Deutschland und Österreich: Braucht es ein eigenes Schulfach Wirtschaft?
Als in Deutschland im Zuge der PISA-Debatte Memoranden über die Alltagstauglichkeit schulischen Wissens, der Sozialpartner und des Deutschen Aktieninstituts (1998–2000) erschienen, entflammte eine bis heute anhaltende Diskussion über die „korrekte“ Institutionalisierung ökonomischer Bildung im allgemein bildenden Schulsystem, speziell in der Sekundarstufe I. Seit dieser Initialzündung kristallisierten sich zwei Lager heraus, die jeweils gegensätzliche Ansätze bezüglich der Umsetzung vertreten und zum Teil auch politisch agieren.
Ein trojanisches Wirtschaftspferd?
Auf der einen Seite besteht eine Koalition aus Vertreter:innen der Wirtschaftsdidaktik, Arbeitgeberverbänden, bestimmten Lehrerverbänden sowie Stiftungen und Finanzdienstleistern, die für einen Ausbau schulischer ökonomischer Bildung plädiert, welche durch das Etablieren eines eigenen Fachs und entsprechenden Lehramtsstudiums systematisch umgesetzt werden könnte. Bisher erzielte diese Gruppe einige Erfolge zur Stärkung ihrer Bildungsanliegen, jedoch stellten Wirtschaftsdidaktiker:innen in einer 2021 großangelegten OeBiX-Studie fest, dass die ökonomische Bildung in allen Bundesländern immer noch nicht den Anforderungen eines Nebenfachs entspricht und die Wirtschaftsbildung in Schulen nur marginal verankert ist.
Neben der rekurrierenden These dieser Gruppierung, dass die Wirtschaftsbildung in Deutschland schon seit 1960 „das Nebenfach unter den Nebenfächern“ sei, kritisiert sie oftmals die einseitig präsentierten Darstellungen von Wirtschaftsphänomenen in Lehrplänen und Schulbüchern, wo der Markt vor allem als Problemverursacher, der Staat jedoch als Problemlöser dargestellt werde. Die Ökonomik werde oft aufgrund fehlenden Wissens oder eines „antikapitalistischen-bildungsbürgerlichen Habitus“ in Medien als moralisch verwerflich stilisiert, um genuine Bemühungen zur ökonomischen Bildung als neoliberal und einseitig auf Kosten-Nutzen-Kalkulationen und Effizienz fokussiert, abzuwerten.
Auf der anderen Seite besteht ein Zusammenschluss aus Vertreter:innen der Didaktik der Sozialwissenschaften und der Politikdidaktik, mehrerer Gewerkschaften sowie Verbänden der politischen und sozioökonomischen Bildung. Diese Gruppierung vertrat im Diskurs bisher, dass ein Separatfach Wirtschaft den Lernbereich des Ökonomischen aus seiner gesellschaftlichen Kontextualisierung lösen würde, um damit eine verkürzte Modelllehre der VWL neoklassischer Spielweise (Homo Oeconomicus, Marktfundamentalismus, Wirtschaft als Naturgesetz etc.) per Abbilddidaktik in Lehrpläne eines eigenen Fachs zu übersetzen. Weiters seien bisherige Bemühungen zur Förderung solch eines Fachs oftmals getragen von einem breit gefächerten „Lobbynetzwerk“ arbeitgebernaher Stiftungen mit primär kommerziellen Eigeninteressen.
Diese Gruppierung plädiert daher für das Festhalten an dem, in den meisten deutschen Bundesländern existenten sozialwissenschaftlichen Integrationsfach, das entweder aus einer holistischen Perspektive wirtschaftliche, politische und soziologische Inhalte von Grund auf überschneidend und multiperspektivisch unterrichtet (z.B. Gemeinschaftskunde) oder Kombinationsfächern wie Politik-Wirtschaft. Im Zentrum steht folglich die sozioökonomische Bildung mit stärkerem Fokus auf die soziale Konstruiertheit des Wirtschaftsgeschehens, arbeitnehmerorientierter und partizipativer Möglichkeiten zukünftiger Erwerbstätiger und die Ablehnung einer ökonomistischen Bildung, die Ökonomie für ein Separatfach durch den Fokus auf Finanz- und Unternehmerbildung ideologisch verkürze.
Beide Gruppierungen haben in einer Vielzahl von Stellungnahmen, Fachartikeln und Bündnisgründungen bisher versucht, auf politische Stakeholder Einfluss zu nehmen, die sich entweder für ein Separatfach oder die Erhaltung des Integrationsfachs starkgemacht hatten. Dadurch kam es des Öfteren zu öffentlichen Auseinandersetzungen zwischen beiden Lagern, wodurch Deutungskämpfe um die politischen Entwicklungen ausbrachen, vor allem in den Implementationsphasen neuer Schulfächer.
Als 2016 in Baden-Württemberg ein Separatfach Wirtschaft eingeführt wurde, befürchtete die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, dass dieses Fach „über die Wirtschaft ein Fach der Wirtschaft“ und damit ein „trojanisches Pferd einer Indoktrinationskampagne“ darstellen könnte. Ein Arbeitgeberverband hingegen war über den „politisch neutralen“ Lehrplan sehr erfreut, an dem trotz einer „breit angelegten Kampagne der Gewerkschaften“ festgehalten wurde. Wirtschaftsdidaktiker:innen begrüßten den „mutigen Schritt“ der damaligen Grün-Roten-Landesregierung, das (bis heute) erste und einzige Separatfach in Deutschland einzuführen. In der Zeit konnte man 2014 nachlesen, dass damit auch die SPD sich der „Unangemessenheit des Rangs“ ökonomischen Wissens in der Gesellschaft angenommen und nicht mehr „der Kampfansage an den ökonomischen Analphabetismus verweigert“ hatte. Eine Forschergruppe um Prof. Günther Seeber konnte das Fach fünf Jahre lang wissenschaftlich begleiten, resümierte insgesamt positive Effekte eines eigenständigen Fachs Wirtschaft bei der Entwicklung ökonomischer Kompetenzen und stellte keine signifikanten Tendenzen hinsichtlich einer möglichen wirtschaftsliberalen Indoktrination der Schülerinnen und Schüler fest. Diese Ergebnisse wurden 2022 wiederum hitzig zwischen einem Befürworter des Integrationsfachs (Prof. Reinhold Hedtke) und Separatfachs (Prof. Günther Seeber) debattiert.
Deutsch-österreichische Parallelen
In Österreich setzten Auseinandersetzungen dieser Art zwar erst um 2012 ein, „wurden aber bisher mit ähnlicher Heftigkeit wie in Deutschland geführt“, so der prominenteste universitäre Vertreter der sozioökonomischen Bildung, Prof. Christian Fridrich. Statt Disputen zwischen Didaktiker:innen der Sozialwissenschaft und der Wirtschaft kursieren die österreichischen Auseinandersetzungen um die Pole Geografie und Wirtschaftskunde. Während, nach Fridrich, die „Fachdidaktik von Geografie und wirtschaftlicher Bildung sowie die Lehrkräfte an den Schulen sich eindeutig für die Beibehaltung des Integrationsfachs aussprechen“, haben „Proponenten der ökonomistischen Bildung durch Mobilisierung von Medien und Wirtschaftslobby“ den Diskurs auf die Notwendigkeit eines Separatfachs Wirtschaft und der Stärkung von Finanzbildung verschoben. Dadurch wäre einerseits die im Zentrum von Geografie und Wirtschaftskunde stehende sozioökonomische Bildung vernachlässigt und andererseits die sachliche Ebene teils verlassen worden. Entsprechend hatte Fridrich 2020 in seinem Artikel im Standard seine Skepsis bereits resümiert, dass es kein Unterrichtsfach Wirtschaft brauche.
Prof. Bettina Fuhrmann von der Wirtschaftsuniversität Wien schrieb daraufhin eine Replik, warum ein Unterrichtsfach Wirtschaft doch wichtig sei, in der sie Fridrichs Kritik konterkarierte und die Separatfachforderungen verteidigte. Fuhrmann betonte, dass die lebensweltliche Wirtschaft ohne Wissen über ökonomische Modelle gar nicht erst fachlich kompetent verstanden werden könne: „[…] vernetztes Denken ist selbstverständlich wichtig, aber zuerst muss man das lernen, was es dann zu vernetzen gilt.“
Zusätzlich würden Kritiker, wie Fridrich, Konzepte zur Finanzbildung ideologisch verkürzt darstellen, wobei sowohl Entwürfe von Fuhrmann als auch anderer Separatfachbefürworter:innen aus dem deutschen Diskurs mehr beinhalten als nur das Vermitteln von Wissen. Es gehe auch um ein „tiefgehendes Verständnis und viele Fähigkeiten und Verhaltensweisen, bei denen es vor allem um das Planen, das sorgfältige Haushalten, das Einholen und Auswerten von Informationen, das Einschätzen von Chancen und Risiken und das verantwortungsvolle Entscheiden und Reflektieren über diese Entscheidungen“, so Fuhrmann in ihrem Plädoyer für mehr Finanzbildung.
Somit verlief diese öffentliche Auseinandersetzung in Österreich deckungsgleich entlang der institutionellen und ideologischen Pole der deutschen Debatte. Während hierzulande gerade die Stiftung für Wirtschaftsbildung ein erstes Pilotprojekt zu einem Separatfach Wirtschaft umsetzt, ist der Diskurs über die Notwendigkeit der Trennung von Geografie und Wirtschaftskunde eine zunehmende und rekurrierende fachwissenschaftliche und -politische, sowie öffentlich-mediale Begleiterscheinung solcher Initiativen. Um die Brisanz und Polemik vergangener deutscher Episoden zu vermeiden, sollten politische Entscheidungsträger:innen mit Vertreter:innen beider Lager auf gleicher Höhe kommunizieren, um bestehende Strukturen und Expertisen zu nutzen und transparent weiterzuentwickeln. Dabei sollte weder die bisherige Wirtschaftsbildung als veraltet verteufelt noch neue Ansätze und Reformen pauschal auf den Neoliberalismus verengt werden.
MAXIMILIAN HUSNY ist Doktorand an der Technischen Universität in Dresden an der Professur für Allgemeine Erziehungswissenschaft. Seine Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind ökonomische und politische Bildung mit dem Fokus einer bildungswissenschaftlichen Analyse der Frage, ob es ein Separatfach Wirtschaft benötige und warum (nicht).