Money, Power & Glory: Weibliche Gründerinnen brauchen mehr als schöne Schlagzeilen
Im Juli feierte das Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft (BMAW) den hohen Frauenanteil in Österreichs Startup-Szene. Bei der Präsentation des Female Startups & Investing-Reports wurde stolz verkündet, Österreich habe den höchsten Anteil an „Female Startups“ in der EU.
Eine großartige Schlagzeile. Wer bei „Female Startups“ eine Gruppe von drei bis vier weiblichen Gründerinnen im Kopf hat, irrt. Laut Begriffsdefinition des Reports hat ein Female Startup zumindest eine Frau im Gründungsteam.
Mehr Gründerinnen, weniger Geld
Der Begriff ist gewollt irreführend, denn hebt man den Deckel der Headline, liest man im Report auch, dass der Anstieg der Anzahl von Female Startups sich nicht im Anteil am gesamten Finanzierungsvolumen widerspiegelt. Im Gegenteil: Die geschlechterspezifische Finanzierungskluft ist in den letzten Jahren sogar größer geworden. Während die Gründungsaktivität von Female Startups zwar kontinuierlich stieg, ging ihr Anteil am Investitionsvolumen von 15 auf 11 Prozent zurück.
Einer Argumentation, die das Sinken des Investitionsvolumens in Female Startups auf wirtschaftliche Unsicherheiten, steigende Zinsen, hohe Inflation und eine drohende Rezession zurückführt, ist entgegenzusetzen, dass trotz dieser Umstände österreichische Startups im ersten Halbjahr 2022 mehr frisches Kapital als je zuvor erhalten haben. Der Female Startups & Investing-Report folgert:
„Die vorliegenden Daten deuten darauf hin, dass insbesondere die Rekordinvestments […] überwiegend an rein männliche Gründungsteams gegangen sind.“
Female Startups & Investing-Report
Das bestätigt ein paar Monate später auch der im September erschienene „Female Startup Funding Index“ von EY und Female Founders. Er zeigt, dass 84 Prozent der 881 Millionen Euro, die im ersten Halbjahr 2022 von Venture-Capital-Firmen investiert wurden, an rein männliche Teams gingen.
Nur 16 Prozent wurden an gemischte Teams, kein einziges Investment an ein rein weibliches Team vergeben. Sieht man sich das Finanzierungsvolumen an, so ist der Anteil am Kapital, der an rein männliche Gründerteams fließt, sogar noch höher: 90 Prozent.
Dass es höchste Zeit für einen Paradigmenwechsel im Venture-Capital-Markt in Österreich ist, finden auch die Gründerinnen von Female Founders, Lisa-Marie Fassl und Nina Wöss. Sie haben es geschafft, einen VC-Fonds im Wert von 20 Millionen Euro aufzulegen, der sich auf Pre-Seed-Investitionen in gender-diverse Teams in Europa konzentriert. „Um die zahlreichen globalen Krisen zu bewältigen, mit denen wir derzeit konfrontiert sind, müssen technologische Lösungen von allen für alle entwickelt werden“, betont Nina Wöss.
Das Schließen der Gender-Finanzierungslücke und die Förderung von weiblichen Startup-Gründerinnen ist gerade in Zeiten von globalen Herausforderungen, wie z.B. Klimawandel, Teuerung und Energiekrise, nicht nur eine Frage von Chancengleichheit und Gerechtigkeit. Sie ist eine Voraussetzung, um nachhaltig, international kompetitiv und zukunftsorientiert zu wirtschaften. Diese Verantwortung kann nicht von der Politik an Private oder gar Privatpersonen abgewälzt werden.
Money, Power and Glory
Um es mit den Worten von Lana Del Rey zu sagen: Gründerinnen in Österreich brauchen „Money, Power and Glory“. Und dazu muss die Politik einen Beitrag leisten.
1. Money: Geld
In einer Welt, in der Frauen immer noch weniger verdienen als Männer und über weniger Kapital verfügen, ist Geld der „Gamechanger“ schlechthin, wenn es darum geht, es Frauen überhaupt zu ermöglichen, unternehmerische Vorhaben zu verfolgen.
Das Unternehmens-Gründungsprogramm des AMS z.B. ermöglicht es Menschen, sich für acht Monate ausschließlich auf ihre Gründung zu konzentrieren. Während dieser Zeit bekommen sie ihr Arbeitslosengeld ausgezahlt und können sich mit Workshops unternehmerisch weiterbilden. Das Programm beschränkt sich jedoch auf Existenzgründungen aus der Arbeitslosigkeit heraus und setzt voraus, dass die Teilnehmenden zuvor nicht selbstständig tätig waren.
In Wien gibt es seit heuer auch das Gründungsstipendium der Wirtschaftsagentur, das Menschen mit innovativer Gründungsidee über eine Dauer von einem halben Jahr finanziell und mit Coaching-, Beratungs- und Netzwerkangeboten unterstützt. Während Frauen auf der Informationsseite für das Gründungsstipendium aktiv zur Bewerbung aufgerufen werden, fehlt es in Österreich an zusätzlichen, öffentlich finanzierten Programmen, die sich ausschließlich an Frauen richten, um diese schon früh finanziell zu fördern.
Diese Empfehlung gibt übrigens auch der Report des Bundesministeriums für Arbeit und Wirtschaft und begründet, dass speziell auf Frauen ausgerichtete Entrepreneurship-Programme zwar inhaltlich jenen regulären Programmen ähneln, die sich sowohl an Frauen als auch an Männer richten – aber frauenspezifische Programme und Initiativen erweisen sich oft als weitaus effektiver, um Frauen zu erreichen. Erfolgreiche Beispiele außerhalb des öffentlichen Sektors gibt es in Form von Mentoring-Programmen von Female Founders und Womentor, bei denen es jedoch kein monatliches Finanzierungsstipendium gibt.
2. Power: Kinderbetreuung und gerechte Verteilung von Care-Arbeit
Unbezahlte Care-Arbeit und Kinderbetreuung sind in Österreich immer noch Frauensache bzw. ein typisches Frauenproblem. Die unentgeltliche Hausarbeit, Pflege und Fürsorge werden aktuell zu mehr als zwei Dritteln von Frauen geleistet. Neben Kinderbetreuen, Staubsaugen, Wäschewaschen, Bügeln, Mistentsorgen, Toilettenputzen, Einkaufen und Kochen bleiben wenig Zeit- und Energiereserven, die in die Ausarbeitung von innovativen Ideen und Businessplänen gesteckt werden können.
Dazu kommt, dass es in Österreich an Kindergartenplätzen mangelt. Gerade für Kinder im Alter bis zwei Jahre gibt es zu wenige Betreuungsangebote. Während in Wien für 44,3 Prozent der Kinder in diesem Alter Krippenplätze vorhanden sind, hinken andere Bundesländer mit einem Durchschnitt von 29 Prozent noch weit hinterher. Und das sind oft noch nicht einmal die Plätze, mit denen eine Vollzeitarbeit, geschweige denn eine Startup-Gründung vereinbar sind.
3. Glory: Weibliche Vorbilder
Neben den grundsätzlichen Bedingungen, die eine Gründung für Frauen überhaupt in den Rahmen des Möglichen rücken, muss auch ein gesellschaftliches und kulturelles Umdenken angestoßen werden. Gründen ist noch immer ein männlich konnotierter Akt und die österreichische Startup-Szene immer noch ein Boys Club. Hier müssen dringend weibliche Vorbilder geschaffen werden, die durch ihre Geschichten neue Narrative und Karriereoptionen, somit realistische Berufsbilder für Frauen, aufzeigen und attraktiv machen.
Dabei sollte sich Österreich am Vorreiter Schweden orientieren. Dort organisiert „Di Digital“ unter dem Titel „Female Founders“ eine nationale Initiative, die Gründerinnen, Führungskräfte und Investorinnen feiert und Frauen dabei unterstützt, ihr volles Potenzial zu entfalten. Außerdem gibt es einen jährlichen Wettbewerb zur Ermittlung der Gründerin des Jahres. Das stellt die öffentliche Sichtbarkeit und Wertschätzung von weiblichen Gründerinnen auf nationaler Ebene sicher.
Zeit hinzuschauen
Wir sind in Österreich noch weit davon entfernt, dass wir uns dafür feiern können, das „Land der Female Startups“ zu sein. Ja, in den letzten Jahren gab es – vor allem dank Initiativen wie Female Founders und Womentor – deutlich spürbare Verbesserungen. Trotzdem sprechen die Zahlen für sich: Sie zeigen klar, dass weibliche Gründerinnen in Österreich immer noch strukturell benachteiligt sind, besonders wenn es um Finanzierung, Vereinbarkeit und Repräsentanz geht. Dabei hilft es nicht, wenn ein Team aus vier Männern und einer Frau als „Female Startup“ betitelt wird. Das ist scheinheilig und verschleiert die Dringlichkeit, die angebracht wäre, wenn es darum geht, das Potenzial weiblicher Gründerinnen zu nutzen. Was am Ende bleibt, ist nicht mehr als eine nette Schlagzeile mit fadem Beigeschmack.
Um echten Fortschritt und Veränderungen für weibliche Gründerinnen voranzutreiben, muss man nämlich auch hinschauen. Dann wird schnell offensichtlich: Es braucht dringend mehr finanzielle Unterstützung, den Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen (die mit Vollzeitarbeit vereinbar sind), Startup- und Gründungsprogramme, die sich explizit an Frauen richten, und mehr öffentliche Sichtbarkeit für Gründerinnen. Mehr Reform und weniger unangebrachtes Eigenlob!
SOFIA SURMA ist Feministin, Gründerin und Vulva-Enthusiastin. Seit sie 2018 Viva La Vulva gegründet hat, beschäftigt sie sich intensiv mit der Enttabuisierung weiblicher* Sexualität und der Vulva. Auch als Gründerin des Vulva Shops setzt sie sich für die Gleichberechtigung und die Enttabuisierung der weiblichen* Sexualität ein.