Wenn das Interventionskarussell außer Kontrolle gerät
Die Corona-Krise hat vieles verändert: Sie war der Start einer Krisenpolitik, die versuchte, alle unangenehmen Auswirkungen für jeden abzufedern. Das Resultat war nicht nur eine satte Überförderung, sondern auch eine Bevölkerung, die sich an den Geldregen rasch gewöhnt hatte.
In der aktuellen Krise infolge des Ukraine-Kriegs wurde aber noch eins draufgesetzt: Staatseingriffe in Marktprozesse wurden noch weiter ausgebaut. Zusätzlich zu direkten Geldtransfers werden auch Preismechanismen immer stärker geändert. Gas-, Öl- oder Benzinpreisdeckel – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Das Problem dabei ist: Mit einer Handlung ist es häufig nicht getan. Darauf müssen oft noch viele weitere folgen, um die negativen Effekte der ersten Intervention abzuschwächen. So lange, bis der ursprüngliche Staatseingriff entweder aufgehoben wird oder sich die Situation schon so verfahren hat, dass die Interventionsspirale langfristig aufrechterhalten bleiben muss.
„Ölflecktheorem“, „Interventionsspirale“ – viele Namen für ein Phänomen
Kaum jemand würde bestreiten, dass es Marktversagen gibt. Dass CO2 von Natur aus keinen Preis hat oder dass manche Informationsasymmetrien besser ausgeglichen werden sollten, sind nur zwei der Gründe dafür, dass der Staat legitimerweise verbessernd eingreifen kann und sollte.
Aber nicht nur der Markt kann versagen – auch der Staat ist kein Allheilmittel für jedes scheinbare Problem. Insbesondere wenn es, wie in der aktuellen Situation, gar kein Marktversagen ist, das behoben werden soll, sondern vielmehr eine Unannehmlichkeit, die der Staat richten will. Bei einer Interventionsspirale führt der erste Staatseingriff zu weiteren Komplikationen. Diese versucht der Staat wiederum mit zusätzlichen Maßnahmen zu lösen, die neue Fragen aufwerfen. Dieses Karussell dreht sich so lange weiter, bis die Kosten der ursprünglichen staatlichen Lösung den Nutzen um ein Vielfaches übersteigen und der Markt deutlich verzerrter ist als zu Beginn. Manchmal müssen diese Interventionen sogar wieder aufgehoben werden, da die Auswirkungen untragbar geworden sind.
Beispiele für die Interventionsspirale
Ein klassisches Beispiel dafür sind die vielen Preisdeckel, die in den letzten Monaten auf unterschiedlichste Güter eingeführt wurden. Ungarn war hier Vorreiter: Die dort eingeführte Preisobergrenze auf Benzin führte rasch zu einem verknappten Angebot an den Tankstellen und einer erhöhten Nachfrage wegen der zu niedrigen Preise. Insbesondere der Tanktourismus heizte den Konsum an, weshalb sich die ungarische Regierung wieder einschaltete und nur mehr in Ungarn zugelassene Autos zum Rabatt tanken konnten. Doch trotzdem blieb das Angebot im Inland zu gering – es kam sogar zu Rationierungen für die ungarische Bevölkerung. Man fühlt sich fast in die Zeiten des real existierenden Kommunismus in Europa zurückversetzt.
Die Probleme nahmen kein Ende. Und die Staatseingriffe ebenso nicht. Der nächste Schritt der Politik war, die Gruppen, für die die Preisobergrenze galt, weiter einzuschränken. Auch von einem entstehenden Schwarzmarkt war immer wieder die Rede. Doch die Auswirkungen wurden immer gravierender, das Angebot immer knapper. So lange, bis der Preisdeckel vergangene Woche aufgehoben wurde. Die Effekte der Staatsinterventionen waren offenbar noch schwieriger zu stemmen als das Ursprungsproblem der hohen Preise.
Anhand dieses Fallbeispiels sieht man genau das angesprochene Phänomen: eine Interventionsspirale, die von einem Staatseingriff ausgehend zu vielen weiteren führt. Eine übergreifende Maßnahme, die viele kleinteiligere bedingt. Am Schluss steht die Frage, ob die ursprüngliche Intervention die Situation überhaupt verbessert hat. Ob die Ausgangssituation nicht doch besser gewesen wäre als all die Komplikationen, die nun aufgetaucht sind.
Ein ähnliches Problem sieht man bei den neuen Vergaberichtlinien für Immobilienkredite, die seit August von österreichischen Banken verpflichtend anzuwenden sind. Ziel hätte sein sollen, die zu lockere Kreditvergabe einzudämmen und die Überhitzung am Immobilienmarkt hierzulande zu reduzieren. Denn ein großflächiger Crash und viele Kreditnehmer, die ihre Raten nicht bezahlen können, das wäre makroökonomisch katastrophal.
Doch dann wurde klar, dass diese Richtlinien in der Praxis tatsächlich zu streng waren und die Neukreditvergabe stark einschränkten. Deshalb schaltete sich die Politik ein. Sie plant nun, eine weitere Intervention setzen, um den ursprünglichen Eingriff der FMA erträglicher zu machen: Haftungen sollten von der niederösterreichischen Landesregierung übernommen wurden, um die Aufnahme von Krediten beim Immobilienerwerb oder beim Hausbau einfacher zu machen. Schlussendlich wollte die Bundesregierung die Richtlinien signifikant überarbeiten oder sogar aufheben. Diese Uneinigkeit der Regulatoren und der Politik zeigt, dass derartige Spiralen nicht nur klassisch bei Eingriffen in Preise entstehen, sondern sich in vielen Farben und Formen äußern können.
Anhand dieser Beispiele erkennt man auch eine weitere Auswirkung: Ging es in Ungarn zunächst nur um einen Preisdeckel für den generellen Benzinpreis, galt dieser zum Schluss nur für einige Bevölkerungsgruppen. Das öffnet Tür und Tor für Lobbyismus und Sonderregelungen für Interessensgruppen. Auch in Österreich entstand die Idee, Haftungen zu übernehmen, mitten in einem Wahlkampf. Politökonomische Effekte stehen bei Interventionsspiralen an der Tagesordnung.
Vorsicht ist besser als Nachsicht
Um derartige Auswüchse zu vermeiden, braucht es vor allem bereits vorab Wissen darüber, welche Auswirkungen eine Intervention haben könnte. Gerade bei Ober- und Untergrenzen für Preise sind die Effekte klar vorhersehbar. Doch selbst, wenn man sich entscheiden würde, etwa Kreditvergaberichtlinien trotzdem einzusetzen, muss von vornherein klar sein, wann die Staatslösungen ein Ende haben müssen: sowohl zeitlich als auch durch eine Begrenzung der Anzahl der Eingriffe, die dem ersten folgen.
Denn wie schon der US-amerikanische Ökonom Thomas Sowell sagte: Es gibt keine Lösungen, nur Trade-offs. Und das Ziel sollte sein, den besten Trade-off zu erreichen. Wie viel Einmischung ist notwendig? Wem möchte man damit tatsächlich helfen? Wer trägt die Kosten, wem soll der Nutzen zugutekommen? Wichtige Fragen, die vorab beantwortet werden müssen. In der aktuellen Lage heißt das vor allem eines: keine Schnellschüsse bei unangenehmen Marktergebnissen. Denn obwohl hohe Preise, sei es bei Energie oder oft auch bei Mieten, problematisch sind, sind die für viele unsichtbaren Kosten einer Spirale hoch.
Staatseingriffe sind, obwohl sie oft als solche gepriesen werden, kein Allheilmittel. Sie sind genauso mit Trade-offs und wichtigen Abwägungen verbunden. Deswegen ist Vorsicht geboten – gerade wenn den Interventionen des Staates kein Marktversagen oder andere triftige Gründe zugrunde liegen. Denn wenn die Interventionsspirale erstmal da ist, ist es schwierig, sie wieder rückgängig zu machen.
HEIKE LEHNER ist Ökonomin und beschäftigt sich mit Geldpolitik, Umweltökonomie und Risikomanagement.