Krank sein in Bullerbü: Über das schwedische Gesundheitssystem
Schweden – das Land der bunten Holzhäuser, glitzernden Seen und endlosen Wälder. Es ist der Stoff, aus dem Astrid Lindgrens Geschichten von Bullerbü gemacht sind. Doch hinter dieser Postkartenidylle verbirgt sich eine Realität, die auf den ersten Blick ungewohnt erscheinen mag, aber viele interessante Ansätze bietet. Das schwedische Gesundheitssystem gilt als effizient, verlangt seinen Patient:innen jedoch einiges ab. Die Geschichte von S. Andersson, einer Person aus einem kleinen Dorf im schwedischen Inland, zeigt, wie eine Hüftoperation in diesem System abläuft.
Der erste Schritt: Die VårdCentral
S. Andersson leidet seit Monaten unter starken Hüftschmerzen, die den Alltag zur Herausforderung machen. Doch bevor eine Operation überhaupt infrage kommt, führt der Weg in die VårdCentral – das Herzstück des schwedischen Gesundheitssystems. Diese Gesundheitszentren sind die erste Anlaufstelle für alle medizinischen Anliegen. Anders als in Österreich gibt es keine freie Arztwahl oder die Möglichkeit, direkt eine Ambulanz aufzusuchen. Die VårdCentral entscheidet, ob und wann eine Überweisung zu Fachärzt:innen im Krankenhaus erfolgt.
Eine klare Struktur, die für viele eine Erleichterung sein kann – vorausgesetzt, man versteht das System und weiß, wie es funktioniert.
Die Kostenfrage: Einheitliche Krankenkassa
In Schweden gibt es nur eine Krankenkassa für alle – ein Modell, das durch seine Effizienz besticht. Jeder Arztbesuch kostet bis zu 300 SEK (ca. 30 Euro) und ein Krankenhaustag 130 SEK. Versäumt man einen Termin, wird zusätzlich eine Pönale von 50 SEK fällig. Kinder unter 18 Jahren werden kostenlos behandelt.
Das Modell mag für Außenstehende ungewöhnlich wirken, doch es bietet eine einfache und einheitliche Grundlage für alle Patient:innen.
Hürden vor der Operation
Im Krankenhaus wird von Spezialist:innen die Arthrose diagnostiziert und eine Hüftoperation empfohlen. Doch zunächst muss S. Andersson einige Hürden überwinden: Mit einem BMI von 37, was der Kategorie Fettleibigkeit Grad 1 entspricht, und durch regelmäßigen Alkoholgenuss werden Risikofaktoren diagnostiziert, die zu Komplikationen führen können. Um die Operation durchzuführen, fordert der Arzt konsequenterweise zuvor Gewichtsreduktion und Verzicht auf Alkohol.
Diese Anforderungen können herausfordernd sein, doch sie zielen darauf ab, die bestmöglichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Behandlung zu schaffen.
Mit Unterstützung der VårdCentral startet S. Andersson ein striktes Diät- und Entzugsprogramm. Nach vier Monaten ist das Ziel erreicht: Der BMI liegt unter 35, der Alkoholwert ist unbedenklich. Erst jetzt beginnt die 90-tägige Wartefrist für die Operation.
Die Operation und die Nachsorge
Am Tag der Operation läuft alles nach Plan. Der Eingriff verläuft erfolgreich, S. Andersson bleibt eine Nacht im Krankenhaus. Im Krankenzimmer trifft S. Andersson auf B. Thorsson, eine weitere Person, die ebenfalls eine Hüftoperation erwartet. B. Thorsson musste jedoch vier Wochen länger warten, da Raucher:innen vier Wochen vor einer geplanten Operation rauchfrei sein müssen. Andernfalls wird der Eingriff verschoben, wie in Thorssons Fall.
Bereits am nächsten Tag geht es für S. Andersson direkt nach Hause – auf einer vierstündigen Taxifahrt mit Krankenbahre. Diese Form des Transports ist in Schweden üblich und wird von der Kommune bezahlt. Rettungsdienste werden ausschließlich in Notfällen eingesetzt.
Die Nachsorge erfolgt in der VårdCentral des zuständigen Bezirks – entweder vor Ort oder per Online-Konsultation. Physiotherapie-Anweisungen werden gegeben, die Fortschritte dokumentiert S. Andersson per Video und kommuniziert häufig online mit der VårdCentral. Den Operateur oder die Operateurin sieht S. Andersson nach der Operation nicht mehr.
Ein Blick in die Zukunft
Das schwedische Gesundheitssystem punktet mit klaren Strukturen und datenbasierten Prozessen. Jeder Schritt von S. Anderssons Behandlung – von der Diagnose über die Operation bis zur Nachsorge – wurde in die nationale Statistik aufgenommen. Diese Daten dienen dazu, die Qualität des Systems kontinuierlich zu verbessern.
Obwohl das System auf den ersten Blick „spartanisch“ erscheinen mag, lässt sich daran erkennen, wie ein strukturierter Ansatz gesellschaftliche Ziele und individuelle Bedürfnisse verbinden kann – und dass Effizienz und Solidarität in einem modernen Gesundheitssystem Hand in Hand gehen können. Ob dieser Ansatz überall umsetzbar ist, bleibt offen – doch er regt sicherlich zum Nachdenken an.
VIKTORIA KICKINGER ist Aufsichtsrätin und Unternehmerin. Nach Managementpositionen bei ORF, ÖBB, ÖIAG und Österreichischer Post war sie in zahlreichen Aufsichtsräten tätig, so etwa an der Wiener Staatsoper, dem Burgtheater oder dem Technologiekonzern S&T. Derzeit ist sie im Aufsichtsrat der Polytec Holding AG sowie im Universitätsrat des Mozarteum Salzburg.
2016 gründete sie die Directors Academy Hamburg, eine Online-Weiterbildungsplattform für Aufsichtsräte in Deutschland.