Wozu Kommunismus führt – Lehren aus der Ukraine
Während die Labels Sozialismus und Kommunismus in Österreich ein Comeback feiern, erinnert die ukrainische Journalistin Ganna Varavva daran, was diese Schlagworte für viele Menschen wirklich bedeutet haben: Terror, Unterdrückung und Völkermord.
Zum Glück für Österreich war hier noch nie eine kommunistische Partei an der Macht, anders als in Osteuropa, wo die Kommunistische Partei in einer Reihe von Ländern verboten ist. Zum Beispiel in Ungarn, Lettland, Litauen – und neuerdings auch in der Ukraine.
Das „Gesetz zur Entkommunisierung“ wurde 2015 vom ukrainischen Parlament verabschiedet. Darin wird die Verurteilung des kommunistischen Regimes und das Verbot der Propaganda für dessen Symbole festgeschrieben. Das Gesetz enthält also das Verbot sowjetischer Symbole, führte zum Abriss einer Reihe von Denkmälern und zur Umbenennung von Siedlungen und Straßen: Allein im letzten Jahr wurden in der Ukraine fast 10.000 Ortsnamen umbenannt und 145 Denkmäler abgebaut, die mit kommunistischen und prorussischen politischen Führern und Kulturschaffenden in Verbindung gebracht werden. Seit 5. Juli 2022 verbot das Berufungsgericht der Kommunistischen Partei endgültig die Tätigkeit in der Ukraine. Darüber hinaus sind auch andere linke Parteien in der Ukraine verboten, z.B. „Die Sozialisten“, „Die Sozialistische Partei der Ukraine“, „Die Linke Opposition“, „Die Union der linken Kräfte“, „Die Progressive Sozialistische Partei der Ukraine“ und andere.
Die Ukraine und der Kommunismus
Seit acht Jahren ist die Ukraine dabei, sich von den Folgen der kommunistischen Ideologie zu befreien. Aber warum waren die roten Kräfte in der einst kommunistischen Ukraine eigentlich so verhasst?
Es liegt nicht nur an Russland, das nach wie vor der Rechtsnachfolger der Sowjetunion ist. Für die Ukraine ist die Beseitigung des sowjetischen Erbes nicht mehr nur eine Frage der humanitären Politik, sondern auch der Sicherheitspolitik: Es ist bekannt, dass die Russen in den vorübergehend besetzten ukrainischen Gebieten Denkmäler für kommunistische Führer errichtet und Kinder als „Pioniere“ anerkennt – das ist eine kommunistische Organisation für kleine Kinder.
In Wirklichkeit gibt es in der Ukraine praktisch keine Menschen, deren Familien nicht in der einen oder anderen Form von kommunistischer Unterdrückung betroffen waren. Und wenn man bedenkt, dass das heutige Russland der Nachfolger der Sowjetunion ist, kann man mit Fug und Recht behaupten, dass alle Ukrainer unter der kommunistischen Herrschaft gelitten haben – und immer noch leiden.
Das vergessene kommunistische Verbrechen
Eines der größten Verbrechen der totalitären kommunistischen Sowjetregierung in der Ukraine waren die drei Hungersnöte. Die größte davon war der sogenannte Holodomor zwischen 1932 und 1933.
Zuerst entwickelte das sowjetische Regime unter der Führung von Josef Stalin einen Plan zur Ausrottung eines Teils des ukrainischen Volkes, getarnt als Plan zur Versorgung des Staates mit Brot. Dazu gehörte die vollständige Beschlagnahmung aller Getreidevorräte – und anschließend die Konfiszierung anderer Lebensmittel und des Eigentums, als Strafe für die Nichteinhaltung des Getreidelieferplans. Die Ukraine wurde in ein Gebiet des Massenhungers verwandelt: 22,4 Millionen Menschen wurden innerhalb des Holodomor-Gebiets physisch blockiert, die Hungernden wurden isoliert. Lebensmittelvorräte wurden beschlagnahmt, Handel und Einfuhr jeglicher Waren verboten. Zur gleichen Zeit exportierte die Sowjetunion dreieinhalb Millionen Tonnen Getreide in den Westen.
Diese Hungersnöte waren kein Zufallsereignis. Sie waren ein gezieltes Mittel, um frei denkende Menschen in der Ukraine zu bestrafen – für ihren Widerstand gegen die kommunistische Politik der Sowjetunion und ihren Unwillen, unter russischer Herrschaft zu stehen. Die Bauern waren lange Zeit die Träger der ukrainischen Kultur, Sprache und Traditionen. Sie wollten sich nicht von ihrer nationalen Identität verabschieden und sie durch kommunistische Ideale ersetzen. Historikern zufolge fanden in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts mehr als 4.000 Massenproteste in der Ukraine statt, an denen sich rund 1,2 Millionen Menschen beteiligten. 41.200 Bauernhöfe verließen die sowjetischen Kolchosen.
Ein weiterer Bestandteil dieses Völkermords war die gezielte Unterdrückung von Informationen über die Hungersnöte. Im Jänner 1933 erklärten die sowjetischen Behörden, dass es in der Ukraine keine Hungersnot gebe – das stalinistische Regime lehnte ausländische Hilfe ab. Gleichzeitig starben zwischen 3,9 und 7 Millionen Menschen durch den Holodomor. Einigen Historikern zufolge würde es heute doppelt so viele Menschen in der Ukraine geben, hätte es diese Repressionen nie gegeben.
Anerkennung des Holodomor als Völkermord
Sich als ukrainischer Bauer zu sehen, bedeutete, sich als hoffnungsloser und zweitklassiger Bettler zu zu sehen. Die ukrainische Sprache und Kultur wurden mit dem Dorf assoziiert, und Ukrainisch zu sprechen bedeutete, sich als vom Staat unerwünscht zu erweisen und sich in Gefahr zu begeben. Die Menschen begannen, ihre Identität zu verbergen.
Der Holodomor wurde von etwa 20 Ländern als Völkermord an der ukrainischen Nation anerkannt, z.B. von den Vereinigten Staaten, Kanada, Australien, dem Vatikan, Polen, Tschechien, Deutschland und dem Europäischen Parlament. Letzteres forderte auch alle Länder und internationalen Organisationen dazu auf, das ebenfalls zu tun. Auch Russland wurde dazu aufgefordert, den Holodomor offiziell anzuerkennen und sich als Nachfolger der Sowjetunion für dieses Verbrechen zu entschuldigen.
Der österreichische Nationalrat wiederum verabschiedete eine Entschließung, in der er den Holodomor als „schreckliches Verbrechen des stalinistischen Regimes“ anerkennt. Auf den Begriff „Völkermord“ wird aber bewusst verzichtet. Die Abgeordneten betonen, dass die Hungersnot einst von der Weltgemeinschaft ignoriert wurde, und verweist auf die Rolle des Wiener Kardinals Theodor Innitzer, der als einer der wenigen gegen sie protestierte. Außerdem betont auch die österreichische Position, dass Russland noch heute den Hunger als Waffe gegen die Ukraine einsetzt.
Politische Unterdrückung
Neben den Holodomoren, die vor allem die Bauern trafen, vernichtete das kommunistische Regime auch die kulturelle und wissenschaftliche Elite. Politische Repressionen wie „Dekulakisierung“, Deportationen und „Säuberungen“ von Wissenschaftlern, Schriftstellern, Kirchenführern und Militärs führten nicht nur zu quantitativen Verlusten, sondern beeinflussten auch die Weltanschauung der Nation: Das sowjetische Regime vernichtete in erster Linie diese Menschen, die Elite der Gesellschaft, die es bewegte und die zu kritischem Denken fähig waren. Wissenschaftler, Schriftsteller, Lehrer, Studenten und Ärzte fanden sich auf der Anklagebank wieder.
Die Verhaftungen, Lager und Hinrichtungen der kulturellen Elite erreichten 1937 ihren Höhepunkt: Es gab praktisch keine wirtschaftlich freien Ukrainer mehr im Land, die ihren eigenen Standpunkt vertreten und sich offen äußern konnten. Ebenso wenig wie die ukrainische Kultur. Denn damals gab es keine Kultur – es gab nur Propaganda. Die von Moskau unabhängige ukrainische autokephale orthodoxe Kirche wurde liquidiert, dreizehn Erzbischöfe und Bischöfe starben im Gefängnis, und achttausend kirchliche Baudenkmäler wurden zerstört, was 65 Prozent aller Kirchen in der Ukraine ausmachte.
Stalins „großer Terror“
Der Höhepunkt der politischen Repression durch die sowjetische Regierung war der „Große Terror“ von 1937 bis 1938. Nach Josef Stalins Plan sollten die Massenoperationen den zwanzigjährigen Kampf gegen „sozialfeindliche Elemente“ beenden.
Für jede Region legte Moskau „Grenzwerte“ fest: die Zahl der Menschen, die hingerichtet oder in Lager geschickt werden sollten. Diese Grenzwerte wurden jedoch immer wieder erhöht – manchmal auf Initiative der Täter selbst, die (wie fast alle sowjetischen Funktionäre) das Ziel um jeden Preis übertreffen wollten. Die Ermittlungen wurden vereinfacht, Geständnisse durch Folter erpresst und Urteile in aller Eile gefällt. In fast jeder Region der postsowjetischen Ukraine gab es „Todesfabriken“, in denen Menschen erschossen wurden.
Während des Großen Terrors in der Ukraine wurden 198.000 Menschen verurteilt, von denen 122.000 hingerichtet wurden. Ab 1939 waren von den 1,3 Millionen Gefangenen 181.000 Ukrainer in den Gulag-Lagern inhaftiert. Menschen, die in ständiger Panik und Angst lebten, wurden zu Biomasse gemacht.
Die Ukraine ist ein warnendes Beispiel
Die Ukrainer haben also noch einen langen Weg vor sich, um sich von ihrer kommunistischen Ideologie und Geschichte zu befreien. Und dabei geht es nicht nur um den Abriss von Denkmälern und die Umbenennung von Straßen: Jahrelang hat die Kommunistische Partei den Glauben der Menschen an Gott ersetzt und Traditionen und Kultur ausgelöscht. Es wird viele Generationen dauern, bis die Ukrainer wieder ganz zu sich selbst zurückfinden.
Es ist nicht zu verstehen, dass sich Europa mit einem solchen Beispiel an seiner Seite dem Kommunismus zuwendet. Gleichzeitig hat die kommunistische Propaganda bei jungen Menschen großen Erfolg. Das liegt natürlich daran, dass die jungen Leute die schrecklichen Seiten der Geschichte entweder nicht kennen oder sie als Relikte der Vergangenheit betrachten. Heute wäre die Kommunistische Partei sicher ganz anders.
Die Ukraine ist nicht das einzige Beispiel für die Schrecken des Kommunismus. In vielen ehemaligen sozialistischen Ländern gab es Hungersnöte, politische Unterdrückung und einen Klassenkampf gegen „sozialfeindliche Elemente“ – etwa in Rumänien, China oder sogar in Russland selbst. Es genügt, einen Blick auf andere Länder zu werfen, in denen der Kommunismus an der Macht ist. Auf die repressive Politik, die heute gegenüber einer großen Zahl von Menschen betrieben wird. Geändert haben sich nur die Masken, mit denen sie die Menschen in die Irre führen will – die Ideologie selbst ist aber menschenverachtend wie eh und je. Fortsetzung folgt.
GANNA VARAVVA ist eine ukrainische Journalistin. Seit mehr als 15 Jahren arbeitet sie für den internationalen chinesischsprachigen Fernsehsender NTD mit Sitz in New York, wo sie über Menschenrechtsthemen berichtet, die in China oft zensiert werden. Sie ist Preisträgerin des New York Press Club Awards und hat viele Jahre als freiberufliche Korrespondentin für andere große internationale Fernsehsender und Printmedien gearbeitet.