Klimaveränderungen und Machtprojektion: Die vielen Facetten von Wasserknappheit
In Syrien wird wieder gekämpft. Die Eroberung von Damaskus durch das islamistische Bündnis Haiat Tahrir al-Shram bedeutet nicht schlagartig das Ende des Bürgerkriegs, denn im Norden versuchen bestens ausgerüstete protürkische Milizen den Kurden im wahrsten Sinne des Wortes das Wasser abzugraben. Den Vormarsch der HTS nutzt die Türkei, um ihren in Nordsyrien besetzen Gebietsstreifen schnell zu erweitern. Inzwischen ist ein Wettlauf zwischen den protürkischen Milizen entlang des Assad-Stausees sowie den syrisch-kurdischen YPG-Einheiten der Syrischen Demokratischen Kräfte SDF im Gange. Es geht um die Staudämme und Kraftwerke am Euphrat und die wichtigen Straßenverbindungen zwischen Aleppo, Manbidsch und Ar-Raqqa. Um Manbidsch wird gekämpft. In der Nähe der Stadt liegt die Tischrin-Talsperre.
Türkische Kriegsführung und Kontrolle
Blicken wir zurück: Das Südostanatolienprojekt (GAP) der Türkei sorgt seit Jahrzehnten dafür, dass das Wasser im Zweistromland von Euphrat und Tigris ganz unabhängig von klimatischen Veränderungen weniger wird. Im Zuge des GAP-Projekts entstehen insgesamt 22 große Staudämme und 19 Kraftwerke. Das in den 80er Jahren gestartete Projekt soll der lange vernachlässigten und vor allem von Kurden bewohnten Region mehr Wohlstand bringen. Das permanente Befüllen neuer Stauseen und die Abzweigung von Wasser zur Urbarmachung ausgedehnter neuer Anbauflächen entzieht Euphrat und Tigris große Wassermengen, die an den Unterläufen in Syrien und Irak die Wassernot verschlimmern.
Die Türkei kann das Wasser über die GAP-Staudämme kontrollieren und nützt das politisch aus. Mit der Besetzung eines breiten Streifens an der Grenze zu Syrien hat die Türkei zusätzlich wichtige Brunnen beziehungsweise Pump- und Verteilstationen unter Kontrolle, beispielsweise bei Afrin und Alouk. Der mächtige Ilisu-Stausee ist inzwischen befüllt. Hunderte von Ortschaften und kurdisch-türkisches Kulturerbe versanken in den großen Stauseen, die kurdisches Siedlungsgebiet zerschneiden. Der Cizre-Staudamm an der Grenze zum Irak wiederum dient nur der Bewässerung großer Flächen in der Türkei. Er ist für den Irak eine akute Bedrohung, weil mit ihm das Wasser des Tigris schlagartig abgestellt werden kann.
GAP ist für die Türkei ein Mittel der Kriegsführung gegen die PKK und die syrische YPG sowie zur Kontrolle Syriens und des Irak. GAP dient der Regionalmacht Türkei zur Machtprojektion und um die Kurden aus ihren Gebieten zu vertreiben, weil dort syrische Flüchtlinge aus der Türkei angesiedelt werden sollen. Im Hintergrund geht es stets darum, die Kurden daran zu hindern, eventuell einmal einen eigenen Staat zu gründen.
Knappe 2,5 Prozent
Wasser ist auf der Erde schon immer höchst ungleich verteilt. Das heißt, (Süß-)Wasser steht nicht überall in gleicher Menge zur Verfügung. Wir reden hier über die winzige Menge von 2,5 Prozent des gesamten Wassers auf der Erde. Davon wiederum ist fast alles in den Polkappen in Form von Eis gebunden oder befindet sich ständig in der Atmosphäre. Was noch übrig bleibt, die Flüsse, Seen und das erreichbare Grundwasser sowie das, was als Niederschlag vom Himmel kommt, steht unmittelbar zur Verfügung.
Mehrere Faktoren beeinflussen die verfügbare Wassermenge. Erstens verschärft der Klimawandel die Situation oder schafft neue Probleme. Zweitens gibt es Staaten, die die Situation ausnutzen können, weil sie an den Oberläufen von Flusssystemen liegen und das als Machtmittel gegenüber anderen Staaten nutzen. Drittens sind es menschliche Fehlleistungen, die zunächst einmal nichts mit der Erderwärmung zu tun haben. Dazu gehört das Verschwinden des Aralsees in Zentralasien. Das ist letztlich der Entscheidung in der damaligen Sowjetunion geschuldet, die beiden großen Flüsse, die ihn speisten, für die Baumwollproduktion umzuleiten. Schließlich nimmt die Weltbevölkerung nach wie vor zu. Damit steigt der Bedarf.
Das Aufwärmen der Atmosphäre erhöht die Verdunstung, dadurch befindet sich mehr Wasser in der Atmosphäre, was zu mehr und oft heftigen Niederschlägen führt. Entsprechend kommt es auch zu immer länger anhaltenden Trockenperioden und größerer Hitze. Im Alpenraum kommt es schon jetzt zu Schlammlawinen und Bergrutschen, weil unter anderem der „Klebstoff“ des Dauerfrosts nicht mehr wirkt. Stärkere Regenfälle, die nicht mehr in Schnee übergehen und so die Gletscher aufbauen könnten, fließen sofort ab. Im Frühjahr und Sommer fehlt dann in den Flüssen das Wasser.
Die allseits sichere Verfügbarkeit von Wasser ist selbst in Europa nicht mehr überall gegeben. Spanien erlebte 2022 eine Rekordhitze, in diesem Jahr enorme Regengüsse und Überflutungen und wieder enorme Hitze. Inzwischen müssen viele der unter einem Plastikmeer liegenden riesigen Plantagen in Andalusien, die zumeist illegal Grundwasser abpumpen, aufgeben. Es beginnt ein längst notwendiger Schrumpfungsprozess.
Doch beispielsweise auch die Metropole Barcelona hat zu wenig Trinkwasser. Dort setzt man auf Meerwasserentsalzung. Die größte derartige Anlage in Europa versorgt dort 5,7 Millionen Einwohner. Die ökologischen und wirtschaftlichen Kosten der Meerwasserentsalzung sind allerdings groß.
Faktor China
Die Flüchtlingsströme aus dem Nahen und Mittleren Osten, aus Afrika und anderen Teilen der Welt werden drastisch zunehmen. Wo mehr Wasser nur noch auf Kosten anderer generierbar ist, wird das zu vermehrten Konflikten und möglicherweise Kriegen führen. Der Zusammenhang zwischen Wasser, Ernährung und Energie wird immer deutlicher. In Zukunft werden zusätzlich zur Herstellung von Wasserstoff enorme Mengen an sauberem Wasser benötigt.
In Europa gibt es für praktisch alle großen Gewässer mit mehreren Anrainerstaaten Kommissionen, die gemeinsames Wassermanagement betreiben. Bis auf wenige Ausnahmen fehlen solche Einrichtungen in Südostasien, Afrika oder Südamerika. Das UN-Flussgebietsübereinkommen von 1997 ist ein zahnloser Tiger, solange entscheidende Staaten wie China oder die Türkei es ignorieren.
In der chinesischen Provinz Sichuan wird 80 Prozent der Energie aus Wasserkraft gewonnen. Wirtschaftliche Einbrüche, Fabrikschließungen aus Wasser- und Strommangel, weil Staudämme nicht mehr über genug Wasser verfügen, können soziale Unruhen auslösen. Das fürchtet die Führung in Peking. Um die zunehmend unter Wassermangel leidenden Regionen – wie den Großraum Peking – versorgen zu können, arbeitet China an einem gigantischen Süd-Nord-Wasserumleitungsprojekt. Wasser aus dem Jangtse und dem Brahmaputra wird über tausende Kilometer durch Kanäle und Tunnels und über Brücken in den trockenen Norden und Nordosten geleitet.
Das wiederum kollidiert mit dem ähnlichen Water-Linking-Project in Indien. Hier soll Wasser aus dem Norden des Subkontinents in den Süden gebracht werden. Im Gegensatz zu Indien hat China den Vorteil, dass es in Tibet den Finger auf fast allen großen Flüssen Asiens gelegt hat und ohne Rücksicht auf andere Staaten agieren kann. Große Staudämme werden fast wie am Fließband errichtet. Der Wasserkonflikt zwischen beiden Staaten ist gefährlich und verknüpft sich gleichzeitig mit Pakistan und Bangladesch.
Peking beherrscht auch die Flüsse Südostasiens, allen voran den Mekong, der gleichfalls im Hochland von Tibet entspringt. Die Wasserproblematik der Südostasiaten verknüpft sich zudem mit den territorialen Auseinandersetzungen um Inseln und Felsen im südchinesischen Meer.
Die globale Wassersituation erfordert auf allen Kontinenten größte Aufmerksamkeit. Dazu gehört – auch wegen der starken Bevölkerungszunahme – der afrikanische Kontinent. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz ist das Themenfeld schon seit vielen Jahren ausgeweitet worden, unter Berücksichtigung von Klimawandel, Gesundheit, Landwirtschaft, Migration, Zivilbevölkerung, Energie. Stichworte sind vernetztes Denken und Prävention.
JÜRGEN RAHMIG ist seit 40 Jahren Zeitungsredakteur mit Schwerpunkt Außen- und Sicherheitspolitik sowie Verfasser von Büchern zum politischen Zeitgeschehen. Er berichtet aus Krisengebieten und ist seit 25 Jahren regelmassig auf der Münchner Sicherheitskonferenz zu Gast. In seinem Buch „Der Kampf ums Wasser“ (S. Hirzel Verlag) beleuchtet Jürgen Rahmig die Konflikte rund um die Ressource Wasser im 21. Jahrhundert.