Weg mit dem Schengen-Veto!
Seit bald zwei Jahren blockiert Österreich die Aufnahme der EU-Mitgliedstaaten Rumänien und Bulgarien in den grenzfreien Schengen-Raum. Aber warum eigentlich? Schengen ist der Name eines luxemburgischen Orts, in dem sich vor bald 40 Jahren Deutschland, Frankreich und die Benelux-Staaten auf den schrittweisen Abbau der Personenkontrollen an den jeweiligen Binnengrenzen geeinigt haben. Inzwischen sind fast alle EU-Mitglieder (und vier weitere Länder) dem Abkommen beigetreten – nur Rumänien und Bulgarien warten noch. Und das, obwohl laut Bericht der EU-Kommission beide Länder sämtliche Kriterien zum Beitritt bereits seit Jahren erfüllen.
Trotzdem verhinderte Österreich – oder eigentlich Niederösterreich – Ende 2022 den Beitritt. Innenminister Gerhard Karner begründete das Veto damit, dass zu viele unregistrierte Migrant:innen über die „Balkanroute“ Richtung Österreich kommen würden – doch es war auch innenpolitisch motiviert. Denn im Jänner 2023 stand im Heimatbundesland von Karner die Landtagswahl an – und die ÖVP setzte im Wahlkampf auf bewährten Populismus. Der Kampf gegen illegale Zuwanderung, der Kampf gegen „die EU“ und der Kampf des kleinen Österreich gegen die große Welt der Außenpolitik – all diese Narrative wurden durch das Veto bespielt.
Darauf setzt die ÖVP offenbar auch im „Superwahljahr“ 2024 noch und hält weiter an der Blockade fest. Lediglich auf ein „Schengen light“, das Einreisen ohne Passkontrollen auf dem See- und Luftweg ermöglicht, konnte man sich für Bulgarien und Rumänien bisher einigen. Auf dem Landweg sind die Binnengrenzen wegen der österreichischen Blockade weiter aufrecht. Einer Blockade, die sich zu einem politischen Symbol entwickelt hat, das die tiefer liegenden Herausforderungen der europäischen Zusammenarbeit widerspiegelt. Doch in einer Zeit, in der die EU vor globalen Herausforderungen steht, sollten wir den Fokus auf gemeinschaftliche Lösungen legen. Fünf Punkte, warum die Blockade enden muss.
Wirtschaftliche Chancen
Österreich hat wirtschaftlich viel zu gewinnen, wenn Rumänien und Bulgarien dem Schengen-Raum beitreten. Der Wegfall von Grenzkontrollen würde den Handel erleichtern, Lieferketten beschleunigen und die Kosten für Unternehmen senken. Rumänien und Bulgarien zählen zu jenen EU-Ländern, deren Wirtschaftswachstum seit Jahren steigt. Die Integration dieser Länder in den Schengen-Raum würde nicht nur den Binnenmarkt stärken, sondern auch hunderte österreichische Unternehmen, die schon jetzt in der Region tätig sind, von weniger Bürokratie und niedrigeren Transportkosten profitieren lassen.
Glaubwürdigkeit der EU
Das Versprechen der EU beruht auf Zusammenarbeit, Freiheit und Solidarität. Das andauernde Veto gegen zwei Mitgliedstaaten, die seit Jahren die Kriterien erfüllen, untergräbt dieses Versprechen und stellt die Glaubwürdigkeit der Union infrage. Österreich sendet damit das Signal, dass es sich bei der EU um eine Gemeinschaft handelt, in der nationale Interessen über gemeinsame Werte gestellt werden (können).
Die EU steht vor Herausforderungen, die nur durch Zusammenarbeit bewältigt werden können. Österreich muss sich fragen, ob es in einer Zeit, in der geopolitische Spannungen mit Russland und im Nahen Osten zunehmen, wirklich eine Spaltung innerhalb Europas fördern will.
Fadenscheinige Sicherheitsbedenken
Österreich argumentiert das Veto mit dem Kampf gegen irreguläre Migration und damit verbundenen Sicherheitsbedenken. Doch Rumänien und Bulgarien haben in den letzten Jahren erhebliche Investitionen in den Grenzschutz und die Rechtsstaatlichkeit getätigt. Ironischerweise würden gerade eine Integration in den Schengen-Raum und eine intensivere Zusammenarbeit auf europäischer Ebene den Sicherheitsstandard erhöhen – nicht nur in diesen Ländern, sondern auch für Österreich. Als Teil des Schengen-Systems könnten Rumänien und Bulgarien ebenfalls an den Außengrenzen der EU tätig sein – mit zusätzlichen Ressourcen, die derzeit für Grenzkontrollen zum Schengen-Raum gebunden sind. Für eine kohärente und effiziente Migrationspolitik ist eine gesamteuropäische Zusammenarbeit ausschlaggebend.
Diplomatische Folgen
Das Veto hat mittlerweile nicht nur wirtschaftliche, sondern auch diplomatische Konsequenzen. In Rumänien und Bulgarien kam es unmittelbar nach der Blockade zu Boykott-Aufrufen gegen österreichische Firmen und Produkte. Die Bevölkerung beider Länder fühlt sich zunehmend benachteiligt und ungerecht behandelt, was uns auch beim Thema Pflegekräfte schadet. Das österreichische Veto befeuert damit auch anti-europäische Narrative und führt zu einer Entfremdung zwischen der Bevölkerung und der EU. Und nicht zuletzt kann die Blockade Spannungen zwischen Österreich und den anderen EU-Ländern verschärfen. Deutschland und Frankreich etwa drängen seit Jahren auf eine schnelle Aufnahme Rumäniens und Bulgariens in den Schengen-Raum. Das Festhalten an der Blockade isoliert Österreich in dieser Frage zusehends.
Vetos sind zudem eine eher verpönte politische Methode auf EU-Ebene – und wurden in der Vergangenheit vor allem von illiberalen Staaten wie Ungarn oder Polen als Machtdemonstration eingesetzt. Einen Konsens zu unterstützen, auch wenn man nicht vollständig überzeugt ist oder Kompromisse eingehen muss, ist nicht nur in der EU-Politik für das Funktionieren von Entscheidungsprozessen – und ein Gefühl der Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit – ausschlaggebend.
Ein Schritt in Richtung einer geeinten EU
Schlussendlich geht es bei der Frage der Schengen-Erweiterung um mehr als nur um Grenzkontrollen. Es geht um die Frage, ob wir als Gemeinschaft bereit sind zusammenzuarbeiten, uns aufeinander zu verlassen und Vertrauen in die Fähigkeiten unserer Mitgliedstaaten zu setzen. Österreich hat die Verantwortung, das europäische Projekt voranzubringen, statt (aus innenpolitischem Kalkül) zu bremsen. Dabei wäre ein Ende der Blockade ein wichtiger Schritt, um zu zeigen, dass Europa in der Lage ist, pragmatische und gemeinsame Lösungen zu finden, und dass in einer globalisierten Welt nur durch Kooperation Sicherheit, Wohlstand und Stabilität erreicht werden können. Es wäre ein wichtiges Signal für die Zukunft des Schengen-Abkommens – und der EU.
Die Hoffnung Rumäniens und Bulgariens lag zuletzt darin, dass die innenpolitische Motivation der ÖVP nach der Nationalratswahl obsolet werde. Zwar hielt Karner auch beim Ratstreffen im Oktober 2024 noch am Veto fest. Sein Parteikollege, Noch-Finanzminister und nominierter EU-Migrationskommissar Magnus Brunner, schlägt aber schon andere Töne an: „Bulgarien und Rumänien haben ein Recht darauf, die Vorteile des Schengen-Raums in vollem Umfang zu nutzen.“ Beim nächsten Rat für Justiz und Inneres im Dezember sollte Österreich die Blockade beenden und einen Schritt in Richtung einer geeinten Union setzen.