Poor Economics: Plädoyer für ein neues Verständnis von Armut
Poor Economics: Plädoyer für ein neues Verständnis von Armut bietet spannende Einblicke in die Lebensrealität, die Armut für Betroffene mit sich bringt. Das Buch zeigt, wie wichtig es ist, Armut wirklich zu verstehen, um effektive Bekämpfungsmaßnahmen ergreifen zu können. Politische Überzeugungen und daraus folgende Maßnahmen vernachlässigen das aber meist – und sind dadurch oft unwirksam oder sogar schädlich.
Poor Economics: Plädoyer für ein neues Verständnis von Armut, verfasst von den Wirtschafts-Nobelpreisträgern Abhijit V. Banerjee und Esther Duflo, beleuchtet sehr detailliert die ökonomischen Herausforderungen und Lebensumstände der Armen. Das Buch ist reich an Fallstudien und Experimenten, die das Ziel verfolgen, die Motive und Entscheidungen armer Menschen zu verstehen.
Dazu werden randomisierte Kontrollstudien angewandt, die sonst primär in der medizinischen Forschung verwendet werden. Die Autoren plädieren für kleine, lokale, effektive und messbare Maßnahmen anstelle von großangelegten, zentralisierten Projekten ohne direkte Möglichkeiten zur Erfolgsmessung.
Spezifisch beziehen sich Banerjee und Duflo dabei vor allem auf lokale Projekte zur Bekämpfung von konkreten Armutsfallen wie Malaria-Infektionen, mangelnde Verwendung von Dünger oder schlechte Bildung von Kindern. Der evidenzbasierte Ansatz zur gezielten Armutsbekämpfung verdient meiner Meinung nach definitiv mehr Beachtung – Armutsbekämpfung ist ein Thema, das unabhängig von allen anderen globalen Krisen immer relevant ist.
Verständnis der Lebenswelt der Armen
Banerjee und Duflo zeigen sehr eindrücklich auf, wie genau sich die Lebensrealität von Menschen in bitterer Armut von jenen der wohlhabenderen unterscheidet. Entscheidungen, die für reichere Personen absolut rational und sinnvoll erscheinen, sind für sehr arme Menschen oft tatsächlich oder zumindest gefühlt schlecht.
Ein großer Unterschied ist beispielsweise, dass ihre Entscheidungen meist sehr viel konservativer und risikoaverser sind, da jede unerwartete Herausforderung wie Krankheit, Dürre oder Diebstahl ihre Existenz bedrohen kann. Selbst kleine, potenziell sehr lukrative Investitionen, wie etwa für Dünger, werden so bereits zum Risiko, da dieses Geld dann kurzfristig zur Lösung existenzieller Probleme fehlen könnte. Das führt zu ständigem Stress – und dazu, dass arme Menschen Entscheidungen treffen, die die Armut eher fördern als bekämpfen und so zu schwer überwindbaren Armutsfallen werden.
Bildung als Wagnis
Persönlich fand ich insbesondere die Herausforderungen für arme Menschen im Bildungsbereich sehr spannend, da Bildung für mich der Schlüssel zu vielen Problemen ist. Viele Familien glauben, der Wert der Schulbildung liege nur im Erreichen eines Abschlusses, nicht in der Bildung an sich. Die Überlegung dahinter ist, dass ein Kind mit einem Abschluss einen besseren Job findet und dadurch die Familie aus der Armut heben kann.
Genau diese Überzeugung führt aber dazu, dass arme Familien ihre begrenzten Ressourcen oft auf die Bildung des potenziell geeignetsten Kindes, meist des ältesten Sohns, konzentrieren. Geschwister und vor allem Schwestern bleiben so fast komplett außen vor. Banerjee und Duflo zeigen jedoch, wieso der Wert der Bildung linear ist – das heißt, jede zusätzliche Woche in der Schule bringt zusätzlichen Wert in Form von gesteigertem Einkommen.
Maßnahmen, die den Eltern helfen, das zu verstehen, haben daher mit verhältnismäßig wenig Aufwand eine positive Wirkung, da dadurch mehr Kinder in den Genuss von Bildung kommen.
Würde auch mit kleinem Geld
Neben unzähligen weiteren Beispielen und Themen fand ich auch die Analyse des Stellenwerts der Würde und des Status in sozialen Gruppen unter widrigsten Bedingungen interessant, da dies zeigt, wie wichtig eine grundlegende Würde für einen Menschen unabhängig von seiner Situation ist.
Beispielsweise zeigen die Autoren, wie selbst bei unterernährten Personen ein leicht steigendes Einkommen oft nicht dazu führt, dass sie sich mehr kalorienreiche Nahrung kaufen. Stattdessen präferieren sie teurere und qualitativ hochwertigere Nahrung oder gar Genussmittel wie Alkohol, Tabak und Tee. Dies ermöglicht ihnen, sich besser zu fühlen und ihr Ansehen in der Gruppe zu steigern, was ihnen in vielen Fällen mehr wert ist, als den Hunger komplett zu eliminieren.
Empfehlung
Poor Economics ist ein Muss für all jene, die sich für Entwicklungsökonomie und Armutsbekämpfung interessiert. Das Buch bietet nicht nur eine fundierte Analyse der täglichen Entscheidungen der Armen, sondern liefert auch praxisnahe Erkenntnisse und Lösungen für die wirksame Bekämpfung von Armut. Die Autoren hinterfragen konventionelle Weisheiten und bieten eine neue Perspektive auf die Ökonomie der Armut, die auf einem tiefen Verständnis der Realität basiert.
Ihre Herangehensweise, klein zu denken und die kurzfristige Irrationalität des menschlichen Verhaltens zu akzeptieren, macht dieses Buch zu einer wertvollen Ressource für Politikgestalter, Forscher und alle, die sich für eine gerechtere Welt einsetzen möchten.
RAPHAEL FRITZ ist IT-Unternehmer mit Fokus auf AI. Er war schon als Kind ein Bücherwurm, der nach dem Studium Hörbücher für sich entdeckte. So lässt sich sein Wissensdurst in den Bereichen Technologie, Politik, Philosophie, Wissenschaft und Persönlichkeitsentwicklung trotz eines hektischen Alltags hervorragend stillen. Knapp 70 Hörbücher und 5 gedruckte Bücher pro Jahr liefern dabei einen guten Pool, um hervorragende Empfehlungen abgeben zu können. Die meisten davon werden auf Englisch gelesen oder gehört. Ausnahmen gibt es primär, wenn Deutsch die Originalsprache ist.