Propaganda, Desinformation und fragwürdige Narrative: Es geht nicht nur um Social Media

Viel Kritisches hören wir dieser Tage über die sozialen Medien, und einiges davon hat durchaus seine Berechtigung: Täglich sind wir auf den Plattformen mit Desinformation, Antisemitismus, Verhetzung, Propaganda und Betrügern konfrontiert. Internationale Trollfarmen überschwemmen die Kommentarspalten, und die von ihnen platzierten sogenannten Doppelgänger-Websites imitieren seriöse Medien, um Desinformation noch ungefilterter in die Köpfe der Menschen zu bringen. Aber warum wird diese aufwendige Strategie überhaupt angewandt? Warum bauen russische Profi-Propagandisten die Website des Spiegel detailreich nach, nur um die gleiche Propaganda zu verbreiten, die man auch über günstige Botfarmen und Telegram-Kanäle ins Netz „blasen“ könnte?
Dafür gibt es strategische Gründe: Man hat erkannt, dass einige von uns bereits eine gewisse Resilienz gegenüber anonymen Trollprofilen und sogenannten Alternativmedien, sprich obskuren Websites weit rechts (übrigens auch weit links) mit verschwörungstheoretischer Grundhaltung, aufgebaut haben. Wir nehmen sie schlicht aufgrund der zahlreichen Warnungen als Informationsquelle weniger ernst. Deshalb imitieren schlaue Propagandisten reale, etablierte Medien, damit ebendieser Filter, dieser Schutzschild, nicht mehr zum Einsatz kommt.
Was wir aber darüber hinaus beinahe völlig ausblenden: Die Kommunikationsstrategie der Diktaturen geht weit über Social-Media-Kampagnen hinaus. Auch unsere etablierten, klassischen Medien stehen im Fadenkreuz internationaler Propagandisten und reproduzieren immer wieder deren Narrative. Wenn wir von russischen, chinesischen, iranischen Narrativen, von Anti-EU-Populismus, Desinformation und Fake News sprechen, beschränken wir das meist ausschließlich auf das Internet, insbesondere auf Social Media. Diese eindimensionale Betrachtung ist aber ein gefährlicher Trugschluss, denn sowohl die Strategen im Ausland wie auch ihre Multiplikatoren bei uns nutzen unzählige Kanäle mit unterschiedlichen Botschaften, um uns zu manipulieren.
Ohne Zweifel ist der digitale Raum ein „Hauptschlachtfeld des Informationskriegs“ geworden, aber eben nicht das einzige. Das Web wurde zu einem Ort, dem wir inzwischen dank vieler Warnungen zumindest teilweise mit vermehrter „Vorsicht“ begegnen. Diese Vorsicht entfällt außerhalb des digitalen Raums bei vielen völlig.
Der Diskurs während der Pandemie hätte eine Warnung sein müssen
Eine zumindest kurze Diskussion rund um fragwürdige Narrative auch außerhalb sozialer Netzwerke gab es in der Hochzeit der Covid-19-Pandemie. Kritik und auch eine Distanzierung vom eigenen Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte gab es 2021 zum Beispiel für die „Corona-Ringvorlesungen“ an der Universität Wien. Bei diesen kamen Referentinnen und Referenten zu Wort, welche als äußerst „maßnahmenkritisch“ galten und dafür auch Kritik geerntet haben. In einer Stellungnahme schrieb das Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte: „Die in der Vorlesung geübte einseitige Kritik an ,Schulmedizin‘, Wissenschaft und Medien trägt aus unserer Sicht zur weiteren Polarisierung der Gesellschaft bei und dient der beschwichtigenden Umbewertung der pandemischen Situation in Österreich.“
Hier gab es durchaus eine mediale Einordnung – was leider nicht immer der Fall ist. Viele solche Vorfälle bleiben im Verborgenen oder werden, so paradox es klingen mag, nur auf Social Media kritisiert.
Rund um die Corona-Berichterstattung wurde auch der Begriff „False Balance“ in Bezug auf Diskussionsformate einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. False Balance bedeutet, dass eine Seite weit abseits des wissenschaftlichen oder faktischen Konsenses argumentiert, aber unter dem Vorwand der „Ausgewogenheit“ eingeladen wird, um eine „kontroverse“ Diskussion im Sinne der Quote zu erzeugen. Diese kritische Diskussion wäre rund um die facettenreiche russische Propaganda auch dringend notwendig, wird aber immer wieder vermieden.
Wir haben vergessen, auch außerhalb von Social Media wachsam zu bleiben
Kaum jemand würde widersprechen, dass es Desinformation, Propaganda und Verschwörungstheorien auch schon vor der Ära des Internets gab. Manche wissen sogar, dass bereits die Sowjetunion ein systematisches staatliches Programm der Desinformation, Unterwanderung und Manipulation betrieben hat, sogenannte aktive Maßnahmen. Wer aber darauf hinweist, dass praktisch ohne Ausnahme alle klassischen Maßnahmen heute noch aktuell sind und durch digitale Instrumente nur ergänzt, nicht aber ersetzt wurden, erntet womöglich ungläubige Blicke.
Dabei passieren parallel zu hochmodernen Troll- und Botfarmen und gefälschten Websites mit KI-generierten Inhalten nach wie vor die gleichen Dinge, die wir aus dem Kalten Krieg kennen sollten. Betonung auf „kennen sollten“, denn im Gegensatz zu Deutschland wurde in Österreich die sowjetische Einflussnahme, zum Beispiel auf die alte Friedensbewegung, überhaupt nicht aufgearbeitet, was heute ein großes Problem darstellt. Denn erstens spielen auch Jahrzehnte nach dem Kalten Krieg bewährte Taktiken der Manipulation eine Rolle, und zweitens sind viele Akteure noch aus der damaligen Zeit ideologisch beeinflusst.
Klassische Maßnahmen, die bis heute relevant sind, reichen von der Rekrutierung oder subtilen Anleitung relevanter Personen, sogenannter Einflussagenten im Westen, die Kreml-Narrative verbreiten sollen, bis hin zu Versuchen, Medien zu manipulieren, gefälschte Dokumente zum Nachteil der Gegner einzusetzen oder Graffiti an Hausmauern anzubringen, die destabilisierend wirken und spalten sollen. Die Strategie der Demoralisierung ist auch weiterhin in Kraft, hier werden nicht selten die Früchte geerntet, die im Kalten Krieg gesät wurden.
Die russischen Nachrichtenagenturen RIA Novosti und TASS, die es beide schon zu Sowjetzeiten gab, versuchen, ihre „Nachrichten“ – sprich: russische Regierungspositionen – möglichst unkontextualisiert in westlichen Medien zu platzieren. Manchmal geht es aber noch direkter, wie Beispiele aus Österreich zeigen. Das reichweitenstarke Wochenmagazin Die ganze Woche interviewte zum Beispiel den russischen Botschafter, der die typischen Narrative anbringen konnte, die nicht widerlegt bzw. eingeordnet wurden; die linksgerichtete Zeitschrift für Internationale Politik, International, veröffentlichte einen Kommentar des Botschafters. In einer österreichischen Qualitätszeitung erschien 2025 ein Interview mit der chinesischen Botschafterin, was durchaus unproblematisch wäre, wenn wir in der Gesellschaft ein Bewusstsein dafür hätten, dass nun eben auch in einem etablierten Medium und nicht nur auf Social Media Vorsicht angebracht ist, wenn eine Vertreterin eines autoritären Staats ihre Narrative verbreitet. Wichtig wäre auch, von journalistischer Seite kritische Fragen zu stellen und die Antworten ebenso kritisch einzuordnen.
Was aber in allen solchen Fällen klar sein muss: Von Diplomaten autokratischer Staaten kommt immer Staatspropaganda – nicht nur, wenn sie auf Social Media posten, sondern auch in anderen Medien.
In Freundschaftsgesellschaften autoritärer Regimes treffen sich Wirtschaft, Politik, Meinungsbildner, Expertinnen und Experten sowie ideologisch geprägte Personen nicht nur zum Austausch und Genuss kulinarischer Köstlichkeiten, sondern es werden auch Narrative so weit wie möglich auf einen Nenner gebracht – alles im Namen der Völkerverständigung und natürlich völlig unverdächtig, da nicht Social Media.
Staatspropaganda in Büchern
Doch neben Podiumsdiskussionen, Kundgebungen mit weit rechts und weit links stehenden Fürsprechern und Relativierungen diverser Regimes sollten wir auch dringend über Bücher sprechen. Auch in den großen Buchhandlungen stapeln sich Bücher, die sich teilweise lesen wie aus Russland oder China bestellte Werbekataloge: Warum Sanktionen gegen Russland falsch und wirkungslos seien, wir Russland nicht „dämonisieren sollten“, der Westen im Untergang begriffen sei (und Schuld an allem Unheil trage), die NATO den Krieg in der Ukraine provoziert habe, Maßnahmen während der Pandemie sinnlos gewesen seien, wir unsere Demokratie wegen einer „leichten Erkältung“ zerstört hätten, wir China verstehen (statt kritisieren) müssten und vieles mehr. Interessant auch, wer die Autoren dieser Sachbücher sind. Es sind die gleichen Professoren, „Philosophen“, „Intellektuellen“, Ex-Diplomaten, Politikerinnen und Politiker, die uns auch in diversen Talkshows und Interviews im Sinne von Quote, Reichweite und Kontroverse begegnen.
Nicht wenige dieser Autoren haben keinerlei Berührungsängste, in Medien der russischen, chinesischen oder iranischen Staatspropaganda aufzutreten. Ebenso sind manche immer wieder bei sogenannten Alternativmedien zu sehen, die als „Gegenprojekt“ zu den westlichen „Mainstreammedien“ gegründet wurden, oft verschwörungstheoretische, extrem rechte oder extrem linke Ausrichtungen haben – was die klassischen Medien aber nicht davon abhält, vielen dieser Akteure immer wieder eine Bühne zu bieten. Noch schlechter schaut es mit der kritischen Auseinandersetzung aus, was auf vielerlei Gründe zurückzuführen sein könnte.
Es scheint bequemer zu sein, den Kampf gegen Desinformation und Propaganda als ein reines „Online-Phänomen“ zu sehen, denn dann beschränkt sich die Kritik auf anonyme Trolle und obskure Websites, anstatt den Blick auf real existierende Akteure zu richten, die man vielleicht selbst kennt, die bei Kritik eventuell mit juristischen Konsequenzen drohen oder mit verbaler Gegenwehr reagieren. Dazu scheint es im Diskurs, der die Thematik ohnehin nur auf den digitalen Raum beschränkt, gar nicht erwünscht zu sein, das Thema überhaupt anzusprechen.
Putin-Biograf in Diskussionssendung
Nach der russischen Annexion der Krim und der pseudoverdeckten Invasion von Donezk und Luhansk haben viele weit rechts und einige weit links stehende sowie zahlreiche „Friedensbewegte“ die Berichterstattung der „westlichen Medien“ stark kritisiert. Es war damals die Rede von der „Lügenpresse“, der „Dämonisierung Putins“. Redakteurinnen und Redakteure wurden systematisch in Kommentarspalten und per Massenzusendungen eingeschüchtert, man solle nicht so „einseitig antirussisch“ berichten. Tatsächlich haben die Medien bereits vor dieser Einschüchterung genau das nicht getan. Viele russische Narrative, wie die angebliche Angst vor der NATO, wurden immer wieder reproduziert. False-Balance-Diskussionsrunden waren damals an der Tagesordnung, sogar RT-Redakteure (ehemals „Russia Today“; russischer Auslandsfernsehsender, in der EU verboten) wurden als Panelisten eingeladen.
Eine Person, die in dieser Zeit und bis weit nach der russischen Vollinvasion der Ukraine 2022 medial sehr präsent war – als Journalist und Autor – ist Putin-Biograf Hubert Seipel. Seipel war bekannt für seinen engen Zugang, den er in seinen Recherchen zu Wladimir Putin erhalten hat, aber auch für kontroverse Ansichten, was die Politik des Kremls und seine Porträtierung von Putin betraf. Im Februar 2023 war Seipel noch Gast bei „Im Zentrum“ im ORF. Die Diskussion verlief hitzig, besonders der ukrainische Botschafter Vasyl Khymynets und Oberst Markus Reisner reagierten ablehnend und kritisch auf die „interessanten“ Narrative Seipels zum Krieg in der Ukraine.
Im November 2023 wurde durch ein Datenleck bekannt, dass Seipel 600.000 Euro Bücher-Sponsoring aus Russland erhalten hat. Jeglichen inhaltlichen Einfluss auf seine Arbeit bestreitet er. Von österreichischer Seite waren der Standard und der ORF an der Recherche beteiligt. Leider hat man Seipel offensichtlich als isoliertes Ereignis betrachtet – was es mit Sicherheit nicht war.
Fragwürdige Schulbücher
In Österreich finden sich fragwürdige Ansichten allerdings nicht nur in Sachbüchern, sondern auch in Schulbüchern. Ein Schulbuch für Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung schrieb 2022 über die „Angriffe der ukrainischen Armee auf die russische Bevölkerung im Osten“. Was dieses Buch als „russische Bevölkerung“ bezeichnete, waren allerdings keine russischsprachigen Ukrainer (die auch keine Russen sind), sondern russische Söldner wie die Wagner-Gruppe und russische Soldaten „auf Urlaub“. In einem Geografiebuch (ebenfalls 2022) wurden allen Ernstes die „Volksrepubliken Donezk und Luhansk“ (ohne Anführungszeichen) gemeinsam mit Flandern und Schottland unter „Regionen mit Autonomiebestrebungen“ geführt – eine fast schon skurrile Verharmlosung der seit 2014 andauernden russischen Besatzung dieser Gebiete.
Social Media als Projektionsfläche für Offline-Inhalte
Egal ob TikTok, Facebook, Instagram oder YouTube – inzwischen bekommen wir immer wieder ungefragt diverse Kurzvideos zugespielt. Erstaunlich oft handelt es sich dabei nicht um genuin für Social Media produzierte Inhalte, sondern um Ausschnitte aus TV-Auftritten, zum Beispiel Talkshows. So wird etwa immer wieder von diversen Kanälen ein Video aus dem Jahr 2014 gezeigt, in dem der Philosoph Richard David Precht die Russland-Sanktionen und die NATO-Erweiterung kritisiert. Aber auch Clips der Ukraine-Sendungen aus der ZDF-Sendung „Die Anstalt“ werden von unzähligen Accounts immer wieder geteilt. In diesen Sendungen wurden diverse, längst widerlegte Mythen verbreitet, zum Beispiel, dass die USA 5 Milliarden Dollar für den Euromaidan bezahlt hätten (das Geld floss tatsächlich seit Jahrzehnten als Entwicklungshilfe). 2022, nach der russischen Vollinvasion, übten sich die Protagonisten der Anstalt, Max Uthoff und Claus von Wagner, dann doch in Selbstkritik. Das ändert aber nichts an der Beliebtheit der alten Clips auf einschlägigen Profilen. Dabei handelt es sich nicht nur um TV-Ausschnitte, sondern auch um andere Auftritte.
Im Februar 2025 trat der Ökonom Jeffrey Sachs – der auch immer wieder bei RT und in chinesischen wie russischen Staatsmedien sowie beim einschlägig bekannten Kriegshetzer Wladimir Rudolfowitsch Solowjow zu sehen ist – im Europäischen Parlament auf. Ausschnitte dieser Rede wurden von unzähligen Profilen immer und immer wieder verbreitet. Eines der Profile, die Sachs bewerben und hinter dem eine reale Person steht, ist der umstrittene unabhängige zypriotische EU-Abgeordnete Fidias Panayiotou. Er ist immer wieder mit auffälligen Positionen zur russischen Invasion in der Ukraine aufgefallen. 2025 fuhr er auch nach Moskau, wo er bei einem Foto gemeinsam mit dem Bündnis-Wagenknecht-Vertreter Michael von der Schulenburg zu sehen ist.
Diese Inhalte funktionieren auf Social Media deshalb besonders gut, weil auch die User der Plattformen gelernt haben, dass man realen Menschen – vielleicht sogar Personen des öffentlichen Raums – mehr vertrauen kann als anonymen Profilen im Netz. Das heißt, wir haben dadurch eine Situation, dass Ausschnitte von Talkrunden, Vorträgen oder Kundgebungen eine Art „high value content“ für Social Media darstellen – eben genau weil sie ursprünglich nicht für Social Media erstellt wurden.
Zurück zu den Corona-Ringvorlesungen: Federführend an diesen beteiligt war auch die Historikerin Andrea Komlosy, die immer wieder Gast bei Diskussionsrunden auf Servus TV ist. Dort sagt sie Dinge wie, dass „Selenskyj ein ziemlicher Kriegstreiber“ sei, die Ukraine 2014 nicht von Russland angegriffen worden sei, sie spricht sich gegen Sanktionen aus, die Ukraine sei auch ein autokratischer Staat und die NATO der „eigentliche Grund, warum wir bedroht werden“. Spannend, dass sie laut Website noch im Jahr 2024 an der Universität Wien ausgerechnet zur Ukraine unterrichtet hat.
Social Media hat kein Monopol auf fragwürdige Inhalte
Egal ob prorussische Narrative, Anti-EU-Populismus, Esoterik oder Corona-Mythen, auch im Jahr 2025 können uns derartige Inhalte überall begegnen: vom Hörsaal über das Kaffeehaus bis zum Fernsehen und in der gedruckten Zeitung. Durch die falsche Sicherheit, die uns durch einen Diskurs vermittelt wird, der Desinformation und fragwürdige Inhalte generell rein auf Social Media verengt, sind wir aber mehr denn je in Gefahr, unvorsichtig zu sein, wenn wir mit analogen Inhalten konfrontiert sind. Das trifft auch dann zu, wenn diese ehemals analogen Inhalte in digitalisierter Form fürs Netz recycelt wurden.
Der größte Schritt, der nun notwendig wäre, ist, diese Realität als solche anzuerkennen und einen kritischeren Diskurs insgesamt zu etablieren. Natürlich sollte nicht jeder kontroversielle Akteur immer wieder eingeladen werden, aber insgesamt geht es gar nicht um die Frage, Inhalte zu verhindern, sondern sie vielmehr einzuordnen – nicht sie zu „adeln“, nur weil sie sich nicht auf einer Social-Media-Plattform befinden. Die Regulierung der Plattformen allein wird unsere Probleme nicht lösen, dafür sind zu viele Narrative auch außerhalb von Social Media aktiv oder zu subtil, um in einer demokratischen Gesellschaft gesperrt werden zu können.
Für Regierung, Zivilgesellschaft, Bildungssystem und Medien ist es nun dringend gefordert, sich dieser umfangreichen Herausforderung mutig zu stellen. So wie wir uns von dem Mythos trennen müssen, dass für Verschwörungstheorien, russische Narrative und antiwestliche Propaganda nur die extreme Rechte, nicht aber die Linke empfänglich wäre, müssen wir uns auch endlich der Tatsache stellen, dass sich unsere Probleme mit Falschinformationen und Manipulationen nicht auf Social Media beschränken.
Im Frühjahr 2025 wurde bekannt, dass eine in Wien operierende Zelle, die auch für Desinformation verantwortlich war, unter anderem „proukrainische“ Botschaften mit rechtsextremer Symbolik als Operation unter falscher Flagge an die Wände geschmiert hatte. In Frankreich wurden im Herbst 2023 von einer mit einem russischen Oligarchen verbundenen Gruppe Davidsterne in jüdischen Wohnvierteln angebracht, um Unruhe und Spaltung zu verstärken. Die Methode ist aus dem Kalten Krieg bekannt, als die Sowjetunion in Deutschland Hakenkreuze an die Wände schmieren ließ, um die Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich zu sabotieren.
Der Informationskrieg der Gegenwart spielt sich nicht nur im Internet ab, so wie sich auch die moderne Kriegsführung weiterhin nicht nur auf Drohnen, sondern ebenso auf Panzer und Gewehre stützt.
DIETMAR PICHLER ist freiberuflicher Analyst und Berater für Desinformation, Subversion, Foreign Interference und strategische Kommunikation. Er ist Gründer der Initiative Disinfo Resilience Network, Vizepräsident der NGO „VIEGO.eu“ und Redakteur bei inved-insight.eu. Pichler war bereits Gastvortragender an der International Humanitarian University in Odesa, der International Media Academy Berlin, der Universität Wien, der FH Wien sowie bei diversen internationalen Fachkonferenzen.