Argentinien: Javier Milei plant die Dollarisierung
Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts gehörte Argentinien weltweit zu den zehn Staaten mit dem höchsten Bruttoinlandsprodukt pro Kopf. Das südamerikanische Land lag gleichauf mit Kanada und Australien und stand wirtschaftlich besser da als Frankreich oder Italien. Inzwischen ist Argentinien weit zurückgefallen.
Viele Jahrzehnte, geprägt von politischen Experimenten, fragwürdiger Zentralbankpolitik und Korruption zeichneten die Wirtschaft des Landes. Die Wirtschaftsgeschichte Argentiniens ist eine Aneinanderreihung von Wirtschaftskrisen und Staatsbankrotten. Die Inflationsrate des Landes erreichte im Dezember 2023 einen Wert von 211,4 Prozent, gegenüber dem US-Dollar wertete der argentinische Peso innerhalb derselben Zeit um fast 80 Prozent ab.
Inmitten dieser wirtschaftlichen Krisensituation hat sich der Ökonom und Politiker Javier Milei unerwartet bei der Präsidentschaftswahl durchgesetzt. Durch sein provokantes Auftreten und eine Kampagne, die auf radikalen Reformen für das Land aufbaute, konnte er sich mit 55,5 Prozent der Stimmen durchsetzen. Sich selbst bezeichnet er als „anarchokapitalistischen“ Libertären, aber er vertritt auch rechte Positionen. Gegenüber der etablierten argentinischen Politik verliert er selten ein gutes Wort. Das „zerstörerische Modell des allgegenwärtigen Staates“, von dem nur wenige profitieren, während die Mehrheit Argentiniens leide, ist sein erklärtes Feindbild.
Eines von Mileis wichtigsten Wahlkampfthemen war die vollständige Dollarisierung der argentinischen Wirtschaft. Verbunden damit ist die Schließung der Zentralbank des Landes. Das würde bedeuten, dass wir bald das Ende einer nationalen Währung – des lange geplagten argentinischen Pesos – erleben.
Was bedeutet Dollarisierung?
„Dollarisierung“ ist ein Prozess, bei dem ein Land seine eigene Währung ablegt und stattdessen den US-Dollar als offizielle Währung übernimmt. Auf dem amerikanischen Kontinent ist sie in der Vergangenheit von Ecuador und El Salvador durchgeführt worden. Die nationalen Währungen beider Länder zeichneten sich durch hohe Inflation und signifikante Wechselkursinstabilität aus, beide entschieden sich folglich, ihre eigene Währung aufzugeben und den stabilen, nachhaltig planbaren US-Dollar als Währung innerhalb ihrer Volkswirtschaften zu nutzen. Neben den USA, Ecuador und El Salvador verwenden insgesamt elf Länder auf der Welt den US-Dollar als ihre offizielle Währung, unter anderen Panama, Guam, Mikronesien, die Marshallinseln, Palau, Osttimor, Simbabwe etc.
Das Aufgeben der eigenen Währung bedeutet gleichzeitig auch die Aufgabe der eigenen Geldpolitik. Banken halten nun Reserven in US-Dollar, für Unternehmen gibt es die Pflicht, den Dollar für Transaktionen zu akzeptieren, Steuern können damit bezahlt werden. Eine Dollarisierung bedeutet somit, dass die Zentralbank eines Landes ihre wesentlichsten Aufgabengebiete verliert: die Ausgabe von Währung und Steuerung der Geldpolitik. An ihre Stelle tritt die Währungspolitik der US-amerikanischen Federal Reserve Bank.
Milei will diesen radikalen Schritt setzen, um die in Argentinien herrschende Inflationsspirale zu durchbrechen. Mit der Einführung der Währung eines anderen Landes kommt auch die Stabilität dieser Währung, sie erleichtert internationalen Handel und verbessert die Staatsfinanzen. Die Währungspolitik wird aber auch von diesem Land gesteuert – obwohl die USA Argentinien nicht in ihre geldpolitischen Entscheidungen einbeziehen wird. Der Preis für die dringend benötigte Währungsstabilität ist die Aufgabe der nationalen Geldpolitik.
Abrechnung mit der Zentralbank
Für Argentinien muss das aber nicht unbedingt einen Nachteil bedeuten. Die argentinische Zentralbank hat im Laufe ihrer Geschichte oft schlechtes Management bewiesen und stand stets unter starkem Einfluss der Politik des Landes. Bis auf die Jahre des „Konvertibilitätsregimes“ von 1991 bis 2002 konnte sie über Jahrzehnte hinweg kein stabiles Wirtschaftsumfeld für Argentinien schaffen. Und auch dieses wirtschaftspolitische Experiment endete letztendlich in Krise und Hyperinflation.
Die Zentralbank wurde stets als ein politisches Instrument für Partikularinteressen verwendet. Ideologie und politische Interessen sorgen für finanzpolitische Disziplinlosigkeit und eine zentral gesteuerte Wirtschaft. Unter Javier Milei wird die Zentralbank daher sehr wahrscheinlich bald ihr Ende sehen. Ob es in Anbetracht der jahrzehntelangen Misswirtschaft, die durch die argentinische Zentralbank ermöglicht wurde, tatsächlich eine schlechte Idee ist, die Geldpolitik zukünftig an ein fremdes Land zu übertragen? Das wird noch zu beurteilen sein.
Was für die Dollarisierung spricht
Der US-amerikanische Wirtschaftsprofessor Steve Hanke, der an der Johns-Hopkins-Universität lehrt, bezeichnet die Dollarisierung Argentiniens als einen unverzichtbaren, notwendigen Schritt. Hanke war in der Vergangenheit bereits zweimal in den Prozess involviert, als Montenegro und Ecuador ihre nationale Währung abgeschafft haben und diese durch die Währung eines anderen Landes ersetzten.
In Anbetracht der langen Historie an ökonomischer Instabilität sei der Verlust der eigenen monetären Geldpolitik ein geringes Risiko für Argentinien, meint der Professor – vielmehr würden damit fiskalischer Disziplinlosigkeit, politischer Einflussnahme und Fehlentscheidungen endlich ein Riegel vorgeschoben. Die Einführung des Dollars als Währung sei die einzige Möglichkeit, die „Todesspirale“ zu stoppen, in der sich die argentinische Wirtschaft befindet, so der Wirtschaftswissenschaftler Steve Hanke.
Argentinien sei das Land mit den höchsten US-Dollar-Bargeld-Reserven außerhalb der USA selbst. Trotz der seit 2011 von der argentinischen Zentralbank und dem Bundesamt für Staatseinnahmen erlassenen Beschränkungen für Fremdwährungen ist der sogenannte Blue Dollar im Land sehr weit verbreitet – das ist der illegal in Argentinien auf dem Schwarzmarkt erworbene US-Dollar. Die Bevölkerung von Argentinien selbst würde aktuell über US-Dollar-Vermögenswerte in Höhe von über 246 Milliarden verfügen. Diese Währungsreserven werden beispielsweise in ausländischen Banken, in geschützten Tresoren oder in Form von privat verstecktem Bargeld bereitstehen. Im Falle einer Dollarisierung würde ein großer Anteil davon binnen kurzer Zeit und auf legalem Weg in das argentinische Bankensystem wandern.
„De facto ist Argentinien bereits dollarisiert.“
Steve Hanke, Johns Hopkins University
Grünes Licht für grüne Dollar
In Anbetracht der enormen Inflation, regelmäßigen Währungsabwertungen und fiskalischen Krisen ist die Bevölkerung des Landes seit geraumer Zeit immer mehr auf die stabile Alternative der US-amerikanischen Währung umgestiegen. Nicht einmal staatliche Repressionen konnten die Nutzung des Dollars im Land effektiv verhindern. Man kann die Menschen einfach nicht zur Nutzung einer schlechten Währung zwingen – das erzeugte letztendlich den „Blue Dollar“, der technisch gesehen illegal ist, aber auf Schwarzmärkten floriert. Es ist bereits jetzt nicht unüblich, dass Immobilien mit stapelweise 100-Dollar-Noten erworben werden oder Gebrauchtwägen so den oder die Besitzer:in wechseln.
Die hohen US-Dollar-Reserven, die die Bevölkerung bereits hält, erlauben es, Argentinien bereits als inoffiziell dollarisiert zu bezeichnen: Mehr als 10 Prozent aller US-Dollar zirkulieren in oder durch Argentinien. Die Bevölkerung des südamerikanischen Landes besitzt aktuell sogar mehr US-Bargeld pro Kopf als die Bevölkerung der USA selbst. Letztendlich wird es wohl so kommen, wie es währungspolitisch langfristig immer kommen muss: Die bessere Währung setzt sich durch.
Die Bevölkerung hat schon lange entschieden, die stabile Währung eines anderen Landes für sich zu nutzen und nun einen Präsidenten gewählt, der sie auch offiziell zur Währung des Landes macht. Letztendlich entscheidet die Bevölkerung, was ihre Währung ist.
LUKAS LEYS ist Unternehmer, Gründer des Legal-Tech-Startups kontractory und Betreiber der Plattformen immobily.io, mietrecht.ai und gmbh.legal. Ihn treibt ein starkes Interesse am technologischen Fortschritt und an den gesellschaftlichen Auswirkungen, die diese mit sich bringen wird. Sein Schwerpunkt liegt auf Blockchain-Technologie, Smart Contracts und dem Metaverse.