Das „Linzer Modell“ für ein bedingungsloses Grundeinkommen
Kann ein bedingungsloses Grundeinkommen funktionieren? Was spricht überhaupt dafür? Und wie soll das finanziert werden?
Um diese Fragen zu beantworten, wurde 2019 in Linz der „Verein zur Förderung der Grundeinkommensidee“ gegründet, der sich – wie der Name schon sagt – mit Möglichkeiten einer Umsetzung eines bedingungslosen Grundeinkommens beschäftigt.
Warum ein Grundeinkommen?
Für ein Grundeinkommen kann man viele Argumente einbringen – von der Armutsbekämpfung allgemein bis zu Gefahren durch die Roboterisierung, von der Chance für Frauen zu mehr Selbstbestimmung bis zur Chance von Arbeitnehmern zu einer besseren Position bei Lohnverhandlungen, von positiven Auswirkungen auf die Umwelt und das Klima bis zur Besserung der Bildungschancen, von einer besseren Gesundheit und damit Einsparungen im Gesundheitswesen. Wir sehen das Grundeinkommen vor allem aber als Menschenrecht, konkret als substantielle Umsetzung der Menschenrechtsartikel 22 und 25.
Im Artikel 22, der das Recht auf soziale Sicherheit festschreibt, steht:
„Jeder Mensch hat als Mitglied der Gesellschaft das Recht auf soziale Sicherheit und Anspruch darauf, […] in den Genuss der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen, die für die eigene Würde und die freie Entwicklung der eigenen Persönlichkeit unentbehrlich sind.“
Und im Artikel 25: Das Recht auf Wohlfahrt.
„Jeder Mensch hat das Recht auf einen Lebensstandard, der Gesundheit und Wohl für sich selbst und die eigene Familie gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen, […].“
In der Menschenrechtsdeklaration ist also ganz klar von „jedem Menschen“ die Rede. Nicht nur von Männern, nicht nur von Menschen mit weißer Hautfarbe – und auch nicht nur von arbeitenden oder arbeitswilligen Menschen. Jeder Mensch hat dieses Recht. Das Grundeinkommen unterscheidet sich damit als Recht vom bisherigen Sozialsystem, das auf Bitten und Ansuchen aufbaut. Es ist somit ein Paradigmenwechsel in der Sozialpolitik, kein Ende der Sozialpolitik, sondern eine Weiterentwicklung. Der Mensch soll die Freiheit haben, sich optimal – das heißt gemäß seinen Interessen und Fähigkeiten – zu entwickeln.
Um diese Rechte zu gewähren, könnte man den Menschen mit Wohnung, Nahrung etc. versorgen – also „zwangsbeglücken“. Oder man gibt ihm Geld in die Hand, um selbst bei der Erfüllung dieser Bedürfnisse wählen zu können. Diese Idee haben wir im Sommer 2020 konkreter formuliert und in zwölf Punkten zum „Linzer Modell für ein Bedingungsloses Grundeinkommen“ zusammengefasst.
Das „Linzer Modell“
Das „Linzer Modell“ soll zeigen, dass und wie es möglich ist, diese Idee in Österreich umzusetzen. Vor allem auch als eine Lösung, bei der kein Gesamtumbau des Systems (zum Beispiel mit großen Änderungen im Steuer- oder im Sozialversicherungssystem) und kein Warten auf eine europäische Lösung notwendig sind.
In den ersten sechs Punkten des Modells werden allgemeine Kriterien und Rahmenbedingungen definiert, wie sie in den meisten Grundeinkommensbewegungen genannt werden:
- Das Grundeinkommen ist eine bedingungslose finanzielle Zuwendung, die jedem Mitglied der Gesellschaft in Existenz und Teilhabe sichernder Höhe, ohne Rücksicht auf sonstige Einkommen, auf Arbeit oder Lebensweise, lebenslänglich als Rechtsanspruch zusteht.
- Sozialleistungen wie Gesundheitsvorsorge, kostenlose Bildung, Schulbücher, öffentlicher Verkehr etc. bleiben erhalten. Ebenso Sonderleistungen für außergewöhnliche Belastungen (z.B. für Menschen mit Behinderung). Das BGE ersetzt Familienbeihilfe (Kindergeld), Mindestsicherung, Notstandshilfe und Ausgleichspension.
- Die Höhe des Grundeinkommens für Erwachsene soll sich an der Armutsgefährdungsschwelle oder am Referenzbudget der Schuldenberatung orientieren. Die jährliche Anpassung an den Richtwert ist zu garantieren. Für Kinder und Jugendliche schlagen wir ein progressiv steigendes Grundeinkommen vor, beginnend mit 30 Prozent bei der Geburt und dann jährlich steigend um weitere 4 Prozentpunkte.
- Zuverdienst zum Grundeinkommen verringert dieses nicht.
- Erhalten sollen das BGE alle, die ihren Lebensmittelpunkt legal in Österreich haben.
- Bisher bezahlte Arbeitslosenversicherungsbeiträge und Pensionsbeiträge sind erworbenes Recht. Arbeitslosengeld und Pensionen müssen daher bleiben und ausbezahlt werden.
Wer soll das bezahlen?
In den weiteren Punkten wird auf die Finanzierung eingegangen. Ausgegangen sind wir dabei von der einfachen Überlegung, dass ein Grundeinkommen eben ein Einkommen ist und daher als achte Einkommensart den bisherigen sieben Einkommensarten hinzugefügt wird, also so wie alle anderen Einkommen in die Ermittlung der Einkommensteuer einfließt. Mit anderen Worten: Anstelle des derzeit 11.000 Euro steuerfreien Einkommens tritt nun das steuerfreie Grundeinkommen. Jeder darüber hinaus verdiente Euro wird versteuert. Damit werden etwa ein Drittel der Bruttokosten für das Grundeinkommen schon wieder über Einkommensteuer zurückbezahlt.
Ohne eine Änderung der Steuersätze würde das aber bedeuten, dass auch ein Großverdiener – mit einem Spitzensteuersatz von 50 Prozent – immer noch etwa 6.000 Euro pro Jahr mehr erhalten würde. Daher schlägt das „Linzer Modell“ eine leichte Anpassung der Steuersätze um etwa 5–10 Prozent vor: also in etwa eine Rückgängigmachung der Steuerreform 2020, aber mit einer Erhöhung der Spitzensteuersätze bis 60 Prozent.
Mit dieser Änderung würden alle Bezieher eines Brutto-Jahreseinkommens von 55.000 bzw. 45.000 Euro Bemessungsgrundlage – das sind über 80 Prozent der Steuerzahler – unterm Strich mehr in der Geldbörse haben, Bezieher von höheren Einkommen etwas weniger (maximal 10 Prozent vom Bruttoeinkommen weniger). Diese Anpassung der Steuertabelle würde etwa ein weiteres Drittel der Bruttokosten des bedingungslosen Grundeinkommens in die Staatskasse zurückführen.
Abbildung 1 Ein Bezieher von 10.000 Euro Jahreseinkommen bezahlt heute keine Steuer, würde in Zukunft aber Steuer zahlen. Ein Bezieher von 100.000 Euro Jahreseinkommen bezahlt in Zukunft mehr zusätzliche Steuer, als er BGE bekommt.
Abbildung 2: Vergleich Nettoeinkommen mit bzw. ohne BGE
Einsparungen
Mit dem BGE würden Stipendien und Kindergeld ersetzt und die Kosten für Mindestsicherung und Pensionsausgleichszahlungen. Damit könnten 5–10 Milliarden Euro (also etwa 5–10 Prozent der Kosten) eingespart werden. Nicht in die Finanzierungsberechnung einbezogen sind Einsparungen im Verwaltungssystem (Entfall von Kontrolle) und erwartete Einsparungen im Gesundheitssystem (psychische Gesundheit!), da diese schwer quantifizierbar sind. Das würde aber den Finanzierungsaufwand für das BGE auch noch einmal reduzieren. Schließlich ist durch ein BGE mit einer erhöhten Kaufkraft zu rechnen. Nettobezieher des Grundeinkommens (also untere Einkommensschichten) werden das Geld kaum in Kapitalanlagen oder Sparbücher investieren, sondern vermehrt ausgeben. Das bringt wieder etwa 2,5 bis 5,8 Milliarden Euro.
Mit diesen Maßnahmen sind also fast 75 Prozent der Kosten des BGE rückfinanziert. Für die Finanzierung der restlichen 25 Prozent werden Vorschläge gemacht wie z.B. die Einführung einer Finanztransaktions- oder Mikrosteuer, die Wiedereinführung der Vermögens- und Erbschaftssteuer oder eine Erhöhung der Kapitalertragsteuer (Einbeziehung in die progressive Besteuerung), die Aufhebung der Obergrenze der Sozialversicherung oder die Wiedereinführung der Luxussteuer (wie 1978–1992) oder der Grundsteuer.
Abbildung 3: Finanzierung eines BGE: Gesamtkosten etwa 98 Mrd. Euro – noch ohne Berücksichtigung von Einsparungen in der Verwaltung und im Gesundheitswesen
Vorbehalte
In der Diskussion werden immer wieder Argumente gegen das Grundeinkommen allgemein und das „Linzer Modell“ im Besonderen eingebracht, vor allem wegen der (teilweisen) Finanzierung durch die Einkommensteuer. Man meint, wenn es ein Grundeinkommen gäbe, würden die Menschen weniger arbeiten, und daher würde weniger Einkommensteuer hereinkommen und damit die Finanzierungsbasis für das BGE einbrechen. Sicherlich wird es manche Leute geben, die weniger arbeiten – und daher weniger Steuern zahlen. Das wird aber – laut allen Erfahrungen und Forschungsergebnissen – in einem niedrigen einstelligen Bereich sein, also die Berechnung nicht ganz umstoßen.
Weiters darf man „Einkommensteuer“ nicht gleichsetzen mit „Einkommensteuer aus selbstständiger oder unselbstständiger Arbeit“. Heute werden von den sieben Einkommensarten sechs progressiv versteuert, Einkünfte aus Kapitalvermögen aber mit fixen 27,5 Prozent. Was spräche dagegen, dieses Verhältnis in Zukunft umzukehren? Also Arbeitseinkommen geringer, Einkommen aus Kapitalvermögen oder Glücksspielgewinnen aber höher zu besteuern?
Schließlich kann mit großer Wahrscheinlichkeit angenommen werden (diverse Experimente zeigen das), dass es bei der Einführung eines Grundeinkommens zu einer vermehrten Gründungswelle kommen würde, da die Angst, die derzeit junge Menschen vor diesem Schritt zurückschrecken lässt, deutlich geringer würde. Diese neuen Selbstständigen würden auch neue Steuern einsbringen.
Fazit
Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ist also möglich, wenn man will. Die Zustimmung zu einem BGE ist somit hauptsächlich abhängig vom Menschenbild: Sieht man den Menschen als „faulen Hund“, dann muss er getreten und gezwungen werden, etwas zu tun. Sieht man den Menschen aber als kreatives, schöpferisches Wesen, dann muss man ihm die Möglichkeit geben, sein Potenzial zu entwickeln.
PAUL J. ETTL, MBA, www.ettl.at: Geb. 1955, Studium der Mathematik, Philosophie und Politikwissenschaft, diplomierter Betriebswirt, 30 Jahre Unternehmer im IT-Bereich. War in verschiedenen Funktionen der Wirtschaftskammer und bei den CSR-Consultants tätig. Ehrenamtlicher Direktor der Friedensakademie Linz und Gründer und Obmann des Vereins zur Förderung der Grundeinkommensidee www.das-grundeinkommen.org, Mitglied im Netzwerk Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt – B.I.E.N. Austria www.grundeinkommen.at