Russlands Strategie im Schatten des Terrors
Terrorismus hat in der modernen Geschichte Russlands eine zentrale und tragische Rolle gespielt. Seit dem Ende des Sowjetunion hat sich Russland mit einer Reihe von terroristischen Herausforderungen auseinandergesetzt, die von separatistischen Bewegungen bis hin zu globalen dschihadistischen Netzwerken reichen.
Ein signifikanter Anteil des Terrorismus in Russland ist eng mit den Konflikten in Tschetschenien und im weiteren Nordkaukasus verbunden. Die beiden Tschetschenienkriege in den 1990er und frühen 2000er Jahren und die anhaltende Unruhe in der Region haben eine Brutstätte für Terrorismus und Aufstände gebildet. Tschetschenische Separatisten und später islamistische Gruppen haben zahlreiche Terrorakte in der Region und in ganz Russland verübt, darunter Bombenanschläge, Geiselnahmen und Attentate.
Zu den bemerkenswertesten und verheerendsten Terrorakten gehören die Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater 2002 und die Besetzung einer Schule in Beslan 2004. Beide Ereignisse endeten in blutigen Befreiungsaktionen und hinterließen eine tiefe Narbe in der russischen Gesellschaft. Diese und ähnliche Angriffe haben nicht nur die Sicherheitspolitik Russlands beeinflusst, sondern auch das Bewusstsein und die Haltung der Bevölkerung gegenüber der Bedrohung durch den Terrorismus geprägt.
Die politische Instrumentalisierung des Terrors
Die Ernennung Wladimir Putins zum Premierminister durch Präsident Boris Jelzin im August 1999 und seine rasante politische Karriere im Anschluss an die Bombenanschläge und den zweiten Tschetschenienkrieg zeigen die Komplexität der russischen Innenpolitik und die entscheidende Rolle, die solche Krisenmomente für politische Karrieren spielen können. Diese Ereignisse um die Bombenanschläge auf Wohngebäude in Russland im September 1999 und die darauffolgenden politischen Entwicklungen markieren einen Wendepunkt in der jüngeren russischen Geschichte. Diese Vorfälle sind tief in der politischen und gesellschaftlichen Psyche Russlands verwurzelt und werfen bis heute Fragen über die Dynamik der Macht, Sicherheit und politischen Strategie im Land auf.
Putin, der vor seiner Ernennung ein unbekannter Akteur im politischen System sowie in der breiten Öffentlichkeit war, nutzte die Gelegenheit, sich als entschlossener Leader in Zeiten nationaler Bedrohungen zu positionieren. Seine Versprechen, hart gegen Terrorismus vorzugehen und die nationale Sicherheit zu stärken, fanden in einem Klima der Angst und Unsicherheit Anklang bei der russischen Bevölkerung. Die offizielle Darstellung, dass tschetschenische Separatisten für die Anschläge verantwortlich waren, diente als Begründung für den wiederholten Einmarsch russischer Truppen in Tschetschenien. Dieser Krieg verstärkte nicht nur Putins Image als Verteidiger Russlands, sondern lenkte auch die Aufmerksamkeit von innenpolitischen Problemen ab und konsolidierte seine Machtbasis. Die schnelle Zunahme seiner Popularität ermöglichte es ihm, die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000 mit Leichtigkeit zu gewinnen und eine neue politische Ära unter seiner Führung einzuleiten, die bis heute andauert.
Die Vorwürfe, dass die russische Regierung, möglicherweise durch den Föderalen Sicherheitsdienst (FSB), selbst hinter den Anschlägen stehen könnte, um eine Rechtfertigung für den Krieg in Tschetschenien zu schaffen und Putins Aufstieg zur Macht zu erleichtern, sind seitdem ein zentrales Element der Kritik an der russischen Führung. Die Arbeiten von Yury Felshtinsky und Alexander Litwinenko („Blowing Up Russia: Terror from Within“), die diese Theorie unterstützen, sowie der darauffolgende qualvolle Tod Litwinenkos durch Polonium-210 im Jahr 2006 haben zu internationaler Aufmerksamkeit und Kontroversen geführt.
Der Terroranschlag auf die Crocus-Konzerthalle in Moskau
Der verübte Terroranschlag auf die Crocus-Konzerthalle in Moskau, bei dem mindestens 139 Menschen getötet und fast 200 verletzt wurden, ist ein erschütterndes Ereignis, das weitreichende Folgen für Russland und dessen geopolitische Positionierung hat, insbesondere im Krieg gegen die Ukraine. Die Brutalität und das Ausmaß dieses Angriffs beleuchten nicht nur die Sicherheitslücken innerhalb Russlands Sicherheitsapparat, sondern werfen auch Fragen bezüglich der Effektivität und der Prioritäten des russischen Staates und seiner Sicherheitsorgane auf. Das unterstreicht eine alarmierende Sicherheitslücke in Russland – einem Land, das seit Jahrzehnten mit Terrorismus konfrontiert ist. Die Reaktionen innerhalb Russlands, die internationalen Zusammenhänge, insbesondere mit Blick auf die Kalküle des IS, sowie die potenziellen Auswirkungen auf die russische Kriegsführung in der Ukraine bedürfen einer tiefergehenden Analyse.
Am 7. März richteten die USA eine Warnung an Russland mit der dringlichen Ankündigung, dass innerhalb der nächsten 48 Stunden ein Anschlag, orchestriert von ISIS-K, bevorstehe. Kürzlich wurde ein Foto veröffentlicht, das einen der inhaftierten Terroristen zeigt, der am selben Tag zufällig in der Crocus-Konzerthalle fotografiert wurde. Der Kreml reagierte auf die Warnung der Vereinigten Staaten mit der Kritik, diese sei „zu unpräzise“ und wies sie entschieden zurück. Präsident Putin selbst bezeichnete die Warnung in einem Video als Erpressungsversuch, Propaganda und einen unzulässigen Eingriff in die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen. Die gegenseitige Warnung zwischen Russland und den USA vor potenziellen Terroranschlägen ist gar nicht unüblich. Ein bemerkenswerter Fall ist die Warnung Russlands an die USA vor Tamerlan Tsarnaev, einem der Bombenattentäter beim Boston-Marathon. Trotz solcher gegenseitigen Hinweise haben sowohl die USA als auch Russland in der Vergangenheit Warnungen des jeweils anderen ignoriert, wie beispielsweise bei der aktuellen Warnung der USA an Russland vor dem drohenden ISIS-K-Anschlag. Der Austausch von Informationen über terroristische Bedrohungen bleibt allerdings ein entscheidender Bestandteil der globalen Sicherheitsarchitektur.
Nach dem Terroranschlag äußerte Washington seine klare Position, keinen Zweifel an der Authentizität der Videobotschaft sowie der Bekennerschreiben des IS zu haben. Das bekräftigten auch zahlreiche renommierte Terrorismusexperten. Die jüngsten Ereignisse, bei denen mittlerweile alle vier gefassten Terroristen vor dem Moskauer Basmanny-Gericht ihre Beteiligung an dem verheerenden Terroranschlag auf die Crocus-Konzerthalle eingestanden haben, haben tiefgreifende Fragen aufgeworfen. Das Gericht ordnete an, dass die vier Verdächtigen – im Alter von 19, 25, 30 und 32 Jahren, allesamt aus Tadschikistan stammend – bis zum 22. Mai in Untersuchungshaft bleiben, wo ihnen bei einer Verurteilung eine lebenslange Haftstrafe droht.
Bemerkenswert ist auch der Zustand der Angeklagten: Dalerdzhon Mirzoyev, Shamsidin Fariduni und Saidakrami Rachabalizoda schienen trotz sichtbarer Folterspuren in einem halbwegs stabilen Zustand zu sein, während Muhammadsobir Fayzov, der bei seiner Festnahme und im Verhör schwer verletzt wurde, im Gerichtssaal in einem Rollstuhl erschien, sich ursprünglich weigerte, sich schuldig zu bekennen. Die Verbreitung von Videomaterial und Bildern, die Folterungen der festgenommenen Männer zeigen – darunter Elektroschocks, schwere Schläge und in einem Fall die Abtrennung eines Ohrs –, werfen schwerwiegende ethische und rechtliche Fragen auf. Die Verwendung solcher Bilder für den internen Gebrauch legt nahe, dass die russischen Sicherheitsdienste möglicherweise darauf setzen, durch die Demonstration von Härte und Unnachgiebigkeit im Umgang mit Terrorismus eine Abschreckungswirkung zu erzielen und gleichzeitig die öffentliche Meinung positiv zu beeinflussen.
Die Rolle des IS in Russland
In den letzten Jahren hat die Bedrohung durch den globalen Dschihadismus in Russland zugenommen, insbesondere durch Gruppen wie den Islamischen Staat und Al-Qaida. Diese Gruppen haben nicht nur Russland direkt bedroht, sondern auch versucht, lokale Netzwerke im Nordkaukasus und darüber hinaus zu rekrutieren und zu radikalisieren. Die Präsenz russischer Kämpfer in Konfliktzonen wie Syrien und dem Irak sowie die Rückkehr einiger dieser Individuen haben zusätzliche Sicherheitsherausforderungen für Russland geschaffen. Als Reaktion auf diese Bedrohungen hat Russland umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen und Anti-Terror-Gesetze eingeführt, die darauf abzielen, die Aktivitäten terroristischer Gruppen zu überwachen und zu unterbinden. Kritiker argumentieren jedoch, dass einige dieser Maßnahmen zu weit gehen und die bürgerlichen Freiheiten einschränken.
Das Bekenntnis des IS zum Anschlag, zusammen mit der Erklärung, dass es sich um einen Angriff auf eine möglichst große christliche Versammlung handelte, verweist auf die internationale Dimension des Terrorismus, mit der Russland konfrontiert ist: Der Islamische Staat der Provinz Khurasan (ISKP), der in Afghanistan aktiv ist, ist nicht nur für die regionale, sondern auch für die globale Sicherheit eine große Bedrohung. Der ISKP, obwohl primär in Afghanistan und Pakistan operierend, hat in seinen Propagandamaterialien, darunter Zeitschriften und Videos, auch Russland ins Visier genommen.
Diese Fokussierung auf Russland geht über ideologische oder geografische Gründe hinaus und beruht auf militärischen Überlegungen und strategischen Aspekten. Russland hat durch seine militärischen Aktionen in Syrien und sein diplomatisches Vorgehen in Zentralasien und dem Nahen Osten eine zentrale Rolle im Kampf gegen den IS und andere terroristische Gruppen eingenommen. Die aktive Unterstützung des Assad-Regimes und die Bekämpfung dschihadistischer Gruppen in Syrien hat Russland zum direkten Ziel dieser Gruppen gemacht. Die Intervention in Syrien und die Beziehungen zu den Taliban in Afghanistan sind Teil einer größeren Strategie Moskaus, seinen Einfluss in geopolitisch wichtigen Regionen zu sichern und zu erweitern.
Russlands Fokus auf Abu Bakr al-Baghdadi und die wiederholten militärischen Interventionen Russlands in Syrien sowie der zunehmende Einfluss in Afrika (z.B. durch die Söldnergruppe Wagner) haben die Aufmerksamkeit und Feindseligkeit des IS auf sich gezogen. Die strategische Positionierung Russlands gegenüber den Taliban in Afghanistan nach dem Fall von Kabul und der westliche Rückzug haben die Beziehungen zwischen dem IS und Russland weiter verkompliziert.
Russlands komplexe Rolle im Mittleren Osten
Ein besonders markantes Beispiel der IS-Propaganda ist ein 47-minütiges Video, das Russlands Beziehungen zu den Taliban kritisch beleuchtet. Der ISKP erinnert an frühere Angriffe auf die russische Botschaft in Kabul und beschuldigt Russland, mit den Taliban Geschäfte zu machen. Diese Zusammenarbeit wird als Versuch Russlands dargestellt, die Taliban zu kontrollieren und sie gegen den ISKP einzusetzen, ähnlich der Unterstützung, die Russland der syrischen Regierung im Kampf gegen den Islamischen Staat in der Levante geleistet hat.
Diese Propagandaaktivitäten des ISKP unterstreichen die komplexen Beziehungen und Dynamiken zwischen verschiedenen Akteuren in der Region: Während Russland historisch eine feindliche Haltung gegenüber den Taliban hatte – insbesondere während der sowjetischen Intervention in Afghanistan – deuten jüngere Entwicklungen auf eine kompliziertere Beziehung hin, bei der gemeinsame Interessen gegenüber dem ISKP eine Rolle spielen könnten.
Forscher und Gelehrte wie Colin P. Clarke, Lucas Webber, Aaron Y. Zelin, Daniele Garofalo und Antonio Giustozzi haben die Bedrohung, die der ISKP darstellt, eingehend untersucht. Ihre Arbeiten beleuchten nicht nur die direkte Bedrohung durch terroristische Aktivitäten, sondern auch die breiteren geopolitischen Implikationen der Strategien des ISKP. Durch die Fokussierung auf Russland in seiner Propaganda versucht er, die geopolitischen Spannungen zu nutzen und Russland in weitere regionale Konflikte zu verwickeln.
Das Engagement des ISKP in Afghanistan zeigt, wie dschihadistische Gruppen geopolitische Entwicklungen und bestehende Konflikte ausnutzen, um ihre eigene Agenda voranzutreiben. Für Russland ist diese Bedrohung eine zusätzliche Herausforderung in seiner Außen- und Sicherheitspolitik, insbesondere in Bezug auf seine geopolitische Rolle in Afghanistan und die Beziehungen zu den Taliban. Sowohl die Taliban als auch die Hamas, mit denen Russland (trotz der Listung der Taliban als Terrororganisation auf der russischen Terrorliste) jüngst bemerkenswert positive Beziehungen geknüpft hat, haben den von der ISKP verübten Terroranschlag in Moskau entschieden verurteilt.
Die Beteiligung des IS, insbesondere des ISKP, unterstreicht die globale Natur der terroristischen Bedrohung, mit der Russland konfrontiert ist. Dieser Vorfall könnte als Weckruf für den Kreml dienen, ihre Strategie zur Bekämpfung des Terrorismus zu überdenken und möglicherweise eine stärkere internationale Zusammenarbeit mit Partnern (z.B. SCO oder BRICS) zu suchen. Die Enthüllung, dass der IS seit November konkrete Pläne für Anschläge in Russland hatte, wirft zudem Fragen bezüglich der Effizienz der Nachrichtendienste und der internationalen Kommunikation über terroristische Bedrohungen auf. Es ist auch ein Beweis dafür, dass der IS und seine Franchises nach wie vor eine bedeutende Bedrohung für die globale Sicherheit darstellen, und fähig sind, Operationen weit über ihre Basen hinaus durchzuführen.
Folgen für die geopolitische Strategie Russlands
Dieses Ereignis legt die Verwundbarkeit Russlands gegenüber terroristischen Bedrohungen offen und stellt die Effektivität seiner Sicherheits- und Nachrichtendienste infrage. Das Versagen der russischen Sicherheitsdienste, einen derartig koordinierten und brutalen Anschlag zu verhindern, deutet auf gravierende Schwächen innerhalb des russischen Sicherheitsapparats hin. Die Tatsache, dass schwer bewaffnete Angreifer in der Lage waren, eine große Menge an Menschen in einem öffentlichen Veranstaltungsort zu attackieren, ist zwar kein neues Phänomen in Russland, setzt allerdings das ganze Land unter Schock – und untergräbt das Vertrauen in die Fähigkeit der Regierung, ihre Bürger zu schützen.
Die geopolitische Lage Russlands könnte durch diesen Anschlag erheblich beeinflusst werden. Die Involvierung des IS und die spezifische Auswahl von Moskau als Terrorziel sind eine neue Ebene der Bedrohung, die Russland möglicherweise dazu veranlassen könnte, seine Sicherheitsstrategien sowohl intern als auch nach außen zu überdenken. Die russische Regierung könnte diesen Anschlag als Mittel nutzen, um die nationale Einheit zu stärken und die Bevölkerung hinter sich zu vereinen, indem sie ein Bild externer Bedrohungen zeichnet. Die Mobilisierungsbotschaften, die bereits verschickt wurden, deuten darauf hin, dass der Kreml diesen Vorfall als Gelegenheit sieht, die Bevölkerung weiter für die Kriegsanstrengungen in der Ukraine zu mobilisieren. Dies könnte in einer verstärkten Propagandakampagne resultieren, die darauf abzielt, die russische Militärpräsenz in der Ukraine weiter zu legitimieren und gleichzeitig interne Kritik zu unterdrücken.
Die Anschuldigungen gegen die Ukraine – obwohl sie jegliche Beteiligung bestritten hat – und die Tatsache, dass der IS die Verantwortung übernommen hat, könnten Russland veranlassen, Vergeltungsmaßnahmen sowohl gegen vermeintliche interne Feinde als auch gegen externe Bedrohungen zu ergreifen. Diese Maßnahmen könnten von verstärkten militärischen Aktionen in der Ukraine bis hin zu verschärften Sicherheitsmaßnahmen im Inland reichen, einschließlich möglicher Repressalien gegen bestimmte ethnische oder religiöse Gruppen, die fälschlicherweise mit den Angriffen in Verbindung gebracht werden könnten.
Russland bezichtigt die USA und die Ukraine
Viele mögen sich fragen, wie die USA von einem geplanten Anschlag in Moskau erfahren konnten, ohne zu realisieren, dass sie über einen hochentwickelten Geheimdienst verfügen, der auf die Erfassung von Signalinformationen spezialisiert ist und eine klare Verpflichtung hat, solche Informationen weiterzugeben und amerikanische Bürger vor Ort zu warnen. Gleichzeitig sind der FSB und der russische Sicherheitsapparat nach zwei Jahren Krieg an ihre Grenzen gestoßen: Die Reaktionsfähigkeit und Einsatzgeschwindigkeit der Spezialeinheiten reichten nicht aus, um die hohe Zahl an Toten und Verletzten zu vermeiden. Die eigentliche Frage müsste also lauten, warum Russland die Warnungen missachtete und was der FSB unternommen hat, um einen Terroranschlag dieses Ausmaßes zu verhindern.
Stattdessen folgt nach solchen grauenhaften Terroranschlägen in Russland ein bekanntes Muster: Der Kreml führt die russische Öffentlichkeit in die Irre und nutzt den entstandenen Schrecken, um politische Ziele zu verfolgen und ihre Macht zu festigen. Der IS hat die Verantwortung für den Terroranschlag übernommen, die grausamen Aufnahmen der Bodycams wurden veröffentlich. Dass Russland trotzdem behauptet, dass die Ukraine hinter dem Anschlag stecke, weist auf eine komplexe Informationskriegsführung hin. Es wird immer deutlicher, dass Putin diesen Vorfall als Vorwand für eine weitere Eskalation des Krieges gegen die Ukraine und eine Verstärkung autoritärer Tendenzen im Inland nutzen wird.
Russland beschuldigte die Ukraine, eine Verbindung zu den Terroristen zu haben, die angeblich versuchten, über das Land zu fliehen, obwohl der Kreml keine stichhaltigen Beweise liefern konnte. Es ist daher kein Zufall, dass die russischen Streitkräfte zwei Tage danach massive Raketenangriffe auf Kiew und andere Städte verübten, bei dem vermutlich sogar Hyperschallraketen gegen das Regierungsviertel abgefeuert wurden. Beide Raketen sollen von der Luftabwehr abgefangen worden sein, verursachten jedoch Schäden an mehreren Wohngebäuden in der Hauptstadt. Diese Angriffe sollten dem russischen Volk suggerieren, dass sie als Vergeltung für die vermeintliche Unterstützung der Ukraine für den Terroranschlag gerechtfertigt seien.
Putin nutzt den Anschlag
Die bittere Wahrheit ist, dass Putin nach dem Terroranschlag vermutlich gestärkt aus der Situation hervorgehen und noch größere Unterstützung erfahren wird. In seiner jüngsten Videobotschaft vom Montag hat Präsident Putin seine aggressive Haltung gegenüber der Ukraine bekräftigt und zeitgleich die Vereinigten Staaten beschuldigt. Er räumte zum ersten Mal ein, dass der Anschlag auf die Crocus-Konzerthalle von islamistischen Extremisten durchgeführt wurde – dennoch hegte er Verdacht gegenüber Kiew und betonte, dass durch Ermittlungen geklärt werden müsse, wer hinter dem Massaker stehe. Währenddessen stieg die Zahl der Todesopfer auf 139, während etwa hundert Verletzte noch im Krankenhaus behandelt werden.
„Wir stehen vor der Aufgabe, die Motivation der Terroristen zu verstehen, die versucht haben, in die Ukraine einzudringen, und herauszufinden, wer sie dort erwartet hat.“
Wladimir Putin
In der Öffentlichkeit interpretierte Putin den Angriff wiederum als Versuch, Russland einzuschüchtern, und er stellte die Frage nach den Nutznießern dieser Tat. Er warf den USA vor, die öffentliche Meinung dahingehend manipulieren zu wollen, dass Kiew keine Verbindung zu dem Massaker habe. Diese Ereignisse, so Putin, könnten als Vorwand dienen, um den Krieg zu intensivieren, die gesellschaftliche Mobilisierung voranzutreiben und die Ukraine noch härter zu treffen. Darüber hinaus wird der Anschlag Prozesse im Land katalysieren, die unter anderem die Einschränkung von Bürgerrechten, der Entzug der Staatsbürgerschaft und die Aufhebung des Moratoriums für die Todesstrafe miteinbeziehen. Putin könnte das als Gelegenheit betrachten, um in der Zukunft rigorose Maßnahmen zu ergreifen, möglicherweise sogar ein partielles Kriegsrecht in Russland zu verkünden, um seine militärischen Ambitionen gegen die Ukraine beschleunigt voranzutreiben.
Wir dürfen uns nicht täuschen lassen – es handelt sich um eine Fortsetzung der Aggression und militärischer Angriffe, auch gegen Kiew und den Norden. Die Zukunft könnte durchaus weitere ähnliche Terroranschläge sowohl auf europäischem Boden als auch in Südasien mit sich bringen, da die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten ähnlicher Vorfälle deutlich erhöht wurde. Der Anschlag der ISKP steht somit nicht isoliert da, sondern ist ein Vorzeichen für mögliche zukünftige Terrorbedrohungen.
VELINA TCHAKAROVA ist Gründerin des Forschungs- und Beratungsunternehmens FACE (For A Conscious Experience e.U.) und Visiting Fellow an der Observer Research Foundation in Indien. Als geopolitische Expertin gibt sie ihre Einschätzung zu Entwicklungen der internationalen Beziehungen ab.