Wie der OGH ganz nebenbei die Immobilienbranche zum Zittern brachte

Es ist März 2023, der Oberste Gerichtshof (OGH) ist mit der Zulässigkeit von Klauseln in den Vertragsformblättern eines Mietvertrags befasst. Er soll dabei nicht beurteilen, ob die Klauseln im konkreten Fall unzulässig waren, sondern ob sie generell in Mietverträgen so angewendet werden können. Dass die Klausel, Fliesen dürfen nicht angebohrt werden, Mieter:innen gröblich benachteiligt, damit hatten wohl die meisten Involvierten gerechnet. Fast beiläufig stellte der OGH im Urteil aber auch fest, dass die enthaltene Wertsicherungsklausel Wertsicherungsklauseln sind in länger laufenden Verträgen enthalten, damit der entrichtete Preis im Verlauf der Jahre angemessen bleibt. Die Klausel enthält Bestimmungen darüber, wie oft und in welchem Ausmaß Preiserhöhungen durchgeführt werden können. Als Maßstab, wie hoch die Anpassung sein darf, dient meist der Verbraucherpreisindex (VPI). Im Mietmarkt erfolgen Erhöhung laut Wertsicherungsklausel meistens jährlich oder einmal alle zwei Jahre basierend auf dem VPI. Es gibt auch andere Modelle, bei denen jedes Mal eine Erhöhung erfolgt, sobald der Index einen Schwellenwert erreicht hat. unwirksam sei und zu Gänze entfallen müsse.
In der Verbandsklage Bei einer Verbandsklage sind bestimmte Einrichtungen befugt für eine bestimmte Gruppe an Personen Klage zu erheben, um die Verletzung ihrer Rechte kollektiv geltend zu machen. muss nämlich immer die kundenfeindlichste Auslegung der Klausel geprüft werden. Der OGH beanstandete bei der geprüften Klausel zwei Dinge: Erstens sei im Falle eines Wegfalls des Verbraucherpreisindexes als Basis für die Anhebung kein zufriedenstellender Ersatz definiert worden, wodurch das bei Konsumentenverträgen anzuwendende Prinzip der Unabhängigkeit vom Willen der Unternehmerin oder des Unternehmers verletzt werde. Zweitens sei eine Erhöhung des Mietzinses innerhalb der ersten zwei Monate nach Abschluss des Mietvertrags nicht explizit ausgeschlossen – ein weiteres No-go bei Formverträgen, die Unternehmer:innen mit Konsument:innen schließen, das aber kaum ein:e gewerbliche:r Vermieter:in (ab fünf vermieteten Objekten gehört man in der Regel zu diesem Kreis) auf dem Schirm hatte.
Bei Bekanntwerden des Urteils mussten wohl einige von ihnen schlucken und einen Blick auf ihre Rücklagen werfen – besonders sobald klar wurde, dass Rückzahlungsansprüche möglicherweise 30 Jahre rückwirkend und eventuell auch für bereits beendete Mietverhältnisse erhoben werden können. Sofortfolgen hatte das OGH-Urteil zwar nicht – allerdings war somit der Weg für Individualklagen Individualklagen sind Klagen, die von Einzelpersonen (natürlichen oder juristischen Personen) erhoben werden, um ihre individuellen Rechte durchzusetzen. in Bezug auf einzelne Mietverträge frei. In einigen Fällen entschieden sich Vermieter:innen für einen Vergleich, um die Klausel im Vertrag ersetzen zu dürfen. Andere Fälle machen zurzeit ihren Weg durch den Instanzenzug. Immer mehr Gerichtsentscheidungen folgen nun dem Urteil des OGH aus 2023 – in nächster Zeit könnten erste Entscheidungen des OGH zu Individualklagen fallen.
So what?
Vermieter:innen sind eine Bevölkerungsgruppe, der landläufig nicht viel Sympathie entgegengebracht wird. Sie haben Vermögen und verdienen Geld durch die Vermietung, augenscheinlich ohne etwas dafür tun zu müssen. Gerne wird ihnen Gier und Kleinlichkeit vorgeworfen. Zu hoher Lagezuschlag im Altbau, keine Haustiere erlaubt, und wehe, man zieht aus, ohne frisch ausgemalt zu haben – die Kaution siehst du nie wieder!
Die Klischees treffen nur bedingt zu, aber ganz unabhängig davon ist ein Mietmarkt mit einer hohen Zahl an potenziell unwirksamen Wertsicherungsklauseln nicht der Glücksfall, für den manche ihn halten. Individuell kann ein Unwirksamerklären der Wertsicherungsklausel bzw. ein Vergleich mit der Vermieterin oder dem Vermieter einen unerwarteten finanziellen Gewinn bedeuten – gesamtwirtschaftlich betrachtet haben wir aber ein großes Problem, wenn der OGH bei seiner Linie bleibt und die Politik nicht eingreift.
Oh wie schön ist der Friedenszins
Zugegeben, den Friedenszins gibt es schon lange nicht mehr. Aber wir kennen sie alle anekdotisch: Beispiele von Personen, die ihre Mietverträge im Jahre Schnee abgeschlossen haben und für 300 Euro auf 150 Quadratmeter in der Innenstadt leben. Das ärgert nicht nur Vermieter:innen, sondern auch all jene, die zu marktkonformen Preisen mieten.
Menschen mögen keine ungleiche Behandlung – doch genau diese ungleiche Behandlung würde die breitenwirksame Umsetzung des Urteils extrem verstärken. Wer vor 25 Jahren einen Mietvertrag mit nach OGH-Rechtsprechung ungültiger Wertsicherungsklausel abgeschlossen hat, würde – sofern kein Vergleich erfolgt – auf einen Schlag nicht nur Jahre an erhöhten Mieten zurückbekommen, sondern auch in Zukunft nur so viel zahlen, wie im Jahr 2000 im Mietvertrag stand. Selbst wenn die Person weitere 25 Jahre im gleichen Objekt bleibt, ändert sich daran nichts. Wer zufällig eine gültige Klausel im Mietvertrag stehen hat oder in den letzten Jahren umgezogen ist, hat Pech. Gut möglich, dass in diesem Fall neue Mietverträge noch teurer werden, um die Verluste aus den Verträgen ohne Wertsicherung ausgleichen zu können, denn entgegen populären Meinungen haben Vermieter:innen auch Kosten, die sie decken müssen.
Alles in allem wäre diese neue Situation eine Lotterie mit Altersdiskriminierungselement – ältere Personen mit langlaufenden Mietverträgen profitieren, während vorrangig junge und mobile Personen draufzahlen.
Vermieter:innen haben auch Gefühle
Die populäre Meinung zu Vermieter:innen wurde bereits angesprochen – sie geht oft einher mit Rufen nach mehr Einschränkungen von Vermieterrechten, zum Beispiel einem Verbot befristeter Mietverträge (unschlagbare Kombination mit den unwirksamen Wertsicherungsklauseln – wer am meisten Sitzfleisch hat, gewinnt!). Vermieter:innenbashing als Volkssport ist aber nur so lange lustig, bis diese keine Lust mehr haben, sich das anzutun. Wohnungen eignen sich nämlich auch prima als Wertanlage, wenn sie unvermietet sind (ich höre sie bereits, die Rufe nach einer Leerstandsabgabe).
Das deutsche Grundgesetz hält fest: „Eigentum verpflichtet.“ Auch wenn das in Österreich nicht in der Verfassung verankert ist, gilt das bis zu einem gewissen Grad natürlich auch hier. Leistbarer Wohnraum ist ein Grundbedürfnis, und der Staat verlässt sich in Teilen auf Private, um dieses Bedürfnis zu decken. Es gibt aber auch Grenzen für das, was verlangt werden kann.
Der Mieter zahlt nicht mehr und zerlegt stattdessen die Wohnung? Bis zur Durchführung der Räumungsklage können gut und gern 6 Monate vergehen, und die Miete und Renovierungskosten kannst du dir abschminken. Du willst in deinen Altbau innovative, erneuerbare Heizsysteme und Fußbodenheizung einbauen? Nur, wenn alle Mieter:innen zustimmen, und sorry, Mieterhöhung zur Deckung der Kosten ist nicht drin. Deine Mieter:innen fordern plötzlich 30 Jahre an Mieterhöhungen zurück? Bezahlte Miete ist doch eh gratis Geld für dich, du hast doch wohl sicher genug Rücklagen für solche Szenarien gebildet!
Wenn Vermietung unattraktiv wird, stehen Wohnungen leer oder werden zur Eigennutzung oder als Anlageobjekt verkauft. Wer nach einer Kaufwohnung sucht, kann mitunter von niedrigeren Preisen profitieren – dadurch werden allerdings auch Wohnungen dem Mietmarkt entzogen, was kombiniert mit mehr Leerstand Mieten eher teurer als billiger macht.
Der Worst Case wäre teuer
Wir befinden uns zurzeit in einer Rezession. Vorkommnisse, die Unternehmen unerwartet viel Geld kosten, sind gerade in Zeiten strauchelnder Wirtschaftsleistung eher suboptimal. Denn ja: Auch gewerbliche Vermieter:innen haben Angestellte, die bevorzugterweise jeden Monat ihr Gehalt bekommen und – ganz generell – gerne ihren Job behalten würden.
Aber die wirtschaftlichen Auswirkungen reichen noch weiter: Immobilien haben einen Wert, der unter anderem davon abhängt, wie viel Einkommen sie generieren können. Dieser Wert steht bei Eigentümer:innen und Investor:innen zu Buche und beeinflusst dadurch auch den Wert dieser Unternehmen. Fallen Wertsicherungsklauseln im großen Stil, dann fallen damit auch Immobilienwerte und der Wert der Unternehmen oder auch der Fonds, die sie besitzen. Erste Schätzungen des potenziellen Schadens gehen in den zweistelligen Milliardenbereich.
Das ist genau so lange egal, bis der eigene Arbeitgeber oder Pensionsfonds betroffen ist – dann ist man vielleicht doch nicht mehr so schadenfroh darüber, dass Hansi mit dem Mietvertrag von 1994 seiner Vermieterin eins auswischen konnte und die nächsten fünf Sommer auf Mallorca ausfinanziert hat.
Okay, vielleicht müssen wir doch etwas tun …?
Wir können hoffen, dass die OGH-Richter:innen, die im Falle der Individualklagen ein Urteil fällen müssen, nicht nur das vorangegangene OGH-Urteil konsultieren, sondern auch anderslautende Rechtsmeinungen und Implikationen des Urteils in Betracht ziehen. Zumindest wäre der OGH im Individualfall – im Gegensatz zu Verbandsklagen – nicht verpflichtet, die konsumentenfeindlichste Auslegung einer Klausel heranzuziehen, und es wäre vermutlich erstmals der Senat 5, der die meisten Wohnrechtsthemen entscheidet, mit der Sache befasst. Berichten zufolge ist es trotzdem unwahrscheinlich, dass der OGH seiner eigenen Rechtsprechung nicht folgen wird.
Manch einer setzt darum seine Hoffnung in die Politik. Die könnte nämlich Bestimmungen zur Wertsicherung beschließen, die als dispositives Recht Man spricht von dispositivem Recht, wenn gesetzliche Bestimmungen nur zur Anwendung kommen, sofern es keine anderslautenden Bestimmungen im Vertrag gibt. dann gelten, wenn im Vertrag keine Bestimmung enthalten ist. Damit könnte eine Standardversion der Wertsicherung für Mietverträge definiert werden, die dann greift, wenn keine Wertsicherung vereinbart wurde.
Seit März 2023 sind fast zwei Jahre vergangen, eine politische Lösung gibt es bislang nicht. Medienberichten ist zu entnehmen, dass das in der letzten Koalition an den Grünen scheiterte. Auch in den Verhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS war das Thema zäh – denn die SPÖ wollte sich eine Reparatur partout mit weiteren Verbesserungen für Mieter und Mieterinnen abkaufen lassen, volkswirtschaftlicher Schaden hin oder her. Über den Stand der Verhandlungen zwischen ÖVP und FPÖ ist zu diesem Thema bis jetzt nichts an die Öffentlichkeit gedrungen – man darf hoffen, dass hier die Vernunft siegt und man sich auf eine politische Lösung verständigen kann.