Grundlagenforschung: Das beste Investment der Welt
Investitionen in erfolgreiche Grundlagenforschung ermöglichen sagenhaft hohe Renditen – ganze Wirtschaftszweige können dadurch entstehen. Vorhersagbar ist das prinzipiell nicht.
Verrückte Dinge geschahen in Michael Faradays Labor: Anfang des 19. Jahrhunderts ließ der englische Naturforscher elektrischen Strom fließen, lenkte damit Kompassnadeln ab und bastelte mithilfe eines Magneten den ersten Vorläufer eines Elektromotors. Man verstand diese seltsamen elektromagnetischen Effekte damals noch nicht so recht, sie galten als exotische Kuriositäten.
Der britische Premierminister höchstpersönlich soll Faraday gefragt haben, wozu man das denn jemals brauchen könnte. „Eines Tages werden Sie Steuern darauf einheben!“, soll Faraday geantwortet haben.
Grundlagenforschung ist oft nutzlos
Ob dieses Gespräch tatsächlich so stattfand, oder ob das Zitat nachträglich erfunden wurde, ist schwer zu sagen. Aber der Kern der Geschichte ist zweifellos wahr: Oft ist der Nutzen einer neuen Technologie anfangs noch völlig unabsehbar. Genau in dieser Phase braucht es mutige Menschen, die zuversichtlich behaupten, dass daraus irgendwann etwas ganz Großartiges wird. Ohne diesen kühnen Optimismus gibt es keinen wissenschaftlich-technologischen Fortschritt.
Das Problem daran ist nur: Die meisten wissenschaftlichen Arbeiten lassen sich mit Faradays Experimenten nicht vergleichen. Denn Wissenschaft ist sehr teuer – und ziemlich nutzlos.
Es wäre einfach, die Sache mit blumigen Worten schönzureden, aber die bittere Wahrheit ist: Die überwiegende Mehrheit wissenschaftlicher Arbeiten ist für das Wohl der Menschheit völlig egal. Unzählige Forschungsarbeiten werden publiziert, ohne den weiteren Verlauf der Wissenschaft auf irgendeine spürbare Weise zu beeinflussen. Unüberschaubare Datenmengen belegen Platz in Bücherregalen und auf Festplatten, ohne jemals irgendeinen Nutzen zu generieren – von Steuereinnahmen ganz zu schweigen.
Ist akademische Forschung dann nicht eine völlig verantwortungslose Verschwendung von Steuergeld? Wenn nur ein kleiner Teil der Forschung tatsächlich konkreten Nutzen bringt – wie kommen wir dann dazu, den großen Rest mitzufinanzieren? Können wir nicht sorgfältig prüfen, welche Forschung Erfolg verspricht und welche nicht, und dann Forschungsgeld mit maximaler Rendite investieren?
Erfolg ist nicht vorhersehbar
Das wird selbstverständlich versucht – und in der anwendungsnahen Forschung funktioniert das oft auch recht gut. Aber in der Grundlagenforschung ist das prinzipiell unmöglich. Niemand kann genau sagen, in welche Richtung man forschen muss. Niemand kann sagen, wo ein vielversprechender Durchbruch und wo eine unvermeidliche Niederlage wartet. Ideen, die unsere Welt revolutionieren, und Ideen, die einfach als wissenschaftshistorische Fußnote versickern, können am Anfang in exakt gleichem Maß vielversprechend ausgesehen haben.
Der britische Mathematiker G.H. Hardy betrachtete die Nutzlosigkeit seiner Forschung sogar als Vorteil. Er war überzeugter Pazifist und wollte ganz bewusst ein Forschungsgebiet wählen, das nur der puren geistigen Schönheit dient und keine praktische Anwendung verspricht – schon gar nicht eine, die sich militärisch nutzen ließe.
So widmete er sich der Zahlentheorie. Und genau diese Theorie wurde dann zur Grundlage der militärischen Kryptographie. Selbst für einen genialen Forscher wie Hardy war also völlig unvorhersehbar, welche Ideen der Grundlagenforschung auf welche Weise ihren Weg in die Anwendung finden würden.
Fast alles Nützliche beruht auf Grundlagenforschung
Man muss die Sache daher umgekehrt betrachten: Es geht nicht um die Frage, welche Ideen aus der Grundlagenforschung unsere Gesellschaft besser machen – es geht um die Erkenntnis, dass alles, was unsere Gesellschaft besser macht, auf Grundlagenforschung beruht.
Elektrizität, die uns die Nacht erleuchtet, unser Warmwasser erhitzt und unsere Straßenbahnen antreibt – ein Produkt der Grundlagenforschung. Die moderne Medizin, die vormals todbringende Krankheiten heute mit Leichtigkeit besiegt – ein Produkt der Grundlagenforschung. Die moderne Computertechnologie, die vom Waschmaschinenprogramm bis zur Supercomputer-Rechensimulation heute unseren Alltag bestimmt – ein Produkt der Grundlagenforschung.
Nichts davon hätten wir, wenn nicht viele kluge Leute Ideen verfolgt hätten, die sich als extrem erfolgreich herausgestellt haben. Und das, obwohl sie sich aus damaliger Sicht genauso gut auch als völliger Irrweg entpuppen hätten können.
Wissenschaft ist wie Goldgraben: Die meisten Löcher gräbt man umsonst. In vielen zeigt sich vielleicht ein bisschen Goldstaub, der gerade eben mal zum Weitermachen animiert. Aber manchmal, ganz selten, stößt man eben auch auf eine mächtige Goldader und wird reich. Und niemand kann ganz genau vorhersagen, wo und wann das geschehen wird. Fest steht nur: Wenn man nicht gräbt, wird man nichts finden.
Somit ist wissenschaftliche Grundlagenforschung langfristig wohl das lohnendste Investment überhaupt: Langfristiges wirtschaftliches Wachstum, langfristiger Fortschritt und langfristiger Wohlstand sind ohne neue Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung einfach nicht denkbar.
Gleichzeitig ist der Nutzen großer Grundlagenforschungsprojekte oft so unvorhersehbar, dass sich private Investoren kaum auf sie einlassen können. Der Staat hat hier somit eine wichtige Rolle zu spielen – oder auch ein Zusammenschluss vieler Staaten. Der European Research Council ist heute ein wichtiger Fördergeber für Europas Grundlagenforschung, Großprojekte wie das CERN oder der Fusionsreaktor ITER werden von einem Konsortium vieler Staaten finanziert.
Gemeinsam kann man tiefere Löcher bohren – und das ist eine großartige Sache. Selbst dann, wenn man manche von ihnen umsonst bohrt. Irgendwann stößt man ganz sicher auf Gold.
FLORIAN AIGNER ist Physiker, Wissenschaftspublizist und Autor. In seinen Büchern und Texten für Zeitungen und Radio befasst er sich hauptsächlich mit Naturwissenschaft und Technik, aber manchmal auch mit dem Gegenteil davon – nämlich wissenschaftsfeindlicher Esoterik und Verschwörungstheorien. Aigner lebt und arbeitet in Wien.