Ein Plädoyer für mehr Finanzbildung
Die derzeit herrschende und anhaltend hohe Inflation stellt viele vor die Frage, wie die steigenden Lebenshaltungskosten getragen werden können, wie man sich das Leben noch leisten kann. Gleichzeitig ist es vielen ein Rätsel, worauf diese Inflation zurückzuführen ist und wie man sie eindämmen könnte. In diversen Diskussionsforen dominieren monokausale Erklärungen – „wegen des Ukraine-Kriegs“ oder „wegen der Sanktionen gegenüber Russland“ –, und auch die favorisierten Rezepte zur Bekämpfung der Inflation fokussieren oft nur auf eine Maßnahme.
Die derzeitige Situation ist daher ein geeigneter Anlass, um aufzuzeigen, welchen Unterschied Finanzbildung machen kann: Wer sie genießt, kann z.B. erklären, was Inflation ist und welche Auswirkungen sie hat. Wir sehen in Untersuchungen, dass rund ein Drittel der in Österreich lebenden Menschen schon damit Probleme hat. Wer finanziell gebildet ist, würde auch erkennen, dass steigende Lebenshaltungskosten nicht die einzigen finanziellen Herausforderungen sind – man denke etwa an den enormen Kaufkraftverlust der gering verzinsten Guthaben auf Konten oder auf steigende Kreditzinsen und ihre Auswirkungen. Und erkennen, dass die gegenwärtige Inflation durch mehrere ineinandergreifende Ursachen bedingt ist und nicht durch nur eine Maßnahme allein wirkungsvoll und nachhaltig bekämpft werden kann.
Finanzbildung ist nicht nur in Zeiten hoher Inflation wichtig
Auch in Zeiten niedriger Inflation ist Finanzbildung bedeutend: Denn finanzielle Herausforderungen gibt es viele, und die meisten wirtschaftlichen Entscheidungen im Leben wirken sich dementsprechend auch finanziell aus. Schon Kinder und Jugendliche treffen viele wirtschaftliche Entscheidungen – auch wenn es ihnen nicht immer bewusst ist.
Dazu zählen nicht nur Konsum- und Sparentscheidungen, sondern auch die Wahl des Bildungswegs und des späteren Berufs. Wer ab 16 wählen geht, entscheidet mit seiner Stimmabgabe zumindest indirekt auch über den weiteren wirtschaftspolitischen Kurs einer Regierung. Wirtschaftliche Zusammenhänge zu verstehen und darüber zu reflektieren, ist daher auch für das kritische Hinterfragen von Wahlversprechen von Bedeutung.
Mit dem ersten selbst verdienten Geld und dem ersten eigenen Haushalt stellen sich rasch weitere wirtschaftliche Fragen: Neben Konsum- und Sparentscheidungen stehen auch Investitions- und Finanzierungs- sowie Vorsorge- und Versicherungsentscheidungen an. Ein finanziell gebildeter Mensch weiß, dass er nicht nur an das Heute, sondern auch an die Zukunft denken muss. Und er versteht, dass seine Entscheidungen nicht nur Auswirkungen auf die eigene Person, sondern auch auf andere, ja die ganze Gesellschaft haben.
Was Finanzbildung umfasst
Finanzbildung ist aber nicht nur wichtig, sondern auch inhaltlich sehr umfassend. Sie beruht nicht nur auf Wissen, sondern auf einem tiefgehenden Verständnis und vielen Fähigkeiten und Verhaltensweisen, bei denen es vor allem um das Planen, das sorgfältige Haushalten, das Einholen und Auswerten von Informationen, das Einschätzen von Chancen und Risiken und das verantwortungsvolle Entscheiden und das Reflektieren über diese Entscheidungen geht. Für einen Überblick über wesentliche Inhalte von Finanzbildung hat das Institut für Wirtschaftspädagogik an der Wirtschaftsuniversität Wien einen inhaltlichen Rahmen entwickelt. Er zeigt, dass es zunächst um das Managen der eigenen Einnahmen und Ausgaben geht, um das verantwortungsvolle Konsumieren und die Sicherung der Zahlungsfähigkeit.
Wer nicht weiß, wie viel Geld noch auf dem Konto ist und wofür man wie viel ausgibt, wird hier die ersten Probleme haben. Impulskäufe und fehlende Planung dessen, was man für den eigenen Haushalt wirklich braucht, führen zu unnötigen Ausgaben, oft sogar in erste Schuldenprobleme. Das beginnt in vielen Fällen schon in jungen Jahren: Ungefähr jede dritte Person, die Hilfe bei einer Schuldnerberatungsstelle sucht, ist unter 30 Jahre alt. Die wesentlichen Gründe für Überschuldung sind plötzliche Einkommenseinbußen (z.B. durch Arbeitslosigkeit), gescheiterte Selbstständigkeit und schlechter Umgang mit Geld. Zum ersten Themenbereich zählt aber auch, die eigenen Zahlungen sicher durchführen und die eigenen Daten schützen zu können – bei einer steigenden Zahl von digitalen Zahlungsformen ist auch das nicht trivial.
Nur wenn die laufenden Einnahmen die laufenden Ausgaben übersteigen, bleibt Geld übrig, das für größere Investitionen und zur leistbaren Finanzierung von größeren Anschaffungen verwendet werden kann. Das bildet den zweiten großen Themenkreis im Rahmenmodell: Viele glauben, dass ihr Einnahmenüberschuss dafür nicht ausreicht, irren dabei aber. Natürlich ist es für Menschen mit hohem Einkommen einfacher. Entscheidend ist aber nicht nur die Höhe des Betrags, der monatlich übrig bleibt, sondern auch, in welchem Alter man beginnt, ihn auf die Seite zu legen – und was man damit macht. Wer früh beginnt, kann auch mit kleinen Beträgen langfristig viel erreichen.
Bei Anlageformen mit höheren Renditen scheuen viele wegen des vermuteten Risikos zurück. Auch hier würde mehr Finanzwissen helfen zu erkennen, welche Anlageformen aufgrund ihrer Konstruktion mit annehmbarem Risiko deutlich höhere Renditen bringen – vor allem, wenn man nicht kurzfristig denkt. Wer zum Beispiel statt des wöchentlichen Lottoscheins – bei dem man sehr wahrscheinlich den gesamten Kapitaleinsatz verliert und damit hohes Risiko –, oder statt anderer Ausgaben wöchentlich etwas zur Seite legt und risikobewusst anspart, kann über viele Jahre vom Zinseszinseffekt profitieren.
Millennials sind wenig vorbereitet
Junge Millennials – also die Altersgruppe zwischen 15 und 28 –, können weniger Finanzwissensfragen beantworten und sind finanziell schlechter organisiert. Und das, obwohl sie in höherem Ausmaß Apps verwenden, die sie dabei unterstützen könnten. Das geht aus einer Erhebung zur Finanzbildung aus dem Jahr 2019 hervor – sie wissen also weniger über Geld, sind gleichzeitig aber risikofreudiger.
Konkret zeigen die Ergebnisse, dass sie sich vor einer Anschaffung vergleichsweise weniger Gedanken darüber machen, ob diese wirklich leistbar ist. Sie neigen auch weniger dazu, darauf zu achten, wie viel Geld sie zur Verfügung haben und wie viel sie ausgeben, und zeigen eine vergleichsweise höhere Zustimmung zu Aussagen wie: „Ich lebe eher für den Augenblick und denke nicht an morgen“ und „Wenn ich spare oder mein Geld anlege, bin ich bereit, einen Teil davon zu riskieren“.
Was Jugendlichen hilft, sorgfältig mit Geld umzugehen
Aus qualitativen Interviews mit Jugendlichen sehen wir, dass ihnen bestimmte Erfahrungen dabei helfen, den Umgang mit Geld zu lernen. Das Verwalten und Haushalten mit eigenem Geld etwa, das Planen und Einteilen eines fixen Geldbetrags, der nicht auf Nachfrage erhöht werden kann, oder das Verdienen von eigenem Geld helfen dabei genauso wie das Hinterfragen, welche (Spontan-)Ausgaben wirklich notwendig sind.
Ein fixes Taschengeld ist daher eine wesentliche Finanzbildungsmaßnahme, da die Kinder und Jugendlichen nur so lernen, sich das Geld einzuteilen und mit einem bestimmten Betrag auszukommen. Erhalten sie das Taschengeld „bedarfsorientiert“ – also immer dann, wenn sie sagen, dass sie es brauchen – sind sie nicht dazu angehalten, sich über ihre Einnahmen und Ausgaben gründliche Gedanken zu machen.
In einer quantitativen Untersuchung, in der über 1.300 Jugendliche in Österreich befragt worden sind, wurde ein weiterer Hebel für die Finanzbildung deutlich. Rationales Konsumverhalten, bei dem sich Jugendliche gut überlegen, was sie brauchen und wofür sie ihr Geld ausgeben – aber auch, dass sie warten oder sogar verzichten können – wird gefördert, wenn sie sich mit ihren Eltern über Geldthemen austauschen können. Dieses Konsumverhalten korreliert auch mit ihrer Sparneigung, wobei sie nicht nur für bestimmte Anschaffungen sparen, sondern auch unabhängig von geplanten Ausgaben in der Zukunft Geld auf die Seite legen.
Leider ist genau das nicht gewährleistet: dass Kinder und Jugendliche zu Hause gute Vorbilder im Umgang mit Geld erleben und mit Erwachsenen über ihre Fragen rund um Geld sprechen können. Umso wichtiger wäre es, in der Schule ein Mindestmaß an Finanzbildung zu vermitteln, um Bildungsunterschiede zumindest ein Stückweit ausgleichen zu können.
Warum es schon in der Schule Finanzbildung braucht
Da Kinder schon sehr früh eine Reihe von wirtschaftlichen und daher auch finanziellen Entscheidungen treffen und sich aufgrund ihrer Beobachtungen Gedanken über Geld und dessen Funktionen machen, sollte die schulische Finanzbildung bereits in der Volksschule ganz einfach beginnen und kontinuierlich bis zum Ende der Schulpflicht erfolgen. Sich mit bestimmten Finanzthemen nur einmal in der Schullaufbahn zu beschäftigen, wird für einen langfristig anhaltenden Lernerfolg zu wenig sein.
Um Lehrerinnen und Lehrer verschiedenster Schultypen (ab der 5. Schulstufe) bei Finanzbildung zu unterstützen, hat das Institut für Wirtschaftspädagogik im September 2022 eine neue Initiative gestartet: Für jedes beliebige Thema des Rahmenmodells für Finanzbildung kann ein Finanzbildungscoach angefragt werden, der dieses Thema in der jeweiligen Klasse der Lehrperson unterrichtet. Finanzbildungscoaches sind Studierende der Wirtschaftspädagogik, die im Rahmen des Studiums einen Schwerpunkt auf Finanzbildung gelegt haben und fachlich sowie fachdidaktisch fundiert ausgebildet sind. Sie gehen mit Unterrichtskonzepten in die Schulen, die inhaltlich geprüft und den Voraussetzungen in der jeweiligen Klasse angepasst worden sind. Das Feedback aus den bisher rund 50 Workshops mit rund 1.200 erreichten Schülerinnen und Schülern ist sehr positiv, zum Teil euphorisch.
Das liegt nicht zuletzt daran, dass wir anschauliche realitätsbezogene Beispiele verwenden und die Relevanz für das eigene Tun, für eigenen finanziellen Entscheidungen deutlich machen. Das beginnt bei Themen wie Planung von Einnahmen und Ausgaben bis hin zum Sparen und Vorsorgen, Finanzieren und Anlegen. Wichtig ist es, dass die Jugendlichen „ins Tun kommen“ – also tatsächlich selbst planen, Angebote vergleichen, finanzielle Ziele wie etwa Sparziele und einen Plan zur Umsetzung entwickeln. Und über ihre Erfahrungen sprechen können.
Finanzbildungscoaches können auch öfter als einmal angefragt werden. Denn die Schülerinnen und Schüler freuen sich, dass sie etwas für ihr gegenwärtiges und zukünftiges Leben lernen, und wünschen sich meistens noch mehr Finanzbildung. Manche gleich ein eigenes Fach.
BETTINA FUHRMANN ist Professorin für Wirtschaftspädagogik an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) und Leiterin des Instituts für Wirtschaftspädagogik sowie des Bereichs Soziale Kompetenz an der WU. Ihre Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind Wirtschaftsdidaktik und ökonomische Bildung mit besonderem Fokus auf finanzielle Bildung. Sie vertritt die WU als assoziiertes Mitglied des OECD International Network on Financial Education (INFE) und hat Kontakte zu Finanzbildungsinitiativen in aller Welt geknüpft.