Österreichs Demokratie: Erosion oder Konsolidierung – wir entscheiden
Am 29. September wird gewählt. Für Österreich ist dies mehr als eine Richtungsentscheidung, steht doch seit Monaten eine Partei an erster Stelle, die die liberale Demokratie mit Füßen tritt, gegen Medien und die „Einheitsparteien“ wettert und einen „Volkskanzler“ als Heiland preist. In diesem Kontext lohnt sich ein analytischer Blick, mit welchen Vorzeichen Österreichs Demokratie in diese Wahl startet.
Der internationale Vergleich
Wie steht Österreichs Demokratie international da? Ein Blick auf zwei der bekanntesten Demokratieindizes, den Economist Democracy Index und den V-Dem-Index, kann Aufschluss geben. Der Economist Democracy Index bewertet die fünf Bereiche „Wahlprozess und Pluralismus“, „Funktionsweise der Regierung“, „Politische Teilhabe“, „Politische Kultur“ und „Bürgerrechte“ auf einer Skala von 0 bis 10. Danach werden die Staaten in die Kategorien „vollständige“ oder „unvollständige Demokratie“, „Hybridregime“ und „autoritäres Regime“ eingeteilt. Wenig überraschend führen Norwegen, Neuseeland und Island das Ranking an, während Afghanistan, Myanmar und Nordkorea die Schlusslichter bilden. Österreich erreichte 2023 den 19. Platz, was es in Westeuropa ins Mittelfeld bringt. Es liegt damit hinter den skandinavischen Staaten, der Schweiz und Deutschland, aber vor Griechenland, Frankreich, Ungarn und auch den USA. Besonders die Bewertung der politischen Kultur zieht das Land im Ranking nach unten. Insgesamt wird Österreich als „vollständige Demokratie“ eingestuft, doch mit einem Wert von 8,2 scheint eine Abstufung zur „unvollständigen Demokratie“ nicht unmöglich.
Der V-Dem-Index sieht Österreich kritischer: 2023 wurde das Land nur noch als „Elektorale Demokratie“ und nicht mehr als „Liberale Demokratie“ eingestuft. In elektoralen Demokratien werden (im Kontrast zu liberalen) individuelle Rechte oft eingeschränkt und verfassungsmäßige Garantien geschwächt. Relativ schlecht schneidet Österreich im Bereich „Deliberative Komponente“ ab, also jenem Prozess, durch den politische Entscheidungen getroffen werden. Ein deliberativer Prozess zeichnet sich durch breite öffentliche Beteiligung und das Streben nach Gemeinwohl aus – im Gegensatz zu Populismus und der Fokussierung auf Einzelinteressen.
Beide Indizes machen klar: Für eine Spitzenplatzierung reicht Österreichs Demokratieperformance nicht aus. Dabei findet sich Österreich beim Economist Democracy Index am unteren Ende als vollständige Demokratie, beim V-Dem-Index am oberen Ende als elektorale Demokratie. Österreich sollte vor allem an seiner politischen Kultur arbeiten und rhetorisch abrüsten. Außerdem müssen Bürgerinnen und Bürger besser in politische Entscheidungen involviert werden, Sideletter sowie Korruption müssen konsequent bekämpft und transparent gemacht werden.
Akute Bedrohung: Wie kann Österreich seine Demokratie erhalten?
In „How Democracies Die“ beschreiben die Autoren Levitsky und Ziblatt folgendes Phänomen: Während im 20. Jahrhundert Demokratien tendenziell gewaltvoll zerstört wurden, wie etwa durch einen militärischen Putsch, sind Demokratien im 21. Jahrhundert mehr von Erosion betroffen. Es gibt keinen entscheidenden Moment, vielmehr bröckelt die Demokratie mit jedem Angriff auf den unabhängigen Journalismus und durch das Aberkennen der Legitimität politischer Gegner. Die FPÖ folgt hierbei klar dem autoritären Playbook, wenn ihr Vorsitzender Kickl Andersdenkende als „Inzuchtpartie“ beschimpft, den Bundespräsidenten als „senil“ bezeichnet oder sich selbst zum Volkskanzler ausruft. Diese Art der Polarisierung ist giftig für Demokratien und kann sie langfristig zerstören.
Umso wichtiger ist es daher, autoritäre Politiker von demokratischen Ämtern fernzuhalten. Die Autoren von „How Democracies Die“ sehen etwa die parteiübergreifende Unterstützung von Van der Bellen im Rennen als Bundespräsident als Schlüsselmoment zum Schutz der Demokratie. Vor allem die ÖVP muss als potenziell engster Koalitionspartner eine Zusammenarbeit eindeutig ausschließen.
Es ist an der Zeit, dass sich Österreich klar für die Stärkung der Demokratie einsetzt. Zivilgesellschaftliche Projekte für die Demokratie im Wahlkampf der letzten Wochen machen zwar Hoffnung, doch welche Zielgruppen sie erreichen, bleibt abzuwarten. Ob Österreichs Demokratie in den kommenden Jahren konsolidiert oder weiter erodiert, hängt maßgeblich davon ab, wie entschlossen wir als Gesellschaft und als Wählerinnen und Wähler die liberalen Prinzipien der Demokratie verteidigen.
LUCA MODL studiert Politik und Internationale Beziehungen am Forward College in Lissabon.