Wovon „Made in Austria“ bei Medikamenten abhängt
Medikamentenengpässe sind fast jedes Jahr im Herbst – zu Beginn der Krankheitssaison – ein Thema, die Lösungsmöglichkeiten dafür allerdings beschränkt. Denn die Medikamentenproduktion ist nicht einfach nur global: Vieles wird in Asien produziert, nur die wenigsten Medikamente werden an einem Standort hergestellt. Viel häufiger findet beispielsweise ein Schritt in Österreich statt, einer in Massachusetts und der letzte Schritt in den Niederlanden. Pläne, die Produktion nach Österreich zurückzuholen, sind daher eher schwierig umzusetzen. Dennoch zahlt es sich aus, genauer anzusehen, welche Aspekte den Pharmastandort überhaupt beeinflussen. Der oftmals hitzigste Teil einer solchen Diskussion ist allerdings: Sind Medikamente in Österreich teuer oder nicht? Und würde eine Produktion in Österreich etwas daran ändern?
Der Preis bestimmt das Angebot
Die Antwort darauf ist eindeutig: Jein. Bei sogenannten Niedrigpreismedikamenten wie Generika Generika sind Medikamente, die den gleichen Wirkstoff, den gleichen Wirkstoffgehalt und die gleiche Darreichungsform (Tablette, Kapsel, Saft, Spray usw.) haben wie das Originalpräparat. Sie haben nur einen anderen Namen und einen anderen Preis, wirken aber gleich. Sie werden von der Zulassungsbehörde hinsichtlich Qualität genauso streng geprüft wie die Originalprodukte. sind die Preise in Österreich niedrig. Eine Packung Parkemed (also eines Fiebersenkers) mit sechs Tabletten kostet hierzulande 2,35 Euro – kein sonderlich hoher Preis. Gerade am Beispiel Parkemed hat man aber den Lieferengpass immer wieder gespürt. Das gleichwertige Ersatzpräparat Mefenam zeigt dagegen, wie hoch Preisabschläge in Österreich sein können: Zehn Tabletten kosten 1,75 Euro. Zumindest diese Medikamente reißen also wohl kein Loch in das Budget der Krankenversicherung oder – falls sie unter der Rezeptgebühr liegen – auch nicht in das Budget von Patient:innen. Dass Medikamente um solche Preise bei Wirkstoffmangel potenziell lieber in andere Länder zu höheren Verkaufspreisen verschickt werden, ist dann kein Wunder.
Insgesamt lässt es sich aber nicht so einfach erklären, denn viele billige Medikamente werden ohnehin in Asien produziert. Es gibt zwar Pläne, wie die Produktion nach Europa zurückgeholt werden kann, aber rein finanziell wird das wohl schwierig. Immerhin sind die Lohnniveaus in asiatischen Ländern sehr viel niedriger, dazu kommen noch Steuerfragen und technische Umstände. Durch Maschinen kann die Arbeitskraft vieler Menschen ersetzt werden, wobei es immer noch Produktionsstätten gibt, in denen Mitarbeiter:innen quasi einzelne Tabletten in Plastikverpackungen einfüllen. Ein Prozess, der wohl schon vor langer Zeit von einem Gerät übernommen werden hätte können und weniger Mitarbeiter:innen und damit weniger Gehälter kosten würde. Unklar ist aber, inwiefern sich ein technisches Aufrüsten auszahlt oder ob nicht die Gefahr besteht, dass dann lieber die ganze Produktion verschoben wird.
Innovation als Zukunftssicherung
Die Debatte über den Pharmastandort bedeutet aber nicht nur eine Debatte über Produktionsstätten. Es ist weitestgehend etabliert, dass Europa selbst als reine Produktionsstätte im Vergleich zu Asien relativ unattraktiv ist. Boni oder zusätzliche Förderungen für eine heimische Produktion werden häufig diskutiert, teilweise auch von Industrie oder Politik gefordert. Fraglich ist nur, wie hoch solche Boni sein müssten, damit sich die höheren Produktionskosten auszahlen, und ob sich so ein positives Ergebnis für den zahlenden Staat ausgeht. Oder ob nicht eine gemeinsame europäische Strategie billiger wäre. Das Argument, das aber jedenfalls zu funktionieren scheint, ist der Forschungsstandort.
Denn europäische Universitäten können eine verdienstvolle Geschichte an Forschung und Innovation vorweisen, zur Förderung dieses Potenzials wurde bereits 2000 der europäische Forschungsraum eingerichtet. Aufgrund der höheren Lohnnebenkosten und arbeitsrechtlichen Standards war klar, dass der Standort ein anderes Argument brauchen wird. Also: Innovation. Dementsprechend braucht es ausreichend Studienplätze, ausreichend Förderungen in den wissenschaftlichen Bereichen und genug Humankapital. Gerade an Letzterem hapert es nämlich in Zeiten des Arbeitskräftemangels überall. Wie wird gesteuert, welche Fachrichtungen interessant werden, wie kann gesteuert werden, in welchen Bereichen Menschen anschließend arbeiten wollen?
Nachdem die reine Produktion nicht der Schlüssel sein wird, hoffen viele europäische Länder, über Forschungsbeteiligungen dazu beitragen zu können, dass sie jedenfalls beliefert werden und vielleicht auch eine gute Verhandlungsposition beim Preis haben. Denn aktuelle Forschung ist sehr kostspielig: Einfache Grippeinfekte werden immer gleich behandelt, dafür gibt es seit Jahrzehnten Medikamente. Aber für eine Krebsart oder eine seltene Erkrankung eine Heilung oder zumindest Behandlung zu finden, ist mit hohen Kosten verbunden. Krebs wird heutzutage oft behandelt, indem Impfungen individuell auf die einzelne Krebsmutation zugeschnitten werden und so die Krankheit bekämpfen. Abgesehen davon gibt es immer mehr Behandlungen für seltene Erkrankungen, die in der Erforschung aufgrund der niedrigen Zahl von Patienten auch sehr teuer sind. Hier könnte sich Europa, gerade dank des personellen Know-how, als Innovationsmotor in Position bringen.
Forschungsgelder als Standortgelder
Genau deshalb unterstützen Staaten mit Forschungsbudgets den wissenschaftlichen und auch industriellen Betrieb. Seltene Erkrankungen bringen dabei oft mehr Geld, und auch die öffentliche Debatte kann die Mittelverteilung beeinflussen, wie man an ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrom) sieht, das durch die Pandemie und Long COVID in den Fokus gerückt ist. Trotz allem ist es eher schwierig, von außen zu durchblicken, wo welche Mittel hinfließen. Jedenfalls sind Förderungen immer ein Argument, warum Staaten einen Anspruch auf (billigere) innovativere Medikamente wollen. Inwiefern öffentliche und private Gelder bei Entwicklungen gegengerechnet werden, ist aber unklar. Um zumindest eine Zeit lang Forschungskosten wieder einzubringen, bekommen Pharmafirmen die ersten Jahre einen patentähnlichen Schutz und haben damit ein Monopol auf das Produkt und somit keine Konkurrenz. Mit dem sogenannten Pharma Legislation Act soll in Zukunft Medikamentenengpässen entgegengewirkt werden und als Mittel dafür dieser Schutz verkürzt werden, um schneller mehr Medikamente für neue Behandlungen zu erlauben. Ein Vorschlag, der auf Widerstand in der Forschungsindustrie stieß.
Bei Innovation geht es oft um Investitionen – und damit auch um Arbeitsplätze an den Universitäten, die für ihre Forschungsprojekte ja Personal brauchen – was wiederum den Standort attraktiver macht. Ein weiterer Vorteil: Werden die klinischen Versuche – also Tests von Medikamenten – in einem Land durchgeführt, bedeutet das für einige Patient:innen einen experimentellen Zugang zu potenziell lebensrettenden Behandlungen. Zwar noch mit gewissem Risiko und in vielen Fällen mit hohem bürokratischen Aufwand – der ebenfalls unbeliebt ist. Dennoch überwiegen die Vorteile als Forschungsstandort, immerhin gibt es viele Universitäten und auch viele Universitätskliniken, die sich dafür anbieten. So wurde beispielsweise in Großbritannien bei Studien diversifiziert und man kann nicht nur Pharmazie studieren, sondern auch Pharmaceutical Engineering oder Pharmaceutical Manufacturing – sprich die gut bezahlten Pharmajobs, die man in der Produktion braucht, um beispielsweise die immer höheren Qualitätsstandards zu kontrollieren und zu gewährleisten.
Nachdem Großbritannien in Folge des Brexits diverseste Formen von Lieferengpässen erlebt hat, wird jetzt also in Ausbildung und Forschung investiert. Deshalb gab es 2018 Millionen für Laboratorien, die gemeinsam von Universitäten und Pharmafirmen eingerichtet wurden oder 2024 eine neue Initiative, die besagten Arbeitskräftemangel in der Pharma bekämpfen sollen. Großbritannien hat eben aufgrund des Brexits schneller lernen müssen, dass Abschottung, Strafzölle oder die eigenen Arbeitsbedingungen alleine nicht für den Pharmastandort reichen werden, so billig kann dort nicht produziert werden. Die Frage ist nur: Wie schnell lernt Europa, dass sich gemeinsame Investitionen in den Standort und vor allem Wissen auch wirklich auszahlt? Denn reine Vorschläge von Produktionsboni bedeuten ja keine nachhaltige Standortsicherung, sondern nur finanzielle Anreize – etwas, das die Pharmaindustrie nicht unbedingt benötigt. Schließlich ist auch die Pharmaindustrie – so wie jede andere Industrie – ihren Anlegern verpflichtet. Diese dürften wenig erfreut darüber sein, wenn Berichte über verstecktes Geld in Steueroasen publik werden. Besser wäre daher eine EU-weite Strategie zur Stärkung des Standorts, um die Innovationskraft zurück in den Binnenmarkt zu holen.