Der Mann, der Hitler töten wollte

Vor achtzig Jahren – am 9. April 1945 – wurde der Schreinergeselle Georg Elser im KZ Dachau ermordet. Mit einer selbstgebastelten Bombe hatte er ein Attentat auf Adolf Hitler geplant, während dieser im Münchner Bürgerbräukeller eine Rede hielt. Doch der „Führer“ verließ vorzeitig den Saal und kam mit dem Leben davon. Elser wurde als „Sonderhäftling“ jahrelang inhaftiert – und kurz vor Kriegsende auf Befehl der Gestapo erschossen. Wer war der Mann, der die Bombe baute, die Hitler töten sollte?
In der Galerie deutscher Widerstandskämpfer führte Georg Elser bis vor wenigen Jahren ein Schattendasein. Anders als der vier Jahre ältere Graf von Stauffenberg eignete er sich nicht für die Rolle des staatlich verklärten Helden. Hier der gebildete Offizier, der zunächst den Verheißungen des NS-Regimes vertraut, engagiert mitgemacht hat und erst später umgekehrt ist, dann aber entschieden zur Tat schritt. Dort der spröde, zurückhaltende Elser, der bereits 1939, als Stauffenberg und Millionen andere Deutsche noch dem Führer zujubelten, als Schreinergeselle mit Volksschulabschluss den mörderischen Charakter des Regimes erkannte und den Entschluss zum Attentat fasste.
Stauffenberg verstand sich zuerst als Soldat, ganz nach der jahrhundertealten Tradition seiner Familie. Obwohl er später jegliche Begeisterung zum Nationalsozialismus verlieren sollte, hatte er für die parlamentarische Demokratie zeitlebens nur Verachtung übrig. Sein Moralverständnis war ein vielschichtiges Konglomerat aus katholischer Lehre, einem aristokratischen Ehrenkodex, dem Ethos des alten Griechenlands und deutscher romantischer Dichtung. Sein kühner Entschluss, Hitler mit einer Bombe zu töten, war eher Ausdruck von militärischen als von moralischen Überlegungen. Der Zufall, durch den Hitler mit dem Leben davonkam, die aussichtlose Lage der Mitverschwörer, die hastige Hinrichtung Stauffenbergs – das alles ist eine tiefe Tragödie. Graf von Stauffenberg war ein mutiger Patriot – aber auch ein strikter Anti-Demokrat.
Interessant sind in diesem Zusammenhang die Äußerungen von Ian Kershaw, der als einer der angesehensten Historiker gilt und sich seit beinahe vierzig Jahren mit dem Nationalsozialismus in Deutschland beschäftigt. In Zusammenhang mit seinem Buch „Das Ende – Kampf bis in den Untergang, NS-Deutschland 1944/45“ meint er, dass das missglückte Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 durch Stauffenberg zumindest vorübergehend eher zu einer Stärkung des NS-Regimes beigetragen habe. Kershaw: „In der Bevölkerung gab es einen deutlichen Anstieg der Popularität Hitlers. Der Schockeffekt des Anschlags war enorm, wie man aus vielen privaten Aufzeichnungen ersehen kann. Wichtiger aber noch ist, dass es danach bei der Wehrmacht zu einer Säuberung der Offiziersränge kam. An die Stelle von Leuten, die als unzuverlässig galten, traten Erz-Loyalisten. Damit war jeder weitere Widerstand ausgeschlossen.“ (Der Spiegel, Nr. 46, 2011).
Bewunderer und Kritiker
Die Tatsache, dass gescheiterte Attentatsversuche auf Hitler von den NS-Propagandisten massiv genutzt wurden, um die Unverwundbarkeit des Führers zu beschwören und dessen Vorhersehungs-Mythos zu nähren, ist historisch belegt. Dass die Geheime Staatspolizei (Gestapo) und Sondergerichte dafür sorgten, dass alle Beteiligten und Verdächtigen verfolgt, inhaftiert und ermordet wurden, dieses Schicksal war nicht allein den Offizieren des 20.-Juli-Widerstands beschieden.
Auch Georg Elsers Heimatsgemeinde Königsbronn war nach seinem gescheiterten Münchner Attentat von NS-Ermittlern auf mögliche Unterstützer und Mitwisser observiert worden. Bis nach dem Krieg, ja weit in die Mitte der siebziger Jahre, war Elser in seiner Heimatregion deshalb nicht nur eine bewunderte Figur. Es fanden sich viele, die für seine Tat allein deshalb wenig Verständnis hatten, weil damals „Menschen mit hineingezogen worden waren, die nichts mit der Sache zu tun hatten.“ Es gab Bewunderer und Kritiker. Und noch fünfzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs standen sie sich unversöhnlich gegenüber.
Elser mit kahlgeschorenem Kopf und in gestreifter Gefangenenkleidung. Die Aufnahme entstand zwischen November 1939 und Januar 1940 im KZ Sachsenhausen.
Keine Frage: Georg Elser war eine Herausforderung – nicht nur für seine Heimatregion – auch für die deutsche Öffentlichkeit. Er machte deutlich, dass ein einfacher Mann aus dem Volke sich zu einer weltgeschichtlichen Tat aufraffen konnte. Er strafte all jene Lügen, die sich weiterhin einredeten, sie hätten dem Terror des NS-Staats nichts entgegensetzen können. Seine Tat beschämte viele Deutsche.
Wohin mit dem Gedenken an Elser?
Elser war immer ein Einzelgänger. Er fühlte sich zwar der Arbeiterbewegung verbunden, stand der Kommunistischen Partei nahe, ohne Mitglied zu sein. Zum festen, gar vorbildlichen Genossen ließ er sich nicht stilisieren. Ideologische Fragen interessierten ihn wenig. Wie aber kann die öffentliche Würdigung für einen solchen Mann aussehen? Wie das Erinnern?
Gesellschaften erinnern sich an die Vergangenheit nicht allein in Anerkennung des für sich Großen. Erinnerung bedarf einer sie tragenden Gruppe: Der adelige, militärische, sozialdemokratische, der kommunistische oder kirchliche Widerstand wird von Adel, Militär, Partei oder Kirche im Gedächtnis gehalten. Wohin also mit Elser?
Jahrzehntelang wurde etwa in München über Elsers Tat gestritten, ehe sich die Stadt zu einer Ehrung durchrang: An einer Schule leuchtet nun jeden Abend um 21.20 Uhr – dem Zeitpunkt der Explosion – ein roter Neonschriftzug auf. Mehr als vierzig Straßen und Plätze und drei Schulen sind mittlerweile in ganz Deutschland nach ihm benannt und die Post legte sogar 2003 eine Georg-Elser-Sondermarke auf. In seinem Geburtsort erinnert eine Stahlskulptur an den mutigen Sohn der Gemeinde. Sie ist 2,10 Meter hoch und steht gleich am Bahnhof der schwäbischen Kleinstadt. Im Berliner Regierungsviertel wiederum steht am Spreeufer in der „Straße der Erinnerung“ eine Elser-Büste, neben Thomas Mann, Edith Stein und Walter Rathenau, dem ermordeten Außenminister der Weimarer Republik. Und nun gibt es seit November 2011 eine 17 Meter hohe Skulptur inmitten des alten Regierungsbezirks an der Wilhelmstraße, ein Stahlband mit Lichterkette, das Profil Elsers skizzierend. Die Silhouette, so wollen es die Initiatoren um den Schriftsteller Rolf Hochhuth verstanden sehen, soll sich in der Nähe des einstigen Bunkers von Adolf Hitler „über den Ort der Täter erheben“. Der flüchtige Passant, der Elser weder kennt noch erkennt, erfährt durch eine kleine Informationstafel, wer hier geehrt wird. Das „Denkzeichen“ mit den geschwungenen Neonröhren ist ein wenig reklamehaft geraten, das Individuum wird erst auf den zweiten Blick sichtbar.
Georg Elser, der Zurückgezogene, der sich zum Widerstand entschloss, der Solitär, der einzig seinem Gerechtigkeitssinn folgte, ist einmal mehr anonym geblieben.
Propagandaartikel über die Verhaftung Georg Elsers und den Anschlag im Bürgerbräukeller
Der Mann ohne Ideologie
Mittlerweile gibt es hörbar auch Kritik an der „unheimlichen Gedenkkultur des Georg Elser“. Die Kritiker stellen fest, Elser biete sich als Identifikationsfigur deshalb an, weil er „weit leichter zur Selbstvergewisserung“ zu nutzen sei als etwa der elitäre Offizier Stauffenberg, ein hochkonservativer Adeliger wie der Politiker Carl Friedrich Goerdeler oder gar Mitglieder kommunistischer Widerstandzellen wie der „Roten Kapelle“. Er tauge deshalb als optimale Projektionsfläche für all die nachgeholte Opposition gegen den Nationalsozialismus, eigne sich ideal als Vorbild für alle „zeitgeistigen Gut-Menschen“. Als sei allein das Bekenntnis für Elser und seine Tat schon eine mutige Haltung.
An der Ehrenhaftigkeit Georg Elsers ändert das nichts. Spätestens seit der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl – ein Mann, der einst ganz offiziell mit seinem Staatsgast Ronald Reagan einem SS-Soldatenfriedhof seine Reverenz erwies – Elser öffentlich würdigte, ist die Frage „Wem gehört Elser?“ obsolet.
Der Historiker Joseph Peter Stern nannte Elser einmal einen „Mann ohne Ideologie“. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Vom Autor erschienen:
Georg Elser: Der einsame Attentäter – Der Mann, der Hitler töten wollte
Nomen Verlag
HELMUT ORTNER hat bislang mehr als zwanzig Bücher, überwiegend politische Sachbücher und Biografien, veröffentlicht. Zuletzt erschienen: „Heimatkunde – Falsche Wahrheiten. Richtige Lügen.“ (2024), „Das klerikale Kartell. Warum die Trennung von Kirche und Staat überfällig ist“ (2024) und „Volk im Wahn – Hitlers Deutsche oder Die Gegenwart der Vergangenheit“ (2022). Seine Bücher wurden bislang in 14 Sprachen übersetzt. Helmut Ortner ist Mitglied bei Amnesty International und im Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung.