Medien & OpenAI: Deal mit dem Teufel?
Die Story sitzt: AI-Modelle können die Produktivität steigern, das BIP erhöhen, Effizienzen heben, Fachkräfte ersetzen, Unternehmen schlanker machen. Insbesondere die Medienindustrie befindet sich nach den Disruptionen Search (Google) und Social Media (Meta) im dritten großen Umbruch des 21. Jahrhunderts. Wenn generative AI in Gestalt von ChatGPT, Claude und Co. auch Texte schreiben, Bilder erstellen, Videos schneiden und Grafiken erstellen kann, dann ist klar: Medien müssen eine Antwort auf diese rasante Entwicklung haben.
Aktuell gibt es zwei Antworten darauf: Antwort Nummer 1: Klagen. Antwort Nummer 2: Partnern.
Beginnen wir bei Option 1. Die New York Times, immer noch die einflussreichste und bekannteste Zeitung des Planeten, führt die Phalanx jener Unternehmen an, die sich rechtlich gegen OpenAI und Co. wehren. OpenAI wird vorgeworfen, massenhaft Content (ergo Artikel) der New York Times ungefragt und nicht lizenziert per Scraping von der Webseite geklaut zu haben, um seine AI-Modelle (u.a. das heute weit verbreitete GPT-4) damit zu trainieren. Im Umkehrschluss heißt das: Ohne Millionen von urheberrechtlich geschützten Nachrichtenartikeln könnte ChatGPT heute nicht so gut mit seinen Usern kommunizieren. Die NYT sieht darin einen „Milliardenschaden“ und will sich im harten Medien-Business etwas von den Milliardenumsätzen, die OpenAI mit seinen Large Language Models (LLMs) macht, zurückholen.
AI-Unternehmen werden mit Klagen überzogen
Die New York Times ist nicht das einzige Medienunternehmen bzw. Content-Haus, das AI-Unternehmen verklagt. Weitere Klagen, in denen es stets um Urheberrechtsverletzungen geht, laufen unter anderem hier:
- Die acht US-Verlage Daily News, Chicago Tribune Company, Orlando Sentinel Communications Company, Sun-Sentinel Company, San Jose Mercury-News, DP Media Network, ORB Publishing und Northwest Publications klagten gegen OpenAI
- Recording Industry Association of America (RIAA) klagte die AI-Musik-Startups Suno und Udio
- Die Autoren George R.R. Martin und John Grisham klagten OpenAI
- Getty Images klagte Stability AI
- Künstler:innen klagten Stability AI, Midjourney und DeviantArt
- Musikverlage klagten Anthropic
- Comedian Sarah Silverman klagte Meta Platforms und OpenAI
Wie diese Prozesse ausgehen, ist offen. AI-Unternehmen argumentieren stets, dass man „freien“ oder „öffentlich zugänglichen“ Content nach dem „Fair Use“-Prinzip nutzen würde und dass ihre AI-Modelle nicht in Konkurrenz zu Zeitungen, Songs oder Bildern von Künstler:innen stehen würden, sondern vielmehr Werkzeuge für Kreativschaffende seien – was sicher auch teilweise so ist. Trotzdem sagen Kreative: AI beutet uns aus, um uns zu ersetzen.
Kommen wir zu Antwort Nummer 2: der Partnerschaft. Im Gegensatz zur New York Times haben sehr bekannte und renommierte Medienunternehmen bzw. -organisationen wie Axel Springer (Welt, Bild, Politico, Business Insider), Financial Times, Le Monde, Vox Media (u.a. The Verge), Prisa Media, News Corp, AP (Associated Press), Buzzfeed, The Atlantic und die World Association of Newspapers and News Publishers (WAN-IFRA) Kooperationen mit OpenAI geschlossen. Diese sind unterschiedlich ausformuliert, beinhalten aber meistens Sach- und/oder Geldleistungen seitens OpenAI, im Gegenzug darf der Content in ChatGPT und Co. verwertet werden (es soll auch ausgehende Links geben).
Für Medienunternehmen, die seit vielen Jahren mit schwieriger werdenden Bedingungen am Anzeigen- (Ads-) wie Lesermarkt (Abos) kämpfen, sind solche Deals willkommene neue Revenue Streams. Sieht man sich die Deals näher an, dann stellt sich heraus, dass jedes Medium pro Jahr zwischen 5 und 10 Millionen US-Dollar bekommt – für große internationale Publikationen, aber selbst für große Medienhäuser in Österreich sicher kein Geldregen. Oft werden die Deals teilweise auch mit OpenAI-Credits bezahlt – die Journalist:innen bekommen damit quasi kostenlose ChatGPT-Nutzung auf Zeit.
Der Kunde sagt an
Wer mit OpenAI partnert, muss sich zwei Fragen stellen: 1. Welche neuen Produkte wird OpenAI im Medienbereich launchen? 2. Wird OpenAI als Content-Kunde künftig Anforderungen stellen?
Da OpenAI sich die Inhalte von großen Medien durch die Partnerschaften lizenziert, ist davon auszugehen, dass es in Zukunft mehr Features in Sachen News bei ChatGPT geben wird. Das ist auch logisch: Will man User jeden Tag zu einem Service locken, dann muss man ihnen täglich Neues bieten – ergo News. Auch Suchmaschinen und Social Networks haben Medienunternehmen mit zahlreichen Features (Instant Articles, Video-Streams, Google News usw.) zu sich gelockt.
Die Gefahr dabei: Tech-Unternehmen können neuartige Produkte bauen, mit denen die alten Medienmarken nicht Schritt halten können. Die AI-Modelle ermöglichen es schon heute, Texte in unterschiedliche Stile und Längen umzuschreiben. Theoretisch könnte OpenAI Financial Times-Artikel automatisiert im Boulevard-Stil aufbereiten und daraus eine synthetische Online-Zeitung bauen. Bei Google sieht man derweil, dass immer mehr die AI die Antworten auf Suchanfragen schreibt, und immer weniger Links (auch zu Medien) geboten werden.
Und: Die Tech-Riesen können die Algorithmen ändern. Früher lieferten Social Networks wie Facebook Online-Medien sehr viel Traffic, das ist heute nicht mehr so – Buzzfeed und Vice lassen grüßen.
Noch einen Schritt weitergedacht: Durch die Partnerschaft wird OpenAI Content-Kunde der Medien. Künftig kann das, wie in jeder Kundenbeziehung, dazu führen, dass Anforderungen an den Content gestellt werden. Sollten Nutzungsdaten aus ChatGPT zeigen, dass sich niemand für Kunst- und Kultur-News aus Europa interessiert, aber News zu Popstars und Influencern florieren, dann wird Kunde OpenAI auch entsprechend Content bestellen.
So oder so: Die Medienzukunft im AI-Zeitalter ist schwieriger denn je, die richtige Antwort auf die ChatGPT-Zäsur hat noch niemand. Nur eines kann man nicht machen: weiter wie bisher.
JAKOB STEINSCHADEN ist Mitgründer und Chefredakteur des Innovationsmediums Trending Topics in Wien, zweifacher Buchautor und Vater einer bezaubernden Tochter.