17 Regeln der russischen Propaganda
Das moderne Russland hat Propaganda auf einer Ebene perfektioniert, die weltweit einzigartig ist. Bereits in der Sowjetunion gab es eine eigene KGB-Abteilung, welche darauf spezialisiert war, mit Desinformation und verdrehten Narrativen die Politik der Welt zu beeinflussen.
Als der ehemalige KGB-Agent Wladimir Putin an die Macht kam, wurden diese Fertigkeiten perfektioniert und mithilfe neuer Technologien wie Social Media auf eine ganz neue Ebene gehoben. Dabei hat sich über die Jahre ein gewisses Grundgerüst an „Regeln“ herauskristallisiert, nach denen die russische Propaganda vorgeht.
1. Leugne alles
Egal ob der Abschuss der MH17, die Vergiftungen der Skripals oder der bevorstehende Einmarsch in die Ukraine: besser einmal alles leugnen. Man kann später zur Not immer noch behaupten, dass man es ja niemals geleugnet hätte oder nur falsch zitiert wurde.
2. Wirf anderen vor, was du selber tust
Wer erinnert sich nicht an den geplanten ukrainischen Großangriff im Frühjahr 2022? Oder den Abschuss der Passagiermaschine MH17 durch das ukrainische Militär? Wer kennt sie nicht, die „EU-Diktatur“, in der es keinerlei Meinungsfreiheit mehr gibt?
3. Dämonisiere dein Opfer
„Ukrainer sind russophobe Nazis, die einen Völkermord im Donbas verübten, und außerdem eine künstliche Nation, die nur dafür geschaffen wurde, Russland zu schaden.“
Wenn man solche Thesen, gestützt durch erfundene oder zumindest übertriebene Beispiele, immer wieder streut, kann man sich bald über abnehmende Solidarität mit dem Opfer der eigenen Aggression freuen. Am Ende sagt vielleicht der eine oder andere sogar: „Die verdienen es doch nicht anders.“ Das wäre dann sozusagen der Hauptgewinn.
4. Übe dich in der Opferrolle, auch wenn du klar der Täter bist
„Immer wieder haben wir so viele Angebote gemacht, der Westen hat uns aber nur betrogen. Die Ukrainer sind zum Anti-Russland geworden, und niemand respektiert unsere Sicherheitsinteressen. Dabei hatten wir so viel Geduld.“
Diese und ähnliche Erzählungen dienen, wie auch die Dämonisierung des Opfers, zur Relativierung und Rechtfertigung der eigenen Taten. „Der arme russische Bär wurde so lange gereizt, er musste sich einfach wehren …“
5. Kenne deine Zielgruppen
Die „Bewahrung traditioneller Werte“, der „Schutz vor der Verschwulung unserer Gesellschaft“ – das sind klassische Beispiele für das Angebot russischer Propaganda an rechtsextreme Zielgruppen. Will man das Publikum von Linksaußen erreichen, sind Themen wie der „Kampf gegen den westlichen Imperialismus“, die „US-Hegemonie“ oder „die Eindämmung des Kapitalismus“ passende Slogans.
Das Feindbild NATO und USA greift für beide Extreme des politischen Spektrums gut. Verschwörungstheoretiker sind auch eine dankbare Zielgruppe, da diese immer nach einer „alternativen Realität“ suchen – und davon hat der Propaganda-Baukasten des Kreml nun wirklich viel im Angebot.
6. Wenn du nicht überzeugen kannst, stifte zumindest Verwirrung,
kombiniert mit
7. Verbreite nicht nur eine Lüge, sondern viele
Bei so vielen Zielgruppen und widersprüchlichen Geschichten hat es die Propaganda schon manchmal schwer, Unterstützer zu finden, die wirklich voll und ganz hinter einer Idee stehen. Darum geht es aber auch nur begrenzt: Wenn der Informationsraum mit so vielen alternativen Realitäten geflutet wird, dass die Wahrheit nur noch eine Version von vielen ist, ist schon sehr viel erreicht. Am Ende weiß man nicht mehr, was man glauben kann – oder ob man überhaupt noch etwas glauben kann. Ganz nach dem Motto des ehemaligen Trump-Strategen Steve Bannon: „Flood the Zone with Shit.“ Praktisch, wenn man etwas vertuschen will.
8. Motiviere andere, deine Lügen zu verbreiten
Desinformation ist dann besonders erfolgreich, wenn sie sich durch ihre Verbreiter selbstständig macht, man könnte in Social-Media-Zeiten auch sagen: „viral geht“.
Wichtig ist aber auch, dass die Verbreiter eine gewisse Glaubwürdigkeit haben. Wenn „seriöse“ und „angesehene“ Akteure das Kreml-Narrativ verbreiten, kann man das als Jackpot bezeichnen. Na gut, manchmal braucht es dafür auch ein paar Rubel als Motivation.
9. Verstärke alle Stimmen, die deine Propaganda teilen
Sind die „nützlichen Idioten“ einmal identifiziert oder finanziert, muss man das Eisen natürlich schmieden, solange es noch heiß ist. Das bedeutet: viel Reichweite geben und auch ins heimische Propaganda-TV einladen, damit man dem Volk zeigen kann, dass ja sogar im Westen die wirklich schlauen Köpfe „schon immer wussten, dass Putin recht hatte“.
10. Lächerliche Geschichten lassen weniger offensichtliche Märchen legitimer erscheinen
Zugegeben, manche Narrative des Kremls – wie zum Beispiel die Geschichte der „Tierbordelle in Dänemark“, um einen „Schildkröten-Fetisch“ auszuleben – werden wohl nur in gewissen Nischen geglaubt. Wenn Außenminister Sergei Lawrow dann im BBC-Interview aber trocken erklärt, dass in Kyiv die russische Sprache verboten wäre, klingt das vergleichsweise „seriös“. Außerdem können sie doch nicht immer lügen, oder? Spoiler: Doch, sie können.
11. Wenn es schwierig wird zu leugnen, zieh die „Whataboutism-Karte“
„What about Iraq? What about the Cuban missile crisis? What about Maidan? What about Kosovo?“
Hinweis: Die Whataboutismen müssen auch nicht unbedingt Sinn ergeben – Hauptsache, man gewinnt Zeit und lenkt ab!
12. Wiederhole deine Narrative so oft, bis deine Zielgruppe sie auswendig kennt
Nicht jeder Troll sitzt in St. Petersburg und wird mit einem für Russland überdurchschnittlichen Gehalt für Kampfpostings im Sinne des Kremls entlohnt. Manche tun das gerne und aus Überzeugung freiwillig – dazu brauchen sie aber auch das gewisse Rüstzeug. Wenn zum Beispiel wieder einmal die 5 Milliarden an US-Entwicklungshilfe seit 1991 als „Finanzierung des Maidan-Putsches“ bezeichnet werden, haben sich die Verbreiter dieser Falschinformation das nicht selbst ausgedacht, sie wurden mit den entsprechenden Storys „gefüttert“.
13. Sei dir im Klaren, dass weniger informierte Menschen leichte Opfer für Desinformation sind
Das hat die Ukraine mit der Europäischen Union bereits gemeinsam: Man weiß nicht viel darüber, dafür ist man umso empfänglicher für allerlei Gruselgeschichten. Wer ein gewisses Grundlagenwissen hat, Ukrainerinnen und Ukrainer kennt, oder vielleicht sogar selbst dort war, ist für Geschichten à la „dort darf man nicht Russisch sprechen“ gar nicht mehr empfänglich.
14. Wenn dein fabrizierter Content Emotionen triggert, verteilt er sich umso mehr
„Ukrainer planen, eine Hitler-Banknote herauszugeben. Ukrainische Kämpfer haben einen Jungen im Donbas gekreuzigt. Video von Selenskyj zeigt ihn mit Kokain am Schreibtisch.“ Das sind genau die Meldungen, die wie für Social Media gemacht sind, speziell auf Instagram und TikTok verbreitet sich das fast so gut wie der neue GTA-Trailer.
15. Gib deiner Zielgruppe das Gefühl, etwas Besonderes zu sein
Nicht ohne Grund erwähnt Putin gern, dass Russland auch im Westen viele Unterstützer hat, die sich nicht von der „antirussischen Hysterie“ anstecken ließen. Für diese „wachen Geister“ gibt es dann auch spezielle „alternative Medienangebote“, die einzig und allein die Kreml-Meinung, äh, Wahrheit verbreiten – im Gegensatz zu den „gleichgeschalteten Mainstream-Medien“. Es ist doch schön, zu einer Elite an „Querdenkern“ zu gehören, die alles durchschaut haben und „aus der Matrix ausgebrochen“ sind.
16. Nutze alternative Geschichtsschreibung als Waffe
Wladimir Putin hat schon einige berufliche Stationen in seinem Leben durchlaufen. Seit einiger Zeit versucht sich der ehemalige KGB-Agent auch immer wieder als Historiker. Dabei spielt es keine Rolle, wie die Vergangenheit verzerrt, verdreht oder instrumentalisiert wird: Hauptsache, am Ende kommt dabei heraus, dass die Ukraine kein Existenzrecht hat und Russland ein Imperium sein muss.
17. Wenn du nicht mehr leugnen kannst – leugne, dass du es geleugnet hast
Wo wir wieder bei Regel Nr. 1 wären, die manchmal an ihre Grenzen stößt. Dann heißt es zum Beispiel über die vormals „lokalen“ kleinen grünen Männchen auf der Krim: „Natürlich waren das unsere Jungs, die dort für Ordnung gesorgt haben“. Über die verleugnete militärische Präsenz im Donbas sagt man dann Dinge wie: „Ja, wir haben ein paar Militärberater dort, aber die kämpfen doch nicht.“ Ganz nach dem Motto: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?
DIETMAR PICHLER ist Programmatic Director am Zentrum für Digitale Medienkompetenz. Der geborene Wiener ist seit 15 Jahren in unterschiedlichen Funktionen im Bereich Marketing und Kommunikation tätig. Nach seinem Masterabschluss im Bereich Kommunikationsmanagement absolvierte er diverse universitäre Fortbildungen in den Bereichen Wirtschaft, Internationale Beziehungen, European Studies und Social Media. Zudem ist Dietmar Pichler Initiator der europäischen Medienplattform „stopovereurope.eu“ und als Vorstandsmitglied des Vereins „Vienna goes Europe“ tätig.