BGE: Einmal alles, umsonst!
Leben, ohne arbeiten zu müssen? Das bedingungslose Grundeinkommen verspricht genau das. Eine schöne Fantasie – die besser eine bleiben sollte, meint Georg Schildhammer.
Die Welt ist ungerecht. Manche können ihr Hobby zum Beruf machen und verdienen damit auch noch viel Geld. Andere hingegen müssen einen Job ausüben, der anstrengend, schmutzig, gefährlich und schlecht bezahlt ist, nichts mit Kreativität und schon gar nichts mit Selbstverwirklichung zu tun hat. Wieder andere finden überhaupt keine Arbeit, sei es, weil sie zu alt sind, weil sie keine am Markt verwertbaren Fähigkeiten vorweisen können, oder weil sie physische oder psychische Probleme haben. Für Menschen, die gerne arbeiten würden, aber nicht können, spannen Staaten wie Österreich ein Netz auf. Niemand soll auf der Strecke bleiben.
Wie wäre es aber, stattdessen jedem Menschen, unabhängig von der Marktlage, seinen Fähigkeiten und seiner Bereitschaft zu arbeiten, einen Betrag auszuzahlen, der nicht bloß sein nacktes Überleben sichert, sondern auch noch ein würdevolles Dasein ermöglicht? Die Befürworter eines „bedingungslosen Grundeinkommens“ (BGE) machen sich für die Umsetzung dieser Idee stark – und bringen dafür Argumente ins Spiel, die auf den ersten Blick plausibel erscheinen.
Drei Gründe für das BGE
Wer schon einmal arbeitslos war und sich in regelmäßigen Abständen beim Arbeitsmarktservice (AMS) melden musste, weiß: Es ist ziemlich demütigend, als Bittsteller aufzutreten. Ende Juni 2023 waren 307.732 Menschen beim AMS gemeldet, davon 239.301 arbeitslos, 68.431 in Schulungen. Anstatt regelmäßig Erhebungen zum Bedarf und legitimen Bezug einer Arbeitslosenunterstützung durchzuführen, die mit hohem Aufwand verbunden sind, wäre es besser, einen gewissen Betrag an alle auszuzahlen. Dieser würde den Druck von Arbeitslosen nehmen, der oft eher demotivierend wirken dürfte, und ihnen die nötige Sicherheit und Ruhe bieten, um sich neu zu orientieren. Außerdem könnten durch Digitalisierung und Automatisierung in naher Zukunft immer mehr Menschen arbeitslos werden.
Ein weiteres Argument für das BGE ist die Bekämpfung von Armut. Diese ist nicht nur für die Betroffenen selbst problematisch. Indirekt sind mit ihr auch mögliche negative Effekte für die gesamte Gesellschaft verbunden, vor allem Krankheit und Kriminalität, deren Kompensation einmal mehr mit hohen Kosten verbunden wäre. Außerdem könnte auch hier, so die BGE-Befürworter, der bürokratische Aufwand der Bedarfsprüfung stärker zu Buche schlagen als die Auszahlung eines BGE an alle.
Das dritte Argument zugunsten des BGE ist nicht sozialpolitischer, sondern ethischer Natur: Jedem Menschen stünde zur Realisierung seiner individuellen Freiheit und Selbstverwirklichung ein gerechter Anteil der natürlichen Ressourcen zu, welche diese Welt uns allen zur Verfügung stellt. Und dieser Anteil sollte am besten in Form eines BGE ausbezahlt werden. Tatsächlich gibt es eine solche Verteilung von Ressourcen bereits – und zwar in Alaska. Im Jahr 1976 wurde dort der sogenannte Alaska Permanent Fund eingerichtet. Er schüttet die Gewinne aus der lokalen Ölförderung an alle Menschen mit ständigem Wohnsitz in Alaska aus. Für 2022 betrug die von Jahr zu Jahr variierende Dividende ca. 3.300 US-Dollar pro Person.
Drei kurze Entgegnungen
Dass Armut und Arbeitslosigkeit – und sei es auch nur einer kleinen Zahl von Menschen – in einem Staat für die Betroffenen selbst und für die Gesellschaft negative Auswirkungen haben können, steht außer Frage. Doch damit ist noch nicht gesagt, dass diesen Problemen mit der Einführung eines BGE begegnet werden muss.
Die finanzielle Unterstützung aller Menschen, unabhängig davon, ob sie diese nötig haben oder nicht, erscheint unsinnig, aber auch ungerecht. Warum sollte der reiche Industrielle ein BGE beziehen, das er gar nicht braucht, während mancher Arbeitslose aufgrund von chronischer Krankheit, die eine kostspielige Therapie erfordert, diese mit einem BGE nicht bezahlen kann? Ein ähnliches Problem ergibt sich übrigens auch daraus, dass die Lebenshaltungskosten an verschiedenen Orten zumindest aufgrund unterschiedlicher Mietpreise erheblich schwanken. Müsste ein Grundeinkommen nicht entsprechend flexibel gestaltet sein?
Zwar mag es zutreffen, dass der administrative Aufwand zur Bedarfsprüfung groß sein könnte. Doch sollte das nicht eher dazu führen, die Umsetzung zu verbessern und dadurch Kosten zu reduzieren? Gerade die Digitalisierung könnte dabei helfen, diese Aufgabe zu bewältigen. Apropos „Digitalisierung“ (und „Automatisierung“): Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass sämtliche Jobs von einem Tag auf den anderen von durch Computer gesteuerten Maschinen übernommen werden. Falls überhaupt, dürfte sich diese Entwicklung über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte hinziehen, wobei ein Job nach dem anderen an die Maschinen verloren gehen würde. Das ließe genug Zeit, um jene, die arbeitslos werden, finanziell aufzufangen, während alle anderen weiter ihre Berufe ausüben könnten. Davon abgesehen wissen wir heute noch nicht, welche Jobs verloren gehen und welche neuen in Zukunft entstehen werden.
Was das ethische Argument betrifft: Natürlich kann man die Position vertreten, dass jeder Mensch das Recht hat, seine individuelle Freiheit zu verwirklichen und dafür einen gerechten Anteil der natürlichen Ressourcen beanspruchen darf. Doch damit ist noch nicht geklärt, wie das Geld, in welches diese Ressourcen übersetzt werden müssen, erwirtschaftet werden soll. Denn dass irgendjemand arbeiten muss, um Wildnis in fruchtbares Ackerland zu verwandeln, liegt auf der Hand. Nun mag es zwar sein, dass auch das in Zukunft von Maschinen übernommen wird. Doch bis es so weit ist, muss mindestens ein Mensch arbeiten – was das BGE als eine selbstwidersprüchliche Konstruktion entlarvt.
BGE: Einer für alle?
Denn ein Konto, von dem alle Geld abheben, auf das aber niemand etwas einzahlt, wird früher oder später leer sein. Das BGE ist somit nicht wirklich „bedingungslos“, zumindest für eine Person. Ähnlich wie ein Träger der Blutgruppe 0 dient diese als „Universalspender“, als der ultimative Nettozahler, der den Pot regelmäßig mit seinen (Steuer-)Beiträgen auffüllt und damit allen anderen ihr BGE und sich selbst sein – somit eben nicht bedingungsloses – Einkommen finanziert.
Dass nur mehr ein einziger Mensch arbeitet, ist natürlich eine absurde Vorstellung. Nicht allein deshalb, weil es ungerecht wäre und der Idee der Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens für alle zuwiderlaufen würde. Es wäre auch schlicht unmöglich, dass eine einzige Person alle Tätigkeiten verrichtet, die wir als Gesellschaft benötigen, um zu funktionieren. Ein Schuster, Bäcker, Elektriker, Installateur, Busfahrer, Arzt usw. in Personalunion ist unvorstellbar. Und selbst wenn eine einzelne Person sämtliche Tätigkeiten einigermaßen professionell ausüben könnte – für alle Menschen innerhalb unserer Gesellschaft könnte sie diese Leistungen niemals, jedenfalls nicht in akzeptabler Zeit, erbringen.
Die Anhänger des BGE werden an dieser Stelle einwenden, dass es nach ihren Prognosen nie dazu kommen würde, dass nur mehr ein einziger Mensch arbeitet. Denn selbstverständlich würde jeder von uns mehr Geld zur Verfügung haben wollen, als das BGE ihm bietet, um einen gewissen Lebensstandard zu erreichen. Und nicht nur das: Menschen würden auch deshalb freiwillig eine Tätigkeit ausüben, weil Arbeit Spaß macht und Sinn stiftet.
Fiktion und Realität
Die Annahme, dass Menschen, die mit einem bedingungslosen Grundeinkommen versorgt würden, ihre Arbeit nicht zur Gänze oder wenigstens teilweise an den Nagel hängen und sich dem „dolce far niente“ hingeben würden, ist vollkommen realitätsfremd.
Im April 2023 meldete sich der Rechnungshof öffentlich zu Wort, um das Instrument der „Bildungskarenz“ bzw. dessen Verwendung zu kritisieren. Im Jahr 2021 wurde dieses Angebot von ca. 14.000 Personen genutzt, die Kosten – gedeckt aus den Mitteln der Arbeitslosenversicherung – beliefen sich auf rund 300 Millionen Euro. Von 2010 bis 2021 hatte sich die Zahl der Bezieher verdoppelt, die Ausgaben waren auf das Dreifache gestiegen.
Eigentlich wäre der Zweck dieses Instruments, Menschen eine Weiterbildung zu ermöglichen, mit der sie sich anschließend am Arbeitsmarkt besser positionieren können. Der Rechnungshof musste jedoch feststellen:
„Die zeitlichen und inhaltlichen Anforderungen an die Aus– und Weiterbildung waren allerdings so gering, dass Bildungskarenz gleichermaßen für wenig aufwändige, arbeitsmarktpolitisch wenig relevante Kursangebote und für mit öffentlichen Mitteln finanzierte ,Auszeiten aus dem Arbeitsprozess‘ genutzt werden konnte.“
Gewählt wurde die Bildungskarenz stärker von Menschen mit ohnedies bereits hohem Bildungsniveau. Zwei Drittel der Bezieher waren Frauen, von denen viele sie gleichsam als eine „Verlängerung der Babypause“ verwendeten.
Tatsächlich ist die Gefahr groß, dass die Einführung eines BGE dazu führen würde, dass Menschen ihre Berufswünsche vorbei an den Bedürfnissen des Markts realisieren. Sollten jene, die freiwillig weiterarbeiten, mit ihren Steuerbeiträgen drittklassigen Schauspielern, Schriftstellern, Malern und Musikern die Möglichkeit finanzieren, ihr Hobby zum „Beruf“ zu machen – etwas, was sie ohne diese Förderung mangels Begabung niemals tun könnten?
Feldversuche im Labor
Die derzeitige Nutzung der „Bildungskarenz“, einer Art Quasi-BGE, sollte zu Recht den Idealismus der Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens infrage stellen. Doch was ist mit den verschiedenen Experimenten zum BGE, die bereits in mehreren Ländern durchgeführt worden sind?
Im Jahr 2015 hatten 66 Prozent der finnischen Parlamentsabgeordneten laut einer Umfrage die Einführung eines BGE befürwortet, wobei jene Parteien, die sich dafür aussprachen, unterschiedliche Modelle präferierten. Dabei zeigte sich ein interessantes Phänomen, das auch die Einstellung zum Thema BGE in anderen Ländern (z.B. in Deutschland und Österreich) reflektiert: Die Zusammensetzung der beiden Gruppen der Befürworter und der Gegner ist äußerst unterschiedlich. So finden sich in jedem der beiden Lager Linke und Liberale bzw. Konservative. Die Abgeordneten der finnischen Grünen, des Linksbündnisses und der liberalen Zentrumspartei stimmten für, die Vertreter der Nationalen Sammlungspartei sowie der Sozialdemokratischen Partei gegen ein BGE.
Was auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint, ist auf den zweiten schon nachvollziehbarer: Je nach ideologischer Schwerpunktsetzung – z.B. Eigenverantwortung versus Sicherheit, Kostenreduktion versus gut dotierter Sozialstaat – lassen sich vor fast jedem parteipolitischen Hintergrund mehr Vor- oder mehr Nachteile eines BGE finden.
Das finnische Experiment, das die Effekte eines BGE auf Arbeitslosigkeit, Armut und den bürokratischen Aufwand sowie auf die Reintegration von Menschen in den Arbeitsmarkt überprüfen sollte, wurde nach der Parlamentswahl 2015 initiiert und 2016 gestartet. Die Koordination des Versuchs lag beim Sozial- und Gesundheitsministerium, die wissenschaftliche Leitung wurde Professor Olli Kangas von der staatlichen Sozialversicherungsanstalt KELA übertragen. Von den 2016 in Finnland lebenden Menschen, die zwischen 25 und 58 Jahre alt waren und zu diesem Zeitpunkt Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe bezogen, wurden per Zufall 2.000 Teilnehmer ausgewählt, 52 Prozent Männer, 48 Prozent Frauen. Die Teilnahme war verpflichtend.
Symbolbild, produziert mit Midjourney AI
Vom 1. Jänner 2017 an bezogen die Probanden monatlich 560 Euro steuerfrei und bedingungslos, das heißt unabhängig von möglichen anderen Einnahmequellen. Es war den Teilnehmern überlassen, ob sie sich um einen Job bewerben, sich selbstständig machen oder keines von beidem. Außerdem war der Bezug anderer Sozialleistungen möglich. (Viele Vertreter eines BGE aus den Reihen liberaler Parteien plädieren im Gegensatz dazu dafür, mit Einführung eines BGE sämtliche anderen Transferleistungen einzustellen.)
Der Betrag von 560 Euro entsprach ungefähr jenem der finnischen Grundsozialhilfe und war nicht sehr hoch bemessen, um nicht als „soziale Hängematte“ zu wirken, sondern den Anreiz zu schaffen, sich um eine Arbeitsmöglichkeit umzusehen (was allerdings der Idealvorstellung eines BGE – bedingungslos ein Leben in Würde zu ermöglichen – nicht ganz gerecht wird). Anfang 2019 lief das Experiment aus, ein Antrag auf Verlängerung wurde von der Regierung im April 2018 abgelehnt.
Die Bilanz des Versuchs ist durchwachsen: Zwar sei laut KELA die Arbeitslosenquote bei den Teilnehmern während der Zeit der Auszahlung des BGE gesunken, allerdings nicht signifikant stärker als in der Kontrollgruppe. Die Aussagen der Probanden zu ihrem physischen und psychischen Befinden waren unvollständig und konnten somit nicht seriös ausgewertet werden. Der wissenschaftliche Leiter, Olli Kangas, resümierte laut der britischen Zeitung The Guardian: „Zwei Jahre sind zu kurz, um ausführliche Schlüsse aus so einem großen Experiment zu ziehen. Wir hätten zusätzliche Zeit und mehr Geld gebraucht, um verlässliche Ergebnisse zu bekommen.“
Warum Studien kaum etwas aussagen können
Das ist zu bezweifeln. Denn die Probleme an jeder Studie zum BGE, ganz egal, wie lange sie laufen mag, sind offensichtlich: Die Zahl der Teilnehmer ist beschränkt, die Laufzeit befristet. Da nicht alle Mitglieder einer Gesellschaft an solchen Versuchen teilnehmen können – die Kosten und möglichen Risiken wären zu hoch –, lässt sich daraus so gut wie gar nichts ableiten.
Wie würde eine ganze Volkswirtschaft reagieren, wenn niemand mehr arbeiten müsste? Was würde das für das Angebot auf dem Arbeitsmarkt bedeuten, was für die Kosten von Arbeit? In einem befristeten Versuchszeitraum wäre es nicht überraschend, wenn nur wenige der Probanden ihren Arbeitsplatz aufgeben würden. Denn sie müssten sich Sorgen darüber machen, ob sie ihn nach Ablauf des Experiments wiederbekommen würden. Zwar mag es stimmen, dass viele Menschen tatsächlich weiter ihrer Arbeit nachgehen würden, weil sie diese sinnstiftend und interessant finden. Doch gerade jene Personen, die in schlecht bezahlten, eher unkreativen bzw. „schmutzigen“ Berufen tätig sind, würden wahrscheinlich ihre Arbeitszeit um den Faktor des BGE reduzieren.
Wenn etwa ein Mitarbeiter der Straßenreinigung bisher im Monat 2.000 Euro netto verdient hat und nun bedingungslos 1.500 Euro überwiesen bekommt, ist zu erwarten, dass er seine Arbeitszeit auf 25 Prozent absenkt. Will eine Kommune wie die Stadt Wien weiterhin auf die restlichen 75 Prozent der Arbeitsleistung zurückgreifen, müsste sie also insgesamt 8.000 Euro ausgeben: Viermal das BGE in Höhe von 1.500 Euro, plus viermal 500 Euro für vier Personen, welche die gesamten 100 Prozent der Straßenreinigung des einen Mitarbeiters übernehmen. Das würde nicht nur die Kosten explodieren lassen – dem Arbeitsmarkt stünden auch weniger Personen zur Verfügung.
Befürworter des BGE werfen an dieser Stelle ein, dass das BGE dazu führen würde, dass unbeliebte Jobs künftig besser bezahlt würden. Das mag in der Theorie stimmen, vergrößert aber das soeben skizzierte Problem: Die Kosten würden weiter steigen, die Ausgaben für Arbeit nicht zu bewältigen sein. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würde dies außerdem eine Spirale in Bewegung setzen, die nicht nur zu höheren Preisen für Arbeit führen, sondern auch Waren und Dienstleistungen verteuern würde. Wenn jeder Mensch plötzlich einen Betrag von 1.500 Euro zusätzlich zur Verfügung hätte, würden dadurch etwa die Preise für Mieten, aber auch für Lebensmittel im Supermarkt steigen.
Die Frage, ob Menschen die fehlenden 500 Euro tatsächlich über eine angemeldete Tätigkeit beziehen würden, ist damit noch gar nicht berührt. Denn die Gefahr, dass viele diesen Restbetrag „steuerschonend“ via Schwarzarbeit dazuverdienen oder dass sich Tauschbörsen für Waren und Dienstleistungen etablieren, dürfte groß sein. Um solche unerwünschten Effekte einzuschränken, müsste erst recht wieder ein erheblicher administrativer Aufwand betrieben werden.
Weitere Fragen der Moral
In einer globalisierten Welt steht ein BGE vor besonderen Herausforderungen. Dürfen österreichische Bezieher sich für längere Zeit aus ihrer Heimat verabschieden? Das könnte problematisch sein, weil es sich mit einem österreichischen BGE in einem Land mit niedrigeren Lebenshaltungskosten ganz gut ohne Arbeit leben ließe. Müsste man Menschen nicht davon abhalten, nach Asien zu übersiedeln und sich das BGE aufs Konto überweisen zu lassen, weil dies zu einem Kaufkraftabfluss führen würde? Doch wenn es für den Bezug vorgeschrieben wäre, zu Hause zu bleiben, würde Österreich zu einer Art „DDR light“: Das wäre wiederum für jene Unternehmen mit negativen Konsequenzen verbunden, die Mitarbeiter für größere Projekte ins Ausland entsenden wollen. Und das hätte letztlich erneut volkswirtschaftliche Auswirkungen.
Wie verhält es sich umgekehrt mit der Gefahr eines „BGE-Tourismus“? Könnten nicht Menschen aus ärmeren Ländern mit hoher Arbeitslosenquote mit ihren Familien nach Österreich ziehen? Würden sie sich einen Job suchen oder auf Basis des BGE, das ihnen und ihren Familienmitgliedern ausbezahlt würde, ohne Motivation, Deutsch zu lernen oder eine entsprechende Ausbildung zu erlangen, die Vorzüge eines wohlhabenden europäischen Landes genießen?
Ein daran anknüpfendes Problem: Gerade für Frauen aus migrantischen Milieus, die schon jetzt aufgrund des Einkommens ihrer Männer nicht dazu genötigt waren, sich eine Arbeit zu suchen, könnte das BGE zusätzlich als eine Art „Herdprämie“ wirken. Anstatt sich durch berufliche Tätigkeit besser in die neue Heimat einzuleben, Kontakte zur Bevölkerung aufzunehmen und die Landessprache zu lernen, hätten es diese Frauen noch schwerer, sich zu integrieren und zu emanzipieren.
Zurück an den Start
In welcher Welt wollen wir leben? Welche Waren und Dienstleistungen soll es geben? Die Frage nach dem BGE verführt dazu, sie ausschließlich aus dem Blick auf die eigene Tätigkeit zu betrachten. Doch das ist ein Fehler. Schließlich reicht es nicht aus, sich zu überlegen, was man selbst gerne tun möchte. Viel wichtiger ist es zu fragen, welche Arbeiten wir gerne von anderen verrichtet sehen würden. Um es konkret zu machen: Wollen wir auch in Zukunft rund um die Uhr Zugriff auf frische Lebensmittel? Wollen wir eine funktionierende Infrastruktur für Wasserversorgung, für die Bereitstellung von Energie, für medizinische Angebote?
Die meisten Menschen werden diese Frage wohl mit „Ja“ beantworten. Doch um so weiterleben zu können wie bisher, brauchen wir Menschen, die all jene Arbeiten verrichten, die das aktuelle System am Laufen halten. Welchen Sinn hätte es dann aber, die natürlich gewachsene Struktur unserer Wirtschaft durch einen künstlichen Eingriff zu erschüttern? Kann nicht jetzt schon jeder Mensch in Österreich die Arbeit verrichten, die – in Abhängigkeit von seinen Kenntnissen und Fähigkeiten sowie seiner Bereitschaft, sich zu engagieren – seinen Interessen am besten entspricht?
Die Einführung eines BGE würde im besten Fall den Zustand ex ante wiederherstellen. Im schlechtesten jedoch würde sie zu negativen Effekten führen, die – entgegen der Intention der Befürworter des BGE – gerade die Schwächsten unserer Gesellschaft am härtesten treffen dürften.
GEORG SCHILDHAMMER ist Philosoph und Autor. Er unterrichtet an einer privaten Universität sowie an mehreren Fachhochschulen. Seine Schwerpunkte sind Ethik und Wissenschaftstheorie. Schildhammer lebt in Wien.