Wie liberal ist … der blaue Haken?
Die sozialen Netzwerke verleihen Auszeichnungen an jene, die ihnen als Erfüllungsgehilfen ihrer Geschäftsmodelle dienen.
Wer einen Social-Media-Account mit einem blauen Haken hat, hat es geschafft. Die Person darf sich zu einer kleinen Elite zählen, deren verbreitete Inhalte – im Fall von Twitter ist das in erster Linie Meinung – zumindest optisch besonders hervorgehoben werden. Diese Prominenz und Strahlkraft erfüllt zumindest eine untergeordnete Verstärkerfunktion, offensichtlich keine unerwünschte, sonst wäre die Markierung nicht so unübersehbar platziert. Der eigentliche Grund des blauen Hakens liegt in der Verifizierung des Kontos und signalisiert, dass die Person, Marke oder das Unternehmen, auch tatsächlich hinter der digitalen Repräsentation steht.
Als ich (2013) als Abgeordneter zum Nationalrat angelobt wurde, verpasste Facebook meiner Page auch einen blauen Haken. Weder ich noch die Partei oder der Parlamentsklub hatte diesen zuvor beantragt. Ich finde diese Auszeichnung einigermaßen affig, obwohl ich eine Verifizierung an sich für wichtig halte und davon unabhängig manchmal auch gerne weiß, mit wem ich es online zu tun habe und ob das Konto auch ein offizielles ist. Aber das erschließt sich mir in der Regel aus dem Gebaren des Accounts.
Dabei geht es mir nicht um Klarnamen. Es gibt auch in demokratischen Gesellschaften gute Gründe, warum jemand nicht unter seinem eigenen Namen auftreten will; unter nichtdemokratischen Regimen sieht das naturgemäß ohnehin ganz anders aus. Mit einem Pseudonym zu agieren, kann also individuell angemessen sein, aber auch in diesem Fall halte ich es für wichtig, dass die Nachvollziehbarkeit gegeben ist, wer diesen Account angelegt hat und betreibt. Im Ernstfall, das heißt wenn einmal wirklich das Straf- oder Zivilrecht bemüht werden muss, soll auch jemand für seine Handlungen haftbar gemacht werden können.
Diese Verantwortung soll auch nicht auf die Plattform abgewälzt werden. Hier hat die Person für ihr Verhalten einzustehen, die es gesetzt hat. Im alltäglichen Austausch von Meinungen ist aber nicht wichtig, wer hinter einem Account steht, und im Sinne individueller Selbstbestimmung soll auch jede und jeder einfach die Identität für die digitale Repräsentation annehmen, die gerade gefällt – solange es sich nicht um die Aneignung einer anderen handelt.
Was bedeutet nun der blaue Haken aus liberaler Sicht? Dem Unternehmen, das die jeweilige Plattform betreibt, steht es im Sinne der unternehmerischen Freiheit naturgemäß auch frei, wie es damit umgehen will, einzelne Nutzerkonten zu markieren. Das kann mir als User passen oder auch nicht. Meine Teilnahme in den sozialen Netzwerken bleibt meine freie Entscheidung. Aus der Sicht einer liberalen Perspektive auf eine offene Gesellschaft wiederum ließe sich schon argumentieren, dass ein Diskurs – egal, wie beschaffen, und egal, ob er diesen Namen auch verdient – idealerweise auf Augenhöhe stattfindet.
Wenn nun einzelne Nutzer durch ihren blauen Haken über andere Voraussetzungen im Wettbewerb freier Meinungsäußerung verfügen, dann haben sie einen Startvorteil, der einen Abgleich verschiedener Standpunkte mit einer Schieflage in der Gewichtung der Argumente ausstatten kann. Der blaue Haken auf Instagram, Twitter, Facebook oder Tiktok schafft eine adelige Kommunikatorenkaste, die aus meiner Sicht überflüssig ist und eher als Ausweis dafür gilt, dass die Betreiber der Plattform in der Lage sind, berühmte und manchmal auch nur blasenbekannte Persönlichkeiten oder Marken an sich zu binden. Viele dergestalt Verifizierte machen sich damit auf Antrag oder werden unfreiwillig einfach zu Testimonials der jeweiligen Plattform. Sie bekommen keine Auszeichnung verliehen, sondern dienen damit letztendlich den Geschäftsmodellen der sozialen Netzwerke.
Die Verifizierung aller Accounts (inklusive Bot-Verantwortlicher) an sich bleibt natürlich sinnvoll. Sie würde die Untergriffigkeit der anonymen Poster wohl einbremsen, wenn auch nicht zum Verschwinden bringen, aber zumindest den Umgang mit ihnen erleichtern. Eine freiwillige Verifizierung für alle könnte auch ohne blauen Haken im Hintergrund geschehen und über das Profil in einer Art und Weise sichtbar oder wahrnehmbar gemacht werden, die nicht den Anschein der Besonderheit einer (oft auch nur vermeintlich) herausragenden Stellung in der Gesellschaft entspricht – im Sinne eines liberalen Diskurses mit offenem Visier.
NIKO ALM war Herausgeber von Vice, Gründer der Agenturgruppe Super-Fi und zuletzt Geschäftsführer der investigativen Rechercheplattform Addendum. Aktuell ist Alm mit Average unternehmerisch tätig. Von 2013 bis 2017 war er für NEOS Abgeordneter zum Nationalrat mit den Schwerpunkten Medien, Wirtschaft, Weltraum und Kultur. Darüber hinaus engagiert sich Niko Alm in mehreren Initiativen für Laizität. 2019 veröffentlichte er sein erstes Buch „Ohne Bekenntnis – Wie mit Religion Politik gemacht wird“.