastruktur geht – etwa bei Mobilfunkmasten, die nicht an den chinesischen Huawei-Konzern vergeben werden. Sondern auch, wenn es um Konkurrenz am Automarkt geht, wo chinesische Unternehmen früher den Trend zum Elektroauto erkannt haben. Auch hier wird auf EU-Ebene diskutiert, den Zugang chinesischer Automodelle zum europäischen Markt zu beschränken.
Wobei China nicht der Auslöser für diesen Trend ist. Neue Zölle und Handelsbeschränkungen gab es unter Donald Trump in den USA nicht nur für autoritäre Staaten. Und auch der „Inflation Reduction Act“, mit dem die USA ihre eigene Industrie stärkt, bevorteilt die amerikanische Produktion gegenüber der europäischen. Gleichzeitig versucht auch Europa, aus dem freien Handel auszusteigen: Es muss sich nämlich vom russischen Öl und Gas unabhängig machen, um keinen Krieg an der eigenen Außengrenze zu finanzieren. Wohin man auch sieht, man merkt: Der freie Handel hatte es schon mal leichter.
Zeig mir, wer deine Freunde sind
Was damit einhergeht, ist der strategische Handel mit wichtigen Partnern – das sogenannte Friendshoring. Vereinfacht gesagt: Demokratien handeln eher mit anderen Demokratien, Diktaturen mit Diktaturen.
Für beide Seiten ergibt das klare Vorteile. Demokratien müssen sich sonst Sorgen machen, von unverlässlichen Autokratien abhängig zu werden, die sogar an der Destabilisierung des eigenen Modells arbeiten. Kann man als liberale Demokratie im Westen ein Interesse daran haben, Staaten zu finanzieren, die Terrororganisationen unterstützen, mit gezielter Desinformation Europa destabilisieren, Flüchtlingsströme verursachen oder Krieg in Europa starten? Die Kosten-Nutzen-Rechnung geht nicht auf.
Genauso wenig wie für Diktaturen: Die müssen sich im Handel mit der EU um lästige Konsumentenschutz- und Umweltstandards kümmern und ein zumindest theoretisch überprüfbares Bekenntnis zu Menschenrechten abgeben. Viel besser ist da die Zusammenarbeit mit Staaten, die ebenfalls nicht vorgeben müssen, sich um diese Werte zu scheren.
Neue Blöcke im Entstehen
Ob wir wollen oder nicht: Es entsteht eine Art „neue Blockbildung“. Demokratien und Diktaturen bleiben mehr und mehr unter sich und wollen gleichzeitig ihr Modell bewahren und ihre Werte exportieren.
Im Lager der Demokratien ist – zumindest momentan – die USA nach wie vor die dominierende Supermacht. Aber auch sie hat mit innenpolitischer Destabilisierung zu kämpfen, die auch zu einem großen Teil hausgemacht ist: Ob es unter einer zweiten Trump-Präsidentschaft noch ein Bekenntnis zur Ukraine geben würde? Ansonsten besteht die Liste aus den üblichen Verdächtigen: den meisten EU-Staaten, wobei Ungarn fraglich ist, und Staaten wie Kanada, Australien, Neuseeland oder das Vereinigte Königreich.
Auf der anderen Seite steht China, das mit seiner „neuen Seidenstraße“ Infrastruktur-Projekte in der ganzen Welt finanziert und damit bei vielen Staaten einen Gefallen gut hat. Und da man es mit den gemeinsamen Werten, bis auf die Ablehnung der Demokratie, nicht ganz so genau nimmt, passen in die autoritäre Allianz auch sehr unterschiedliche Modelle: Vom Iran und Saudi-Arabien, die beide jüngst dem BRICS-Block beigetreten sind, über Russland und Nordkorea bis zu (weltpolitisch) relativ kleinen Staaten wie Eritrea baut sich unter chinesischer Führung ein großes Zelt auf.
Herausforderung für „Blockfreie“
Trotz dieses absehbaren Trends gibt es viele Staaten, die sich nicht einordnen lassen – und das auch nicht wollen. Vor allem Indien, das China erst vor kurzem als bevölkerungsreichstes Land der Welt überholt hat, sticht dabei heraus: Für die USA ist es ein wichtiger strategischer Partner in Asien, da es nicht nur eine Wirtschafts- und Militärmacht ist, sondern auch eine Demokratie. Aber obwohl es mit China um Territorium streitet, ist es auch Teil der BRICS-Staaten, also des konkurrierenden „Blocks“. Im Umgang mit den Russland-Sanktionen bleibt Indien strategisch neutral, aber gerade genug positioniert, um weiterhin die Vorteile einer westlichen Allianz zu genießen.
Aber auch für viele Länder in Afrika etwa bedeutet die neue Blockbildung eine Richtungsentscheidung. Sind wir Partner der Europäischen Union, bekennen sie sich zu Menschenrechten, nehmen aber langsame Entscheidungen in Kauf. Auch die Kooperation mit früheren Kolonialmächten hat dabei für viele einen bitteren Beigeschmack. Auf der anderen Seite bieten Staaten wie China eine unkomplizierte Form der Zusammenarbeit: Geld fließt unabhängig davon, wie es um die Menschenrechte im eigenen Land bestellt ist. Für despotische Regierungen ist das eindeutig die attraktivere Form. Nicht umsonst wehen bei Putschversuchen in Afrika russische Flaggen.
Und Österreich?
Innenpolitisch wie emotional ist nachvollziehbar, warum man sich in Österreich mit diesen Entwicklungen schwertut. In Zeiten der letzten Blockbildung ist man mit der Neutralität gut gefahren, sie löst nostalgische Gefühle aus und ist für viele quasi ein Synonym für Sicherheit. Aber gerade in Zeiten, in denen strategische Partnerschaften auf diplomatischer und wirtschaftlicher Ebene anfangen, kann sich ein kleiner europäischer Binnenstaat kaum aussuchen, ob es in diesem Wettstreit der Systeme eine Rolle spielt.
Deswegen ist klar, dass Österreich Teil einer „Allianz der Demokratien“ sein muss, wie Joe Biden es nennt. Und das, obwohl der Verweis auf Joe Biden viele abschreckt. Denn so oft und gerne man die USA kritisieren mag – und wer weiß, ob die nächste republikanische Präsidentschaft sich noch zur Partnerschaft mit Europa bekennt –, so ist doch völlig klar, dass es im Interesse unseres Landes ist, eine Demokratie zu bleiben und entsprechend demokratische Werte zu verteidigen.
Genau deshalb wäre es wichtig, in der neuen Sicherheitsstrategie zu definieren, dass österreichische Interessen auch europäische, demokratische, liberale Interessen sind. Das wäre der Anfang für eine Außenpolitik, die der neuen weltpolitischen Situation gerecht wird.