Die verpasste Chance – Warum die Frauenquote die zweitbeste Lösung ist
Die Diskussion um Frauen in Führungspositionen hat uns mit der gesetzlichen Quote in den Aufsichtsräten endlich einen formellen Fortschritt gebracht. Aktuelle Studien, wie die der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB), belegen klar, dass dieser Wandel wirtschaftlich sinnvoll ist: Frauen steigern Profitabilität und Stabilität von Unternehmen, weil sie diverse Perspektiven einbringen. Ein höherer Frauenanteil ist nicht nur eine Frage von Repräsentation, sondern schafft auch messbaren wirtschaftlichen Mehrwert.
Doch als Expertin für Corporate Governance muss ich betonen: Die Quote, so notwendig sie als Türöffner war, ist die zweitbeste Lösung. Sie ist ein Symptom für ein strukturelles Versagen, das wir mit einer viel besseren Initiative hätten beheben können.
Mein eigentliches Ziel ist es, die Gender-Diskussion im Aufsichtsrat überflüssig zu machen, indem wir das Thema Qualifikation und Kompetenz für alle in den Fokus rücken.
1. Die verpasste EU-Chance: Fokus auf Qualität für alle
Die größte verpasste Chance für eine zukunftsfähige Governance liegt in der EU-Kommission. Vor der Corona-Krise unternahm die Kommission einen essenziellen Anlauf: den Vorschlag, einen verpflichtenden Qualifikationsnachweis sowie eine Nachweispflicht für die Weiterbildung für Aufsichtsräte in börsennotierten Unternehmen europaweit einzuführen. Dies wäre die wirkliche Revolution gewesen: Ein verpflichtender Qualitätsstandard hätte die Debatte um „Mangel an qualifizierten Frauen“ sofort obsolet gemacht und alle Aufsichtsräte (m/w/d) auf das gleiche, hohe Niveau gehoben.
Leider scheiterte dieser Vorschlag am vehementen Widerstand eines großen europäischen Landes. Als Alternative wurde die Frauenquote forciert, um überhaupt einen Fortschritt zu erzielen. Schade um diese Chance, denn wir alle hätten von einer verpflichtenden Qualitätssicherung deutlich mehr gehabt als von einer Quote, die in der Praxis oft zur Symbolpolitik (etwa durch den leeren Stuhl) führt.
2. Der souveräne Einzug in „Machtgebiete“
Die harten Realitäten für Frauen in Führungspositionen belegt das Buch „Machtgebiete. Was Managerinnen erleben und wie sie gegenhalten“ von Anna Sophie Herken, Christina Sontheim-Leven und Bettina Weiguny, erschienen im Campus Verlag (September 2025). Die Berichte über Sexismus, toxische Machtstrukturen und den Kampf um Anerkennung zeigen, dass der formelle Titel noch lange nicht die Machtteilung bedeutet. Mein Credo ist hier klar und pragmatisch: Wenn ein Aufsichtsrat eine Frau nur wählt, weil er muss – dann ist das sein Problem, nicht das ihre. Sie soll dieses Mandat auf jeden Fall annehmen! Egal wie man hineinkommt, die Hauptsache ist, man ist drin. Denn wenn man einmal drin ist, beweist man sich souverän.
Die Abläufe im Gremium sind von Expertise getragen, nicht vom Geschlecht. Mein Ziel ist es, die Qualifikation aller so anzuheben, dass die Rolle des Sponsors nicht länger eine Gender-Debatte, sondern eine selbstverständliche Unternehmenskultur der Talentförderung wird.
3. Die strukturelle Realität: Das Pferd von hinten aufgezäumt
Der Fokus auf die Quote im Aufsichtsrat täuscht darüber hinweg, dass wir in der Basis der Karriere in Österreich noch weit hinten sind:
- Fehlende Kinderbetreuung: Die unzureichende Infrastruktur der Kinderbetreuung, die in Österreich wahrlich kein Vergnügen ist, verhindert, dass Frauen die nötige Führungserfahrung für ein Aufsichtsratsmandat sammeln können.
- Qualität statt Quote: Bevor ich mich um die Quoten-Diskussion im Kontrollgremium kümmere, muss ich mich um die Schaffung fairer Startbedingungen kümmern.
Qualität statt Quote
Die Anwesenheit von Frauen in Vorstand, Aufsichtsrat oder Geschäftsführung ist heute gesichert. Doch die Frauenquote war eine Notlösung. Die eigentliche Priorität muss sein, die Governance-Qualität für alle durch verpflichtende Standards und Weiterbildung zu sichern – eine Chance, die Europa leider verpasst hat. Wir müssen die strukturellen Hürden abbauen. Denn am Ende zählt nur die Kompetenz, und diese beweist sich souverän.
VIKTORIA KICKINGER ist Aufsichtsrätin und Unternehmerin. Nach Managementpositionen bei ORF, ÖBB, ÖIAG und Österreichischer Post war sie in zahlreichen Aufsichtsräten tätig, so etwa an der Wiener Staatsoper, dem Burgtheater oder dem Technologiekonzern S&T. Derzeit ist sie im Aufsichtsrat der Polytec Holding AG sowie im Universitätsrat des Mozarteum Salzburg.
2016 gründete sie die Directors Academy Hamburg, eine Online-Weiterbildungsplattform für Aufsichtsräte in Deutschland.