Wie kommen wir weg von der Gazprom?
Bei einer Podiumsdiskussion sprechen Expertinnen und Experten über Alternativen zum russischen Gas – und darüber, welche Maßnahmen dafür getroffen werden müssen.
Der russische Angriffskrieg hat nicht nur in Österreich die Preise explodieren lassen. Aus Deutschland kennen wir längst den Begriff „Zeitenwende“, die internationale Politik arbeitet eifrig an Alternativen zur Abhängigkeit von Putin. Vor allem Österreich hat in der Vergangenheit „alles auf eine Karte“ gesetzt und die Energieversorgung auf Russland ausgerichtet.
Jetzt gilt es, Alternativen zu finden. Um diese in einer unübersichtlichen Lage auszuloten, lud das NEOS Lab vergangenen Mittwoch zu einer Diskussionsveranstaltung. Das Thema: „Wie kommen wir weg von der Gazprom?“
Ex-OMV-Chef fordert Krisenmanagement
Eine klare Meinung dazu hat Gerhard Roiss: Der frühere OMV-Chef vermisst Krisenmanagement in der Bundesregierung. Wie man die Frage nach dem Ausstieg aus russischem Gas beantworte, sei eine rechtliche, aber auch eine politische Frage. Und politisch sehe er „vor allem Ignoranz“.
Denn Ende 2024 sei der Gashahn aus Russland endgültig zu, so Roiss. Der ukrainische Energieminister habe ihm gesagt, dass die Ukraine den Vertrag zum russischen Gastransit nach dieser Deadline nicht verlängern werde. Bis dahin gelte es, eine Strategie zu erarbeiten.
Roiss kritisiert die Ankündigungspolitik der Bundesregierung und fordert „klare Ziele, Maßnahmen und Verantwortungen“. Durch die komplizierte Situation am Energiemarkt gebe es keine Sicherheit, wie sich der Gaspreis in den nächsten Jahren entwickle – der Staat müsse deshalb eine proaktive Rolle einnehmen und Unternehmen Garantien geben, die sich mit potenziellem Risiko auf die Suche nach Alternativen begeben. Was nicht passieren dürfe: sich darauf zu verlassen, dass auch der nächste Winter mild wäre, und im Sommer das Thema zu verschlafen. Denn „auch der Hochsommer geht einmal vorbei“.
Expertin attestiert Regierung „Realitätsverweigerung“
Ähnliches fordert auch die Außenpolitik-Expertin Velina Tchakarova. Auf die Frage, was sie als Top-Priorität der heimischen Energiepolitik sieht, nennt sie die Notwendigkeit der Diversifizierung. Es gelte, Alternativen zu russischem Gas zu finden – z.B. aus Aserbaidschan, das seine Gasmenge verdoppeln wird. Hier müsse Österreich auch das Gewicht der EU nutzen: Wenn man bei Staaten wie Aserbaidschan oder Katar anklopfe und als kleiner Staat um Gas frage, werde man keinen besseren Deal bekommen als die Europäische Union mit einer gemeinsamen Beschaffung.
Der Bundesregierung attestiert sie geopolitische Realitätsverweigerung. Österreich glaube, mit einem blauen Auge davongekommen zu sein, aber man dürfe nicht naiv sein und glauben, alles werde wie früher. Durch eine Gegenoffensive in der Ukraine könne es sein, dass der Gashahn nach Europa ganz geschlossen würde – darauf müsse sich die Republik vorbereiten. Und statt in Schulen schon über Blackouts zu sprechen, sollte die politische Debatte in Österreich darauf fokussieren, wie wir dieses Szenario vermeiden könnten. Es brauche öffentlichen Druck, um die Regierung zu kontrollieren.
Abgeordnete Doppelbauer kritisiert Stillstand
Diesen Druck will auch die Nationalratsabgeordnete Karin Doppelbauer machen. Sie hat im Parlament eine Reihe von Anträgen zur Energiepolitik eingebracht, die von der Regierung abgelehnt oder vertagt wurden. Das verlangsame die Energiewende: Österreichs Biogas-Industrie spreche etwa davon, potenziell zwischen 15 und 20 Terawattstunden herstellen zu können, aber momentan fehlen die rechtlichen Grundlagen dafür. Zum Vergleich: Zwischen 2017 und 2021 wurden im Durchschnitt 95 Terawattstunden gebraucht, um Österreichs Gesamtbedarf zu decken.
Als großen Fehler in der Energiepolitik der Vergangenheit sieht die NEOS-Abgeordnete, dass die Regierung eine Weisheit aus der Wirtschaft ignoriert habe: „Don’t put all your eggs in one basket“. Ginge es nach ihr, müsse es einen Runden Tisch geben, bei dem sich die Bundesregierung, die Oppositionsparteien und Expert:innen auf Ziele und Maßnahmen einigen, um die Energiewende deutlich zu beschleunigen.
E-Control: Von Versorgungssicherheit zur Versorgungssicherung
Die Wichtigkeit der Infrastrukturseite betont Alfons Haber von der Energieregulierungsbehörde E-Control. Diese prüft die Versorgungssicherheit, die Unternehmen durch langfristige Verträge oder eigene Speicher beweisen können. Diese Sicherheit sei gegeben, aber: „Wir müssen von der Versorgungssicherheit in die Versorgungssicherung kommen.“
Österreich habe mit 75 Prozent des Jahresbedarfs gut gefüllte Speicher, aber langfristig sei wichtig, wie viel insgesamt gespeichert werden könne – nicht nur in Österreich, sondern auch in Europa. Neben dem Ausbau erneuerbarer Energien und der Suche nach Alternativen sieht er auch den Einsatz von Wasserstoff als wichtigen Schritt, vor allem für die Industrie. Dafür brauche es die Rahmenbedingungen und entsprechende Förderungen.
Wie wir weg von der Gazprom kommen
Obwohl das Energiethema oft technisch ist, sind sich in einigen Punkten alle am Podium einig: Um Österreich von der Gazprom unabhängig zu machen, muss der Energiemix diversifiziert werden. Dafür müssen erneuerbare Energien und das Stromnetz ausgebaut werden, während kurzfristig Alternativen gesucht, erschlossen und verhandelt werden.
Im Versuch, die Frage „Wie kommen wir weg von der Gazprom?“ in nur einem Satz auf den Punkt zu bringen, fasst Moderator Lukas Sustala zusammen: „Entweder durch einen Unfall – oder durch eine Strategie.“
Die ganze Veranstaltung ist auf YouTube auf Abruf verfügbar. Fotocredits: STEFAN POPOVICI SACHIM