Rezension: Aufklärung jetzt!
In Aufklärung jetzt: Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt (im englischen Original: Enlightenment Now: The Case for Reason, Science, Humanism, and Progress) arbeitet der Autor Steven Pinker heraus, was die Werte der Aufklärung sind, wieso sie die Menschheit massiv vorangebracht hat und wie sich dadurch das Leben für die durchschnittliche Person enorm verbessert hat. Anschließend zeigt er, wieso wir diese Werte verteidigen müssen und wie sie auch weiterhin zu mehr Freiheit, Wohlstand und Fortschritt führen. Für mich ist dieses Thema derzeit aktuell wie nie, da diese grundlegenden Werte weltweit durch den Aufstieg von Autokratien und alternativen Fakten unter Druck geraten.
Messbare Erfolge
Steven Pinker bietet eine wichtige Erkenntnis, die in der alltagspolitischen Debatte oft verlorengeht: Der Fortschritt in der Geschichte der Menschheit ist real und messbar. Das Buch zeigt anhand von Daten, dass die Menschheit in de facto allen Bereichen des Lebens besser dran ist als früher. Der Autor illustriert das mit folgendem Beispiel:
„Wenn man sich aussuchen müsste, zu welchem Zeitpunkt der Geschichte man geboren wird, ohne zu wissen, in welchem Land, mit welchem Geschlecht oder mit welchem Familienhintergrund, würde man immer heute nehmen.“
Der Fortschritt ist hauptsächlich auf die Ideen der Aufklärung, also vor allem auf Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Freiheit zurückzuführen.
Verteidigung der Aufklärung
Das Buch zeigt, wie wichtig es ist, dass die Ideen der Aufklärung gegen Angriffe von Populisten und (religiösen) Fundamentalisten verteidigt werden. Der Autor erklärt auch, wieso diese Herausforderungen in letzter Zeit immer mehr werden, obwohl die Menschen wirtschaftlich besser dastehen als früher.
Er führt dies darauf zurück, dass Populisten und Fundamentalisten nicht von wirtschaftlichen Verlierern, sondern vielmehr von kulturellen Verlierern gewählt oder unterstützt werden. Dabei handelt es sich um Menschen, die – meist fälschlicherweise – davon überzeugt sind, dass ihre Kultur und ihre Werte existenziellen Gefahren ausgesetzt sind.
Wird besser, klingt schlechter
Negative Nachrichten überschatten oft die positive Realität, da Medien meist ein negativeres Bild von der Welt zeichnen, als eigentlich angebracht wäre. Sie handeln dabei ganz nach dem Motto: „Only bad news are good news.“ Diese Aussage stimmt zwar schon seit dem Aufkommen von Zeitungen, allerdings ist der Ton in der gesamten Medienlandschaft über die letzten Jahrzehnte noch einmal deutlich negativer geworden.
Als Gedankenexperiment dazu schlägt der Autor eine fiktive Zeitung vor, die nur alle 50 Jahre erscheint. Sie berichtet immer, was seit der letzten Ausgabe geschehen ist. Dadurch ändert sich der Ton der Zeitung komplett: Die wichtigsten und spürbarsten Veränderungen über diese langen Zeiträume sind positive Entwicklungen und keine kurzfristigen negativen Ereignisse wie in den vorherrschenden Tages-, Wochen- und Monatszeitungen.
Spannend ist auch ein Informationsparadoxon, das zusätzlich zur generell negativen Stimmung viele positive Entwicklungen verschleiert. Es geht dabei darum, dass man immer mehr schlechte Dinge findet, je mehr sich die Standards verändern und je genauer man sucht. Wenn also etwa an Menschenrechte immer höhere Anforderungen gestellt werden und die immer genauer kontrolliert werden, findet man immer mehr Probleme – obwohl die Situation eigentlich besser wird.
Empfehlung
„Aufklärung jetzt“ ist ein sehr interessantes Buch und eine große Leseempfehlung meinerseits, gerade derzeit, wo Wissenschaft, Freiheit und viele andere grundlegende Werte weltweit wieder stärker unter Druck geraten. Im Buch werden auch viele andere Themen und ihre Ursachen behandelt, wie Kriminalität, Klimawandel und Atheismus.
Ich bin übrigens nicht der Einzige, der das Buch super findet – es gehört zum Beispiel auch zu den Allzeit-Favoriten von Bill Gates. Es gibt allerdings auch Kritik an „Aufklärung jetzt“ und an der Person Steven Pinker im Allgemeinen. Die meines Erachtens relevanteste Kritik bezieht sich darauf, dass er Dinge oft zu wissenschaftlich-reduktionistisch betrachtet. Er versucht Entwicklungen zu sehr anhand grundlegender Psychologie und Biologie zu erklären, wobei kulturelle und soziale Einflüsse zu kurz kommen. Ich persönlich teile diese Kritik nicht und empfehle, sich durch die Lektüre des Buches am besten selbst eine Meinung dazu zu bilden.
RAPHAEL FRITZ ist IT-Unternehmer mit Fokus auf AI. Er war schon als Kind ein Bücherwurm, der nach dem Studium Hörbücher für sich entdeckte. So lässt sich sein Wissensdurst in den Bereichen Technologie, Politik, Philosophie, Wissenschaft und Persönlichkeitsentwicklung trotz eines hektischen Alltags hervorragend stillen. Knapp 70 Hörbücher und 5 gedruckte Bücher pro Jahr liefern dabei einen guten Pool, um hervorragende Empfehlungen abgeben zu können. Die meisten davon werden auf Englisch gelesen oder gehört. Ausnahmen gibt es primär, wenn Deutsch die Originalsprache ist.