Neue Lösungen für Asylverfahren in der EU
Der Zuzug von Asylwerbern und Migranten nach Europa hält an. Während viele von ihnen abgewiesen werden, werden gleichzeitig Arbeitskräfte gesucht. Es braucht endlich neue Konzepte statt populistischer Scheinlösungen.
Seit der großen Flüchtlingsbewegung der Jahre 2015/16 hält der Zuzug von Asylwerbern und Migranten nach Europa an. Durch die lebensgefährlichen Überfahrten über das Mittelmeer gibt es nicht nur tausende Todesopfer jährlich, sondern auch die Aufnahmekapazitäten in Europa werden überfordert. Weil der Zuzug von Migranten in den EU-Staaten gleichzeitig auf eine immer breitere Ablehnung in der Bevölkerung stößt und dies wiederum den politischen Druck durch erfolgreiche Stimmungsmache von rechtspopulistischen Parteien auf die Regierungen zunehmend erhöht, ist die Führungsebene der EU nun auch entschlossen, der irregulären Migration nach Europa einen wirksamen Riegel vorzuschieben. Abschiebungen von abgelehnten Asylwerbern werden forciert, auch solche nach Syrien und Afghanistan sollen erfolgen, die Asylverfahren sollen in Drittstaaten ausgelagert werden, und manche EU-Staaten wollen angesichts von zeitweise hohen Antragszahlen das Asylrecht einschränken oder überhaupt aussetzen – Ungarn praktiziert dies ja de facto schon längst.
Dabei ist die Belastung mit Asylverfahren in Europa höchst ungleich verteilt: So wurde in den letzten zehn Jahren mehr als die Hälfte aller positiven Asylentscheidungen in der EU in Deutschland und Österreich getroffen. Der in diesem Jahr beschlossene EU-Asyl- und Migrationspakt soll nun endlich einen wirksamen Außengrenzschutz, rasche Asylverfahren, die Rückführung von abgelehnten Asylwerbern und eine solidarische Aufteilung auf die einzelnen EU-Staaten bringen. Von der italienischen Regierung wurde kürzlich das erste für die Asylprüfung vorgesehene Aufnahmezentrum außerhalb der EU in Albanien in Betrieb genommen.
Gelten die Menschenrechte auch in Drittstaaten?
Die Asylanträge sollen dort innerhalb von drei Monaten geprüft und entschieden werden. Wird ein Asylantrag abgelehnt, sollten die Personen dann auch innerhalb von drei Monaten direkt in die Herkunftsländer zurückgeführt werden. Bei Zuerkennung internationalen Schutzes könnten die Asylwerber mit einer Aufenthaltsgenehmigung auf legalem Weg in die EU einreisen. Für den Fall der Verweigerung der Aufnahme von anerkannten Flüchtlingen sind alternative Beiträge der EU-Staaten durch Ausgleichszahlungen oder Bereitstellung von Personal vorgesehen. Insgesamt soll dies zu einer besseren Kontrolle der EU-Außengrenzen führen und mit der Schaffung von legalen Fluchtwegen den Menschenschleppern das Handwerk gelegt werden.
Zwar ist eine Auslagerung von Asylverfahren in sichere Drittstaaten völkerrechtlich grundsätzlich möglich, dies darf jedoch nicht dazu führen, dass die in der EU geltenden menschenrechtlichen Garantien der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) außer Kraft gesetzt werden. Dies betrifft etwa das Verbot der Zurückweisung in den Heimatstaat, wenn dort Verfolgung, Folter oder unmenschliche Behandlung drohen, oder das Verbot einer kollektiven Ausweisung von Personengruppen.
Was ist ein „sicherer Drittstaat“?
Auch bei den haftähnlichen Bedingungen der Unterbringung in den Aufnahmezentren, dem Zugang zu einem rechtstaatlichen Verfahren und zu effektivem Rechtsschutz müssten die in Europa angewendeten rechtlichen Standards gelten. Das Konzept der sicheren Drittstaaten unterliege jedenfalls hohen rechtlichen Anforderungen an eine menschenwürdige Behandlung von schutzsuchenden Migranten, deren praktische Umsetzung noch nicht geklärt seien, hat etwa das Deutsche Institut für Menschenrechte in einer Beurteilung dieser Pläne festgehalten, weshalb sich das Institut derzeit gegen eine Auslagerung der Asylverfahren ausspricht. Bleibt die Frage: Welche Staaten außerhalb der EU sind überhaupt als sicher anzusehen, weil sie Migranten ausreichend Schutz bieten und sind auch bereit, diese in größerer Anzahl zu übernehmen?
Eine der wesentlichen Fragen bei einer solchen Auslagerung ist denn auch die Anwendung von EU-Rechtsvorschriften bei Aufenthalt, Versorgung und Asylverfahren in den Aufnahmezentren, was durch einen Drittstaat allein wohl kaum gewährleistet werden könnte. Vor allem die automatische Inhaftierung der Schutzsuchenden, die je nach der Aufnahmebereitschaft der Herkunftsländer auch länger als geplant dauern kann, sorgt derzeit noch für starke menschenrechtliche Bedenken. Der Asyl- und Migrationspakt sieht immerhin vor, dass die Inhaftierung von Asylwerbern nur so kurz wie möglich dauern sollte.
Doch neben den rechtlichen Fragezeichen sind es auch die zu erwartenden faktischen Bedingungen der Unterbringung in den Drittstaaten, die derzeit noch starke Bedenken verursachen. Nach dem Abkommen zwischen Italien und Albanien soll in den kürzlich eröffneten Aufnahmelagern für Flüchtlinge, die auf dem Seeweg nach Europa gelangen wollen, jedenfalls die Geltung italienischen Rechts sichergestellt werden. Ein italienisches Gericht hat allerdings diese Art der Unterbringung von Flüchtlingen bereits für unrechtmäßig erklärt. Es wird wohl ein Präjudiz für ganz Europa sein, das Kräftemessen zwischen Regierung und Justiz ist damit eröffnet.
Besonderer Schutz für Kinder und Familien
Besonders zu beachten sind auch die Schutzgarantien für vulnerable Personengruppen auf der Flucht wie vor allem Kinder und Jugendliche, ob unbegleitet oder mit ihren Eltern zusammen: etwa betreffend ihre Unterbringung, Betreuung und Möglichkeiten zur Ausbildung, wie sie etwa in der UN-Kinderrechtekonvention angeführt sind. So sieht auch der aktuelle EU-Pakt zu Asyl und Migration ausdrücklich vor, dass in Beachtung des Kindeswohls minderjährige Asylwerber nach Möglichkeit nicht inhaftiert werden sollten, Asylverfahren von Kindern und Jugendlichen vorrangig behandelt werden und für unbegleitete Minderjährige möglichst bald ein gesetzlicher Vertreter zu bestellen ist.
Auch eine raschere Familienzusammenführung, wenn etwa ein Elternteil im Aufnahmeland das Asylrecht oder subsidiären Schutz zugesprochen erhalten hat, wird im EU-Pakt angestrebt. Dabei geht es um die Beachtung des Prinzips der Familieneinheit im Sinne des Menschenrechts auf Privat- und Familienleben. Dies könnte insbesondere für Österreich noch sehr relevant werden, wenn man an den in diesem Jahr kurzfristig verfügten Stopp der Familienzusammenführung nach der Ankunft von mehreren hundert nachgeholten Kindern und die damit verbundene Überlastung vor allem des Wiener Schulsystems denkt.
Hier bestehen vielmehr große Schutzlücken: die im Fall von subsidiärem Schutz eines Kindes bzw. Elternteils in Österreich geltende Wartefrist von drei Jahren, nach der im Heimatland erst ein Antrag auf Familienzusammenführung gestellt werden kann, wurde etwa vom Kindeswohlbericht 2021 als unangemessen lange Zeitdauer ausdrücklich kritisiert. Das Recht auf Familienzusammenführung müsste künftig allerdings schon bei der Zuerkennung des Asylrechts für Eltern(teile) mitbedacht und dafür gesorgt werden, dass es zu einer zahlenmäßig relativ gleichen Aufteilung von Familien auf die einzelnen Bundesländer kommt.
Leere Asylaufnahmezentren in Albanien
Mittlerweile ist jedoch die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten mehr als ungewiss, und die Aufnahmezentren in Albanien sind wieder leer. Denn nach der jüngsten Entscheidung eines italienischen Gerichts mussten die in die Aufnahmelager geschickten Migranten wieder nach Italien zurückgeführt und dort umgehend freigelassen werden.
Das römische Gerichtsurteil berief sich dabei auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), der kürzlich entschieden hatte, dass Herkunftsländer nur dann als sicher gelten können, wenn sie das auf ihrem gesamten Territorium sind, was bei den Migranten in Albanien eben nicht der Fall war. Deshalb könnten die Migranten auch gar nicht aus Albanien abgeschoben werden.
Nun wird demnächst nicht nur das italienische Höchstgericht entscheiden, sondern auch der EuGH die Rechtslage der Asylverfahren in Drittstaaten beurteilen, und ob dabei europäisches oder nationales Recht anzuwenden ist.
Die Einmahnung des geltenden Rechts durch die von der Regierung unabhängigen Gerichte kommt nicht so überraschend, auch in Großbritannien hatte ja ein Höchstgericht die geplanten Abschiebeflüge nach Ruanda gestoppt.
Nicht zuletzt ist es die mangels Abkommen mit den Herkunftsländern praktische Undurchführbarkeit der Rückführungen von abgelehnten Asylwerbern, die das Konzept der Auslagerung in sichere Drittstaaten zu einer Scheinlösung macht. Ob sich diese Asylzentren aber auf EU-Boden oder in Drittstaaten befinden – immer bleibt die offene Frage nach dem Verbleib von nicht asylberechtigten Flüchtlingen.
Arbeitsmigration und Ausbildungszentren in Herkunftsländern
Eine realistische Möglichkeit, gleichermaßen die illegale Migration einzudämmen und die Rechtsstaatlichkeit von Asylverfahren und die Menschenrechte der Migranten zu wahren, wäre jedoch, die Prüfung der Asylanträge an den Außengrenzen, aber noch im EU-Hoheitsgebiet unter Anwendung europäischen Rechts durchzuführen. Damit könnte verhindert werden, sich in die – noch dazu kostspielige – Abhängigkeit eines (sicheren?) Drittstaates zu begeben. Zahlen muss die EU ohnedies genug für wirksame Rücknahmeabkommen mit den Herkunftsländern.
Gleichzeitig könnte eine Entlastung bei Asylverfahren durch die Möglichkeit geschaffen werden, aus gar nicht für das Asylrecht infrage kommenden oder abgelehnten Asylwerbern mit einem sogenannten Spurwechsel die in Europa überall gebrauchten Arbeitskräfte zu machen, die nach einem Persönlichkeits- und Qualifikationscheck in den Aufnahmezentren als Arbeitsmigranten legal in die EU einreisen könnten.
Das Asylrecht bzw. der subsidiäre Schutz muss im Sinn der Genfer Konvention jedenfalls auf die konkreten Fälle persönlicher Verfolgung beschränkt bleiben, wie dies etwa für Frauenrechtlerinnen aus islamischen Staaten gelten sollte. Die Aufnahme von Arbeitsmigranten, die aus vorrangig wirtschaftlichen Gründen zuwandern, muss dagegen anhand des Bedarfs an Arbeitskräften und der Integrationsbereitschaft vom jeweiligen Aufnahmeland entschieden werden, spätestens in den Aufnahmezentren, besser aber noch vor einer unsicheren Flucht.
Längerfristig sollte Europa, anstatt Geld in Asylzentren und noch dazu in Drittstaaten zu stecken, diese finanziellen Mittel besser zur Errichtung von Ausbildungs- und Jobzentren in den Herkunfts- oder deren Nachbarländern einsetzen, um den potenziellen Migranten, bevor sie die immer weniger aussichtsreiche und außerdem gefährliche Flucht über das Mittelmeer antreten, in ihrer Heimat realistische Lebensperspektiven zu eröffnen und damit gleich die Fluchtursachen zu bekämpfen.
Von einer solchen Kooperation der EU mit den Herkunftsstaaten könnten alle Seiten profitieren, nicht zuletzt die Menschen vor Ort mit Lebens- und Arbeitsmöglichkeiten in ihrem kulturellen Umfeld. Und ein gewisses Kontingent von solcherart ausgebildeten Auswanderungswilligen könnte dann immer noch auf sicherem und legalem Weg als Arbeitsmigranten nach Europa kommen.
Das Asylrecht wird grundsätzlich infrage gestellt
Insgesamt unterminieren die Migration von hunderttausenden Menschen nach Europa und die massenweise Inanspruchnahme des Asylrechts den Stellenwert dieses Menschenrechts selbst und fordern damit das seit Jahrzehnten geltende Verständnis der Menschenrechte heraus.
Das Recht auf Asyl blieb in Europa so lange unwidersprochen, als es noch keine globalen Flüchtlings- und Wanderungsströme gegeben hat. Mit der großen Zahl an (tatsächlichen und vermeintlichen) Asylwerbern wird mancherorts mittlerweile bereits der Bestand von universellen Menschenrechten und konkret das Asylrecht selbst grundsätzlich infrage gestellt.
Von bestimmten politischen Parteien wird schon seit einiger Zeit die Meinung vertreten, dass sowohl die Flüchtlingskonvention als auch die Menschenrechtskonvention vor dem Hintergrund der Schrecken des Zweiten Weltkriegs entstanden sind, damit aus einer anderen Zeit stammen und deshalb an die heute geänderten Bedingungen angepasst, d.h. in ihrer Rechtsschutzfunktion eingeschränkt werden müssten.
Veränderte Fluchtgründe
Denn es hätten sich mittlerweile auch die Fluchtgründe geändert: Nicht mehr die persönliche Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen stehe im Vordergrund, sondern heute würden Menschen vor allem vor (Bürger-)Kriegen oder menschenunwürdigen Lebensverhältnissen flüchten. Auch wenn die Flucht vor einem Krieg in der Flüchtlingskonvention nicht als Fluchtgrund angeführt ist, haben viele dieser Menschen ein Asylrecht, subsidiären Schutz oder ein humanitäres Bleiberecht erhalten, da sie in ihrem Heimatland wegen Krieg, Vertreibung oder kollektiver Gefährdung kein menschenwürdiges Leben führen könnten und hierzulande bereits gut integriert sind. So hat die Entscheidungspraxis von Asylbehörden und Höchstgerichten den Rechtsschutz der beiden Konventionen für die aktuellen Bedrohungslagen im Sinn eines kollektiven Schutzes vor Krieg und Lebensgefahr weiterentwickelt.
Auf dieser internationalen Rechtsgrundlage und Rechtsprechung haben zumal in den letzten zehn Jahren Hunderttausende Flüchtlinge und Migranten in europäischen Ländern Schutz und Aufnahme erhalten. Das war bzw. ist auch für den Großteil der Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan der Fall, die das Hauptkontingent an Asylwerbern in Österreich ausmachen.
Die jüngste Entscheidung des EU-Gerichtshofs (EuGH) zugunsten eines schon aufgrund ihres Geschlechts jedenfalls zuzuerkennenden Asylrechtes für Frauen aus Afghanistan hat in der Politik und bei nationalen Asylbehörden wie erwartet kritische Reaktionen hervorgerufen. Mancherorts wird dieses Urteil als Einschränkung der Entscheidungsbefugnis der Staaten massiv infrage gestellt; man wolle jedenfalls an Einzelfallprüfungen von Asylanträgen festhalten, hieß es etwa aus dem Innenministerium.
Klare Unterscheidung notwendig
Aber auch eine genaue Prüfung individueller Schutzanträge von Frauen und Mädchen aus Afghanistan müsste angesichts der dort herrschenden generellen Unterdrückung der Frauen wohl in den meisten Fällen zum Ergebnis kommen, dass gerade für diese Personengruppe der Asylschutz der Flüchtlingskonvention bzw. zumindest der subsidiäre Schutz gilt. Eine Änderung der Flüchtlingskonvention würde, abgesehen von der gewiss schwierigen politischen Konsensfindung, letztlich nur zu einer Einschränkung des Schutzes für in ihrem Heimatland tatsächlich persönlich verfolgte Menschen und damit zu einem menschenrechtlichen Rückschritt führen. Auch deshalb ist eine klare Unterscheidung zwischen Asylrecht, Bleiberecht und Arbeitsmigration notwendig; dies könnte letztlich auch die Nachvollziehbarkeit und Akzeptanz der Entscheidungen in allen diesen Fällen verbessern.
ANDREAS KRESBACH ist Jurist im Öffentlichen Dienst und Autor in Wien.