Zentralbanker: Der unattraktivste Job im Jahr 2023
In der Zeit zwischen Staatsschuldenkrise und Corona-Pandemie war der Job eines Zentralbankers der EZB zumeist recht entspannt. Ja natürlich, die Inflation war geringer, als sie es wollten, was realwirtschaftliche Auswirkungen hatte. Aber es gab keine großen, akuten Feuer, die zu löschen gewesen wären.
Das hat sich in den vergangenen Monaten rasch geändert. Die Inflationsraten schossen in die Höhe, zeitweise waren sie sogar zweistellig. Grund dafür waren etwa die hohen Energiepreise und die Lieferengpässe, aber auch die Aufhebung der Corona-Restriktionen, die zu einer erhöhten Nachfrage geführt haben, befeuert durch das billige Geld der EZB während der Corona-Krise – und das Chaos war komplett. Laut den aktuellen Märzprognosen der EZB werden sie erst im Jahr 2025 wieder nahe dem Inflationsziel von 2 Prozent liegen. Doch die Währungshüter können sich nicht in Ruhe um dieses Problem kümmern – die Zinsen langsam erhöhen und die Inflation dabei beobachten, wie sie langsam wieder bergab geht, das ist in der aktuellen Situation nicht möglich.
Denn es wurden ihr zwei Steine in den Weg gelegt. Steine, die sie sich während der Zeit der lockeren Geldpolitik selbst langsam, aber sicher in den Weg gerollt hat. Die Rede ist von den Staaten, die durch ihre zu expansive Fiskalpolitik die Inflation zusätzlich anheizen. Und von den Finanzmärkten, denen aufgrund ihrer Instabilitäten eigentlich geringere Zinserhöhungen gut tun würden. Der Job eines Zentralbankers bei der EZB ist mittlerweile alles andere als entspannt. Er ist unattraktiv geworden.
Höhere Zinsen dank Fiskalpolitik
Die Zeit der lockeren Geldpolitik war vor allem von einer EZB geprägt, die Abermilliarden an Staatsanleihen kaufte. Regierungen konnten sich immer billiger verschulden – manche Staaten wie Österreich wurden irgendwann sogar dafür bezahlt, dass andere ihre Anleihen halten durften. Anstatt diese Zeit dafür zu nutzen, das billige Geld in Reformen und notwendige Investitionen zu stecken, machten es sich die Euroländer gemütlich. Sie lehnten sich zurück und ließen die EZB machen. Die Inflation war ja sowieso ein Relikt aus der Zeit vor der Finanzkrise. So wurde es zumindest verkauft.
Als sich diese Vorstellung als Irrtum herausstellte, ging es Schlag auf Schlag: Nachdem die EZB ja jahrelang Staatsanleihen angekauft hatte, was die Zinsen wiederum gesenkt hatte, wird diese Politik nun langsam rückgängig gemacht. Die EZB kauft immer weniger Anleihen, und die Zinsen auf Staatsanleihen schießen in die Höhe. Doch von all dem ließen sich die Regierungen nicht beirren. Um die Inflation abzufedern, wurden zig Maßnahmen eingeführt: Transfers oder Einkommensunterstützungen, manchmal wurde auch direkt in den Preismechanismus eingegriffen. Im Gegensatz zu beispielsweise Spanien setzte Österreich eher auf Erstere.
Preisdeckel reduzieren die Teuerung für das jeweilige Gut zwar kurzfristig, führen aber zu problematischen Auswirkungen wie Angebotsknappheiten.
Außerdem befeuert das durch die gedeckelten Preise zusätzlich übrig gebliebene Einkommen der Bürger die Inflation in anderen Lebensbereichen. Darum sind gezielte Einkommenshilfen das bessere Mittel in stagflationären Perioden – also stockender Wirtschaftsleistung bei gleichzeitig hoher Inflation. Trotzdem ist es alles andere als hilfreich, dass Österreich nicht nur Einkommensschwachen, sondern allen helfen wollte.
Der Teufelskreis der Fiskalpolitik
Gesamt sollen die Maßnahmen aber laut der Oesterreichischen Nationalbank zumindest in den Jahren 2022 und 2023 einen geringen inflationssenkenden Effekt gehabt haben. Das deckt sich auch mit den Prognosen der EZB für den Euroraum. Die Fiskalpolitik der Mitgliedstaaten soll in diesen beiden Jahren die Teuerung reduziert haben. In den Jahren 2024 und 2025, wenn die Unterstützungen langsam auslaufen, soll sie sie aber anheizen. Nächstes Jahr wäre somit die Inflation um ungefähr 0,6 und im Jahr darauf um 0,4 Prozentpunkte höher.
EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat dazu bei der letzten Sitzung klare Worte gefunden: Wenn die expansive Fiskalpolitik nicht mehr gebraucht wird, soll sie sofort zurückgefahren werden. Andernfalls würde es dazu führen, dass die EZB die Zinsen stärker anheben müsste als geplant. Insbesondere wenn dann die Staaten aufgrund der länger hoch bleibenden Inflation weitere Maßnahmen beschließen würden, müssten die Zinsen wiederum stärker steigen. Ein Teufelskreis, der gar nicht erst weiterlaufen darf.
Zinsanhebung: Ein schwieriger Balanceakt
Doch damit nicht genug: Obwohl die Fiskalpolitik zu stärkeren Zinsanhebungen führt, bräuchten die Finanzmärkte das genaue Gegenteil. Denn nach den Pleiten in den USA, allen voran der Silicon Valley Bank und der instabilen Credit Suisse, ist das Risiko einer Finanzkrise gestiegen. Obwohl die EZB bei der letzten Sitzung darauf gepocht hat, die Zinsen weiterhin anzuheben und im Ernstfall die Banken mithilfe anderer Programme mit Liquidität zu versorgen: Jeder weitere Zinsschritt erhöht die Risiken weiterer Instabilitäten.
Die Ansteckungsgefahr – der sogenannte contagion effect –, dass auch Banken in der Eurozone ins Wanken geraten, ist gegeben und kann durch falsche Entscheidungen rasant ansteigen. Und wenn das Vertrauen in das Bankensystem einmal weg ist und auch Finanzinstitute innerhalb der Eurozone drohen, in die Pleite zu schlittern, haben wir ein noch viel größeres Problem. Natürlich könnte der Staat dann eingreifen und sie retten. Doch diese Bailouts führen in den darauffolgenden Wirtschaftszyklen zu nur noch mehr „moral hazard“. Das bedeutet, dass etwa Banken noch risikoreicher agieren, da sie sich darauf verlassen können, im Ernstfall vom Staat gerettet zu werden. Alles in allem kein erstrebenswertes Szenario.
Deshalb muss die EZB die Zinsen ausreichend anheben, um die Inflation in den Griff zu bekommen. Aber für die Finanzstabilität sollte sie diese nicht stärker erhöhen als unbedingt notwendig. Während die Staaten die EZB zu stärkeren Zinserhöhungen drängen, wäre für die Finanzmärkte das Gegenteil von Vorteil. Der Kampf gegen die Inflation entpuppt sich als Balanceakt.
EZB und Regierungen sind gefordert
In Zeiten von Inflationsraten, die noch immer viermal so hoch wie das Ziel sind, ist es bereits sehr schwer, Zentralbanker zu sein. Doch Staaten, die die Zinsen zusätzlich in die Höhe schießen lassen, und Finanzmärkte, die sie am liebsten nach unten drücken würden, machen die Jobbeschreibung noch unattraktiver. Wenn die Fiskalpolitik den Teufelskreis beenden und ihre Unterstützungsmaßnahmen alsbald zurückfahren würde, wäre bereits ein erster Schritt getan. Und wenn insbesondere Banken verantwortungsbewusstes Risikomanagement betreiben, könnte auch der zweite Schritt gesetzt werden.
Ja, die EZB hat sich diese Steine während Jahren der Niedrigzinspolitik selbst geschaffen – und das wird ihr jetzt zum Verhängnis. Aber in der aktuellen Situation bringt es nichts, mit dem Finger auf vergangene Fehler zu zeigen, ohne Ideen zur akuten Problematik zu bringen. Natürlich muss die Zentralbank aus der Vergangenheit lernen und sollte sich für die Zeit nach der hohen Inflation einen Plan erstellen, wie sich diese Phase nicht wiederholt.
Und hier müssen die Regierungen und Banken das Ihre dazu beitragen. Die EZB sollte sich weiterhin klar auf ihre Zinserhöhungen und das Zurückfahren der Anleihekäufe konzentrieren. Damit die kommenden Jahre für die Geldpolitik etwas ruhiger werden. Denn von stabilen Märkten und stabilen Preisen profitieren wir alle.
HEIKE LEHNER ist Ökonomin und beschäftigt sich mit Geldpolitik, Umweltökonomie und Risikomanagement.