Marxismus im Dienste Moskaus? Die Berichterstattung der deutschsprachigen Linken zum Ukraine-Krieg
Eine aus der Ukraine geflohene Frau besucht einen Wiener Second-Hand-Shop – dieses Ereignis veranlasste Otto Bruckner – stellvertretender Vorsitzender der Kleinstpartei PdA (Partei der Arbeit) – dazu, über jene Ungleichheiten zu berichten, die hier und jenseits der österreichischen Grenze herrschen. In einem Artikel für die Zeitung der Arbeit (ZdA), dem Medium der marxistisch orientierten PdA, verweist er auf die Frau „mit Luxusschlitten und Designerklamotten“, die sich erdreistet, karitative Einrichtungen aufzusuchen, auf deren Existenz doch eigentlich die wirklich bedürftigen Menschen in Österreich angewiesen seien. Es wird kritisch gegenübergestellt – zwischen jenen Ukrainern, die im „maßlosen Reichtum“ leben und auf Österreichs Straßen mit Luxusfahrzeugen auftreten, und jenen, die „arm, obdach- hoffnungs- oder perspektivlos in Schützengräben verbluten“. Jene Linke, die sich schützend vor die ukrainischen „VIP-Flüchtlinge“ stellen, würden der Parteizeitung zufolge wohl nicht gemerkt haben, dass „eine Flüchtlingsfamilie, die im Lager Traiskirchen sitzt, mit diesen Oberschicht-Ukrainern nichts gemeinsam hat“, so Bruckner.
Neben diesem Artikel veröffentlichte die ZdA eine Reihe an Berichten über internationale Politik, die Entwicklungen aus der Ukraine und Russland behandeln. Doch während die Berichte über die Ukraine, in der der ZdA zufolge „Faschisten verehrt“, „Kommunisten in den Untergrund getrieben“ und auf „russischsprachige Personen Jagd gemacht wird“, eher kritisch ausfallen, liest man über den Aggressorstaat Russland wenig – und wenn, dann in Artikeln mit Schlagzeilen wie „Top-Ökonom wird russischer Vereteidigngsminister“, „Russland erhöht Mindestlohn um 18,5 Prozent“ oder „Der Friedenspräsident, der den Krieg brachte“. Wenn die ZdA von einem Krieg bringenden Präsidenten schreibt, meint sie damit übrigens nicht Wladimir Putin, sondern Wolodymyr Selenskyj, unter dessen Regentschaft die Ukraine nicht nur „im Krieg mit Russland sei“, sondern auch „in Trümmern liege“, mehrere hunderttausend Soldaten gestorben oder verletzt seien und „das Weinen nicht aufhöre“ – trotz seines Versprechens, für Frieden zu sorgen. Man könnte vermuten, der Artikel schließt solche Aussagen mit den Worten ab: „Wie kann es Selenskyj nur wagen, sich von Russland überfallen zu lassen?“
Wer an dieser Stelle über die Einseitigkeit und geradezu unverfrorene Täter-Opfer-Umkehr dieser Berichterstattung staunt und diese als Anomalie unter der Weltsicht der Marxisten einordnet, der irrt. Geografisch nördlicher, aber ideologisch ähnlich links positioniert ist auch die in Berlin beheimatete „junge Welt“ (jW). Die Zeitung erschien erstmals 1947 in der sowjetischen Besatzungszone Berlins und versteht sich heute als „linke, marxistisch orientierte Zeitung“, die sich jenen Schwerpunkten widmen will, die aus den „wirtschaftlichen und sozialen Widersprüchen“ des Kapitalismus entstanden sind – also „Krieg und soziale Fragen“. Auf den ersten Blick scheinen die Inhalte dieser Zeitung ebenso wie die der ZdA als kuratierter Lesestoff für jene Teile des antiimperialistischen Spektrums, deren Weltsicht keine großen Änderungen mehr erfahren soll. Ein dafür typisches Element ist das Framing des Kriegs in der Ukraine als Stellvertreterkonflikt zwischen westlichen und östlichen Großmächten, den der Westen aus imperialistischen Motiven mit Waffenlieferungen weiter befeuert. Bei näherem Hinsehen offenbart sich jedoch ein noch weitaus perfideres Vorgehen.
Viele Medien, eine alternative Medienbubble
In einem am 12. Juli 2024 veröffentlichten Artikel beschäftigt sich Reinhard Lauterbach, freier Osteuropakorrespondent der jW, mit einem Gerichtsprozess eines in Prag angeklagten Manns namens Filip Siman, der als Söldner freiwillig für die Streitkräfte der Ukraine gekämpft hatte, ohne um die dafür notwendige Genehmigung des tschechischen Präsidenten angesucht zu haben. Die Geschichte um diesen Prozess wurde im gleichen Zeitraum von mehreren anderen sogenannten Alternativmedien aufgegriffen – so etwa vom Verschwörungsportal Overton Magazin, den vom ehemaligen SPD-Politiker Albrecht Müller gegründeten NachDenkSeiten und dem als Teil des Kreml-Propagandaapparats arbeitenden deutschsprachigen Blog Anti-Spiegel.
Die Aussagen Simans wurden von der jW und anderen Alternativmedien als Hinweise auf die „Vorgänge im ukrainischen Butscha“ gedeutet. Gemeint ist das Massaker von Butscha, bei dem Mitglieder der russischen Streitkräfte im Frühjahr 2022 mehr als 400 Zivilisten ermordeten. Das belegen Untersuchungen der Associated Press, Amnesty International und der New York Times, die diese Verantwortlichkeit u.a. mit umfangreichen Untersuchungen vor Ort, Satellitenbildern und Zeugenaussagen feststellten. Für Reinhard Lauterbach von der jW hingegen „bestehen Zweifel, dass […] abziehende russische Truppen für die Morde verantwortlich gewesen sind“, denn Siman habe ausgesagt, seine zeitweise in Butscha befindliche Einheit sei „Polizei, Gericht und Erschießungskommado in einer Instanz“ gewesen und er habe außerdem „Vergewaltigungen und Morde miterlebt“.
Somit spräche einiges dafür, resümiert Lauterbach, dass diese Taten durch seine eigenen Kameraden aufseiten der Ukrainer begangen wurden. Die acht Monate andauernde und mit dem Pulitzer-Preis prämierte Untersuchung der New York Times über Butscha beeindruckte die jW einstweilen gar nicht, denn im Mai 2023 kommentierte sie zynisch, diese hätte „unerschrocken genau die Ergebnisse gezeigt, die den westlichen Staaten in den Kram passen“. Das Overton Magazin wiederum geht in seinem Artikel sogar noch weiter und spricht davon, dass die Ermordeten von Butscha weiße Armbinden trugen und deshalb wahrscheinlich als prorussische Kollaborateure galten. Damit wird eine bereits längst widerlegte russische Propagandalüge wiederholt, mit der unterstellt werden soll, ukrainische Truppen hätten das Massaker an ihren eigenen Landsleuten begangen. Und die Wiener Zeitung der Arbeit? Diese kommentierte im April 2022, vor der Veröffentlichung seriöser Untersuchungen, das Massaker und resümierte trocken: „Haben wir es hier mit einer Inszenierung des Präsidenten Selenskyj zu tun, um endlich ein Eingreifen der NATO und damit den Dritten Weltkrieg zu erreichen? Möglich wäre es, denn die Argumente der Ukraine stützen sich auf ihre eigenen Videos, vier Tage nach Abzug der Russen.“
Zeitungen aus dem linken Spektrum, rechte Verschwörungsportale, russische Staatspropaganda – diese Medienwelten mögen manchen zunächst als gegensätzlich erscheinen. Doch bei genauem Hinsehen offenbaren sich tiefe Verflechtungen, denn diese Medien verweisen nicht nur regelmäßig aufeinander, sie nutzen auch gemeinsame Autoren und Ansprechpartner. So setzte sich die jW, die übrigens selbst vom deutschen Verfassungsschutz als linksextremes Medium beobachtet wird, für die NachDenkSeiten ein, als diesen 2022 der Status der Gemeinnützigkeit entzogen wurde, da sie keine gemeinnützige Volksbildung bieten würden. Die NachDenkSeiten verweisen überhaupt unkritisch auf nahezu jeden Inhalt, mit dem ihre Redaktion ideologisch einverstanden scheint – von jenen der jW bis hin zu russischen Propagandaquellen wie RIA Novosti und selbst übersetzten und fast völlig unkommentiert veröffentlichten Putin-Reden.
Ein Journalist im Moskauer Exil als Kronzeuge von Links- und Rechtsaußen
Ein weiteres Beispiel: Sowohl jW, Overton Magazin, NachDenkSeiten als auch der österreichische Verschwörungsblog tkp.at setzten in ihrer Berichterstattung über Russland und die Ukraine auf eine Person: Ulrich Heyden, einen in Moskau lebenden deutschen Journalisten, der viele Jahre als Auslandskorrespondent für mehrere renommierte Zeitungen arbeitete – bis diese ihm aufgrund seiner zunehmend kontroversen Positionen die Akkreditierung entzogen. Heyden, ein „Linker aus Grundüberzeugung“, der sich nach eigener Aussage „innerlich so mit Russland verbunden fühlt“, dass er sich nicht vorstellen kann, dass dieser Staat Maßnahmen gegen ihn ergreift, berichtet auch für den russischen Staatssender RT – und darf für die jW beliebige Kreml-Narrative nacherzählen: etwa dass die Verschleppung ukrainischer Kinder aus den russisch besetzten Gebieten eine „unbewiesene“ Behauptung und Teil einer „deutschen Propagandamaschine“ sei – als ergänzende Quelle für die These der „Rettung von Kindern“ durch Russland wird gar ein Zitat der vom Internationalen Strafgerichtshof wegen Kriegsverbrechen per Haftbefehl gesuchten russischen Politikerin Marija Lwowa-Belowa angeführt. 2022 war Heyden als „Wahlbeobachter“ während der Scheinreferenden zur völkerrechtswidrigen Annexion im Osten der Ukraine in Donezk – eine Unternehmung, die nur mit Erlaubnis des dortigen Machthabers Russland möglich gewesen sein kann – und berichtete über eine „extrem hohe Wahlbeteiligung“ und „Bürger, deren Wunsch, sich mit Russland zu vereinigen, so gut wie einhellige Meinung war“. Von der Präsenz bewaffneter Soldaten, die in den besetzten Gebieten von Tür zu Tür gingen, um die Menschen zur Wahl zu drängen, liest man in der jW nichts. Ebenso wenig, dass jene Hunderttausende, die durch den Krieg zur Flucht gezwungen wurden, keine Chance auf Mitspracherecht erhielten.
Linke brauchen jetzt kritische Selbstreflexion
Die europäische und internationale Linke steht am Scheideweg: Wenn sie sich nicht von jenen Elementen ihrer Bewegung trennt, die gemeinsame Sache mit den Feinden von Demokratie und Freiheit macht, lädt sie eine erhebliche Schuld auf sich. Schuld, weil so nicht nur eine Stütze jener feindlichen Akteure stattfindet, sondern auch weil jene Gegenöffentlichkeiten, die etablierte journalistische Forschung als wertlos, da politisch motiviert, darstellen, zur allgemeinen Unbewusstseinsbildung beitragen. Denn wenn selbst extensive und transparente Forschung etablierter Medien, Experten und Menschenrechtsorganisationen als wertlos, da „im Sinne der Machthaber stehend“, verstanden wird, droht uns eine Realität, in der die gemeinsame Basis für den gesellschaftlichen Erkenntnisgewinn nicht mehr vorhanden ist – mit desaströsen Folgen für unser demokratisches System.
Durch ihre dogmatische Grundhaltung und die so aufkeimende Sympathie für jene global agierenden Kräfte, die sich als Kontrahenten der weltanschaulichen Hauptgegner USA, NATO und internationaler Freihandel erweisen, bleibt dies vielen Personen aus dem linken Spektrum offenbar verborgen. Dass diese in ihren Publikationen jedoch mittlerweile die gleichen Inhalte verbreiten wie rechte Verschwörungsportale, sollte das erste Warnzeichen sein. Dass sich Linke als „Antiimperialisten“ plötzlich als Multiplikatoren der Propagandalügen einer klar imperialistisch agierenden Macht wie Putins Russland wiederfinden, das zweite. Wollen diese Linken aber jene Teile der Bevölkerung vertreten, denen moralische Integrität am Herzen liegt, müssen sie sich ihrer ideologischen Befangenheit entledigen.
FLORIAN MARK studierte in Wien Politikwissenschaft und Publizistik und setzt sich gegen die Verbreitung von Propaganda und Desinformationen im Internet ein. Hauptberuflich arbeitet er in der PR-Branche.