Bitcoin – eine politische Bewegung
Aus einer ursprünglich kleinen, unbekannten Internetwährung, mit der sich anfangs nur ein paar Internet-Anarchist:innen beschäftigten, ist in den letzten Jahren etwas weit Größeres entstanden: Die Idee der Entwicklung eines alternativen Geldsystems. Und es sieht immer mehr danach aus, als könnte die Idee eines Tages tatsächlich Realität werden.
Vorbei sind die Zeiten, als man sich bei Bitcoin fragte, ob es sich nur um ein reines Spekulationsobjekt ohne echten Nutzen handelt. Denn längst wird die Kryptowährung auch von Staaten, Unternehmen und großen Investmentfonds gekauft.
Irgendwie hat es Bitcoin gerade in Zeiten von Pandemie und hoher Inflation geschafft, plötzlich völlig anders wahrgenommen zu werden. Weg von einer obskuren Internetwährung, die kaum jemand wirklich versteht, hin zu einem möglichen Schutz gegen Inflation, Diversifizierung von Portfolios – oder eben der Idee eines alternativen Geldsystems. Frühere Kritiker:innen sind heute Bitcoin-Besitzer:innen, so manche:r Skeptiker:in hat die Seiten gewechselt, und selbst der reichste Mensch der Welt, Elon Musk, besitzt nun privat Bitcoin, und das über gleich mehrere seiner Unternehmen. Und diese neue Sicht auf Bitcoin, die sich in den letzten Jahren etabliert hat, wird nicht folgenlos bleiben.
Wo stehen wir? Das Transaktionsvolumen des Bitcoin-Netzwerks hat jenes von Visa im Jahr 2021 um Milliarden überstiegen. 83,85 Millionen Bitcoin-Wallets existieren auf der Bitcoin-Blockchain. 748.732 Mal wurde bisher ein Block gefunden und an die Blockchain angehängt. Ebenso oft, nämlich 748.732 Mal, müsste man einen Block – von ganz vorne beginnend – manipulieren, um die Blockchain insgesamt zu manipulieren – was technisch nicht vorstellbar ist. Rund 225 Exahashes – das sind 225 Millionen Milliarden – pro Sekunde führt das Bitcoin-Netzwerk aus und schützt sich so auch vor Angriffen von außen. Wer Bitcoin attackieren oder manipulieren möchte – egal ob von innen oder von außen – wird daran scheitern. Selbst wenn die USA, China und Russland sich gemeinsam gegen das Bitcoin-Netzwerk zusammentun, werden sie es heutzutage nicht mehr unterbinden können. Bitcoin ist die Erfüllung des Traums eines jeden Cypherpunks: ein unabhängiges Geldsystem ohne Kontrolle durch Staaten.
Der Bitcoin-Standard
Der sogenannte Bitcoin-Standard ist die Idee eines Geldsystems, das auf der Technologie und den Eigenschaften von Bitcoin basiert: allen voran der Dezentralität, der Unabhängigkeit, der Planbarkeit der Geldmenge und Sicherheit des Netzwerks. Im Unterschied zur Abhängigkeit von Zentralbanken bei klassischen Währungen gibt es hier niemanden, der etwas entscheidet. Das Protokoll selbst gibt die Regeln vor.
Ein Geldsystem darauf zu basieren, ist eine Idee, die anfangs unrealistisch klingen mag, die aber bei genauerem Hinsehen doch Grund zur intellektuellen Auseinandersetzung liefert. Denn wenn man den größten Kritikpunkt von Bitcoin – jenen der großen Preisveränderungen – langfristig betrachtet, lässt sich eine Tendenz zu sinkenden Preisschwankungen erkennen. Abseits der extremen Preissprünge nach oben oder unten gibt es Grund zur Annahme, dass die Volatilität der Währung also langfristig kleiner und der Preis somit immer stabiler werden wird. Sollte sich der Bitcoin-Preis eines Tages auf ein verträgliches Maß an Stabilität hin entwickeln, gibt es nur noch wenig Grund, die Eignung als Geld abzustreiten. Damit kann auch das Argument für ein Geldsystem gemacht werden, das auf Bitcoin basiert.
Erste Staaten setzen auf Bitcoin
Unabhängig von theoretischen Überlegungen ist der Bitcoin-Standard bereits heute in zwei Ländern der Welt Realität: El Salvador und die Zentralafrikanische Republik haben Bitcoin innerhalb des letzten Jahres zum gesetzlichen Zahlungsmittel ihrer Länder erhoben. Damit ist es im Alltag für die Bezahlung von Waren und Dienstleistungen anerkannt und kann beispielsweise auch für Steuerzahlungen verwendet werden. Das zentralamerikanische El Salvador hob insbesondere die Wichtigkeit von Auslandsüberweisungen aus den USA für die salvadorianische Wirtschaft hervor. 22 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) des Landes machen Rücküberweisungen von Salvadorianer:innen aus, die in den USA leben. Dabei machen Geschwindigkeit und Transaktionskosten einen großen Unterschied, und hier punktet Bitcoin gegenüber dem traditionellen Finanzsystem.
Außerdem verfügen rund 70 Prozent der Bevölkerung El Salvadors über kein Bankkonto und haben damit keinen Zugang zum nationalen und internationalen Zahlungsverkehr. Stattdessen können die Bürger:innen des Landes eine eigene Wallet auf den dafür tauglichen Geräten verwenden, die vor Ort eine viel höhere Verbreitung haben als Bankkonten. Außer Frage steht jedoch, dass es hierbei noch viele Probleme zu lösen gibt und die hohen Preisschwankungen die effiziente Nutzung von Bitcoin im Alltag stark einschränken.
Die politische Bewegung rund um das schlaue Geld
Im Windschatten all dieser Entwicklungen lässt sich langsam etwas erkennen: Rund um die Idee von Bitcoin entstehen auch immer mehr eine Philosophie und eine politische Denkweise.
Grundsätzlich handelt es sich um eine neutrale Technologie, doch sie liefert Eigenschaften, die weit über das hinausgehen. Bitcoin sind eine philosophische Angelegenheit. Diese Technologie steht diametral zu dem, was unser typisches Geld- und Bankensystem definiert: keine zentrale Stelle, keine Firma, keine Verwaltung, kein Geschäftssitz, keine Mitarbeiter:innen, keine Zentralbank. Stattdessen ein Netzwerk aus Computern, die auf der ganzen Welt verteilt miteinander arbeiten, um sich auf die gemeinsame Wahrheit rund um Eigentum und Handlungen der Netzwerk-Teilnehmer:innen zu einigen. Niemand kann hacken, betrügen, blockieren, manipulieren oder enteignen. Diese Elemente der radikalen Dezentralität und Selbstverantwortung erzeugen ein Echo, das eine politische Denkweise formt.
In der Ära der Post-Party-Democracy werden klassische Parteien vermehrt durch politische Bewegungen substituiert, die sich um ein bestimmtes Themenfeld herum organisieren. Sei es die Piratenpartei, der Trumpismus, die Bierpartei, die MFG oder das kürzlich gestartete „Aufwärts“: Ein ausreichend ausgeprägtes Bedürfnis vieler aktiver Menschen formt irgendwann eine politische Bewegung. Dieses Bedürfnis zeigt sich in der Ohnmacht, die viele Menschen gegenüber dem Finanzsystem, der Zentralbank-Politik oder der historisch hohen Inflation empfinden. In Zeiten der höchsten Inflation seit über vier Jahrzehnten wächst die Attraktivität alternativer Ideen, wie sie Bitcoin mit seiner Dezentralität und begrenzten Menge liefert.
Vor zwei Jahren noch wäre das Interesse für solche Ideen ein Nischenthema geblieben. Die Machtlosigkeit gegenüber zentral gesteuerter Geldpolitik und politischen Entscheidungen der Verantwortlichen ist jedoch heute so spürbar wie nie zuvor. Das ist es auch, was in den Kreisen rund um die Bitcoin-Community verstärkt diskutiert wird – sei es in den sozialen Medien und bei den immer mehr Treffen, Stammtischen und Meet-ups einer immer homogener werdenden und sich formenden Kultur rund um Bitcoin. Immer stärker wird die Idee, dass man nicht zwangsweise im aktuellen Geldsystem leben muss, und dass es dazu echte Alternativen gibt.
Eine Bewegung im Entstehen
Natürlich ist es früh, von einer politischen Bewegung zu sprechen, nur weil sich regelmäßig Leute treffen und über Bitcoin sprechen. Natürlich ist es nach wie vor ein hochspekulatives Investment. Natürlich ist Bitcoin heute noch nicht im großen Ausmaß für Volkswirtschaften verwendbar. Aber langfristig sind die technischen Voraussetzungen für einen Geldstandard auf Bitcoin gegeben.
Wird das Zahlungssystem oft genug verwendet, erreicht es Eigenschaften, die es zu gutem Geld machen: Preisstabilität, Verbreitung und Akzeptanz. Wird es weiterentwickelt – wie beispielsweise durch das Lightning-Network, welches Transaktionen abseits der Blockchain bündelt, bevor das Ergebnis gesammelt in die Blockchain geschrieben wird – werden beispielsweise Wartezeiten und Transaktionsgebühren enorm reduziert. Die Anzeichen einer langsamen Formierung einer Bewegung rund um diese Idee werden immer spürbarer.
Bitcoin ist die Antithese zur aktuellen Geldpolitik: planbare Geldmenge, finale Anzahl, keine Handlungsmöglichkeiten für Staaten und Zentralbanken. Und eines Tages könnte das eine glaubhafte Alternative werden.
LUKAS LEYS ist Unternehmer, Gründer des Legal-Tech-Startups kontractory und Partner bei der Crypto-Agentur Validvent. Ihn treibt ein starkes Interesse am technologischen Fortschritt und an den gesellschaftlichen Auswirkungen, die diese mit sich bringen wird. Sein Schwerpunkt liegt auf Blockchain-Technologie, Smart Contracts und dem Metaverse.