Ist das bedingungslose Grundeinkommen ein Grundbaustein liberaler Demokratie?
Ein bedingungsloses Grundeinkommen ebnet als Generalpräventivmaßnahme den Weg zur Chancengerechtigkeit. Gleichzeitig wird damit die Bedarfsorientierung als Hürde zur Selbstbestimmung aus dem Weg geräumt und die Verantwortung vom Staat auf das Individuum übertragen.
Keine Parlamentspartei ist daran interessiert, ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) einzuführen oder auch nur eine Diskussion darüber zu beginnen. Das BGE ist ein tagespolitisches Nicht-Thema, was kein Indikator für seine Aktualität oder Nicht-Aktualität ist. Wir diskutieren ja auch lieber über die Beibehaltung des Bargelds, nicht aber über die Abschaffung der Neutralität. (QED)
Das breite Desinteresse liegt eher daran, dass es in den Parteien aus verschiedenen Gründen oft Sympathien, aber keine Binnenmehrheiten für das BGE gibt, das sich auch (historisch) nicht treffsicher ideologisch zuordnen lässt. Es liegt bestimmt nicht daran, dass das Konzept nachweisbar praxisuntauglich ist oder ein breit geteilter, grundlegender Einwand besteht, dass es etwa kein leistungsloses Einkommen geben darf. Gerade Letzteres wird durch die Praxis widerlegt: mit Kinderbeihilfe, Pensionsausgleich, Notstandshilfe und vielem mehr, was aus dem Bundesbudget bestritten wird, und bereits jetzt zu Zahlungen führt, denen keine Leistung gegenübersteht und die auch nicht immer einer Bedarfsorientierung folgen.
Viel zu komplex ist das Konzept, um es mit einem einzelnen Argument außer Diskussion stellen zu können. Im Gegenteil: Es gibt ein Bündel aus prinzipiellen und pragmatischen Begründungen für und gegen das bedingungslose Grundeinkommen, die gesellschaftspolitisch nicht zu Ende diskutiert worden sind, aber unabhängig von der Einführung eines BGE früher oder später erörtert werden müssen, weil sie damit auch prinzipielle Fragen klären lassen, die für die Ausgestaltung ähnlich gelagerter politischer Fragen hilfreich sind, etwa die oben genannten Transferleistungen.
Pragmatische und prinzipielle Begründungen
Es wäre falsch, beim bedingungslosen Grundeinkommen zu suggerieren, dass es sich um ein distinktes Konzept handelt; es gibt verschiedene Ausformungen von einer negativen Einkommensteuer bis zu einer Demokratiedividende und einigen mehr, die auch verschieden ideologisch wurzeln. Die Motivationen zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens sind aber nicht nur weltanschaulich zu differenzieren, sie folgen auch verschiedenen Typen von Argumenten, pragmatischer oder prinzipieller Natur.
An dieser Stelle wird nicht der Versuch unternommen, diese erschöpfend zu diskutieren oder zu evaluieren, sondern exemplarisch ein paar wesentliche herausgekehrt, die wiederholt vorgebracht werden.
Zu den pragmatischen Argumenten zählt die Reduktion der Armut durch die lebenslange Auszahlung eines Grundeinkommens in existenzsichernder Höhe, also genug, um die Armutsgrenze knapp zu überspringen. Nota bene, dass das nur für den Durchschnitt gilt und naturgemäß individuell variiert, also Menschen mit dem Grundeinkommen trotzdem kein Auskommen finden und andere es gar nicht brauchen. Sozialleistungen können durch diesen Auszahlungsmodus stark vereinfacht werden, was in der Theorie zu Einsparungen im Verwaltungsapparat führen sollte. Diese vorsichtige Formulierung legt nahe, dass Zweifel an den Effizienzgewinnen bereits angemeldet wurden.
Neben diesen und weiteren pragmatischen Überlegungen, die in Summe so gelagert sind – je nach Standpunkt –, vielleicht eine gerechtere Gesellschaft, aber zumindest mehr Freiheit im Sinne einer Chancenausgewogenheit zu erzeugen, gibt es prinzipielle Argumente, die andere Motivationen in den Fokus rücken.
Eines dieser prinzipiellen Argumente gründet auf der Annahme, dass allen Menschen ein Teil der Ressourcen der Erde zur Verfügung steht. Da wir aber nicht im Pleistozän leben und es uns ganz praktisch unmöglich ist, einfach in den Wald zu gehen und nach Lust und Laune zu wildern und abzuholzen oder nach Erdöl zu bohren, wo wir es für sinnvoll halten, nehmen wir den Umweg der geldwerten Übersetzung dieser Rohstoffe und ihrer historischen kulturellen Veredelung: Jeder Mensch bekommt seinen Teil Erde einfach ausbezahlt. Ob das zum guten oder Überleben reicht, wird weiter unten erörtert.
Ein Stück weitergedacht könnte man das BGE auch als Entschädigung der Allgemeinheit für die Einschränkung der individuellen Freiheit sehen. Wir werden alle in einen Staat geboren, den wir uns nicht ausgesucht haben, der uns Schranken auferlegt und Leistungen abverlangt in Form von Steuern bis hin zur Zwangsarbeit, die mit dem Euphemismus Zivildienst (oder ersatzweise Grundwehrdienst) umschrieben wird. Da wäre es nur würdig und recht, wenn dieser Staat das auch angemessen kompensiert. Manche meinen, dass das mit Schulbüchern, Autobahnen etc. ausreichend passiert.
So radikal die Idee der Entschädigung klingt, ist sie an dieser Stelle vor allem als Ausgangpunkt einer theoretischen Ableitung eines Grundeinkommens zu sehen und unterscheidet sich damit qualitativ nicht von der Prämisse der Chancengerechtigkeit am anderen Ende der pragmatischen Argumente.
Ziel dieser kleinen Übung war aufzuzeigen, aus welchen Richtungen man sich einem BGE nähern kann, die bei verschiedenen Grundgedanken in der Umsetzung zu sehr ähnlichen Lösungen führen können.
Reaktanzveranstaltung
Politisch wird das Konzept einer bedingungslosen Auszahlung von Geldern aus verschiedenen, auch guten, Gründen quer über das ideologische Spektrum innerhalb der Parlamentsparteien teilweise wohlwollend, aber vermutlich doch überwiegend ablehnend gesehen, sonst wäre es wohl wahrnehmbarer Teil der strategischen politischen Kommunikation.
Denkt man im klassischen Links-Rechts-Schema, dann stößt sich die leistungsorientierte Rechte wenig überraschend eher an der Leistungslosigkeit, die bei der Kinderbeihilfe natürlich trotzdem kein Problem darstellt, während die Linke der Freiheit im Umgang mit individuellen Ressourcen per se skeptisch gegenübersteht. Aber auch die Hubschraubergelder, die während und im Nachgang der Corona-Krise zur Kompensation der politisch induzierten ökonomischen Beschädigungen von Unternehmen und Privathaushalten ausgezahlt wurden, zählen eher als berechtigte Argumente gegen eine Erweiterung des Sprinklergebarens, dessen Streuverluste auch wieder aus Steuern – wie denn sonst – eingeholt werden müssen. Bei gleichzeitigem Trend zu kürzeren Wochenarbeitszeiten, der Selbstverständlichkeit von Homeoffice-Bedürfnissen, einer Gen Z, die einfach nicht mehr bereit ist, jeden Job dauerhaft zu machen, etc., stellt sich bei vielen – ob zu Recht oder nicht – die Wahrnehmung ein, dass Geld zu verdienen wohl, aber zu arbeiten per se nicht unbedingt als erstrebenswert gilt.
Da ist dann schnell von der sozialen Hängematte die Rede in der vorschnellen Annahme, dass die Bereitschaft zu arbeiten mit einem gesicherten Grundeinkommen noch weiter sinkt. Dabei wird übersehen, dass jemand, der leistungslos durchs Sozialsystem navigieren will, das auch jetzt schon schafft – ohne BGE. Aber auch wenn das mit einem Grundeinkommen bequemer wird, dürfte es – das zeigen Feldversuche der letzten Jahrzehnte – nur zu einer geringfügigen Übernutzung des Angebots kommen. Für die meisten Menschen reicht ein Einkommen an der Armutsgrenze mit zunehmendem Alter auch nicht mehr aus, um den angestrebten Lebensstandard zu erreichen.
Orientierung an der Bedürftigkeit
Aber wenn viele das BGE gar nicht benötigen, warum soll es dann allen ausgezahlt werden, und nicht nur jenen, die es brauchen? Als Gegenargument zur Bedingungslosigkeit wird die Bedarfsorientierung ins Treffen geführt, die auf das erste Hinhören zwar sinnvoll klingt, aber in vielerlei Hinsicht differenzialistisch wirkt und mit einem religiös verwurzelten Almosengedanken einhergeht, der keine Prävention kennt. Die Logik dahinter spiegelt die gängige Praxis wider: Wer tatsächlich Hilfe braucht, darf um sie bitten und wird sie bekommen.
Jedenfalls muss die Bedürftigkeit erreicht und festgestellt werden, was in zweierlei Hinsicht diskriminierend ist. Erstens werden Menschen, die staatliche Hilfe benötigen, erfasst, kategorisiert, mitunter stigmatisiert, und zweitens – und das mag paradox klingen – werden natürlich auch diejenigen, die keine Hilfe benötigen, benachteiligt, weil ihr Lebensunterhalt eben von der Allgemeinheit nicht bezuschusst wird. Das ist gerade gegenüber jenen, die Vollzeit arbeiten und trotzdem sehr wenig verdienen, einigermaßen unfair. Eine tatsächlich solidarische Gesellschaft würde gerade ein Grundeinkommen bedingungslos und universell anlegen. Wer dazuverdient, wird in Österreich ohnehin zu hoch besteuert.
Finanzierung und Höhe
Ein Grundeinkommen, das als existenzsichernd gilt und sich oberhalb der Armutsgrenze bewegt, wird in der Tat schwer zu finanzieren sein. Bei einer Größenordnung von 1.000 Euro pro Person pro Monat liegt die Dimension bei 100 Milliarden Euro pro Jahr in Österreich.
Dass diese Summe mit einem erhöhten Steueraufkommen, dem Ersetzen von bisherigen Sozialleistungen, Einsparungen etc. ohne zusätzliche Belastungen erreicht werden kann, darf ausgeschlossen werden. Letztendlich werden höhere Einkommensteuertarife und neue vermögensbezogene Steuern den größten Teil der notwendigen Mehreinnahmen ergeben. Angesichts der überhitzten Steuerquote in Österreich kann das niemand ernsthaft fordern.
Auch wenn die Finanzierung damit wahrscheinlich der größte Showstopper sein wird, bedeutet ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht zwangsläufig, dass es vollständig existenzsichernd sein muss. Zwar ist diese Annahme in den modernen Modellen in der Regel impliziert, aber es steht uns frei, wie in vielen anderen Konzepten universeller Nationaldividenden auch, davon abzuweichen, auch wenn damit einige praktische Argumente wie Einsparungen durch den Ersatz anderer Transferleistungen verloren gehen und das BGE nicht seine volle Wirkung entfalten kann.
Mit dem Alaska Permanent Fund gibt es sogar eine praktische Umsetzung eines Grundeinkommens, das als jährliche Dividende an die Einwohnerinnen und Einwohner des US-Bundesstaats ausbezahlt wird. 2022 waren das immerhin ca. 3.284 US-Dollar (ca. 3.041 Euro) pro Kopf. Viel zu wenig, um davon leben zu können, aber mit Sicherheit hat auch dieser Betrag eine armutsreduzierende Wirkung. Außerdem erfüllt diese Ausschüttung den prinzipiellen Anspruch, einen Teil der Erlöse aus Allgemeingütern auch auf die Allgemeinheit umzulegen, die dem Individuum zur freien Verfügung stehen und nicht in paternalistischer Art und Weise von der staatlichen Verwaltung nach deren Gutdünken zur Verbesserung der Lebensverhältnisse aufgewendet wird.
Vermeintliche Bedingungslosigkeit
Während die existenzsichernde Höhe beim BGE impliziert wird, aber sicher keine zwingende Komponente ist, wird seine Bedingungslosigkeit ganz explizit festgeschrieben. Tatsächlich ist diese Bedingungslosigkeit aber in keinem einzigen Modell zu finden. Jede Form des BGE ist an Staatsbürgerschaft und/oder Wohnsitz gebunden, sodass nicht von einer tatsächlichen universellen Bedingungslosigkeit gesprochen werden kann.
Mit dieser Einsicht werden aber auch die vorliegenden tatsächlichen Bedingungen im vermeintlich bedingungslosen Grundeinkommen verhandelbar. Wenn die Voraussetzungen in einer mit dem Wohnsitz verbundenen Staatsbürgerschaft liegen, dann sind damit auch (leider noch bestehende) staatsbürgerliche Pflichten verbunden. So wäre es auch denkbar, dass die Auszahlung des BGE an die Ableistung des Grundwehrdienstes oder Zivildienstes gebunden ist, ohne dass die Bedingungslosigkeit in den gängigen Definitionen davon berührt ist. Versieht man die Wehrpflicht und den Zivildienst bei gleichzeitiger Öffnung für alle Menschen mit Freiwilligkeit oder einem Opt-out, dann würde auch die Finanzierbarkeit erleichtert. Auf diese Art und Weise könnten wir uns auch elegant von der allgemeinen Wehrpflicht für Männer befreien. Aber das ist nur ein Gedankenspiel, das an dieser Stelle nicht erschöpfend weiter ausgedacht wird.
Ressource der Chancengerechtigkeit
Die in diesem Text vorgetragenen Begründungen für und gegen die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens sind weit von Vollständigkeit entfernt. Was gezeigt werden sollte, war vor allem der Ansatz einer Systematisierung in pragmatische und prinzipielle Argumente. Zu oft bleibt die Diskussion an Befindlichkeiten stehen, die Probleme in der praktischen Umsetzbarkeit sehen (z.B. Finanzierbarkeit) oder Haltungen (z.B. Ablehnung von leistungslosem Einkommen) in den Vordergrund stellen. Prinzipielle Überlegungen, wie die Teilhabe an den historisch angewachsenen Ressourcen und ihrer Verwertung, die eigentlich vorab diskutiert gehörten, werden ausgeblendet. Dazu zählt sicher auch die Verschiebung von der Fürsorglichkeit des gerne so bezeichneten Vollkaskostaates zugunsten einer erhöhten Verantwortung des Individuums, mit den Ressourcen der Chancengerechtigkeit selbst hauszuhalten.
Es gab schon in der Schule jene, die Taschengeld zur freien Verfügung bekamen, und solche, die über Sachleistungen ernährt, gekleidet und unterhalten wurden. Beide haben gleich viel bekommen. Die einen lernten mit der Freiheit verantwortungsvoll umzugehen, die anderen wurden daran gewöhnt, dass andere ihre Bedarfsorientierung decken.
Das bedingungslose Grundeinkommen wäre dementsprechend auch als grundlegender Baustein einer liberalen Demokratie zu sehen, die Chancengerechtigkeit in die Hände des Individuums legt.
NIKO ALM war Herausgeber von Vice, Gründer der Agenturgruppe Super-Fi und zuletzt Geschäftsführer der investigativen Rechercheplattform Addendum. Aktuell ist Alm mit Average unternehmerisch tätig. Von 2013 bis 2017 war er für NEOS Abgeordneter zum Nationalrat mit den Schwerpunkten Medien, Wirtschaft, Weltraum und Kultur. Darüber hinaus engagiert sich Niko Alm in mehreren Initiativen für Laizität. 2019 veröffentlichte er sein erstes Buch „Ohne Bekenntnis – Wie mit Religion Politik gemacht wird“.