Wenn sich die Politik einig ist und dennoch nichts passiert
Wenn im Parlament ein Entschließungsantrag einstimmig angenommen wird, heißt das eigentlich, dass sich alle Parteien einig sind. Bei vielen Themen, die auf diese Weise entschlossen werden, ist aber nach wie vor nichts umgesetzt – trotz gemeinsamen Willens passiert nichts. Hanna Lenitz führt durch die vielen Bremsen im parlamentarischen Betrieb.
Es ist Jänner 2023, und in Österreich ist es immer noch erlaubt, bei Minderjährigen Konversionsbehandlungen zur „Heilung“ von Homosexualität durchzuführen. Dabei sind sich alle Parteien einig, dass diese Praxis verboten sein sollte – und zwar schon seit 2019. Das Verbot der Konversionstherapien ist hier in guter Gesellschaft.
Immer und immer wieder nimmt der Nationalrat teils einstimmig Entschließungsanträge – also Arbeitsaufträge an Minister:innen – an, die aber nicht oder nur mit großer Verspätung umgesetzt werden. Wieso?
Kategorie 1: Die Regierungsperiode endet, bevor die Umsetzung erfolgen kann
Die Entschließung zum Verbot der Konversionstherapien fiel in die Periode, in der im Parlament das „freie Spiel der Kräfte“ herrschte. Die Expert:innenregierung von Brigitte Bierlein bekam in dieser Zeit viele Aufträge vom Nationalrat: Alles, wofür sich eine Mehrheit finden konnte, wurde beschlossen, z.B. ausreichend Budgetmittel für das Bundesheer, eine Sanierungsoffensive mit „Raus-aus-dem-Öl-Bonus“ oder eine tägliche Bewegungseinheit für alle Kinder und Jugendlichen im Pflichtschulalter.
Die Zeit für die Umsetzung war allerdings begrenzt, denn nach der Neuwahl gilt Tabula rasa – die Koalitionspartner verhandeln ihr eigenes Regierungsprogramm aus. An Nationalratsentschließungen aus vorhergehenden Regierungsperioden fühlen sie sich nicht gebunden.
Die Entschließung zu den Konversionstherapien wurde im Juli 2019 angenommen, also zwei Monate vor der Wahl. Statt einen konkreten Gesetzesvorschlag zu liefern (einen sogenannten Initiativantrag), der durch den Beschluss im Nationalrat und die Bestätigung im Bundesrat direkt Gültigkeit erlangt, wurde die Bundesregierung aufgefordert, eine Regierungsvorlage vorzulegen, mit der die Ausübung von Konversionstherapien an Minderjährigen verboten wird. Die Vorlage eines Gesetzesvorschlags vonseiten der Bundesregierung erfolgte nicht rechtzeitig vor der Wahl, wodurch die einstimmige Entschließung im Archiv der Vorhaben aus den vergangenen Regierungsperioden verschwand.
Kategorie 2: Probleme bei der Machbarkeit
Bei einigen Beschlüssen ist die konkrete Umsetzung schwieriger als gedacht. Entschließungen sind billig – in einigen Sätzen kann man Minister:innen dazu auffordern, sich eines Problems anzunehmen. Die Oppositionsparteien kostet Zustimmung zu unkontroversiellen Themen nichts.
Die Regierungsfraktionen müssen sich ihre Zustimmung besser überlegen. Wer Vorhaben beschließt, aber nicht umsetzt, muss sich nicht nur Kritik von Medien und Opposition gefallen lassen, sondern verliert auch das Vertrauen der Bevölkerung. Gleichzeitig kostet die Umsetzung von Forderungen Zeit und Geld, die beide nicht im Übermaß vorhanden sind. Meist werden Entschließungen von Regierungsparteien darum nicht leichtfertig gefasst – trotzdem kann es vorkommen, dass Regierungsfraktionen eine Maßnahme beschließen, deren Kosten höher sind als erwartet, oder deren Umsetzbarkeit sich schwierig gestaltet.
Machbarkeitsprobleme scheint es zum Beispiel bei der Umsetzung des Eltern-Kind-Passes zu geben. Im Juni 2021 sprach sich der Nationalrat einstimmig dafür aus, den Mutter-Kind-Pass zu einem Eltern-Kind-Pass bis zum 18. Lebensjahr weiterzuentwickeln. Statt einer Ausweitung stand Ende 2022 vonseiten der Ärztekammer allerdings selbst ein Ende der Präventionsleistung im Raum – wegen Honorarverhandlungen, die zu scheitern drohten. Die Honorarverhandlungen sind inzwischen wieder auf Schiene, aufgrund des Umfangs des Vorhabens wird die Ausverhandlung der Details aber wohl noch dauern.
Der Fall der Konversionstherapien fällt nicht in diese Gruppe. Nach dem ersten Versuch, ein Verbot zu erwirken, das durch die Neuwahlen in der Schublade gelandet war, einigten sich alle Parteien im Sommer 2021 ein zweites Mal auf eine Entschließung zum Verbot von Behandlungen bei Minderjährigen sowie Volljährigen, deren Einwilligung auf Willensmangel beruht, die auf eine Veränderung der sexuellen Orientierung abzielen. Das Vorhaben wäre einfach umsetzbar: In Deutschland, wo das Thema 2019 auch aufkam, beschloss der Bundestag bereits im Mai 2020 ein Verbot von Konversionstherapien bei Minderjährigen. Es handelt sich dabei um ein Gesetz, das knapp eine Seite lang ist – sowohl Zeitaufwand als auch Kosten der Umsetzung hielten sich also in Grenzen.
Kategorie 3: Keine Einigkeit bei den Koalitionspartnern
Was uns zu Kategorie 3 führt – Entschließungen können auch scheitern, wenn es bei der Sache im Allgemeinen oder der Frage, wie man das Vorhaben konkret umsetzt, an Einigkeit in der Koalition mangelt. Nicht alle Entschließungen, die von den Regierungsfraktionen angenommen werden, stehen bei beiden auf der Prioritätenliste weit oben. In manchen Fällen sind angenommene Entschließungen Zugeständnisse an den Koalitionspartner, die als Gegenleistung für die Zustimmung zu anderen Vorhaben gemacht wurden. In diesem Fall ist einer der Partner nicht an einer Umsetzung interessiert; eine Umsetzung könnte diese Partei selbst Wählerstimmen kosten, die vom Kompromiss nicht begeistert sind. Spielt man seine Karten geschickt, kann man auf diese Art den Koalitionspartner bei Laune halten, Wählergruppen mit dem Versprechen, das Vorhaben umzusetzen, ansprechen und gleichzeitig Stammwähler halten, weil die Maßnahme schlussendlich doch nicht umgesetzt wurde.
Trotz einstimmigen Beschlusses wird das Verbot der Konversionstherapien hier aller Wahrscheinlichkeit nach scheitern. Nach dem Letztstand der Information liegt zu Beginn 2023 – fast zwei Jahre nach der Entschließung – ein Entwurf des Justizministeriums bei der ÖVP. Ob der Vorschlag je zur Abstimmung gelangen wird, ist zweifelhaft. In den Reihen der ÖVP finden sich einige strenggläubige Mitglieder, denen LGBTIQ-freundliche Gesetzgebung ein Dorn im Auge ist. Eine Umsetzung des Verbots unter Türkis-Grün würde der ÖVP keine neuen Stimmen bringen, könnte sie aber Rückhalt aus gläubigeren Communitys kosten. Dominante Strategie: Füße stillhalten, auf Neuwahlen warten.
Kategorie 4: Erschwerende Umstände
Die Mehrheit der Entschließungen kann durch die Regierungsparteien umgesetzt werden – es braucht in den meisten Fällen lediglich eine Mehrheit, bei Verfassungsbestimmungen eine Zweidrittelmehrheit, für die auch SPÖ oder FPÖ zustimmen müssen. In wenigen Fällen ist allerdings selbst das nicht genug. Und man ahnt es schon – hier ist es besonders schwierig, Maßnahmen in die Umsetzung zu bringen. Bestes Beispiel: Verankerung der Kontrolle eines österreichischen Treibhausgasbudgets beim Budgetdienst.
Der Budgetdienst wurde 2012 von der Präsidentin des Nationalrats zur Beratung, Beschlussfassung und Kontrolle der Haushaltsführung des Bundes im Konsens aller damals im Nationalrat vertretenen Parteien eingerichtet. Gerade rund um die Feststellung des neuen Budgets hilft der Budgetdienst mit der Bereitstellung von unabhängigen Analysen und der Beantwortung von spezifischen Fragen, aber auch unterjährig ist man für Stellungnahmen, Folgenabschätzungen und Kurzstudien beim Budgetdienst an der richtigen Adresse. Unabhängige Analysen und Kontrolle im parlamentarischen Kontext ist dem Budgetdienst auf den Leib geschrieben, wahrscheinlich wurde auch deshalb in einer Entschließung im Zuge des Klimavolksbegehrens im März 2021 die Möglichkeit aufgeworfen, die Arbeit des Budgetdienstes um Fragen der Einhaltung eines nationalen Treibhausgasbudgets zur Klimaneutralität bis 2040 zu erweitern. Konkret wurde der Präsident des Nationalrats in der Entschließung aufgefordert, diese Möglichkeit zu prüfen.
Der Nationalratspräsident sah sich hier aber nicht in einer aktiven Rolle, so ergab sich aus einer parlamentarischen Anfrage an Wolfgang Sobotka im Herbst 2021. Die Einrichtung des Budgetdiensts beruhe auf der Ausschussfeststellung des Budgetausschusses. Ein Konsens der Parteien sei nötig, um Climate Budgeting beim Budgetdienst zu verankern. Der Nationalratspräsident warte darum auf Initiative im Budgetausschuss – die Budgetsprecher seien am Zug. Seitdem wird verhandelt, eine Einigung ist – wohl vor allem aufgrund der FPÖ – nicht in Sicht. Auch eine Aufstockung der Personalressourcen des Budgetdiensts, die die Regierung ohne Einstimmigkeit im Budgetausschuss vornehmen könnte, wurde weder im Budget 2022 noch im Budget 2023 vorgenommen.
Wer sich durch die Timeline der Entwicklungen zu diesem Thema wühlt, fühlt sich, als wäre das Parlament beim Treibhausgasbudget auf der Jagd nach Passierschein A38. Erst richtet sich die SPÖ mit ihrer Anfrage zum Fortschritt an das Klimaministerium, das den Ball prompt wieder zurückspielt und auf den Nationalratspräsidenten verweist. Dann wiederum verweisen die Budgetsprecher auf die inhaltliche Zuständigkeit des Umweltausschusses, schließlich sei der Budgetausschuss nur für die formale Ausgestaltung des Budgetdiensts zuständig. Konkret heißt das, dass sich zehn statt fünf Abgeordnete auf eine Lösung einigen müssten. Ob das gelingen wird? Die Zeit wird es zeigen.
Hartnäckigkeit kann sich lohnen
Wie viel sind parlamentarische Entschließungen also wert? In der Realität leider oft nicht mehr als die Verankerung einer Maßnahme im Regierungsprogramm oder die Ankündigung eines Vorhabens von Regierungsseite.
Und doch: Dranbleiben lohnt sich. Unabhängig davon, ob Entschließungsanträge angenommen, abgelehnt oder vertagt werden, können Themen durch Anträge wiederholt auf die parlamentarische Agenda gesetzt werden, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Regierung auf Missstände zu lenken. Trotz aller Verzögerungen in der Gesetzgebung gibt es dazu auch Positivbeispiele, die Mut machen.
Im Fall des Blutspendeverbots für Homosexuelle brachten Anträge von NEOS, Grünen und SPÖ das Thema wiederholt auf die Tagesordnung des Gesundheitsausschusses. Obwohl alle Anträge stets vertagt oder abgelehnt wurden, waren die jahrelangen Bemühungen nicht umsonst. Im Oktober 2020 kündigte der damalige Gesundheitsminister an, eine diskriminierungsfreie Blutspende ermöglichen zu wollen. Knapp eineinhalb Jahre und einige Oppositionsanträge später wurde schließlich eine neue Regel präsentiert, die nicht auf die sexuelle Orientierung, sondern auf sexuell risikobehaftetes Verhalten abstellt.
Realistisch gesehen ist eine angenommene Entschließung nur eine Zwischenstation auf der Reise zur Umsetzung einer Forderung – ein Zwischenstopp, den viele von der Opposition geforderte und von der Regierung umgesetzte Maßnahmen nicht einhalten. Und gleichzeitig ein Zwischenstopp, der auch bei Einhaltung nicht garantiert, dass das Vorhaben die Ziellinie erreichen wird.
Schlussendlich ist es ein Mix aus Druck aus der Bevölkerung und von der Opposition, internen Verhandlungen, Machbarkeit, Kostenfragen und politischem Willen, der zur Umsetzung einer Maßnahme führt – oder eben nicht.