AfD-Jugend: Die Wiederkehr des Völkischen
Ende November traf sich die AfD-Jugend im hessischen Gießen, um sich neu zu gründen. Sie nennt sich jetzt „Generation Deutschland“. Auch Alt-Extremist Björn Höcke war vor Ort. Er genoss die Bewunderung der jungen Männer (und auffallend wenigen jungen Frauen), die ihm im modisch-saloppen Zwirn und Rasiermesser-Scheitel zujubelten und in ihren Parteitagsreden so sprachen, wie lupenreine Rechtsextremisten eben sprechen. Partei-Chefin Alice Weidel war extra für ein Grußwort angereist. Sie weiß, wie wichtig die Parteijugend für die Mutterpartei ist. Sie soll als Kaderschmiede dienen, um fähiges Personal zu rekrutieren. Alle Mitglieder müssen nun auch Mitglied in der AfD sein. Dadurch fällt die neue Jugendorganisation unter das Parteienrecht. Die Hürden für ein Verbot sind viel höher. Das und der erhoffte Grad an Professionalität sind das Neue an der neuen AfD-Jugendorganisation. Nicht ihr Grad an Radikalität.
Zum alleinigen Vorsitzenden wurde der ehemalige brandenburgische JA-Vorsitzende Jean-Pascal Hohm gewählt. Der 28-Jährige erhielt 90,4 Prozent der Stimmen. In seiner Dankesrede kündigte er an, dafür sorgen zu wollen, dass „Deutschland die Heimat der Deutschen bleibt“. Dafür gab es Standing Ovations. Hohm, der seit 2024 für die AfD im Landtag von Potsdam sitzt, redet gerne über das Völkische. So behauptete er, dass es in Deutschland einen „Bevölkerungsaustausch“ gebe, gegen den Widerstand verpflichtend sei. Städte werden laut Hohm „mit Millionen Kulturfremden geflutet“, die sich wie Eroberer verhielten. Jugendliche rief er einmal dazu auf, Kampfsport zu betreiben und „wehrhaft zu werden“. Der Brandenburger Verfassungsschutz stuft Hohm als gesichert rechtsextremistisch ein. In einem Bericht aus dem April 2025 taucht der frisch gewählte Jugend-Vorsitzende gleich 27 Mal auf. Die Behörde bezeichnet ihn als „aufstrebenden Jungpolitiker“, politisch sozialisiert in den „Brandenburger Hochburgen des Rechtsextremismus“ sowie „dort persönlich vernetzt“.
Auch andere Personalien belegen: eine Abkehr von der Radikalität der aufgelösten „Jungen Alternative“ (JA) ist deren Nachfolgeorganisation nicht. In den Vorstand gewählt wurde auch Jan Richard Behr, ebenfalls alter JA-Kader, mit guten Kontakten zur Identitären Bewegung – er bekommt 89,24 Prozent. Ebenso wie Kevin Dorow, ein schleswig-holsteinischer AfD-Nachwuchspolitiker, der als Abgeordneter im Kreistag von Rendsburg-Eckernförde sitzt und zudem „Schriftleiter“ der Burschenschaftlichen Blätter ist. Auch er wurde in den 15-köpfigen Vorstand gewählt. In Gießen rief er dazu auf, den Meinungskorridor im Sinne der gemeinsamen Ziele zu verschieben: „Wie es Björn Höcke vor wenigen Monaten rezitiert hat, ‚Jugend muss durch Jugend geführt werden‘ – und dieses Prinzip muss unser Leitstern sein“, sagte Dorow. Der stramm-rechte Burschenschaftler gebraucht gerne NS-Vokabular, etwa den Ausspruch „Jugend wird durch Jugend geführt“, den bereits die sogenannte Bündische Jugend in der Weimarer Zeit als Motto benutzt hat, später auch die Hitlerjugend – und von Höcke zitiert wurde.
Die AfD-Altvorderen können mit dem Gründungstreffen zufrieden sein. Auf die nationalgesinnte Jugend ist Verlass. Tino Chrupalla schwörte denn auch in Gießen die neue AfD-Jugend mit einem alten FDJ-Slogan ein: „Für bessere Zukunft richten wir die Heimat auf“ – dem Lieblingslied von Erich Honecker. Jugend voran!
Das Beenden unserer Erinnerungskultur gehört zum Weltbild
Doch die jungen Rechten stehen nicht für „die Jugend“. Sie sind eine Minderheit. Die alljährliche Shell-Studie zu Einstellungen und Befindlichkeiten von Menschen zwischen 15 und 30 Jahren warnt zu Recht davor, „Jugend“ als einheitliche Kohorte oder gar Generation zu definieren, die das sozio-kulturelle und politische Spektrum in der ganzen Breite spiegle. Politisch gilt die Jugend Deutschlands überwiegend pragmatisch, der rechtsstaatlichen Demokratie verpflichtet und partizipationsbereit, aber auch zunehmend besorgt, was Klima, Gerechtigkeit und Zukunft betrifft.
Sich als „Generation Deutschland“ zu etikettieren, reklamiert eine Sprecherfunktion für die gesamte Alterskohorte: Aus einer seit den 1960er und 1980er Jahren meist links-verdächtigen Generation soll eine patriotische werden, und zwar so stramm, wie der smarte Jungvorstands-Chef Hohm das versteht: rechts, völkisch-autoritär und deutsch. Nach dem Muster der amerikanischen MAGA-Bewegung wollen er und seine Getreuen den herbeifantasierten „Bevölkerungsaustausch“ aufhalten und Deutschland wieder groß machen. Der demokratische Mainstream der Jugend ist zwar weit von der völkischen Propaganda entfernt, doch „das kann sich ändern, wenn die aktuelle Regierungskoalition Wortmeldungen der Jüngeren weiter ignoriert und sich der Eindruck verstärkt, parlamentarische Demokratien seien den allfälligen Problemen der Gegenwart und Zukunft nicht mehr gewachsen,“ konstatiert der Politikwissenschaftler Claus Leggewie.
Dass sich in Gießen Zehntausende trafen, um gegen die AfD zu demonstrieren und dem Etikettenschwindel der „Generation Deutschland“ eine Absage zu erteilen, war bemerkenswert und ermutigend. „Es reicht aber nicht aus, einer antidemokratischen Partei zu ‚widerstehen‘. Am Ende zählt die demokratische Alltagspraxis und das attraktive Bild einer freiheitlichen Zukunft, das die Völkischen auf den Müllhaufen der Geschichte verweist,“ so Leggewie. Tatsache aber ist: Ein steigender Anteil junger Menschen – vor allem in Ostdeutschland – stuft sich selbst als „eher rechts” ein und wählt die AfD. Von „der Politik“ und den etablierten Parteien halten und erwarten sie nicht viel. Populisten und Untergangs-Propheten nutzen das – und zeichnen das Zerrbild einer kaputten Republik, die von Eliten okkupiert wird, und überhöhen die Probleme der Demokratie zu Identitäts- und Existenzfragen. Sie kostümieren sich als Retter des Abendlandes – und sie haben Erfolg damit. Wo aber Vertrauen fehlt, entsteht Enttäuschung, Rückzug und Teilnahmslosigkeit. Kein guter Zustand, denn unsere Demokratie lebt auch von der Hoffnung, dass Dinge besser werden. Der Verlust von Zukunftsglauben ist ein Problem für die Demokratie.
Der Nationalismus erlebt seine Wiederkehr
Was tun? Die AfD eilt von Erfolg zu Erfolg. Die Partei, die alles, was die gegenwärtige politische kulturelle Identität der Republik Deutschland ausmacht und zusammenhält, mit allen Mitteln bekämpft, sie findet große Zustimmung – nicht nur bei jungen Wählern. Ihr schier unaufhaltsamer Drang zur Zuspitzung und Verschärfung, er bestimmt mittlerweile die politische Tonalität in unserem Land. Die AfD will ein anderes Deutschland. Unsere Demokratie nimmt schleichend Schaden.
Irritierende Signale sind nicht zu übersehen. Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung erhebt seit 2006 im Zweijahresabstand Umfragen zur Verbreitung extrem rechter Einstellungen. Für die jüngste Auswertung befragte sie über zweitausend Personen der Wohnbevölkerung zwischen dem 30. Mai und dem 4. Juli 2025. Die gute Nachricht zuerst: Gut drei Viertel der Menschen in Deutschland lehnen extrem rechte Einstellungen ab – nämlich 76,1 Prozent. Zugleich sei eine zunehmende Normalisierung antidemokratischer und menschenfeindlicher Aussagen festzustellen – weit in die sogenannte Mitte hinein. Und hier sind wir bei der schlechten Nachricht: 19,8 Prozent stimmen nationalchauvinistischen Aussagen zu, ein Viertel der Bevölkerung meint gar: „Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert.“ 23 Prozent denken: „Das oberste Ziel der deutschen Politik sollte es sein, Deutschland Macht und Geltung zu verschaffen, die ihr zusteht.“ Und 15 Prozent sagen: „Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert.“ Ist das also das Ergebnis der vielbeschworenen „Vergangenheitsaufarbeitung“? Es scheint, (und bitte keine Ausflüchte und schludrigen Erklärungen), noch immer – oder schon wieder – sind viele Nachkommen des deutschen Eroberungswahns empfänglich für nationalgesinntes Gedankengebräu rechtsextremer „Patrioten“. Heil Deutschland…
Keine Frage: Der Nationalismus erlebt in Deutschland seine Wiederkehr – nicht nur in Umfragen. Die AfD gibt ihm ein Gesicht. Sie hält an einer zweifelhaften Tradition fest, in der vor allem „das Nationale“ Vorrang hat. Die „deutsche Sache“ in Ehren zu halten, sieht sie als Verpflichtung. Das Beenden unserer Erinnerungskultur gehört zum Weltbild der AfD. Sie akzeptiert, dass ihr Ehrenvorsitzender Alexander Gauland die Verbrechen der Nationalsozialisten vor dem Hintergrund der „tausendjährigen deutschen Geschichte“ einen „Vogelschiss“ nennt und Björn Höcke gegen einen „deutschen Schuldkult“ hetzt. Die Tilgung der Erinnerung dient dazu, sich ganz auf den Kampf zu konzentrieren gegen alles, woraus sich einmal die Nachkriegspolitik konstituiert hat. Das Erinnern an die NS-Diktatur wird von der AfD zu einer Umkodierung der Erinnerung genutzt. Aus den Hitler-Deutschen wird ein „verführtes deutsches Volk“; aus Tätern und Mittätern werden einfache pflichtbewusste Soldaten und patriotische Befehlsempfänger. Eine beschämende Vergangenheitsinterpretation, die NS-Verbrechen negiert, verharmlost und umdeutet.
Nein, wir sind nicht im Jahr 1933. Nicht alle, die der AfD ihre Stimme geben, sind Nazis und Bewunderer der NS-Diktatur. Aber es gibt offenkundig Gruppierungen im Dunstkreis der Partei, in denen dies der Fall ist. Ebenso auch eine allgemeine Bereitschaft von Parteigängern und Parteiwählern, die Eingewöhnung in und die „Veralltäglichung” von Nazi-Symbolen zu tolerieren. Es muss jedenfalls Gründe geben, sich wiederholt öffentlich mit NS-Parolen gemein zu machen und dann eine offenkundig der NS-Ideologie nahestehende Verwendung entweder glatt zu leugnen oder für gänzlich unbedeutend zu erklären. Dass dies keineswegs spontan und zufällig, sondern fortwährend rational und zielgerichtet geschieht, demonstrierte die AfD-Parteivorsitzende Alice Weidel kürzlich in einem WELT-TV-Interview. Zum Kernsatz der Hitlerjugend „Alles für Deutschland“, der auch von jungen Parteimitgliedern öffentlich benutzt wurde, gab sie sich beschwichtigend. Dafür hatte sie allenfalls ein Schulterzucken übrig: „Na und?”… Der ehemalige deutsche Bundesverfassungsrichter Thomas Fischer konstatierte in seiner Spiegel-Online-Kolumne treffend die „Verschmelzung von Programm und Psychogramm”.
Noch einmal: Nicht alle, die die rechtsextreme AfD wählen, sind Nazis, aber sie müssen sich vorwerfen lassen, rechtsradikale und rechtsextremistische Politiker mit weitreichenden parlamentarischen Legitimationen und Eingriffsmöglichkeiten auszustatten. Wer Demokratiefeinden seine Stimme gibt, den sollten wir ausdrücklich in Mithaftung nehmen. Ausreden gibt es nicht.
Im Februar erscheint vom Autor:
GNADENLOS DEUTSCH
Täter, Helfer, Zuschauer – und die Entsorgung der NS-Zeit
Aktuelle Reportagen aus der Vergangenheit
Alibri Verlag
HELMUT ORTNER hat bislang mehr als zwanzig Bücher, überwiegend politische Sachbücher und Biografien, veröffentlicht. Zuletzt erschienen: „Heimatkunde – Falsche Wahrheiten. Richtige Lügen“ (2024), „Das klerikale Kartell. Warum die Trennung von Kirche und Staat überfällig ist“ (2024) und „Volk im Wahn – Hitlers Deutsche oder Die Gegenwart der Vergangenheit“ (2022). Seine Bücher wurden bislang in 14 Sprachen übersetzt. Helmut Ortner ist Mitglied bei Amnesty International und im Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung.