Die 10 großen geopolitischen Trends 2024
Die globale Geopolitik durchlebt gegenwärtig eine kritische Phase, in der die Zahl militärischer Konflikte das höchste Niveau seit dem Ende des Kalten Krieges erreicht hat. Diese Eskalation wirkt sich weltweit aus und beeinflusst die internationalen Beziehungen auf allen Kontinenten durch den Anstieg bedeutender Krisenherde.
Zwei wesentliche Konflikte – der von Russland gegen die Ukraine geführte Krieg und der anhaltende Konflikt zwischen Israel und der Hamas im Nahen Osten – sowie die Krise im Roten Meer prägen weiterhin das aktuelle Geschehen. Das vergangene Jahr markierte auch eine tragische Episode ethnischer Säuberung in Bergkarabach, wobei nahezu 120.000 Armenier aufgrund von Militäraktionen Aserbaidschans die ethnisch armenische Enklave verlassen haben. Eine mögliche Entspannung der Beziehungen, die Aussicht auf einen dauerhaften Frieden zwischen Armenien und Aserbaidschan in diesem Jahr bietet, könnte eine außergewöhnlich positive Entwicklung in der Geopolitik darstellen und sich vorteilhaft auf die globalen, fragmentierten Handelswege auswirken. Das betrifft insbesondere den internationalen Nord-Süd-Transportkorridor, der über den Iran und Zentralasien nach Russland verläuft.
Das andere geoökonomische Projekt, der Korridor Indien – Mittlerer Osten – Europa, wurde wiederum aufgrund der militärischen Spannungen in der Golfregion nach dem Konfliktausbruch zwischen Israel und der Hamas und der Störung des globalen Engpasses Bab al Mandeb in der andauernden Krise im Roten Meer vorübergehend ausgesetzt. Somit hat Europa mit viel mehr geopolitischen und geoökonomischen Herausforderungen in diesem Jahr zu kämpfen als noch vor einem Jahr. Ein Überblick über die vielen Geopolitik-Entwicklungen, die der Kontinent im Wahljahr 2024 navigieren muss.
1. Optimistische Grundannahmen
Die neue Ära des Kalten Krieges wird aufgrund der tiefgreifenden Verflechtungen des heutigen globalen Systems noch unberechenbarer, instabiler und volatiler sein als ihre historischen Vorgänger. Trotz dieser Unsicherheiten gibt es für das Jahr 2024 einige optimistische Prognosen gleich vorab:
- Die Wahrscheinlichkeit eines dritten Weltkriegs oder direkter militärischer Konfrontation zwischen den USA, China und Russland bleibt relativ niedrig, selbst unter einer republikanischen Präsidentschaft.
- Es besteht ein geringes Risiko eines militärischen Angriffs Chinas auf Taiwan, außer im Falle eines „Black-Swan-Ereignisses“ – eines unvorhersehbaren und sehr seltenen Ereignisses mit weitreichenden Folgen.
- Trotz der anhaltenden Gefahr bleibt die tatsächliche Anwendung von Atomwaffen durch Russland gegen die Ukraine nach wie vor sehr gering.
2. Droht ein Comeback der Atomwaffen?
Im Schatten des sich abzeichnenden neuen Kalten Kriegs bleibt die Drohung des Einsatzes von Atomwaffen zwar präsent, erscheint aber als ein unwahrscheinliches Szenario. Dies beruht auf der gegenseitigen Anerkennung der katastrophalen Folgen, die ein solcher Einsatz mit sich bringen würde, entsprechend der Doktrin der gegenseitigen zugesicherten Zerstörung. Jedoch darf das nicht mit einem erhöhten Sicherheitsgefühl durch den Besitz der Kernwaffe verwechselt werden – im Gegenteil. Das gegenwärtige geopolitische Klima würde zu einer Intensivierung der Entwicklung und Aufrüstung von Atomwaffen führen und ein Wiederaufleben des nuklearen Wettrüstens signalisieren, das an die Mitte des 20. Jahrhunderts erinnert, jedoch in einem deutlich größeren Maßstab und Umfang.
Dieser Trend ist gekennzeichnet durch fortschrittliche technologische Innovationen im Bereich Kernwaffen, die Aufstockung der Bestände und die Modernisierung der Arsenale. Es ist zu beobachten, dass Länder wie der Iran sich der Schwelle zum Erwerb von Kernwaffen nähern. Diese Eskalation reflektiert eine strategische Haltung der Großmächte, um ihre Abschreckungskapazitäten zu stärken und das Gleichgewicht der Kräfte zu wahren. Dadurch, dass die Verbreitung von Kernwaffen das Risiko von Fehleinschätzungen und unbeabsichtigten Einsätzen erhöht, wird den internationalen Beziehungen eine weitere Ebene komplexer Spannungen hinzugefügt.
3. Chinas Strategie: „Death by a thousand cuts“
Chinas Vorgehen gegenüber Taiwan, einem kritischen und sensiblen Punkt in der aktuellen Geopolitik, zeichnet sich eher durch eine Strategie der schrittweisen Erosion als durch das Bestreben nach einer umfassenden militärischen Invasion aus. Obwohl die Möglichkeit eines solchen Angriffs nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, wird er angesichts der weitreichenden internationalen Konsequenzen, die er nach sich ziehen würde, nicht als das wahrscheinlichste Szenario angesehen.
Stattdessen verfolgt China einen mehrdimensionalen Ansatz, der militärischen Druck, politische Infiltration und sozioökonomischen Zwang miteinander verbindet. Diese methodische Strategie zielt darauf ab, den Widerstand Taiwans schrittweise zu untergraben und Pekings Einfluss auf die Insel sukzessive zu verstärken. Militärische Manöver in der Taiwanstraße und im Südchinesischen Meer dienen als Machtdemonstration, während politische Taktiken darauf ausgerichtet sind, die öffentliche Meinung zu beeinflussen und die interne Unterstützung für die Unabhängigkeit zu unterminieren – besonders nach der Wahl des ehemaligen DPP-Vizepräsidenten Lai Ching-te.
Wirtschaftliche Maßnahmen, insbesondere Handelsbeschränkungen, dienen dazu, finanziellen Druck aufzubauen. Dieser differenzierte Ansatz spiegelt Chinas langfristige strategische Herangehensweise an Taiwan wider, bei der das Ziel der Wiedervereinigung mit der Notwendigkeit abgewogen wird, die Risiken eines direkten Konflikts und internationaler Verurteilung zu minimieren.
4. Nordkorea und die Indo-Pazifik-Front
Es besteht die Möglichkeit, dass China und Russland eine dritte geopolitische Front im indopazifischen Raum eröffnen, um den Einfluss und die Glaubwürdigkeit der USA herauszufordern – strategisch besonders günstig im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen in den USA, die Ende 2024 stattfinden.
Es wird erwartet, dass Russland seine Lieferungen von Raketen- und Satellitentechnologie an Nordkorea fortsetzt und im Gegenzug von Nordkorea Munition für den Krieg in der Ukraine erhält. Währenddessen verschärft China die militärischen Spannungen im Süd- und Ostchinesischen Meer, was die geopolitische Lage weiter kompliziert. Russland wird seine Beziehungen zu Nordkorea intensivieren, indem es die militärischen und politischen Beziehungen vertieft. Dadurch wird Kim Jong-un voraussichtlich mehr Probleme für die internationale Gemeinschaft bereiten: durch vermehrte Raketentests, Satellitentransfers und eine allgemein konfrontative Rhetorik.
Die durch China ausgelösten Spannungen im Südchinesischen Meer werden sich weiterhin verschärfen, allerdings unterhalb der Schwelle eines konventionellen Kriegs bleiben. Dieser komplexe Hintergrund deutet auf ein Szenario hin, das wiederum an den Kalten Krieg erinnert, in dem die USA, China und Russland involviert sind, wobei das Risiko einer direkten militärischen Konfrontation als gering einzuschätzen ist. Die politische Ökonomie, die technologische Landschaft sowie die Entwicklung globaler Normen, Regeln und Standards werden sich erheblich durch den geopolitischen Kontext verändern und die globalen Partnerschaften und Allianzen im Jahr 2024 weiter umgestalten.
5. Russlands Zermürbungskrieg
Inmitten des russischen Präsidentschaftswahlkampfs im Frühjahr steht Russland vor großen innenpolitischen Herausforderungen, die in den kommenden Jahren zu bedeutenden politischen Veränderungen führen könnten – auch wenn die Festigung der Position Putins als russischer Präsident durch seine Wiederwahl ein irreführendes Bild der Stabilität nach innen verraten mag. 2024 zeigen sich keine unmittelbaren Anzeichen für eine Beendigung des Kriegs zwischen Russland und der Ukraine, der absehbare noch längere Zeit andauern wird.
Der westliche Druck für diplomatische Verhandlungen wird sich aufbauen, und es wäre nicht überraschend, wenn im Herbst erste Gespräche stattfinden – immerhin dürfte die Europäische Union gelähmt sein, während nach der EU-Wahl an einer neuen Zusammensetzung ihrer Institutionen gearbeitet wird. Die Ukraine könnte also keine andere Wahl haben, als zumindest den Anschein von Gesprächen mit Moskau zu suchen. Moskau wird allerdings nicht von seinem langfristigen Ziel absehen, das Land komplett zu unterwerfen. Zudem bleibt die Möglichkeit einer territorialen Teilung der Ukraine eine beunruhigende Option, verstärkt noch durch das Fehlen eines einheitlichen strategischen Konsens unter den westlichen Nationen, insbesondere hinsichtlich der Wiederherstellung der international anerkannten Grenzen der Ukraine von 1991.
Die verzögerte Bereitstellung von Militärhilfe und das Fehlen einer strategischen Vision seitens der EU-Staaten erschweren nicht nur die militärische Situation, sondern tragen auch zur Unsicherheit über die zukünftige territoriale Integrität der Ukraine bei. In der Ukraine stellen die anhaltenden Bemühungen Russlands nach vollständiger Kontrolle eine fortwährende Bedrohung für die regionale Stabilität Europas dar. Sollte der Westen seine militärische und finanzielle Unterstützung für Kiew reduzieren, könnte dies im kommenden Jahr zu einer weiteren territorialen Expansion Moskaus führen.
6. Ein neuer Eiserner Vorhang in Europa
Während sich die Welt mit den eskalierenden Spannungen des neuen Kalten Krieges auseinandersetzt, scheint sich ein neuer Eiserner Vorhang entlang der Ostflanke der NATO und der westlichen Flanke Russlands zu bilden. Diese geopolitische Spaltung wird sich voraussichtlich von der Arktisregion bis zu den strategischen Gewässern der Barentssee, des Schwarzen Meeres und des östlichen Mittelmeers erstrecken und eine riesige Region umfassen, die Skandinavien, die baltischen Staaten, Mittel- und Osteuropa sowie die Türkei einschließt, und somit ein geteiltes Europa schaffen – ähnlich wie während des ursprünglichen Kalten Krieges.
Diese bedeutende Entwicklung in der globalen Sicherheitsarchitektur fällt mit einem bedeutenden Ereignis zusammen – dem 75. Jahrestag des Bestehens der NATO, die in Washington mit strategischen Herausforderungen konfrontiert sein wird. Dieses symbolische Zusammentreffen wird die sich verändernde geopolitische Landschaft und die erneute Bedeutung der NATO bei der Bekämpfung neu auftretender Bedrohungen und der Stärkung der Sicherheit entlang ihrer nördlichen und östlichen Grenzen unterstreichen. Die Bildung dieses neuen Eisernen Vorhangs symbolisiert mehr als eine physische Abgrenzung: Sie steht für eine sich vertiefende ideologische und strategische Kluft zwischen dem Bündnis und seinen Gegnern und markiert einen tiefgreifenden Wandel in der geopolitischen Ordnung des 21. Jahrhunderts.
7. Zweistaatenlösung in Sicht
Der Konflikt zwischen Israel und der Hamas – ein langwieriges Geopolitik-Thema mit gravierenden humanitären Konsequenzen für die zwei Millionen palästinensischen Einwohner und dramatischen Spillover-Effekten für die gesamte Region – könnte 2024 eine erste Verschnaufpause erleben. Obwohl die Wahrscheinlichkeit einer Eskalation zu einem größeren regionalen Krieg derzeit als eher gering eingeschätzt wird, bleibt die Situation instabil, wobei eine mögliche Deeskalation erst im kommenden Frühjahr oder Sommer erwartet wird, unter dem Druck der USA sowie China und Russland.
Die Hoffnung auf eine Zweistaatenlösung für den israelisch-palästinensischen Konflikt bleibt ein zentrales Thema im internationalen Diskurs, trotz der damit verbundenen Komplexität und erheblichen humanitären Herausforderungen. Die regionale Dynamik wird zusätzlich durch die Auswirkungen anderer Konflikte im Nahen Osten erschwert. Vor allem die vom Iran unterstützten Huthi-Angriffe auf die Handelsschifffahrt in der Straße von Bab-al-Mandeb haben erhebliche Auswirkungen auf den Welthandel und führten zur Umleitung des Schiffsverkehrs um das Kap der Guten Hoffnung in Südafrika, einem wichtigen BRICS-Partner. Diese Vorfälle verdeutlichen die breiteren Spannungen im Nahen Osten und illustrieren das komplexe Netzwerk kaskadenartiger geopolitischer Auswirkungen.
Obwohl ein Ende dieser Auseinandersetzungen noch in weiter Ferne zu liegen scheint, zeichnen sich erste Anzeichen für diplomatische Verhandlungen und Gespräche über einen Waffenstillstand ab. Wachsender internationaler Druck, besonders vonseiten arabischer Länder mit Unterstützung Chinas und Russlands, befürwortet eine Zweistaatenlösung im Nahen Osten, die jedoch aufgrund der bereits bestehenden verheerenden humanitären Konsequenzen eine immense Herausforderung ist. Selbst im Falle einer diplomatischen Lösung, die darauf abzielt, bleibt die katastrophale humanitäre Situation im Gazastreifen bestehen, wodurch die Palästinenser in den kommenden Jahren vor der immensen Herausforderung des Wiederaufbaus stehen.
8. Superzyklus der Wahlen im Jahr 2024
2024 dürfte als Meilenstein der Weltpolitik in die Geschichte eingehen – gekennzeichnet durch einen sogenannten Wahl-Superzyklus, in dem in über 70 Ländern mit insgesamt mehr als 4 Milliarden Einwohnern Wahlen stattfinden werden. Zu diesen gehören Wahlen in einigen der bevölkerungsreichsten Länder der Welt wie Indien, Pakistan und den USA, sowie in Russland und verschiedenen europäischen Ländern. Diese Phase ist gekennzeichnet durch eine beispiellose Anzahl von Wahlen weltweit, begleitet von einem markanten Anstieg des Populismus über das gesamte politische Spektrum hinweg, von links bis rechts.
Dieser Anstieg des Populismus reflektiert eine zunehmende Enttäuschung über die traditionellen politischen Institutionen und eine Hinwendung zu extremeren, oft nationalistischen Ideologien. Diese politische Veränderung wird zweifellos zu bedeutenden Umwälzungen in der globalen Ordnungspolitik und den internationalen Beziehungen führen. Die Ausgänge dieser Wahlen werden die Politik und Bündnisse wahrscheinlich grundlegend neugestalten, wobei politische Führer zunehmend protektionistische und isolationistische Ziele verfolgen könnten. Dieser Trend wiederum könnte eine größere Unvorhersehbarkeit in der internationalen Diplomatie bewirken, Verschiebungen in der globalen Handels- und Sicherheitspolitik herbeiführen und möglicherweise zu einer Umgestaltung langjähriger Allianzen führen.
9. Indien auf Aufstiegskurs
„Mittelmächte“ oder „Swing States“ werden aufgrund ihrer strategischen Lage, ihrer technologischen Kapazitäten oder ihres Zugangs zu wichtigen Rohstoffen und seltenen Erden an geopolitischer Bedeutung gewinnen. Viele dieser einflussreichen Staaten liegen im globalen Süden, darunter sind aber auch Länder wie Mexiko, Indonesien, Brasilien und die Türkei, die bereit sind, ihre Rolle auf der Weltbühne zu verstärken. Die schwankende geopolitische Ausrichtung der Mittelmächte – die zwischen den USA und China pendeln, ohne sich klar einer Seite zuzuordnen – wird die Kohärenz globaler Organisationen und Netzwerke weiter unterminieren.
In diesem Kontext positioniert sich Indien als potenzieller Hauptgewinner des geopolitischen Szenarios, strategisch zwischen den konkurrierenden Interessen der USA, Chinas und Russlands gelegen. Inmitten der Störungen der globalen Lieferketten und der zunehmenden Abkopplung zwischen den USA und China dürfte Indien zum Hauptziel für umgeleitetes globales Kapital, neue technologische Investitionen und verstärkte globale sowie regionale Partnerschaften werden. Die Berechenbarkeit und Stabilität der politischen Führung Indiens, in Kombination mit dem verstärkten Engagement des Westens und der Teilnahme an Foren wie den BRICS und der G20, werden die Position des Landes weiter stärken. Nach den Wahlen wird Indiens Fokus auf innenpolitische und regionale Stabilität wohl weiter zunehmen.
Gleichzeitig könnte Indien im kommenden Jahr Risiken durch Terrorismus und klimabedingte Ereignisse ausgesetzt sein. Die Beziehungen zwischen den großen asiatischen Mächten, insbesondere China und Indien, werden an geopolitischer und geoökonomischer Bedeutung gewinnen. Aber auch wenn es im Jahr 2024 zu Spannungen kommen kann, dürften beide Nationen bestrebt sein, ihre Beziehungen so zu gestalten, dass regionale Stabilität gewährleistet ist.
10. Europa – die geopolitische Welt von gestern
Im Gegensatz dazu ist Europa eines der Hauptopfer des aktuellen Wandels in den internationalen Beziehungen, der hauptsächlich durch eine Zweiteilung des globalen Systems charakterisiert ist. 2022 markierte den Beginn einer turbulenten Periode für Europa – ein Trend, der sich 2024 aufgrund demografischer, struktureller und systemischer Herausforderungen weiter verschärfen wird.
Zusätzlich wird Europa im Zuge des Wahlzyklus 2024 eine verstärkte politische Polarisierung erleben, was zu einem Anstieg sowohl des Rechts- als auch des Linkspopulismus und zu erheblichen Umstrukturierungen innerhalb der europäischen Institutionen führen könnte. Diese Entwicklungen signalisieren das mögliche Ende der Ära traditioneller und zentristischer Parteien, die einst die Mittelschicht weitgehend repräsentierten. Diese politischen Umwälzungen werden begleitet von einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation Europas, bedingt durch die sich zuspitzende Sicherheitslage und die komplizierten Beziehungen zu China. Dieser strukturelle Niedergang Europas wird sich besonders bemerkbar machen und geht einher mit der Entstehung des neuen „Eisernen Vorhangs“.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Wechselspiel zwischen den USA und dem Drachenbär-Bündnis, der strategischen Koordination zwischen China und Russland, maßgeblich die globalen und regionalen Spannungen sowie Neuausrichtungen bestimmen wird, während die Welt sich durch diese komplexe und sich entwickelnde geopolitische Landschaft bewegt. Das Paradigma eines neuen Kalten Kriegs fasst präzise die Essenz der aktuellen internationalen Beziehungen zusammen, die von strategischem Wettbewerb, regionalen Konflikten, geoökonomischer und technologischer Bipolarität sowie dem drohenden Schreckgespenst einer militärischen Eskalation gekennzeichnet sind. Wie diese Spannungen gelöst werden – oder nicht – wird zweifellos die geopolitischen Konturen des 21. Jahrhunderts nachhaltig prägen.
In dieser fragmentierten globalen Landschaft ist es für das weltweite System von entscheidender Bedeutung, einen ausgewogenen Ansatz in den internationalen Beziehungen zu verfolgen. Dieser Ansatz sollte durch eine Koalition von Mittelmächten und aufstrebenden geopolitischen Akteuren wie Indien unterstützt werden. Sollte dies nicht gelingen, könnte es zu tief gespaltenen Gesellschaften, einer polarisierten Geopolitik sowie zu fragmentierten Wirtschafts- und Handelsbeziehungen kommen.
In Anlehnung an Lenins Aussage, dass „es Jahrzehnte gibt, in denen nichts geschieht, und Wochen, in denen Jahrzehnte geschehen“, findet diese Beobachtung heute eine tiefe Resonanz. Das Jahr 2024 wird eine Zeit bedeutender geopolitischen Umwälzungen markieren, die von weiteren umfassenden Veränderungen sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene geprägt sein werden.
VELINA TCHAKAROVA ist Gründerin des Forschungs- und Beratungsunternehmens FACE (For A Conscious Experience e.U.) und Visiting Fellow an der Observer Research Foundation in Indien. Als geopolitische Expertin gibt sie ihre Einschätzung zu Entwicklungen der internationalen Beziehungen ab.