Eine Klarstellung zum Gazakrieg

Am 7. Oktober 2023 hat Gaza Israel angegriffen. Das sollte deutlich gesagt werden, denn im öffentlichen Diskurs zu diesem Krieg wird eine Differenzierung gefordert und vorgenommen, wie wir sie in keinem anderen Krieg sehen. Niemand käme auf die Idee zu behaupten, am 1. September 1939 hätte die NSDAP Polen überfallen – es war Deutschland. Und es ist auch überall richtigerweise zu lesen, dass Russland 2022 die Ukraine überfallen hat oder 1990 der Irak Kuwait. Nur im Gazakrieg wird zwischen der Hamas, also der militärischen Kraft Gazas, und der Bevölkerung eine klare Trennlinie gezogen, als wäre die Hamas ein Fremdkörper innerhalb des Landes und der Krieg ginge die Bevölkerung nichts an. Gleichzeitig werden alle Israelis, wenn nicht gar alle Juden, für Handlungen der Regierung und Aussagen einzelner Regierungsmitglieder verantwortlich gemacht. Das zeigen nicht zuletzt die unzähligen Boykottaufrufe gegen die israelische Sängerin Yuval Raphael beim ESC. Die antiisraelischen Aktivisten waren in der Lage, selbst die Tatsache auszublenden, dass Raphael eines der Opfer des Überfalls der Hamas vom 7. Oktober war. Manche gingen sogar soweit, diese Tatsache gegen Israel zu verwenden. Dieses Vorgehen ist Ausdruck einer moralischen Asymmetrie.
Israel hatte den Gazastreifen 2005 vollständig geräumt und damit einhergehend die jüdischen Bewohner zum Teil unter Gewaltanwendung zum Umsiedeln gezwungen. Ein Jahr darauf errang die Hamas die absolute Mandatsmehrheit und stellte die Regierung. Es sollten die bislang letzten Wahlen gewesen sein. 2007, also ein weiteres Jahr später, löste sie einen Bürgerkrieg aus, in dessen Verlauf sie sich binnen weniger Tage gegen die Milizen der Fatah durchsetzen konnte. Seither stellt die Organisation sowohl die Regierung als auch das Militär des Gazastreifens.
Natürlich stehen nicht alle Bewohner auf der Seite der Hamas, und natürlich hat niemand sie gefragt, ob sie diesen Krieg wollen – aber das war 1939 in Deutschland und 2022 in Russland auch nicht anders. Und es sei erwähnt, dass in Umfragen, die im Dezember 2023 durchgeführt wurden, über 70 Prozent der Befragten im Gazastreifen den Überfall auf Israel vom 7. Oktober für richtig hielten, also den Beginn des jüngsten Kriegs. An der Differenzierung zwischen einem Land (Gaza) und seinem Militär in Gestalt der Hamas hängt letztlich der ganze moralische Furor, mit dem Israel kritisiert wird. Er scheint von der Vorstellung getragen, die bewaffneten Männer der Hamas seien Aliens, aus dem Nichts aufgetauchte Einheiten, die keinerlei Verbindung mit der Zivilbevölkerung haben. Sie sind aber Söhne, Väter, Brüder und Ehemänner der Zivilbevölkerung.
Von Israel wird verlangt, eine präzise Trennlinie zu ziehen und zwischen Terroristen, die in Zivilkleidung operieren, und Zivilisten zu unterscheiden. Israel soll die Hamas bekämpfen, die sich unter und hinter Zivilisten versteckt und nicht Gaza, Israel soll also die Hamas bekämpfen, aber keinen Krieg führen. Das ist, obwohl die IDF sich nachweislich bemüht, Zivilisten zu schonen, vor Luftangriffen warnt und feindliche Stellungen, auch solche im Boden, mit möglichst hoher Präzision ausschaltet, weltfremd. Auch wenn wir das in Europa nach Jahrzehnten des Friedens verständlicherweise nur noch schwer wahrhaben wollen, handelt es sich hier um einen Krieg. In einem Krieg sterben Menschen, in jedem Krieg, ob uns das gefällt oder nicht. Und unter den Opfern finden sich leider auch immer Unschuldige und Unbeteiligte und, am allerschlimmsten, Kinder. Darüber darf jedoch nicht vergessen werden, dass es Gaza war, das diesen Krieg begonnen hat, nicht Israel. Und es ist Gaza, das ihn durch die Freilassung der Geiseln und die bedingungslose Kapitulation beenden könnte. Sofort.
HEIKO HEINISCH ist Historiker und Autor. Er forscht und publiziert zu Nationalsozialismus, Antisemitismus, Islamismus, zum Thema Islam und Menschenrechte sowie zur Integration muslimischer Einwanderer.