Arbeit im digitalen Zeitalter, oder: Effizienz vor Menschlichkeit

Im Zeitalter der digitalen Technologien verändert sich die Arbeitswelt stetig. Das Beherrschen von Word, PowerPoint, Excel und Co sind längst die Voraussetzung für einen Bürojob – auch wenn sie wenig Gebrauch in Berufen in Industrie und Handwerk finden – und keine Einstellungskriterien mehr. An ihre Stelle treten mit immer größeren Schritten KI-Anwendungen. Doch welche Auswirkungen hat diese Entwicklung auf die Rolle des Arbeitnehmenden? Wie verändert sich unsere Arbeitswelt durch die Integration immer „intelligenter“ werdender Technologien? Und wo bleibt da eigentlich die Menschlichkeit?
Was ist Arbeit? Das Problem der Sichtbarkeit und Entfremdung
Was verstehen wir überhaupt unter Arbeit? Die gängigste Definition ist, dass es sich um etwas Schweres – manchmal auch Lästiges – handelt, was trotz alledem erledigt werden muss. Im alltäglichen Sprachgebrach steht der monetäre Aspekt im Vordergrund: Arbeit ist in erster Linie etwas, für das man bezahlt wird. Doch diese Definition sieht Arbeit zu eingeschränkt. Wird Arbeit nur über ihren monetären Wert definiert, entfällt jegliche Haus- und Care-Arbeit aus der Definition, obwohl diese Aufgaben oft noch zeitintensiver sein können als ein Vollzeitjob.
In der Theorie wird daher eine Unterscheidung zwischen sichtbarer und unsichtbarer Arbeit vorgenommen. Sichtbare Arbeit ist Arbeit, die bezahlt und wertgeschätzt wird; sie ist gebunden an soziale, räumliche und rechtliche Rahmenbedingungen. Sobald diese Rahmenbedingungen nicht mehr gegeben sind, wird Arbeit unsichtbar, wodurch sie auch nicht mehr wertgeschätzt werden kann. Stattdessen wird sie als gegeben angesehen und naturalisiert. Ein klassisches Beispiel ist der Haushalt. Es fällt erst auf, wie viel Arbeit tatsächlich gemacht werden muss, wenn sie nicht mehr übernommen wird. Was die Arbeit entfremdet, ist also das Fehlen von Wertschätzung, menschlichen Werten und Freiheit. Diese Unterscheidung verdeutlicht auch, warum Entfremdung zutiefst antihumanistisch ist: Da Arbeit oft einen wesentlichen Teil der eigenen Identität darstellt, führt diese Unsichtbarkeit und Entfremdung von der eigenen Arbeit zur Entfremdung von der eigenen Identität.
Eine Menge Arbeit, die für das Funktionieren der Gesellschaft notwendig ist, mag in die Kategorie „einfache“ Arbeit fallen – und nicht jeder, der in diesen Bereichen arbeitet, mag die eigene Arbeit als erfüllend empfinden – aber was Arbeit entfremdet, ist das Fehlen der Anerkennung des Menschen hinter der Arbeit. Wie ein Beitrag im Harvard Business Review zeigt, werden beispielsweise Niedriglohnarbeiter, die oft kritische Aufgaben in ihrem Unternehmen ausführen, als von Natur aus „schlechte“ Arbeiter angesehen, was wiederum als Rechtfertigung für hohe Fluktuationsraten oder niedrige Arbeitsmoral herangezogen wird. Diese Studie kommt jedoch zum Schluss, dass Arbeiter:innen in diesen Positionen ihren Arbeitsplatz nicht aufgrund von Arbeitsbedingungen, harter Arbeit oder anderen Faktoren aufgeben, sondern dass die befragten Niedriglohnarbeiter:innen oft Wohlwollen gegenüber ihren Arbeitgebern zum Ausdruck brachten. Stattdessen sind fehlende Wertschätzung und die Abwesenheit von Aufstiegsmöglichkeiten der Grund für Jobwechsel. Obwohl dieses Beispiel aus der „traditionellen“ Arbeitswelt stammt, wird das Gefühl von Missverständnis gegenüber Arbeitnehmer:innen durch digitale Technologien nur verstärkt.
Arbeit im Digitalen Zeitalter
Welche neuen Arbeitsverhältnisse entstehen durch neue Technologien wie KI? Und wie kann der Mensch im Zentrum bleiben? Hier tritt der digitale Humanismus in den Vordergrund. Die Grundidee des digitalen Humanismus zielt darauf ab, menschenzentrierte Technologien zu entwickeln. Anstatt neuen Technologien wie künstlicher Intelligenz menschliche Charakteristiken zuzuschreiben – beispielsweise Moral, Emotionen, oder Kreativität – soll Technologie den Menschen in seiner Selbstverwirklichung unterstützen. Gleichzeitig zielt der digitale Humanismus darauf ab, dass der Mensch selbst auch nicht wie eine Maschine behandelt wird, indem das Arbeiten des Menschen nur auf Effizienz reduziert wird. Der digitale Humanismus als Konzept ist besonders hilfreich, um zu verstehen, warum sich die Arbeitsverhältnisse durch digitale Technologien so stark verändern und welche Risiken diese Veränderungen beinhalten. Denn das Entfremden von der eigenen Arbeit ist eine zutiefst antihumanistische Entwicklung, die durch neue Technologien beschleunigt werden kann.
Besonderer Fokus muss auf die Arbeit von Menschen, die Daten klassifizieren und beschriften – sogenannte Daten-Labeler – gelegt werden. Auch wenn manche dieser Positionen in Europa angesiedelt sind, befinden sich die meisten dieser Stellen in nichtwestlichen Ländern – beispielsweise Indien oder Kenia – da in diesen Ländern kaum Lohn gezahlt werden muss. Stellen wir uns nun eine dieser Arbeiterinnen vor: eine Mutter aus Indien, die versucht, zusätzliches Geld zu verdienen, um ihre Familie in einer schwierigen Zeit zu unterstützen. Nachdem sie ihre Kinder ins Bett gebracht hat, verbringt sie die Abende vor ihrem Computer, scannt Amazon Mechanical Turk nach Aufgaben, die sie annehmen kann, und misst sich mit anderen Arbeitern auf der Plattform. Dabei ist die Plattform so konzipiert, dass Arbeiter:innen sich gegenseitig unterbieten und so den niedrigen Lohn oft weiter in die Tiefe treiben. Gleichzeitig können die Arbeiter:innen nicht miteinander kommunizieren und werden so voneinander isoliert. Die Arbeit dieser Mutter aus unserem Beispiel ist unsichtbar aufgrund ihrer räumlichen, rechtlichen und kulturellen Mechanismen aus den traditionellen Arbeitsverhältnissen. Statt in einem Büro zu sitzen – einem traditionellen Arbeitsplatz – arbeitet sie von zu Hause aus. Statt einen Arbeitsvertrag oder eine Krankenversicherung zu haben, arbeitet sie auf Antrag ohne Rechtsschutz. Statt einer Arbeit, die auf ihre persönlichen Stärken fokussiert ist, ist sie austauschbar. Sie kann sich nicht in ihrer eigenen Arbeit entfalten und entfremdet sich so.
Effizienz statt menschlicher Kompetenz?
Aber was ist mit anderen Arbeitsverhältnissen? Während sich Argumente zur Entfremdung in Bezug auf KI sonst auf den am Entwicklungsprozess beteiligten Arbeiter konzentrieren, kann die Entfremdung auch durch den Einsatz von KI in anderen Arbeitsumgebungen verschärft werden. Stellen wir uns folgendes Szenario vor: Ein Consultant wird einem neuen Kunden zugewiesen und muss am nächsten Tag ein Briefing für diesen vorbereiten. Er ist gerade dabei, relevantes Material auszuwählen, als seine Vorgesetzte vorschlägt, dass er doch stattdessen ein Large Language Model (LLM) verwenden könnte. Das Unternehmen habe speziell ein LLM entwickelt, das so gesichert ist, dass es die Nutzung von Kundendaten ermöglicht. Unser Consultant gibt nach; anstatt das Material selbst auszuwählen, lädt er alle relevanten Dateien hoch und erhält eine Liste mit wichtigen Punkten sowie Vorschläge für den Kunden. Das LLM kann sogar den Bericht selbst schreiben! Für einen Moment freut sich der Consultant – er kann sich eine Menge Arbeit sparen – doch beim Abschicken des KI-generierten Berichts fühlt er einen Moment so etwas wie Leere: Was hat er noch zu diesem Bericht geleistet? Was ist sein Beitrag als Mensch?
Dieses Beispiel ist keine Fiktion. Der Fokus liegt hier auf Produktivitäts- und Effizienzsteigerung statt auf menschlichen Kompetenzen. Das Verfassen eines gut informierten Briefings kann stundenlanges, konzentriertes Arbeiten erfordern, vor allem wenn der Consultant den Kunden noch nicht kennt. Allerdings ist sich die Forschung noch uneinig, ob der Einsatz von KI tatsächlich effizienzsteigernd sein kann: KI-Modelle sind dafür bekannt, Fehler zu machen und zu halluzinieren, also muss am Ende immer ein menschlicher Akteur kontrollieren, was die KI „geschrieben“ hat. Allerdings entsteht durch das bloße Prüfen eines Briefings keinerlei Selbstverwirklichung, es bleibt ein entmenschlichendes Zuarbeiten zur KI.
KI als Erleichterung, nicht als Ersatz
Noch einmal: Das Problem ist nicht die Existenz monotoner oder einfacher, physischer Arbeit. Vielmehr ist es die Entfremdung, die vor allem durch die zunehmende Digitalisierung vorangetrieben wird, die Arbeiternehmer:innen reduziert und im Moment noch nicht förderlich für die Produktivitätssteigerung von Unternehmen ist. Der digitale Humanismus bietet eine neue Herangehensweise zur Integration von neuen Technologien wie KI in den Arbeitsalltag: Statt Entfremdung zu fördern, muss KI so in das Arbeitsleben integriert werden, dass sie nur eine Erleichterung darstellt und keinen Ersatz. Zudem sollte stark hinterfragt werden, in welchen Bereichen die Anwendung von KI wirklich zielführend ist, damit wir weiter den Menschen im Zentrum behalten können.
PIA-ZOE HAHNE ist Researcherin für Digitalen Humanismus an der Fachhochschule des BFI Wien und Doktorandin an der philosophischen Fakultät der Universität Wien. Zudem ist sie Teil des Editorial Boards des akademischen Journals Digital Culture and Education. Ihre Arbeit fokussiert auf Technikphilosophie, KI-Ethik und das Verhältnis zwischen gesellschaftlichen Akteur:innen und künstlicher Intelligenz. Sie hält einen MSc in Cultures of Arts, Science and Technology von der Universität Maastricht.