Der steinige Weg zum digitalen Euro
Zentralbanken weltweit arbeiten aktuell an der Entwicklung einer neuen Form von Geld. Der technische Fortschritt im Finanzbereich wurde zum Ausgangspunkt für die Vision, dass Zentralbanken in Zukunft elektronisches Geld direkt an die Bürger:innen ausgeben: Sogenannte Central Bank Digital Currencies (CBDCs) sollen als neue Form von Geld neben Bargeld, elektronischem Geld und anderen Geldformen existieren.
Auch in Europa wird am digitalen Euro gearbeitet. Während in Österreich diskutiert wird, ob das Bargeld dadurch geschützt werden sollte, es in die Verfassung zu schreiben, werden wir vermutlich in wenigen Jahren auch digitales Geld direkt bei der Europäischen Zentralbank (EZB) verwalten können.
Die Skepsis über dieses neue Geld ist groß, schließlich handelt es sich bei CBDCs um eine neue, programmierbare Form von elektronischem Geld. Dieses Zentralbankgeld kann mit den unterschiedlichsten Funktionen ausgestattet werden, der Kreativität der Zentralbanken sind hierbei wenige Grenzen gesetzt. So lässt sich digitales Geld so programmieren, dass es unter bestimmten Voraussetzungen eingefroren ist und nicht mehr vom eigenen Konto transferiert werden kann. Zentralbanken könnte die Möglichkeit geboten werden, die Summe auf dem Konto nach oben oder unten zu manipulieren und so Strafzinsen oder Negativzinsen durchzusetzen.
Darüber hinaus ließe sich einschränken, wie man mit einer CBDC bezahlen kann: So könnte beispielweise verhindert werden, dass das Zentralbankgeld für bestimmte Produkte und Dienstleistungen oder in bestimmten Regionen verwendet werden kann.
Der digitale Euro
CBDCs zeichnen sich dadurch aus, dass deren Nutzer:innen kein Konto bei einer Geschäftsbank mehr haben, sondern direkt bei einer Zentralbank. Statt die Bank der Banken zu sein, bestehen Überlegungen, ob Privatpersonen und Unternehmen zukünftig über CBDCs direkt mit einer Zentralbank interagieren können. In der Europäischen Union könnten bereits in wenigen Jahren Konten für diese bei der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main verwaltet werden.
Die EU befindet sich dazu aktuell in einer zweijährigen Untersuchungsphase zur Einführung eines digitalen Euros. Die EZB arbeitet gerade gemeinsam mit den nationalen Zentralbanken des Euroraums an einer Strategie für den digitalen Euro. Dabei wird ein besonderer Fokus auf die Auswirkungen für Wirtschaft, Bevölkerung und Politik gelegt. Im Herbst 2023 wird diese Untersuchungsphase bereits abgeschlossen sein und genauere Details über die Ausgestaltung dieses digitalen Euros bringen.
„Wir überlegen, digitales Zentralbankgeld in Europa einzuführen. Damit wollen wir auf die steigende Nachfrage nach sicheren und zuverlässigen elektronischen Zahlungsmitteln reagieren. Digitales Geld, das die Zentralbank ausgibt, wäre ein Stabilitätsanker für das Zahlungs- und Währungssystem. Ein digitaler Euro würde außerdem die geldpolitische Souveränität des Euroraums stärken und den Wettbewerb sowie die Effizienz im europäischen Zahlungsverkehr fördern.“
Europäische Zentralbank
Es gibt viele offene Fragen zur Funktionsweise, zur verwendeten Technologie und den rechtlichen Rahmenbedingungen. Dementsprechend wird der Vision eines digitalen Euros aktuell mit viel Skepsis begegnet. Im Juni 2023 hat die Europäische Kommission hierzu einen Vorschlag für eine gesetzliche Regelung zur Einführung vorgelegt: Dieser Gesetzesentwurf zielt darauf ab sicherzustellen, dass der digitale Euro zukünftig eine ergänzende Möglichkeit bietet, im gesamten Euroraum digital mit einer weit verbreiteten, kostengünstigen und sicheren Form von Zentralbankgeld zu bezahlen. Die Rolle von Bargeld und der Geschäftsbanken soll dabei nicht beeinträchtigt werden.
Das neue, programmierbare Geld
Beim Thema CBDCs stellt sich für viele oft die Frage, wozu diese notwendig geworden sind. Unser etabliertes Finanzsystem, bestehend aus Banken und Finanzdienstleistern (Nichtbanken, Finanzunternehmen, Startups) bietet augenscheinlich bereits ein gut funktionierendes System, um Geld sicher zu verwahren und auf leichtem Wege für Zahlungen verfügbar zu machen.
Central Bank Digital Currencies werden trotzdem kommen und sich als weitere Komponente zusätzlich zur bestehenden Infrastruktur innerhalb dieses Finanzsystems etablieren. Denn weltweit arbeiten bereits über 90 Prozent der Zentralbanken an der Entwicklung unterschiedlicher Konzepte von digitalem Geld. Insgesamt 114 Staaten, die mehr als 95 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts ausmachen, fallen darunter.
Die unterschiedlichen Entwicklungsstadien und Varianten von anderen CBDCs weltweit können beispielsweise über den CBDC-Tracker verfolgt werden. Einige Formen von digitalem Zentralbankgeld befinden sich heute bereits im Einsatz: Darunter zu finden sind die schwedische e-Krona, der nigerianische e-Naira sowie seit April 2020 der digitale Yuan (e-CNY) in China.
Gerade in China lassen sich die Vorteile und Risiken besonders gut ablesen: einfacheres, angenehmeres Bezahlen einerseits, Überwachung, Nachvollziehbarkeit und Beeinflussung des Verhaltens von Menschen auf der anderen Seite. Bezahlt wird beispielsweise über Gesichtsscan, digitale Identität und digitale Wallet („Brieftasche“). Wenn es politisch gewünscht wird, kann der digitale Yuan wahlweise eingefroren, fremdtransferiert, mengenmanipuliert oder mit einem Ablaufdatum versehen werden.
Nachvollziehbarkeit – a Feature, not a Bug
Was Central Bank Digital Currencies für viele Zentralbanken weltweit so interessant macht, sind nicht primär höherer Bezahlkomfort, verbesserte Sicherheit oder zuverlässige elektronische Zahlungen. CBDCs ermöglichen ein bisher nie gekanntes Bild darüber, wie sich dieses digitale Geld innerhalb der Wirtschaft bewegt und welches Bezahlverhalten dessen Nutzer:innen aufweisen. Eigenschaften, die Bargeld oder elektronisches Geld am Bankkonto nicht bieten können.
Ein digitaler Euro, der direkt in den Konten der EZB verwaltet wird, ermöglicht es der Zentralbank grundsätzlich, eine sehr große Menge an Daten zu sammeln. Diese können dazu verwendet werden, dass sie ein besseres Verständnis der Wirtschaftskreisläufe und der Auswirkungen von Zentralbankpolitik erhält – es wird aber eine große Frage bleiben, was sie mit den gesammelten Daten noch alles vorhat. Genauso wird eine kritische Frage für den Erfolg des digitalen Euros werden, ob Privatpersonen und Unternehmen genug Vertrauen in die Europäische Zentralbank besitzen, um dieser ihre Daten anzuvertrauen.
Als neue, digitale Geldform unterscheiden sich CBDCs fundamental von bisherigen Bezahlmitteln: Eine Währungseinheit von CBDCs kann eine eigene digitale Identität besitzen. Um mit CBDCs zu interagieren, benötigen deren Nutzer:innen ebenso eine solche digitale Identität. So lassen sich unter bestimmten Umständen Person, Zeit, Ort und Grund der Zahlung sehr genau verfolgen und zuordnen. Die Europäische Zentralbank betont wiederholt die Wichtigkeit des Schutzes der Privatsphäre bei der Ausgestaltung des digitalen Euros. In einer von der EZB im Jahr 2020 durchgeführten öffentlichen Konsultation stuften 43 Prozent der Befragten Datenschutz als die wichtigste Fragestellung des digitalen Euros ein – weit vor allen anderen Fragestellungen.
Diesen Befürchtungen entsprechend, schlägt der Legislativvvorschlag der Europäischen Kommission vor, dass das Eurosystem einzelne Nutzer:innen nicht direkt identifizieren kann, sondern die Identifikation über Intermediäre geschieht. Die EZB muss jedoch den Schutz der Privatsphäre der Bürger:innen immer im Zusammenhang mit anderen politischen Zielen der EU sehen. Die Bekämpfung von Geldwäsche, Steuerhinterziehung oder Terrorismusfinanzierung werden als Gründe angeführt, warum ein digitaler Euro niemals einen hohen Grad an Privatsphäre bieten kann.
Die Zentralbank sagt zwar explizit, dass sie die Bedenken zu Datensammlung und -verwendung sehr ernst nehmen will. Das Sammeln von Daten, wie der Nutzer:innenidentität, den Daten zur einzelnen Zahlung (Betrag, Verwendungszweck, Handelspartner:in) und Metadaten im Zusammenhang mit dem Zahlungsvorgang werden aber trotzdem wohl zwingende Bestandteile des digitalen Euros werden.
Die Bedenken zu Datenschutz und Privatsphäre der Bevölkerung könnten also zum größten Hindernis für die erfolgreiche Etablierung des digitalen Euros werden – denn das Vertrauen gegenüber der EZB ist nicht erst seit den hohen Inflationszahlen in den letzten Monaten angeschlagen. Gleichzeitig dringt kaum etwas so sehr in die Privatsphäre der Menschen ein, wie die Nachvollziehbarkeit ihrer Zahlungen. Ob sich der digitale Euro unter diesen Gesichtspunkten tatsächlich durchsetzen kann, ist fraglich.
Viele offene Fragen und Risiken
Bis es so weit ist, dass wir den digitalen Euro tatsächlich im Alltag verwenden, wird es noch dauern. Nach Abschluss der Gesetzgebungsphase und umfassender Vorbereitungen auf dem Markt wird eine mögliche Einführung frühestens im Jahr 2026, wahrscheinlicher aber im Jahr 2028 in Betracht gezogen.
Viel Zeit also, um den digitalen Euro zu etablieren. Die Skepsis gegenüber dieser neuen Form von Geld wird jedoch in jedem Fall ein großes Hindernis bleiben: In Zeiten der Angst um eine vermeintlich drohende Bargeldabschaffung wird sich ein neues digitales Geld nicht leicht einführen lassen. Dass CBDCs in manchen Ländern der Erde teils dystopisch klingende Eigenschaften besitzen, tut ein Übriges für die Attraktivität dieser unter der Bevölkerung.
Letztendlich beweist sich auch hier wieder einmal Technologie als zweischneidiges Schwert: Die Vorteile wie Effizienzsteigerung und Kostenersparnisse gehen einher mit den Risiken der Schaffung von gläsernen Bürger:innen und Zentralbankpolitik, die direkt am Konto wirkt.
Durch die Eigenschaft der Programmierbarkeit von CBDCs kann letztendlich auch nicht garantiert werden, dass der digitale Euro von heute auch der digitale Euro von morgen ist. Der Legislativvorschlag der Europäischen Kommission sieht keine Programmierbarkeit des digitalen Euro vor. Es wird der Zentralbank jedoch grundsätzlich trotzdem die Möglichkeit geboten, die Eigenschaften und Funktionsweisen dieses digitalen Geldes zu einem späteren Zeitpunkt zu verändern.
Sollte die Stabilität des Euroraums in naher Zukunft erneut unter Risiko stehen, könnte sich die Einstellung gegenüber Programmierbarkeit eines Tages ändern. Damit der digitale Euro tatsächlich zum Erfolg wird und einen relevanten Stellenwert erlangt, sind noch sehr viele offene Fragen zu beantworten. Unser aktueller Wissensstand zur Ausgestaltung des digitalen Euros lässt jedoch hoffen.