Wir wissen seit 112 Jahren, dass es den Klimawandel gibt
Heute ist der 14. August 2024. Ein Jubiläum, das es nicht zu feiern gilt – denn heute ist gewissermaßen das 112-jährige Jubiläum der Klimaberichterstattung.
In der „Rodney and Otamatea Times, Waitemata and Kaipara Gazette“ erschien am 14. August 1912 auf Seite 7 ein kurzer, bescheidener Artikel, der die Rolle von Kohle in Frage stellte:
The furnaces of the world are now burning about 2,000,000,000 tons of coal a year. When this is burned, uniting with oxygen, it adds about 7,000,000,000 tons of carbon dioxide to the atmosphere yearly. This tends to make the air a more effective blanket for the earth and to raise its temperature. The effect may be considerable in a few centuries.
Rodney and Otamatea Times, Waitemata and Kaipara Gazette
Und das zu einer Zeit, in der das fossile Zeitalter erst wirklich losging! Anekdotisch würde man eher meinen, die meisten sind noch ohne genaueres Wissen über die Klimakrise aufgewachsen. Und das mag richtig sein – aber nicht, weil das Wissen noch nicht da war. Die Existenz des Beitrags wurde übrigens von mehreren Fact-Checkern überprüft und kann u. a. durch das Online-Archiv der National Library of New Zealand überprüft werden.
Der Zusammenhang zwischen Kohle und dem Weltklima war natürlich nicht der brillante Einfall eines Journalisten. Vielmehr war schon damals sehr naheliegend, dass die Atmosphäre durch CO2 mehr Hitze speichert. Diese Erkenntnis geht sogar bis ins Jahr 1824 zurück, auf den französischen Physiker Joseph Fourier – dieser stellte fest, dass die Erde aufgrund ihrer Distanz zur Sonne eigentlich wesentlich kälter sein müsste, und erklärte sich den Unterschied damit, dass die Atmosphäre Hitze speichern könne. Die US-amerikanische Forscherin Eunice Newton Foote fand 1854 heraus, dass dieser Effekt auf Treibhausgase zurückging. (Dass ihre Erkenntnisse nicht diskutiert wurden, wird in wissenschaftlichen Publikationen auch oft damit erklärt, dass sie als Mitglied der Frauenrechtsbewegung mit Sexismus zu kämpfen hatte.)
Haben wir das Klima also einfach ignoriert?
Dass wir trotzdem erst seit relativ wenigen Jahren regelmäßig über die Folgen der Klimakrise sprechen – und nicht zu einer Zeit, in der es noch leicht gewesen wäre, uns überhaupt nicht von fossilen Brennstoffen abhängig zu machen – lässt sich zum Teil durch unsere Wahrnehmung dazu erklären. So schreibt der Artikel von einem Effekt, der in „ein paar Jahrhunderte“ auftreten „könnte“. Das klingt nicht gerade nach Panikmache – wenn ein Problem Hunderte von Jahren Zeit hat, um gelöst zu werden, ist es noch keins.
Plus: Im Jahr 1912 gab es andere Probleme, die die Menschheit in Atem hielten. Wer in diesem Jahr für eine Zeitung schrieb, konnte sich genauso gut auf die Balkankrise stürzen. Oder auf den Krieg zwischen Italien und dem Osmanischen Reich. Oder die Erste Internationale Opium-Konferenz! Für eine kleine Spalte auf Seite 7 blieb da wohl wenig Aufmerksamkeit übrig. Wir kennen das aus unserem Umgang mit dem Thema.
Oder wurden wir getäuscht?
Aber warum wurde trotzdem so wenig getan, wenn wir das Problem doch schon so lange kannten? Ein weiterer Grund dafür ist, dass die fossile Wirtschaft lange wusste, was ihre Produkte für den Planeten bedeuten.
Ein gutes Beispiel dafür ist der Ölkonzern ExxonMobil. 2015 deckte Inside Climate News auf, dass der Ölkonzern schon im Jahr 1977 ein klares Bild zum menschengemachten Klimawandel hatte. Der Wissenschaftler James Black, der sich im Auftrag des Konzerns mit den Auswirkungen auf das Klima beschäftigte, warnte intern vor den Gefahren:
In the first place, there is general scientific agreement that the most likely manner in which mankind is influencing the global climate is through carbon dioxide release from the burning of fossil fuels. (…) Present thinking holds that man has a time window of five to 10 years before the need for hard decisions regarding changes in energy strategies might become critical.
ExxonMobil entschied sich trotzdem, dieses Zeitfenster zu ignorieren und das Wissen über den Schaden, den Öl für das Weltklima anrichtet, zu vertuschen. Nach dem Vorbild von „Big Tobacco“ – der Tabakindustrie, die lange Zeit daran arbeitete, die Schädlichkeit ihrer Produkte zu verbergen – bemühte sich Exxon, der Öffentlichkeit einzureden, dieser Klimawandel sei nur eine Theorie von vielen. Es gäbe keine Sicherheit. Die aktivistische Website ExxonKnew fasst die Situation so zusammen:
Exxon knew about climate change half a century ago.1 They deceived the public,2 misled their shareholders,3 and robbed humanity of a generation’s worth of time to reverse climate change.
Und jetzt?
Man kann daraus jetzt viel ableiten. Unter anderem die Theorie, dass wir alle eh nichts dafür können, weil uns die bösen Ölkonzerne vor der Wahrheit getäuscht haben. Das mag zum Teil stimmen, aber soll uns nicht erlauben, uns aus der Verantwortung zu stehlen. Was sollten wir also aus dieser Geschichte mitnehmen?
- Es gibt seit über 100 Jahren einen wissenschaftlichen Konsens, dass fossile Brennstoffe die Erde anheizen – der Klimawandel ist menschengemacht.
- Die Ölkonzerne wissen es selbst, und tun alles dafür, dass wir uns „unsicher“ in diesen sehr einfachen Erkenntnissen fühlen.
- Aus den vermuteten „Jahrhunderten“ wurde offensichtlich ein Jahrhundert. Und wir müssen ambitionierte Klimapolitik wagen, wenn wir noch Jahrtausende vor uns haben wollen.