Die Muslimbruderschaft, die Hamas und der Hass auf die Juden
In den 1920er Jahren entwickelte sich in Teilen der islamischen Welt eine politische Bewegung, die die alte, auf die Entstehungsgeschichte des Islam zurückgehende religiöse Judenfeindschaft zum Kern ihrer Identität machte und sie mit modernen antisemitischen Argumenten anreicherte. Aus ihr sollte Ende der 1980er Jahre eine terroristische Organisation hervorgehen, die nicht erst seit dem 7. Oktober 2023 in aller Munde ist: die Hamas.
Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wanderten Juden aus dem zaristischen Russland auf der Flucht vor Pogromen nach Palästina ein, ein Gebiet, in dem Juden seit 2.500 Jahren beheimatet waren. Diese Einwanderung stieß bei Teilen der muslimisch-arabischen Bevölkerung auf Widerstand. Zu diesem Zeitpunkt gehörte die von den Römern einst Palästina genannte Region zum Osmanischen Reich und war auf drei Regierungsbezirke aufgeteilt, von denen keiner Palästina hieß. Nachdem das Imperium in Folge des Ersten Weltkriegs endgültig zerfiel, übertrug der Völkerbund im April 1920 das Gebiet, das Jordanien, die heutigen palästinensischen Gebiete und das heutige Israel umfasste, als Mandatsgebiet an Großbritannien.
1921 ernannte die britische Mandatsverwaltung Mohammed Amin al-Husseini zum Großmufti von Jerusalem. Er stammte aus einer einflussreichen arabischen Großfamilie und war ein von der antijüdischen islamischen Überlieferung geprägter Judenhasser. Bereits 1920 und 1921 hatte er gewalttätige Angriffe auf die autochthonen jüdischen Viertel von Jerusalem und Jaffa organisiert. Zu den blutigsten Pogromen, die in seinen Wirkungsbereich fielen, gehören die Massaker an der jüdischen Bevölkerung Hebrons und Safeds im Jahr 1929 mit insgesamt 133 Toten.
Gründung der Muslimbruderschaft
Im Jahr 1928 gründete der Volksschullehrer Hasan al-Banna als Reaktion auf die Abschaffung des Kalifats durch Mustafa Kemal, genannt Atatürk, die Muslimbruderschaft. Sein Ziel war es, die britische Präsenz in Ägypten und anderen Teilen der islamischen Welt zu beenden und den Weg für eine „Renaissance der islamischen Welt“ und die Wiedererrichtung des Kalifats freizumachen. In der Ideologie der Bruderschaft waren Juden von Beginn an ein zentrales Feindbild. Der Kampf gegen die jüdische Präsenz in Palästina war und ist einer der wichtigsten Bausteine ihrer Ideologie.
In den 1930er Jahren gründete die Muslimbruderschaft einen bewaffneten Arm, der einerseits mit Anschlägen in Ägypten auf sich aufmerksam machte und andererseits bewaffnete Zellen zur Unterstützung des Großmuftis al-Husseini entsandte. Sie beteiligten sich ab 1936 an den arabischen Aufständen gegen die britische Mandatsmacht und an Übergriffen auf die dortigen jüdischen Gemeinden. Hasan al-Banna persönlich ernannte al-Husseini Ende der 1930er Jahre zum offiziellen Oberhaupt der Muslimbruderschaft in Palästina.
Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten
Kurz nach Hitlers Machtergreifung in Deutschland wandte sich der Großmufti an den deutschen Generalkonsul in Jerusalem und bot seine Unterstützung an. Er versicherte diesem, dass alle Muslime weltweit die Machtergreifung der Nazis begrüßten, denn der jüdische Einfluss auf Wirtschaft und Politik sei überall auf der Welt schädlich und müsse bekämpft werden. Einem deutschen „Aufruf zum Judenboykott“ werde die gesamte islamische Welt begeistert folgen.
Zu al-Husseinis Verwunderung war Hitler zu diesem Zeitpunkt an einem Bündnis mit den arabisch-muslimischen Gegnern der Briten nicht interessiert. In Hitlers außenpolitischem Konzept war Großbritannien zu diesem Zeitpunkt noch der „natürliche Verbündete“ des Deutschen Reichs. Großbritannien sei Seemacht, Deutschland Landmacht, sodass sich die Interessen perfekt ergänzten.
Erst als sich später abzeichnete, dass die Briten sich den deutschen Expansionsplänen in den Weg stellen werden, begann Hitler sich für die arabischen Nationalisten und Islamisten zu interessieren. Ab 1937 erhielt al-Husseini Finanzhilfen aus Deutschland und Italien für seinen Kampf gegen Briten und Juden. Gleichzeitig wurde die Auswanderung der deutschen Juden nach Palästina unterbunden, die bis dahin forciert worden war. 1938 entschloss sich Deutschland zudem, Waffen an arabische Einheiten zu liefern. Der Sicherheitsdienst (SD) des Reichsführers SS, Heinrich Himmler, nahm nachrichtendienstliche Verbindungen zum Großmufti auf. Als al-Husseini als Anführer der Aufstände vor den Briten fliehen musste, ging er zunächst in den Libanon, 1939 in den Irak, um sich im Herbst 1941 nach Italien abzusetzen, wo er von Mussolini empfangen wurde.
Am 28. November desselben Jahres wurde al-Husseini schließlich von Hitler persönlich in Berlin empfangen. In sein Tagebuch notierte er, Hitler sei fest entschlossen, den Kampf gegen die Juden zu führen, und bestehe darauf, dass sich die Araber diesem Kampf anschließen, um die Juden auszurotten. Fortan erhielt er eine großzügige monatliche finanzielle Unterstützung aus dem Auswärtigen Amt. Er ersuchte um eine „große Judenwohnung“ und erhielt im Mai 1943 eine „arisierte“ Wohnung in der Goethestraße 27 in Berlin-Zehlendorf.
Mit „Radio Zeesen“ hatte 1939 im Süden Berlins der zur damaligen Zeit leistungsstärkste Kurzwellensender der Welt ein arabischsprachiges Programm gestartet, das unter anderem Reden des Großmuftis in die arabische Welt ausstrahlte. In diesen stachelte er zum Hass gegen Juden auf. Nach einer dieser Reden versammelte sich am 2. Juni 1941 ein Mob in Bagdad und veranstaltete das als „Farhud“ bekannte Pogrom, dem mehrere hundert Juden zum Opfer fielen. Die Farhud markierte den Beginn des jüdischen Exodus aus dem Irak und letztlich aus der arabischen Welt. Mit seiner Ankunft in Berlin übernahm al-Husseini persönlich die Leitung des arabischen Programms von Radio Zeesen und rief von dort aus weiter zur Ermordung der Juden auf.
Muslimische SS-Einheiten
1943 schmiedeten Hitler und al-Husseini einen ganz besonderen Plan. Der Großmufti sollte muslimische SS-Divisionen in Bosnien aufstellen. Die bekannteste und größte war die 13. Waffen-Gebirgs-Division der SS, nach dem traditionellen arabischen Krummdolch „Handschar“ genannt. Sie ist unter anderem für Massaker an der serbischen Zivilbevölkerung verantwortlich. In einer Rede vor den Imamen der bosniakischen SS-Divisionen betonte al-Husseini die gemeinsamen Ideale von Muslimen und Deutschen. Diese seien Monotheismus und die Einheit der Führung; Gehorsam und Disziplin; die Ehre, im Kampf zu fallen; die Gemeinschaft; die Familie; die Verherrlichung der Arbeit und des Schaffens; und die Bekämpfung des Judentums. Ein Brief von Himmler an al-Husseini vom 2. November 1943 bestätigt vor allem das gemeinsame Interesse am „Kampf gegen das Weltjudentum“.
Parallel zum Treiben al-Husseinis machte die Muslimbruderschaft in Ägypten gegen die Juden mobil. Unter den Parolen „Nieder mit den Juden“ und „Juden raus aus Ägypten“ organisierte sie 1938 Ausschreitungen, bei denen jüdische Geschäfte zerstört wurden. In der Zeitung der Bruderschaft, al-Nadhir, erschien regelmäßig eine Kolumne mit dem Titel „Die Gefährlichkeit der Juden von Ägypten“, in der Verschwörungstheorien verbreitet wurden, die den Juden alle erdenklichen Vergehen anlasteten.
Artikel 7 der Charta der Hamas aus dem Jahr 1988 verweist explizit auf diese Frühzeit der Muslimbruderschaft in Ägypten und Palästina. Sie bezieht sich auf den „Dschihad“ im Kampf gegen die Juden und erwähnt, dass dieser in den 1930er Jahren von der Muslimbruderschaft unter Amin al-Husseini sowie von Izz ad-Din al-Qassam begonnen worden sei. Letzterer hatte damals bewaffnete Kleingruppen aufgestellt, deren Aufgabe vor allem darin bestand, Juden zu töten. Ihm zu Ehren benannte die Hamas ihre wichtigste Einheit nach ihm: die Qassam-Brigaden.
Als Reaktion auf die Gründung Israels organisierte die Muslimbruderschaft neuerlich Ausschreitungen gegen die autochthonen jüdischen Gemeinden in Ägypten, die zahlreiche Tote und Verletzte zur Folge hatten. Gleichzeitig griffen ihre Freiwilligenverbände jüdische Gemeinden in Israel an. Der Gründer der Muslimbruderschaft, Hasan al-Banna, verabschiedete diese Verbände persönlich und lobte „ihren Dschihad um Allahs Willen, um die Juden zu bekämpfen, die Feinde des Islam und der Nation“.
In den Augen der Muslimbruderschaft handelt es sich bei Palästina um ein Gebiet, das bereits in der Vergangenheit für den Islam erobert worden sei und nun von nichtislamischer „Fremdherrschaft“ befreit werden müsse. Dieser religiös-revanchistischen Sicht folgt auch Ali Erbaş, der Chef der staatlichen türkischen Religionsbehörde Diyanet. Nach dem 7. Oktober 2023 bezeichnete er Israel als „rostigen Dolch, der im Herzen der islamischen Geografie steckt“.
Der Aufstieg der Bruderschaft in den palästinensischen Gebieten
Der Militärputsch der Freien Offiziere in Ägypten unter Gamal Abdel Nasser im Jahr 1952 wurde von der Muslimbruderschaft zunächst unterstützt. In den folgenden beiden Jahren traten jedoch immer stärkere Differenzen zutage, die 1954 zum Verbot der Bruderschaft führten und massive Verfolgung und Hinrichtungen vieler Mitglieder nach sich zogen. Das Verbot betraf auch den Gazastreifen, der damals noch zu Ägypten gehörte. Viele Muslimbrüder flohen aus dem Land und erhielten politisches Asyl in Europa. Die Gründung der „Islamischen Zentren“ in Genf und München gehen auf diese Zeit zurück. Heute verfügt die Muslimbruderschaft über ein dichtes Netzwerk, das von der EU-Ebene bis herunter in die Gemeinden für die Sache der Bruderschaft arbeitet.
Im Sechstagekrieg 1967 eroberte Israel sowohl das Westjordanland als auch den Gazastreifen. Dieser stand nun unter israelischer Kontrolle und unterlag damit nicht mehr dem ägyptischen Verbot der Bruderschaft. Das ermöglichte der Muslimbruderschaft ihre Reorganisation im Gazastreifen, eine Aufgabe, die Scheich Ahmad Jassin zufiel, dem späteren Gründer der Hamas. Um den Aufbau der Bruderschaft nicht zu gefährden, hielt sie sich mit Aktionen gegen Israel zurück, was zu einer Fehleinschätzung israelischer Behörden beitrug, die in ihr, im Gegensatz zur PLO, keine Gefahr sahen.
Die Vernichtung Israels als unumstößliches Ziel
Nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 wurde bei einer Hausdurchsuchung in der italienischen Enklave Campione d’Italia im Tessin ein Strategiepapier der Bruderschaft aus dem Jahr 1982 gefunden, das in zwölf Punkten eine Strategie zur Unterwanderung von Gesellschaften skizziert. Dem „Kampf um Palästina“ ist ein eigenes Kapitel gewidmet, weil dieser der Schlüssel zur „Renaissance der arabischen Welt im heutigen Zeitalter“ sei. „Mittels politischer Planung und Dschihad“ heißt es dort, solle sich die „palästinensische Sache als Teil des weltweiten Plans zu Eigen gemacht werden“. Juden werden explizit als „Feinde der Muslime“ bezeichnet. Jegliche Versöhnung mit ihnen sei Defätismus, der die Bewegung untergrabe. Stattdessen sollten in Palästina dschihadistische Zellen aufgebaut werden. Fünf Jahre später, 1987, gründete die Muslimbruderschaft ihren dschihadistischen palästinensischen Ableger, die Hamas.
Bereits die Präambel ihrer Charta lässt keinen Zweifel am Ziel der Hamas zu: die Vernichtung Israels. „Israel wird entstehen und weiter existieren, bis der Islam es auslöscht, so wie er ausgelöscht hat, was davor bestand“, wird darin der Gründer der Muslimbruderschaft Hasan al-Banna zitiert. Das im 7. Jahrhundert von Muslimen eroberte, ehemals christliche „Land Palästina“ wird als religiös-islamische Stiftung (waqf) auf Ewigkeit angesehen, „bis zum Tag der Auferstehung“. Kein Teil davon dürfe je aufgegeben werden (Art. 11).
Mit dem Zitat eines inzwischen zu trauriger Berühmtheit gelangten Hadith macht die Hamas deutlich, dass die weltweite Vernichtung der Juden zu ihrem Programm gehört:
„Die Stunde wird nicht schlagen, bis die Muslime die Juden bekämpfen und töten, sodass die Juden sich hinter Steinen und Bäumen verstecken. Die Steine oder Bäume sagen jedoch: O, Muslim! O, Diener Gottes, ein Jude versteckt sich hinter mir. Komm und töte ihn!“
In Art. 22 der Charta findet sich eine antisemitische Verschwörungstheorie, die Hitlers „Mein Kampf“ entnommen sein könnte: „Sie stecken hinter der Französischen Revolution, der Kommunistischen Revolution und hinter den meisten Revolutionen, von denen wir gehört haben.“ Auch im Ersten Weltkrieg und der Gründung des Völkerbunds sieht die Hamas das Werk der Juden, die zudem die Medien unter ihre Kontrolle gebracht und zahlreiche Geheimorganisationen wie etwa die Freimaurer zur Durchsetzung ihrer Interessen gegründet hätten.
Schlussbemerkung
Die antisemitische Geschichte von Muslimbruderschaft und Hamas wurde seither fortgeschrieben. Der 2022 in Katar verstorbene Spiritus Rector der Muslimbruderschaft, Yusuf al-Qaradawi, avancierte mit seiner Sendung auf al-Jazeera zum einflussreichsten Fernsehprediger der islamischen Welt. Dort ließ er seinem Judenhass immer wieder freien Lauf.
In Europa wurde er unter anderem bekannt dafür, dass er die Todesstrafe für den Abfall vom Islam und 100 Peitschenhiebe als Strafe für Homosexuelle forderte und Selbstmordattentate von Palästinensern religiös legitimierte. Am 28. Januar 2009 sagte er in einem Interview auf al-Jazeera: „Während der Geschichte hat Allah das [jüdische] Volk wegen seiner Verkommenheit gestraft. Die letzte Strafe wurde von Hitler vollzogen. Durch all die Dinge, die er ihnen getan hat – sogar wenn sie diese Angelegenheit übertrieben haben – gelang es ihm, sie auf ihren Platz zu verweisen. Das war ihre göttliche Bestrafung. So Gott will, wird das nächste Mal diese durch die Hand der Gläubigen erfolgen.“
Im Jahr 2013 weigerte sich al-Qaradawi, an einer interreligiösen Konferenz in Katar teilzunehmen, weil er nicht neben Juden sitzen wollte.
Eine ganze Reihe globaler und europäischer Organisationen der Muslimbruderschaft geht auf die Initiative al-Qaradawis zurück. In Europa gründete er u.a. das „European Council for Fatwa and Research“, einen europäischen Fatwarat mit Sitz in Dublin und einer Dependance in Frankfurt am Main, der in Europa lebenden Musliminnen und Muslimen Ratschläge erteilt und Fatwas erstellt. Sein Buch „Erlaubtes und Verbotenes im Islam“, das mehr als besorgniserregende Passagen enthält, wird von vielen Islamverbänden im Westen verbreitet.
Wie die Geschichte des Christentums weist auch die des Islam eine judenfeindliche Tradition auf. Sie reicht bis in die Entstehungszeit zurück und speist sich aus den bis heute als vorbildlich angesehenen Aussagen aus Koran, Sunna und Prophetenbiografie. Diese originär islamische Judenfeindschaft, die bis heute nicht aufgearbeitet wurde, wurde von der Muslimbruderschaft gebündelt und in ein politisches Programm transformiert, das auf muslimische Communitys einwirkt und nicht erst seit dem 7. Oktober 2023 zum Judenhass auf den Straßen Europas beiträgt.
NINA SCHOLZ ist Politikwissenschaftlerin, HEIKO HEINISCH ist Historiker. Beide forschen und publizieren zu Nationalsozialismus, Antisemitismus, Islamismus, zum Thema Islam und Menschenrechte sowie zur Integration muslimischer Einwanderer. Zuletzt erschien das gemeinsame Buch: Alles für Allah. Wie der politische Islam unsere Gesellschaft verändert. Molden Wien 2019.