Wie stark die Sexualdelikte zunehmen
Frauen- und Mädchenkörper werden viel zu oft als verfügbar betrachtet, die Anzahl der Delikte hat trotz aller Bemühungen zugenommen.
Vergewaltigungen sind meistens als skandalträchtige Überschriften in der Zeitung zu finden. Oft wird von Tätern mit Migrationshintergrund berichtet, oft von Verurteilungen, von der Summe an Delikten wird aber nur selten berichtet. Denn eine reine Meldung zu einer Vergewaltigung ist wenig wert – häufig findet eine Täter-Opfer-Umkehr statt, und Frauen sind damit konfrontiert, dass ihnen kein Glauben geschenkt wird.
In der oberösterreichischen Gemeinde Scharten hat sich diese gesellschaftliche Haltung erst in den letzten Wochen ganz erschreckend offen gezeigt: Dort gibt es eine eigene Bürgerinitiative, die den wegen Vergewaltigung verurteilten ehemaligen Bürgermeister verteidigt. Das Opfer dagegen wird öffentlich verunglimpft, der ganzen Welt wird gezeigt „Wir glauben dieser Frau nicht“ – und das, obwohl ein Gericht eindeutig die Vergewaltigung festgestellt hat. Was selten genug ist.
Steigende Anzeigen, stagnierende Verurteilungen
Ein direkter Vergleich von Anzeigen und Verurteilungen innerhalb eines Jahres hinkt zwar ein kleines bisschen, weil Ermittlungen und Gerichtsverfahren sich auch über Jahresgrenzen hinweg ziehen können. Was heuer angezeigt wird, wird nur selten heuer verurteilt, daher müssen die Zahlen mit einer gewissen Vorsicht genossen werden. Doch sieht man sich die Entwicklung an, ist eines ganz klar: Seitens der Justiz werden weniger Ermittlungsverfahren eingeleitet, als es Anzeigen gibt. Und dass jemand wegen Vergewaltigung verurteilt wird, ist erst recht selten. Die Unterschiede könnten aber auch mehr Hintergründe haben. Dass es mehr Anzeigen gibt, heißt nicht automatisch, das mehr Vergewaltigungen stattfinden, es kann auch einfach nur ein besseres Meldebewusstsein von Opfern geben, sodass weniger Vergewaltigungen einfach ignoriert und nie gemeldet werden.
So gab es 2021 beispielsweise über 1.000 Anzeigen wegen Vergewaltigungen, also knapp drei pro Tag (die gemeldet wurden). Verurteilt wurden aber nur 42 Personen, also wurde nur jeden achten Tag ein Urteil deswegen ausgesprochen. Freisprüche gab es dafür dreimal so viele.
Ähnlich verhält es sich bei geschlechtlicher Nötigung. Hier kommt noch die Grauzone hinzu, inwiefern ein Opfer sich tatsächlich nicht ausreichend „gewehrt“ hat oder „überredet“ wurde. Berücksichtigt man noch, dass viele Delikte in einem vorhandenen Bekanntschaftsverhältnis begangen werden, Zufallsbekanntschaften und potenzieller Alkoholisierungsgrad bei Nötigung auch oft vorkommen, wird es für Opfer erst recht schwierig, Recht zu bekommen. Nimmt man also die Jahresstatistiken als Maßstab her, führt ein Viertel der Anzeigen wegen Nötigung zu einem Freispruch.
Mein Verwandter, der Täter
Besonders problematisch sind im Bereich der Sexualdelikte die Verhältnisse zwischen Tätern und Opfer. Was medial oft als „gefährliche“ Gegenden in bestimmten Städten skandalisiert wird, als wahllose Übergriffe durch böse, fremde Männer, ist durch die Statistik nämlich leicht zu widerlegen. Nimmt man zu den gewaltsamen Sexualdelikten (also Vergewaltigung und Nötigung) noch Missbrauchsdelikte und Belästigung hinzu, sieht man ganz eindeutig, dass viele dieser Delikte besonders häufig innerhalb von vorhandenen Bekanntschaftsverhältnissen begangen werden. Belästigungsdelikte dagegen werden mehrheitlich von Fremden begangen – gerade für Frauen und Kinder ist es aber gefährlich, dass Täter meist bekannt sind.
Ebendiese Tatsache führt oft zu der Aussage, dass das eigene Zuhause der gefährlichste Ort für Frauen ist – eben weil gerade Partner oft Täter werden. Die Statistik zeigt hier ebenso ganz klar: Nur Belästigung findet zu 95 Prozent im öffentlichen Raum statt, ein Drittel sozusagen „auf offener Straße“.
Bei sexueller Belästigung zeigt sich aber noch ein Gegentrend: Bei diesen Delikten sind nur 30 Prozent der Opfer unter 18 Jahre alt. „Nur“ klingt in diesem Fall etwas ironisch, doch betrachtet man die Altersstatistiken genauer, sieht man, dass dieses Drittel der übliche Durchschnitt ist. Bei Belästigung kann natürlich noch gesagt werden, dass es sich damit um „leichte“ Vergehen handelt. Belästigung oder öffentliche geschlechtliche Handlungen seien immerhin nicht ganz so traumatisierend wie eine Vergewaltigung.
Erschreckend ist aber, dass der Anteil der unter 18-Jährigen auch bei Vergewaltigung bei 30 Prozent liegt, bei sexueller Nötigung sogar bei 37 Prozent. Ersichtlich ist auch: Je älter, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit eines Sexualdelikts.
Kein Schutz für Junge
Erschreckend ist auch die Anzahl der Missbrauchsdelikte. Skandale aus Kinderheimen und der Kirchengeschichte haben immer wieder gezeigt, wie verbreitet (sexueller) Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ist, und auch die öffentliche Betroffenheit war jedes Mal groß. Das zeigt beispielsweise auch ein aktueller Fall in Wien.
Dennoch haben Bewusstseinsbildung und Aufklärung hier offensichtlich kaum etwas geändert – die Zahl der Anzeigen bleibt konsequent stabil. Die Zahl der angezeigten Fälle von sexuellem Missbrauch und schwerem sexuellem Missbrauch von Unmündigen, Kindern und Jugendlichen bleibt konstant, jährlich gibt es rund 350 Fälle von Missbrauch, zwischen 400 und 450 Fälle von schwerem Missbrauch und etwas über 200 Fälle von Missbrauch von wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Personen. Wirklich auffällig sind die Missbrauchsdelikte aber vor allem wegen der Geschlechterverteilung. Denn während bei allen Delikten mindestens 95 Prozent der Täter männlich sind, sind bei Missbrauchsdelikten nach wie vor unüblich viele Burschen betroffen.
Moral aus der Geschichte gibt es allerdings leider keine. Sexuelle Gewalt wird überwiegend an Frauen ausgeübt, das Frauenministerium kündigt aber nur Gewaltschutz an, nachdem etwas passiert ist. Schutz von Kindern ist ein eigenes Thema, für das sich niemand mehr zuständig fühlt. Unter der ÖVP-FPÖ-Regierung wurden Teile des Kinder- und Jugendhilfegesetzes nämlich zur Ländersache erklärt – seitdem gibt es keine einheitliche Definition von Kindeswohl mehr.
Zwar würden auch die Maßnahmen zum Kinderschutz bei Susanne Raab als Familienministerin liegen, die damit nicht nur für Gewaltschutz von Frauen, sondern eben auch Kindern zuständig ist. Aber das Ministerium betrachtet Gewaltschutz vorrangig als „Behandlungsweg“ und nicht wirklich als Maßnahme, die gesellschaftlicher Prävention bedarf. Ein Problem, das sich eben darin niederschlägt, das die Zahl der Delikte nicht niedriger wird, und bei dem man nur hoffen kann, dass irgendwann Einsicht folgt.